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Nikolai Wassiljewitsch Gogol — Die Nase, Teil 2

Teil 2

Kowalow traf diesen Beamten gerade in dem Augenblick, als er sich reckte, gähnte und sprach: »Ach, jetzt schlaf ich recht hübsch zwei Stündchen!« Und so kam ihm der Besuch des Kollegien-Assessors selbstverständlich durchaus nicht gelegen. Der Polizei-Inspektor war ein großer Freund von allerlei schönen Sachen und Industrieerzeugnissen, aber staatliche Banknoten zog er doch allem andern vor. »Das ist etwas Reelles«, pflegte er zu sagen; »es geht nichts über so einen reellen Schein; er braucht keine Nahrung, nimmt nur wenig Raum ein, findet immer Platz in der Tasche, und fällt er zu Boden, so zerbricht er nicht.« Der Polizei-Inspektor empfing Kowalow ziemlich trocken und sagte, unmittelbar nach dem Essen sei keine Zeit, gerichtliche Untersuchungen einzuleiten; schon die Natur habe es so eingerichtet, daß man sich dann ein wenig ausruhe (aus welcher Bemerkung der Kollegien-Assessor entnehmen konnte, daß der Polizei-Inspektor mit den Sinnsprüchen der alten Weisen nicht ganz unbekannt war) und daß man einem ordentlichen Menschen nicht die Nase abreiße. Das war überaus deutlich. Es muß hier bemerkt werden, daß Kowalow ein höchst empfindlicher Mensch war. Er konnte alles verzeihen, was man über ihn selbst sagte, aber niemals das, was sich auf seinen Rang oder seine Stellung bezog. Er ließ sogar gelten, daß die Zensur in Theaterstücken alles das passieren ließ, was auf die Offiziere gemünzt war, aber Stabsoffiziere durften nie angegriffen werden. Der Empfang des Polizei-Inspektors machte ihn so verwirrt, daß er den Kopf schüttelte und, die Arme ein wenig ausbreitend, im Gefühl seiner Würde sagte: »Ich muß gestehen, nach solchen beleidigenden Bemerkungen von[23]Ihrer Seite habe ich nichts mehr hinzuzufügen.« Sprach's und ging. Er kam nach Hause, kaum noch seine Beine fühlend. Es dämmerte schon. Seine Wohnung erschien ihm traurig und widerwärtig nach all diesen unglücklichen Bemühungen. Als er in das Vorzimmer trat, erblickte er seinen Diener Iwan rücklings auf dem schmutzigen Ledersofa liegend, wie er sich die Zeit damit vertrieb, daß er nach der Decke spuckte, wobei er glücklich immer ein und dieselbe Stelle traf. Der Gleichmut seines Dieners empörte ihn. Er versetzte ihm mit seinem Hut einen Hieb auf den Kopf und schrie: »Immer machst du Dummheiten, du Schweinigel.« Iwan sprang jäh in die Höhe, lief was er konnte, um seinem Herrn den Mantel abzunehmen. In seinem Zimmer angelangt, warf sich der Major müde und kummervoll auf einen Stuhl, seufzte einige Male tief auf und sagte schließlich: »Mein Gott, mein Gott! Ist das ein Unglück! Hätte ich einen Arm oder ein Bein verloren, das alles wäre noch nicht so schlimm; aber ein Mensch ohne Nase – der Teufel weiß, was das ist: Nicht Fisch und nicht Fleisch – man kann ihn einfach nehmen und zum Fenster hinauswerfen. Und hätte ich sie noch im Kriege oder im Duell oder auf eine andere selbstverschuldete Art verloren, aber um nichts und wieder nichts, ohne Not, nicht einen Groschen habe ich dafür bekommen ... Aber nein, es ist ja unmöglich!« fuhr er nach einigem Sinnen fort; »ganz undenkbar, daß ich die Nase verloren haben könnte; ganz und gar unwahrscheinlich. Das hat mir geträumt oder ich phantasiere nur; vielleicht habe ich aus Versehen statt des Wassers den Branntwein ausgetrunken, mit dem ich mir nach dem Rasieren das Kinn abwasche. Iwan, der Dummkopf, hat ihn nicht weggestellt, und ich habe ihn sicher getrunken.« Und um sich zu überzeugen, ob er wirklich[24]nicht betrunken sei, kniff sich der Major so empfindlich, daß er selbst aufschrie. Dieser Schmerz überzeugte ihn vollständig, daß er in der Tat ganz wach und nüchtern sei. Langsam näherte er sich dem Spiegel und schloß zuerst die Augen, in der Hoffnung, daß vielleicht seine Nase sich wieder an der alten Stelle befände; aber in demselben Augenblick sprang er zurück und rief aus: »Was für ein niederträchtiger Anblick!« Es war wirklich unbegreiflich; wenn er irgend etwas anderes, einen Knopf, die Uhr, einen silbernen Löffel verloren hätte! Aber ein solcher Verlust! Und noch in der eigenen Wohnung! ... Der Major Kowalow kam, alle Umstände erwägend, auf den Gedanken, ob es der Wahrheit nicht am nächsten liegen möchte, daß niemand anders schuld daran sei als die Frau des Stabsoffiziers Podtotschin, die ihn mit ihrer Tochter zu verheiraten suchte. Und er selbst kokettierte gern mit ihr, ging aber einer endgültigen Erklärung aus dem Wege. Als Frau Podtotschin ihm geradeheraus erklärte, daß sie ihr Töchterchen ihm geben möchte, da zog er sich ganz leise mit seinen Komplimenten zurück, indem er bemerkte, er sei noch zu jung, er müsse erst noch fünf Jahre dienen, um gerade zweiundvierzig Jahre voll zu haben. Und darum hat die Frau des Stabsoffiziers sicher aus Rache den Plan gefaßt, ihn zu schänden, und sich zu diesem Zwecke irgendein paar alte Hexenweiber angeworben, da auf keinerlei Weise angenommen werden konnte, daß ihm die Nase abgeschnitten worden sei: niemand kam zu ihm ins Zimmer; der Barbier Iwan Jakowlewitsch hatte ihn bereits am Mittwoch rasiert, und während des ganzen Mittwochs, ja sogar noch während des Donnerstags war die Nase noch heil gewesen. Dessen erinnerte er sich noch genau und wußte es ganz gut. Zudem würde er ja auch den Schmerz empfunden haben,[25]und ohne Zweifel hätte die Wunde nicht so schnell heilen können. Es gingen ihm allerlei Pläne durch den Kopf; sollte er die Frau des Stabsoffiziers auf dem Rechtswege vor Gericht laden oder sich selbst zu ihr begeben und sie überführen? Er wurde in seinen Gedanken durch das Licht gestört, das durch alle Spalten der Tür hindurchdrang und erkennen ließ, daß Iwan bereits im Vorzimmer die Kerze angezündet hatte. Bald darauf trat Iwan selbst herein, das Licht vor sich tragend und die ganze Stube erleuchtend. Das erste, was Kowalow tat, war, nach dem Taschentuch zu greifen und die Stelle zu verhüllen, wo sich gestern noch die Nase befunden, damit dieser Dummkopf von Diener den Mund nicht so aufsperre, wenn er seinen Herrn in einer so seltsamen Verfassung erblickte.

Iwan war noch nicht wieder in seine Kammer gegangen, als aus dem Vorzimmer eine unbekannte Stimme sich vernehmen ließ, welche rief: »Wohnt hier der Kollegien-Assessor Kowalow?« »Bitte treten Sie ein, ja, hier wohnt er«, rief Kowalow schnell aufspringend und die Tür öffnend. Es war ein Polizeibeamter von hübschem Äußeren mit einem nicht zu hellen und nicht zu dunklen Backenbart und ziemlich vollen Wangen, derselbe, welcher zu Beginn unserer Erzählung auf der Isaaksbrücke stand.

»Haben Sie vielleicht beliebt Ihre Nase zu verlieren?« »Ganz recht.« »Sie ist jetzt aufgefunden worden.« »Was sagen Sie?« rief der Major Kowalow. Die Freude lähmte ihm die Zunge. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er den vor ihm stehenden Polizeimann an, auf dessen vollem Gesicht und Lippen hell das flackernde Kerzenlicht zitterte.

»Auf welche Weise?« [26]»Auf höchst seltsame Weise: sozusagen auf der Landstraße. Sie saß bereits im Postwagen und wollte nach Riga fahren. Der Paß war schon vor längerer Zeit auf den Namen eines Beamten ausgestellt worden. Und ist es nicht merkwürdig, daß ich selbst anfangs sie für einen Herrn hielt? Aber glücklicherweise hatte ich meine Brille bei mir, und da sah ich denn sofort, daß es eine Nase war. Ich bin nämlich kurzsichtig, und wenn Sie selbst vor mir stehen, so sehe ich nur, daß Sie ein Gesicht haben, aber von einer Nase, einem Bart bemerke ich nichts. Meine Schwiegermutter, das heißt, die Mutter meiner Frau, sieht ebenfalls nichts.« Kowalow war außer sich. »Wo ist sie, wo? Ich eile sofort hin –« »Sorgen Sie sich nicht. Ich wußte, daß Sie sie brauchen und habe sie gleich mitgebracht. Und merkwürdigerweise ist der Hauptverbrecher bei dieser Sache ein Halunke von Barbier da auf der Himmelfahrtsstraße – jetzt sitzt er bereits auf der Wache. Ich hatte ihn schon lange im Verdacht, daß er ein Trunkenbold und Dieb sei, und noch vorgestern nahm er in einem Laden eine Partie Knöpfe an sich. Ihre Nase ist noch ganz so, wie sie war.« Und damit griff der Polizeibeamte in die Tasche und zog die in Papier gewickelte Nase heraus.

»Ja, ja, das ist sie!« rief Kowalow; »richtig, das ist sie! Werden Sie heute eine Tasse Tee mit mir trinken?« »Würde mir sehr angenehm sein, aber ich kann wirklich nicht; ich muß von hier sofort nach dem Zuchthaus fahren ... alle Lebensmittel sind jetzt furchtbar teuer ... bei mir wohnt die Schwiegermutter, das heißt die Mutter meiner Frau, und Kinder; namentlich das älteste erweckt große Hoffnungen – ein kluger Junge; aber es fehlt mir vollständig an Mitteln, um ihm eine gute Erziehung zu geben ...« [27]Als der Polizeibeamte fort war, verharrte der Kollegien-Assessor einige Minuten in einem unbestimmten Geisteszustand; erst nach einigen Minuten war es ihm möglich, wieder zu sehen und zu fühlen – so hatte ihn die unerwartete Freude überwältigt. Vorsichtig nahm er die wiedergefundene Nase in beide Hände, die er ballte, und betrachtete sie noch einmal ganz aufmerksam.

»In der Tat, sie ist's!« sagte der Major Kowalow zu sich. »Da ist auch das Hitzbläschen an der linken Seite, das sich vorgestern gebildet hat.« Ein Wunder, daß der Major nicht vor Freude auflachte. Aber nichts ist von Dauer hier auf Erden, und so ist auch die Freude im zweiten Augenblick schon nicht mehr so lebendig wie im ersten; im dritten wird sie noch schwächer, und schließlich verfließt sie unbemerkt mit dem gewöhnlichen Zustand der Seele – wie die Ringe auf dem Wasser, die durch das Hineinfallen eines Steines entstanden sind, endlich auf der glatten Oberfläche wieder verschwinden. Kowalow begann nachzudenken und besann sich, daß die Sache ja noch nicht vollständig erledigt war: die Nase war zwar gefunden, aber nun mußte sie wieder an ihren Platz befestigt werden.

»Wenn sie nun nicht festwüchse?« Bei dieser Frage, die er sich selbst stellte, erbleichte der Major. Mit einem Gefühl unerklärlichen Schreckens sprang er zum Tisch und rückte den Spiegel näher, damit er die Nase nicht schief aufsetze. Die Hände bebten ihm. Vorsichtig und behutsam hielt er sie an der alten Stelle ... o Schrecken! Die Nase hielt nicht! ... Er hielt sie vor den Mund, wärmte sie durch seinen Atem ein wenig an und hielt sie wieder an die glatte Stelle zwischen den beiden Wangen, aber die Nase wollte durchaus nicht festhalten.

»Na, na, na! So klettere doch hinauf, du dummes[28]Ding!« sagte er zu ihr. Aber die Nase war wie von Holz und fiel mit einem eigentümlichen Ton so wie ein Pfropfen auf den Tisch. Das Gesicht des Majors begann krampfhaft zu zucken. »Wäre es wirklich möglich, daß sie nicht wieder anwachsen wollte?« sagte er entsetzt zu sich. Aber so oft er sie auch andrückte – alle Bemühungen waren fruchtlos.

Er rief Iwan und schickte ihn zu dem Arzt, der in demselben Hause die schönste Wohnung im ersten Stock inne hatte. Dieser Doktor war ein stattlicher Mann, hatte einen schönen pechschwarzen Backenbart, eine frische gesunde Frau, aß des Morgens frische Äpfel, reinigte sich mit der größten Sorgfalt den Mund, indem er ihn jeden Morgen fast dreiviertel Stunden lang spülte und die Zähne mit fünf verschiedenen Bürstchen putzte. Der Doktor kam unverzüglich. Nachdem er gefragt, wann ihm das Unglück passiert sei, faßte er den Major ans Kinn, hob seinen Kopf und gab ihm mit dem Zeigefinger ein Schnippchen auf dieselbe Stelle, wo früher die Nase gesessen, so daß der Major seinen Kopf mit solcher Heftigkeit zurückzog, daß er mit dem Hinterkopf an die Wand schlug. Der Arzt sagte, das habe nichts zu bedeuten, riet ihm, ein wenig von der Wand wegzutreten, und befahl ihm, den Kopf erst nach rechts zu neigen, befühlte dann die Stelle, wo die Nase gesessen hatte, und sagte »hm!« Dann befahl er ihm, den Kopf nach links zu neigen, und sagte »hm!« Und zum Schluß gab er ihm wieder mit dem Finger ein Schnippchen, so daß Major Kowalow den Kopf emporriß wie ein Pferd, dem man die Zähne besieht. Nachdem der Arzt diese Prüfung angestellt hatte, schüttelte er den Kopf und sagte: »Nein, es ist unmöglich; es ist besser, Sie bleiben so wie Sie sind, denn es könnte noch viel schlimmer werden. Natürlich könnte ich Ihnen die Nase wieder ansetzen; ja, ich könnte sie, wenn's Ihnen beliebte, jetzt gleich[29]wieder befestigen; aber ich versichere Sie, es würde für Sie nur noch schlimmer werden!« »Das ist eine schöne Geschichte! Wie sollte ich ohne Nase auf der Welt herumlaufen?« rief Kowalow. »Ärger als es jetzt ist, kann es gar nicht werden. Das ist ja, um des Teufels zu werden! Wo soll ich mich mit einem so niederträchtigen Gesicht sehen lassen? Ich habe sehr distinguierte Bekannte, und noch heut abend muß ich in zwei Familien Besuche machen. Ich habe sehr viele Bekannte: da ist die Staatsrätin Tschechtarew, die Frau des Stabsoffiziers Podtotschin, wiewohl ich mit ihr nach dieser Tat nur noch durch die Polizei verkehren kann ... Seien Sie so liebenswürdig«, fuhr Kowalow mit flehender Stimme fort. »Gibt es denn gar kein Mittel? Machen Sie sie irgendwie fest: wenn's auch nicht schön aussieht – wenn sie nur fest sitzt! Ich kann sie sogar in kritischen Situationen leicht mit der Hand festhalten. Ich will sogar nicht tanzen, damit sie nicht durch irgendeine unvorsichtige Bewegung zu Schaden kommt. Und was die Remuneration für Ihre Besuche anlangt, so seien Sie überzeugt – soweit meine Mittel gehen –« »Sie können versichert sein«, sprach der Doktor weder mit zu lauter noch zu leiser, aber außerordentlich freundlicher und anziehender Stimme, »daß ich nie aus Gewinnsucht meiner Praxis nachgehe. Das ist ganz gegen meine Grundsätze und meine Kunst. Allerdings nehme ich Geld für meine Besuche, aber nur um meine Patienten nicht zu verletzen. Natürlich könnte ich Ihnen die Nase wieder ansetzen; aber ich versichere Sie bei meiner Ehre – wenn Sie schon meinen Worten nicht glauben wollen – es würde noch weit schlimmer werden. Waschen Sie die Stelle öfters mit kaltem Wasser, und ich versichere Sie, Sie werden auch ohne Nase so gesund sein, als hätten Sie eine Nase. Die Nase selbst aber möchte ich Ihnen raten in[30]eine Flasche mit Spiritus zu legen, oder noch besser: gießen Sie zwei Löffel voll scharfen Branntwein und aufgewärmten Essig darauf – dann bekommen Sie ein hübsches Stück Geld dafür. Ich bin sogar bereit, sie selbst zu nehmen, wenn Sie nicht zuviel dafür verlangen.« »Nein, nein! Verkaufen? Um keinen Preis!« schrie verzweifelt der Major Kowalow.

»Entschuldigen Sie!« sagte der Doktor mit einer Verbeugung; »ich wollte Ihnen nur nützlich sein ... was soll ich tun? Wenigstens haben Sie gesehen, daß ich es aufrichtig meinte.« Und mit diesen Worten verließ der Doktor in würdevoller Haltung das Zimmer. Kowalow bemerkte nicht einmal sein Gesicht und sah in seiner tiefen Betäubung nur noch die aus den Ärmeln des schwarzen Fracks hervorstehenden schneeweißen Manschetten.

Am folgenden Tage beschloß er, bevor er dem Gericht die Klage einreichte, an die Frau des Stabsoffiziers zu schreiben, ob sie ihm nicht ohne Kampf das zurückgäbe, was ihm gehörte. Der Brief hatte folgenden Inhalt: »Meine Gnädigste! Ich kann Ihr eigentümliches Benehmen durchaus nicht begreifen. Seien Sie überzeugt, durch ein solches Vorgehen erreichen Sie nichts und werden mich dadurch nie bewegen, Ihre Tochter zu heiraten. Sie können glauben, daß die Geschichte meiner Nase schon in der ganzen Stadt bekannt ist, wie auch der Umstand, daß Sie und niemand anders in erster Reihe beteiligt sind. Ihr plötzliches Verschwinden und ihre Flucht, der Umstand, daß sie bald in der Gestalt eines Beamten, bald in ihrer eigenen Gestalt sich zeigt, sind weiter nichts als das Resultat der Zauberkünste, welche Sie oder diejenigen geübt haben, die sich mit solch edlen Beschäftigungen befassen. Ich halte es für meine [31] Pflicht, Ihnen die Mitteilung zu machen, daß, wenn oberwähnte Nase sich nicht heute noch an Ort und Stelle befindet, ich mich genötigt sehen werde, bei den Gerichten Schutz und Genugtuung zu suchen.

Im übrigen mit vollständiger Hochachtung Ihr ganz ergebener Platon Kowalow.« »Sehr geehrter Herr! Ihr Brief hat mich über die Maßen verwundert. Ich muß Ihnen offen gestehen, das und insbesondere diese ungerechten Vorwürfe Ihrerseits hatte ich durchaus nicht erwartet. Ich teile Ihnen mit, daß ich den Beamten, von dem Sie sprachen, niemals in meinem Hause empfangen habe, weder in seiner eigenen noch in fremder Maske. Allerdings hat Philipp Iwanowitsch Potantschikow mich besucht, und wenn er sich freilich auch um meiner Tochter Hand beworben hat (er ist ein höchst ehrenwerter, nüchterner und hochgelehrter Mann), so habe ich ihm doch niemals die geringste Hoffnung gegeben. Sie erwähnen noch der Nase. Wenn Sie damit meinen, ich hätte Ihnen eine Nase, das heißt eine abschlägige Antwort oder einen sogenannten Korb geben wollen, so wundert es mich im höchsten Grade, daß Sie selbst davon reden, während ich doch, wie Ihnen wohl bekannt, der ganz entgegengesetzten Meinung war, und wenn Sie jetzt in gesetzlicher Weise um meine Tochter werben, so bin ich sofort bereit, Ihrem Wunsche entgegenzukommen, um so mehr, da dies stets der Gegenstand meines lebhaftesten Verlangens war, in welcher Hoffnung ich stets gern zu Ihren Diensten verbleibe Alexandra Podtotschin.« »Ja«, sagte Kowalow, als er den Brief gelesen, »sie ist wirklich unschuldig. Es ist nicht möglich. Der Brief[32]ist so geschrieben, wie nur ein vollkommen unschuldiger Mensch schreiben kann.« Der Kollegien-Assessor war in dergleichen Dingen erfahren, weil er wiederholt noch im Kaukasus in amtlichem Auftrage gerichtliche Untersuchungen zu leiten gehabt hatte. »Aber auf welche Weise, mit Hilfe welcher Schicksalstücke ist denn das vor sich gegangen? Nur der Teufel begreift die ganze Geschichte!« rief er endlich und ließ die Hände sinken.

Mittlerweile hatte sich das Gerücht von diesem außergewöhnlichen Ereignis durch die ganze Stadt verbreitet, und zwar, wie das dann immer zu geschehen pflegt, nicht ohne besondere Zusätze. Damals waren alle Geister ganz besonders dem Ungewöhnlichen zugeneigt; das Publikum hatte sich soeben erst mit dem Magnetismus zu beschäftigen angefangen. Zudem war die Geschichte von den tanzenden Stühlen, die in der Marstallstraße gespielt hatte, noch frisch in aller Gedächtnis, und somit brauchte man nicht darüber zu staunen, daß man sich bald darauf erzählte, die Nase des Kollegien-Assessors Kowalow spaziere gegen drei Uhr auf dem Newski-Prospekt umher. Täglich strömte eine große Menge von Neugierigen dorthin. Irgend jemand erzählte, die Nase habe sich in Junkers Ladenräumen gezeigt – und neben Junker entstand ein solches Gedränge und Gewühl von Menschen, daß sogar die Polizei einschreiten mußte. Ein gewisser Spekulant von ehrwürdigem Aussehen mit einem Backenbart, der vor dem Theater allerlei Kuchen verkaufte, fabrizierte sehr schöne hölzerne, dauerhafte Bänkchen, auf denen er die Neugierigen gegen Entrichtung von achtzig Kopeken sich aufstellen ließ. Ein verdienstvoller Oberst verließ deshalb extra früher als gewöhnlich das Haus und drängte sich nur mit großer Mühe durch die Menge; aber zu seinem nicht geringen Verdruß sah er in dem Ladenfenster statt der Nase eine gewöhnliche[33]wollene Jacke, sowie das lithographierte Bild eines jungen Mädchens, das seinen Strumpf glatt zog, nebst einem stutzerhaften Burschen mit ausgeschnittener Weste und kleinem Bärtchen, der sie hinter einem, Baum hervor beobachtete – ein Bild, das schon mehr als zehn Jahre an ein und derselben Stelle hing. Beim Fortgehen sagte er grimmig: »Wie kann man nur mit solchen einfältigen, unwahrscheinlichen Gerüchten die Leute in Aufregung versetzen!« Dann ging die Sage, die Nase des Majors Kowalow spaziere nicht auf dem Newski-Prospekt, sondern im Taurischen Garten umher; sie halte sich dort schon seit langer Zeit auf, und als Chosrew-Mirza dort noch wohnte, sei er über dieses seltsame Naturspiel im höchsten Grade erstaunt gewesen. Eine Anzahl Studenten der chirurgischen Akademie begab sich dorthin. Eine vornehme, ehrwürdige Dame bat in einem besonderen Brief den Inspektor des Taurischen Gartens, ihren Kindern dieses seltene Phänomen zu zeigen, und womöglich belehrende und bildende Erklärungen für die Jugend hinzuzufügen.

Über all diese Vorgänge waren natürlich alle diejenigen unvermeidlichen Besucher aller Bälle der Gesellschaft hocherfreut, die gern die Damen lachen machten und deren Stoff zu jener Zeit völlig erschöpft war. Nur wenige ehrwürdige, wohlgesinnte Leute waren unzufrieden. Ein Herr äußerte sich mit Unwillen dahin, daß er nicht begreife, wie man in dem gegenwärtigen erleuchteten Jahrhundert so unsinnige Erfindungen verbreiten könne, und er sei höchst er staunt, daß die Regierung nicht ihre Aufmerksamkeit darauf lenke. Dieser Herr gehörte, wie hieraus zu ersehen, zu denjenigen, welche die Regierung in alles[34]verwickeln möchten – sogar in ihre eigenen täglichen Streitigkeiten mit ihrer Frau. Gleich darauf – aber hier verhüllen sich alle Ereignisse wieder mit nebelhafter Dunkelheit, und was ferner geschah, ist ganz und gar nicht bekannt geworden.

[34]Vollkommen abgeschmacktes Zeug geschieht doch auf der Welt. Manchmal gibt's Dinge, die ganz und gar nicht wahrscheinlich sind: plötzlich zeigte sich dieselbe Nase, die im Range eines Staatsrats umhergefahren war und so viel Lärm erregt hatte, just als wäre nichts geschehen, wieder an ihrem Platze, das heißt zwischen den beiden Wangen des Majors Kowalow. Dieses Ereignis trug sich schon am siebenten April zu. Als der Major am Morgen erwachte und plötzlich in den Spiegel blickte, sah er – die Nase! Er betastete sie mit der Hand – richtig die Nase! »Hähä!« sagte Kowalow und hätte vor Freude beinahe in seinem Zimmer barfuß den Trepak getanzt, nur das Erscheinen seines Dieners verhinderte ihn daran. Er befahl diesem, ihm sofort Waschwasser zu geben, und nachdem er sich gewaschen, blickte er noch einmal in den Spiegel – die Nase! Dann rieb er sich mit dem Handtuch ab und schaute nochmals in den Spiegel – die Nase!

»Sieh mal her, Iwan, ich glaube, da ist mir ein Hitzbläschen auf die Nase geflogen«, sprach er und dachte bei sich: Ach, wenn nun aber Iwan sagt: ›Aber gnädiger Herr, Sie haben nicht nur kein Hitzbläschen, sondern nicht einmal eine Nase?‹ Aber Iwan sagte: »Es ist nichts – gar keine Spur von einem Hitzbläschen, die Nase ist ganz rein.« [35]»Schön, beim Teufel!« sagte der Major und schnalzte mit den Fingern. In diesem Augenblick schaute der Barbier Iwan Jakowlewitsch zur Tür herein, aber so ängstlich wie eine Katze, die gerade Prügel bekommen, weil sie Speck gestohlen hat.

»Zunächst sage mir, ob du saubere Hände hast«, schrie ihm Kowalow schon von weitem zu.

»Sie sind vollständig sauber.« »Das lügst du!« »Bei Gott, vollständig sauber, gnädiger Herr!« »Na, dann gib acht!« Kowalow setzte sich. Iwan Jakowlewitsch hüllte ihn mit seinem Tuch ein, und im Umsehen hatte er mit Hilfe seines Pinsels das ganze Kinn des Majors und einen Teil der Wangen in Creme verwandelt, wie sie die Kaufleute an ihrem Namenstag auftischen. »Sieh mal an!« sagte Iwan Jakowlewitsch für sich und betrachtete aufmerksam die Nase, und dann hielt er den Kopf nach der Seite, am sie auch von einem andern Standpunkt zu betrachten. »Sieh da, da ist sie, wirklich, denk mal«, fuhr er fort und blickte sie lange an. Endlich erhob er langsam, aber mit denkbar größter Vorsicht zwei Finger, um sie ganz an der Spitze zu erfassen. Das war die Methode Iwan Jakowlewitschs.

»Na, na, na, sieh dich vor!« schrie ihn Kowalow an.

Iwan Jakowlewitsch ließ die Hände sinken und wurde so bestürzt und verwirrt, wie noch nie in seinem Leben. Endlich begann er ganz vorsichtig unter dem Kinn zu rasieren, und obgleich es ihm höchst unbequem und schwer wurde zu rasieren, ohne daß er dabei an dem Riechorgan des Körpers eine Stütze hatte, so gelang es ihm doch schließlich, indem er den einen Finger auf die Wange und den Unterkiefer drückte, sich seiner Aufgabe vollständig zu entledigen und den Major zu rasieren.

Als der Barbier fertig war, kleidete sich Kowalow[36]schnell an, setzte sich in eine Droschke und fuhr geradeswegs nach einer Konditorei. Schon von weitem rief er: »Kellner, eine Tasse Schokolade!« und stand auch schon in demselben Augenblick vor dem Spiegel – er hat eine Nase! Fröhlich trat er zurück und betrachtete mit einem satirischen Gesichtsausdruck und mit den Augen blinzelnd zwei Soldaten, von denen der eine eine Nase hatte, die nicht viel größer war als ein Westenknopf. Dann begab er sich in die Kanzlei derjenigen Abteilung, bei der er sich um die Stelle eines Vizegouverneurs oder, falls eine solche nicht zu erlangen war, um die eines Exekutors bemühte. Als er durch das Empfangszimmer schritt, schaute er in den Spiegel – er hat eine Nase! Dann fuhr er zu einem andern Kollegien-Assessor oder Major, einem großen Witzbold, dem er auf seine Anzüglichkeiten stets zu entgegnen pflegte: »Nun, du kannst mir ja, ich kenne dich doch, du Spötter.« Unterwegs dachte er: Wenn der Major jetzt nicht bei deinem Anblick vor Lachen platzt, so ist es ein untrüglicher Beweis, daß alles ganz an seiner richtigen Stelle sitzt. Aber der Kollegien-Assessor erlaubte sich nicht die geringste Anzüglichkeit.

Ausgezeichnet, ausgezeichnet, beim Satan, dachte Kowalow bei sich. Unterwegs begegnete er der Frau des Stabsoffiziers und deren Tochter. Er machte ihnen eine Verbeugung und wurde mit freudigen Ausrufen empfangen: war also in keiner Weise zu Schaden gekommen ... Lange unterhielt er sich mit den Damen, und absichtlich zog er seine Tabaksdose hervor und versah wiederholt beide Öffnungen seiner Nase mit Schnupftabak, wobei er sich sagte: »Na, seht ihr's nun, ihr Weiber, ihr Hühnervolk! Aber das Töchterchen heirate ich doch nicht. Na, so ein bißchen – par amour – gern!« Und von jetzt an promenierte der Major Kowalow, als wäre gar nichts geschehen, auf dem Newski-Prospekt umher und zeigte sich im Theater,[37]auf Bällen, Soireen – kurz überall. Und auch die Nase saß und zeigte keinerlei Zeichen, daß sie nach dieser oder jener Seite gewichen wäre, als wäre ihr nichts passiert. Und in der Folge sah man den Major Kowalow stets bei ausgezeichneter Laune, immer lächelnd, fortwährend alle, aber alle schönen Damen verfolgend – ja, einmal kehrte er sogar in einen Laden ein und kaufte sich ein Ordensbändchen – aus welchem Grunde, ist nicht bekannt geworden; wenigstens war er nicht im Besitz irgendeines Ordens.

Schau, was für eine Geschichte sich in der nordischen Hauptstadt unseres weiten Reiches ereignet hat! Wenn man jetzt den ganzen Vorfall noch einmal recht bedenkt, so sieht man, daß vieles daran unwahrscheinlich ist. Ich will gar nicht davon sprechen, daß es wirklich wunderlich ist, daß eine Nase sich gegen alle Natürlichkeit entfernt und sich an verschiedenen Orten in Gestalt eines Staatsrates zeigt – aber wie vermochte Kowalow nur nicht zu begreifen, daß er doch unmöglich mit Hilfe einer Zeitung nach einer verschwundenen Nase fahnden konnte? Ich rede hier nicht in dem Sinne, daß mir die Zeitungsanzeige etwas teuer vorkäme: das ist Unsinn, und ich gehöre durchaus nicht zu den gewinnsüchtigen Menschen; aber ich finde so etwas unpassend, unschön, ungeschickt! Und dann wieder die Frage: wie kam die Nase in das Brot und wie konnte Iwan Jakowlewitsch ... nein, das begreife ich nicht! Aber das Seltsamste, Unbegreiflichste an der Sache ist, wie es nur Schriftsteller geben kann, die sich solche Gegenstände wählen. Ich muß gestehen, das ist mir das Allerunbegreiflichste ... in der Tat, das geht vollständig über mein Begriffsvermögen! Denn erstens hat das Vaterland nicht den mindesten Nutzen davon, und dann zweitens – aber auch zweitens springt kein Vorteil dabei heraus. Kurz, ich weiß nicht, was das soll ... [38]Aber dennoch, trotz alledem, obwohl man schließlich dies und jenes und noch ein drittes zugeben kann und vielleicht sogar ... wo gibt es denn übrigens keine unsinnigen Dinge? – Wie man die Geschichte auch drehen und wenden mag, irgend etwas ist doch daran. Man rede, was man will, solche Dinge gibt es in der Welt – zwar nur selten, aber sie kommen vor.


Teil 2 Part 2

Kowalow traf diesen Beamten gerade in dem Augenblick, als er sich reckte, gähnte und sprach: »Ach, jetzt schlaf ich recht hübsch zwei Stündchen!« Und so kam ihm der Besuch des Kollegien-Assessors selbstverständlich durchaus nicht gelegen. Der Polizei-Inspektor war ein großer Freund von allerlei schönen Sachen und Industrieerzeugnissen, aber staatliche Banknoten zog er doch allem andern vor. »Das ist etwas Reelles«, pflegte er zu sagen; »es geht nichts über so einen reellen Schein; er braucht keine Nahrung, nimmt nur wenig Raum ein, findet immer Platz in der Tasche, und fällt er zu Boden, so zerbricht er nicht.« Der Polizei-Inspektor empfing Kowalow ziemlich trocken und sagte, unmittelbar nach dem Essen sei keine Zeit, gerichtliche Untersuchungen einzuleiten; schon die Natur habe es so eingerichtet, daß man sich dann ein wenig ausruhe (aus welcher Bemerkung der Kollegien-Assessor entnehmen konnte, daß der Polizei-Inspektor mit den Sinnsprüchen der alten Weisen nicht ganz unbekannt war) und daß man einem ordentlichen Menschen nicht die Nase abreiße. Das war überaus deutlich. Es muß hier bemerkt werden, daß Kowalow ein höchst empfindlicher Mensch war. Er konnte alles verzeihen, was man über ihn selbst sagte, aber niemals das, was sich auf seinen Rang oder seine Stellung bezog. Er ließ sogar gelten, daß die Zensur in Theaterstücken alles das passieren ließ, was auf die Offiziere gemünzt war, aber Stabsoffiziere durften nie angegriffen werden. Der Empfang des Polizei-Inspektors machte ihn so verwirrt, daß er den Kopf schüttelte und, die Arme ein wenig ausbreitend, im Gefühl seiner Würde sagte: »Ich muß gestehen, nach solchen beleidigenden Bemerkungen von[23]Ihrer Seite habe ich nichts mehr hinzuzufügen.« Sprach's und ging. Er kam nach Hause, kaum noch seine Beine fühlend. Es dämmerte schon. Seine Wohnung erschien ihm traurig und widerwärtig nach all diesen unglücklichen Bemühungen. Als er in das Vorzimmer trat, erblickte er seinen Diener Iwan rücklings auf dem schmutzigen Ledersofa liegend, wie er sich die Zeit damit vertrieb, daß er nach der Decke spuckte, wobei er glücklich immer ein und dieselbe Stelle traf. Der Gleichmut seines Dieners empörte ihn. Er versetzte ihm mit seinem Hut einen Hieb auf den Kopf und schrie: »Immer machst du Dummheiten, du Schweinigel.« Iwan sprang jäh in die Höhe, lief was er konnte, um seinem Herrn den Mantel abzunehmen. In seinem Zimmer angelangt, warf sich der Major müde und kummervoll auf einen Stuhl, seufzte einige Male tief auf und sagte schließlich: »Mein Gott, mein Gott! Ist das ein Unglück! Hätte ich einen Arm oder ein Bein verloren, das alles wäre noch nicht so schlimm; aber ein Mensch ohne Nase – der Teufel weiß, was das ist: Nicht Fisch und nicht Fleisch – man kann ihn einfach nehmen und zum Fenster hinauswerfen. Und hätte ich sie noch im Kriege oder im Duell oder auf eine andere selbstverschuldete Art verloren, aber um nichts und wieder nichts, ohne Not, nicht einen Groschen habe ich dafür bekommen ... Aber nein, es ist ja unmöglich!« fuhr er nach einigem Sinnen fort; »ganz undenkbar, daß ich die Nase verloren haben könnte; ganz und gar unwahrscheinlich. Das hat mir geträumt oder ich phantasiere nur; vielleicht habe ich aus Versehen statt des Wassers den Branntwein ausgetrunken, mit dem ich mir nach dem Rasieren das Kinn abwasche. Iwan, der Dummkopf, hat ihn nicht weggestellt, und ich habe ihn sicher getrunken.« Und um sich zu überzeugen, ob er wirklich[24]nicht betrunken sei, kniff sich der Major so empfindlich, daß er selbst aufschrie. Dieser Schmerz überzeugte ihn vollständig, daß er in der Tat ganz wach und nüchtern sei. Langsam näherte er sich dem Spiegel und schloß zuerst die Augen, in der Hoffnung, daß vielleicht seine Nase sich wieder an der alten Stelle befände; aber in demselben Augenblick sprang er zurück und rief aus: »Was für ein niederträchtiger Anblick!« Es war wirklich unbegreiflich; wenn er irgend etwas anderes, einen Knopf, die Uhr, einen silbernen Löffel verloren hätte! Aber ein solcher Verlust! Und noch in der eigenen Wohnung! ... Der Major Kowalow kam, alle Umstände erwägend, auf den Gedanken, ob es der Wahrheit nicht am nächsten liegen möchte, daß niemand anders schuld daran sei als die Frau des Stabsoffiziers Podtotschin, die ihn mit ihrer Tochter zu verheiraten suchte. Und er selbst kokettierte gern mit ihr, ging aber einer endgültigen Erklärung aus dem Wege. Als Frau Podtotschin ihm geradeheraus erklärte, daß sie ihr Töchterchen ihm geben möchte, da zog er sich ganz leise mit seinen Komplimenten zurück, indem er bemerkte, er sei noch zu jung, er müsse erst noch fünf Jahre dienen, um gerade zweiundvierzig Jahre voll zu haben. Und darum hat die Frau des Stabsoffiziers sicher aus Rache den Plan gefaßt, ihn zu schänden, und sich zu diesem Zwecke irgendein paar alte Hexenweiber angeworben, da auf keinerlei Weise angenommen werden konnte, daß ihm die Nase abgeschnitten worden sei: niemand kam zu ihm ins Zimmer; der Barbier Iwan Jakowlewitsch hatte ihn bereits am Mittwoch rasiert, und während des ganzen Mittwochs, ja sogar noch während des Donnerstags war die Nase noch heil gewesen. Dessen erinnerte er sich noch genau und wußte es ganz gut. Zudem würde er ja auch den Schmerz empfunden haben,[25]und ohne Zweifel hätte die Wunde nicht so schnell heilen können. Es gingen ihm allerlei Pläne durch den Kopf; sollte er die Frau des Stabsoffiziers auf dem Rechtswege vor Gericht laden oder sich selbst zu ihr begeben und sie überführen? Er wurde in seinen Gedanken durch das Licht gestört, das durch alle Spalten der Tür hindurchdrang und erkennen ließ, daß Iwan bereits im Vorzimmer die Kerze angezündet hatte. Bald darauf trat Iwan selbst herein, das Licht vor sich tragend und die ganze Stube erleuchtend. Das erste, was Kowalow tat, war, nach dem Taschentuch zu greifen und die Stelle zu verhüllen, wo sich gestern noch die Nase befunden, damit dieser Dummkopf von Diener den Mund nicht so aufsperre, wenn er seinen Herrn in einer so seltsamen Verfassung erblickte.

Iwan war noch nicht wieder in seine Kammer gegangen, als aus dem Vorzimmer eine unbekannte Stimme sich vernehmen ließ, welche rief: »Wohnt hier der Kollegien-Assessor Kowalow?« »Bitte treten Sie ein, ja, hier wohnt er«, rief Kowalow schnell aufspringend und die Tür öffnend. Es war ein Polizeibeamter von hübschem Äußeren mit einem nicht zu hellen und nicht zu dunklen Backenbart und ziemlich vollen Wangen, derselbe, welcher zu Beginn unserer Erzählung auf der Isaaksbrücke stand.

»Haben Sie vielleicht beliebt Ihre Nase zu verlieren?« »Ganz recht.« »Sie ist jetzt aufgefunden worden.« »Was sagen Sie?« rief der Major Kowalow. Die Freude lähmte ihm die Zunge. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er den vor ihm stehenden Polizeimann an, auf dessen vollem Gesicht und Lippen hell das flackernde Kerzenlicht zitterte.

»Auf welche Weise?« [26]»Auf höchst seltsame Weise: sozusagen auf der Landstraße. Sie saß bereits im Postwagen und wollte nach Riga fahren. Der Paß war schon vor längerer Zeit auf den Namen eines Beamten ausgestellt worden. Und ist es nicht merkwürdig, daß ich selbst anfangs sie für einen Herrn hielt? Aber glücklicherweise hatte ich meine Brille bei mir, und da sah ich denn sofort, daß es eine Nase war. Ich bin nämlich kurzsichtig, und wenn Sie selbst vor mir stehen, so sehe ich nur, daß Sie ein Gesicht haben, aber von einer Nase, einem Bart bemerke ich nichts. Meine Schwiegermutter, das heißt, die Mutter meiner Frau, sieht ebenfalls nichts.« Kowalow war außer sich. »Wo ist sie, wo? Ich eile sofort hin –« »Sorgen Sie sich nicht. Ich wußte, daß Sie sie brauchen und habe sie gleich mitgebracht. Und merkwürdigerweise ist der Hauptverbrecher bei dieser Sache ein Halunke von Barbier da auf der Himmelfahrtsstraße – jetzt sitzt er bereits auf der Wache. Ich hatte ihn schon lange im Verdacht, daß er ein Trunkenbold und Dieb sei, und noch vorgestern nahm er in einem Laden eine Partie Knöpfe an sich. Ihre Nase ist noch ganz so, wie sie war.« Und damit griff der Polizeibeamte in die Tasche und zog die in Papier gewickelte Nase heraus.

»Ja, ja, das ist sie!« rief Kowalow; »richtig, das ist sie! Werden Sie heute eine Tasse Tee mit mir trinken?« »Würde mir sehr angenehm sein, aber ich kann wirklich nicht; ich muß von hier sofort nach dem Zuchthaus fahren ... alle Lebensmittel sind jetzt furchtbar teuer ... bei mir wohnt die Schwiegermutter, das heißt die Mutter meiner Frau, und Kinder; namentlich das älteste erweckt große Hoffnungen – ein kluger Junge; aber es fehlt mir vollständig an Mitteln, um ihm eine gute Erziehung zu geben ...« [27]Als der Polizeibeamte fort war, verharrte der Kollegien-Assessor einige Minuten in einem unbestimmten Geisteszustand; erst nach einigen Minuten war es ihm möglich, wieder zu sehen und zu fühlen – so hatte ihn die unerwartete Freude überwältigt. Vorsichtig nahm er die wiedergefundene Nase in beide Hände, die er ballte, und betrachtete sie noch einmal ganz aufmerksam.

»In der Tat, sie ist's!« sagte der Major Kowalow zu sich. »Da ist auch das Hitzbläschen an der linken Seite, das sich vorgestern gebildet hat.« Ein Wunder, daß der Major nicht vor Freude auflachte. Aber nichts ist von Dauer hier auf Erden, und so ist auch die Freude im zweiten Augenblick schon nicht mehr so lebendig wie im ersten; im dritten wird sie noch schwächer, und schließlich verfließt sie unbemerkt mit dem gewöhnlichen Zustand der Seele – wie die Ringe auf dem Wasser, die durch das Hineinfallen eines Steines entstanden sind, endlich auf der glatten Oberfläche wieder verschwinden. Kowalow begann nachzudenken und besann sich, daß die Sache ja noch nicht vollständig erledigt war: die Nase war zwar gefunden, aber nun mußte sie wieder an ihren Platz befestigt werden.

»Wenn sie nun nicht festwüchse?« Bei dieser Frage, die er sich selbst stellte, erbleichte der Major. Mit einem Gefühl unerklärlichen Schreckens sprang er zum Tisch und rückte den Spiegel näher, damit er die Nase nicht schief aufsetze. Die Hände bebten ihm. Vorsichtig und behutsam hielt er sie an der alten Stelle ... o Schrecken! Die Nase hielt nicht! ... Er hielt sie vor den Mund, wärmte sie durch seinen Atem ein wenig an und hielt sie wieder an die glatte Stelle zwischen den beiden Wangen, aber die Nase wollte durchaus nicht festhalten.

»Na, na, na! So klettere doch hinauf, du dummes[28]Ding!« sagte er zu ihr. Aber die Nase war wie von Holz und fiel mit einem eigentümlichen Ton so wie ein Pfropfen auf den Tisch. Das Gesicht des Majors begann krampfhaft zu zucken. »Wäre es wirklich möglich, daß sie nicht wieder anwachsen wollte?« sagte er entsetzt zu sich. Aber so oft er sie auch andrückte – alle Bemühungen waren fruchtlos.

Er rief Iwan und schickte ihn zu dem Arzt, der in demselben Hause die schönste Wohnung im ersten Stock inne hatte. Dieser Doktor war ein stattlicher Mann, hatte einen schönen pechschwarzen Backenbart, eine frische gesunde Frau, aß des Morgens frische Äpfel, reinigte sich mit der größten Sorgfalt den Mund, indem er ihn jeden Morgen fast dreiviertel Stunden lang spülte und die Zähne mit fünf verschiedenen Bürstchen putzte. Der Doktor kam unverzüglich. Nachdem er gefragt, wann ihm das Unglück passiert sei, faßte er den Major ans Kinn, hob seinen Kopf und gab ihm mit dem Zeigefinger ein Schnippchen auf dieselbe Stelle, wo früher die Nase gesessen, so daß der Major seinen Kopf mit solcher Heftigkeit zurückzog, daß er mit dem Hinterkopf an die Wand schlug. Der Arzt sagte, das habe nichts zu bedeuten, riet ihm, ein wenig von der Wand wegzutreten, und befahl ihm, den Kopf erst nach rechts zu neigen, befühlte dann die Stelle, wo die Nase gesessen hatte, und sagte »hm!« Dann befahl er ihm, den Kopf nach links zu neigen, und sagte »hm!« Und zum Schluß gab er ihm wieder mit dem Finger ein Schnippchen, so daß Major Kowalow den Kopf emporriß wie ein Pferd, dem man die Zähne besieht. Nachdem der Arzt diese Prüfung angestellt hatte, schüttelte er den Kopf und sagte: »Nein, es ist unmöglich; es ist besser, Sie bleiben so wie Sie sind, denn es könnte noch viel schlimmer werden. Natürlich könnte ich Ihnen die Nase wieder ansetzen; ja, ich könnte sie, wenn's Ihnen beliebte, jetzt gleich[29]wieder befestigen; aber ich versichere Sie, es würde für Sie nur noch schlimmer werden!« »Das ist eine schöne Geschichte! Wie sollte ich ohne Nase auf der Welt herumlaufen?« rief Kowalow. »Ärger als es jetzt ist, kann es gar nicht werden. Das ist ja, um des Teufels zu werden! Wo soll ich mich mit einem so niederträchtigen Gesicht sehen lassen? Ich habe sehr distinguierte Bekannte, und noch heut abend muß ich in zwei Familien Besuche machen. Ich habe sehr viele Bekannte: da ist die Staatsrätin Tschechtarew, die Frau des Stabsoffiziers Podtotschin, wiewohl ich mit ihr nach dieser Tat nur noch durch die Polizei verkehren kann ... Seien Sie so liebenswürdig«, fuhr Kowalow mit flehender Stimme fort. »Gibt es denn gar kein Mittel? Machen Sie sie irgendwie fest: wenn's auch nicht schön aussieht – wenn sie nur fest sitzt! Ich kann sie sogar in kritischen Situationen leicht mit der Hand festhalten. Ich will sogar nicht tanzen, damit sie nicht durch irgendeine unvorsichtige Bewegung zu Schaden kommt. Und was die Remuneration für Ihre Besuche anlangt, so seien Sie überzeugt – soweit meine Mittel gehen –« »Sie können versichert sein«, sprach der Doktor weder mit zu lauter noch zu leiser, aber außerordentlich freundlicher und anziehender Stimme, »daß ich nie aus Gewinnsucht meiner Praxis nachgehe. Das ist ganz gegen meine Grundsätze und meine Kunst. Allerdings nehme ich Geld für meine Besuche, aber nur um meine Patienten nicht zu verletzen. Natürlich könnte ich Ihnen die Nase wieder ansetzen; aber ich versichere Sie bei meiner Ehre – wenn Sie schon meinen Worten nicht glauben wollen – es würde noch weit schlimmer werden. Waschen Sie die Stelle öfters mit kaltem Wasser, und ich versichere Sie, Sie werden auch ohne Nase so gesund sein, als hätten Sie eine Nase. Die Nase selbst aber möchte ich Ihnen raten in[30]eine Flasche mit Spiritus zu legen, oder noch besser: gießen Sie zwei Löffel voll scharfen Branntwein und aufgewärmten Essig darauf – dann bekommen Sie ein hübsches Stück Geld dafür. Ich bin sogar bereit, sie selbst zu nehmen, wenn Sie nicht zuviel dafür verlangen.« »Nein, nein! Verkaufen? Um keinen Preis!« schrie verzweifelt der Major Kowalow.

»Entschuldigen Sie!« sagte der Doktor mit einer Verbeugung; »ich wollte Ihnen nur nützlich sein ... was soll ich tun? Wenigstens haben Sie gesehen, daß ich es aufrichtig meinte.« Und mit diesen Worten verließ der Doktor in würdevoller Haltung das Zimmer. Kowalow bemerkte nicht einmal sein Gesicht und sah in seiner tiefen Betäubung nur noch die aus den Ärmeln des schwarzen Fracks hervorstehenden schneeweißen Manschetten.

Am folgenden Tage beschloß er, bevor er dem Gericht die Klage einreichte, an die Frau des Stabsoffiziers zu schreiben, ob sie ihm nicht ohne Kampf das zurückgäbe, was ihm gehörte. Der Brief hatte folgenden Inhalt: »Meine Gnädigste! Ich kann Ihr eigentümliches Benehmen durchaus nicht begreifen. Seien Sie überzeugt, durch ein solches Vorgehen erreichen Sie nichts und werden mich dadurch nie bewegen, Ihre Tochter zu heiraten. Sie können glauben, daß die Geschichte meiner Nase schon in der ganzen Stadt bekannt ist, wie auch der Umstand, daß Sie und niemand anders in erster Reihe beteiligt sind. Ihr plötzliches Verschwinden und ihre Flucht, der Umstand, daß sie bald in der Gestalt eines Beamten, bald in ihrer eigenen Gestalt sich zeigt, sind weiter nichts als das Resultat der Zauberkünste, welche Sie oder diejenigen geübt haben, die sich mit solch edlen Beschäftigungen befassen. Ich halte es für meine [31] Pflicht, Ihnen die Mitteilung zu machen, daß, wenn oberwähnte Nase sich nicht heute noch an Ort und Stelle befindet, ich mich genötigt sehen werde, bei den Gerichten Schutz und Genugtuung zu suchen.

Im übrigen mit vollständiger Hochachtung Ihr ganz ergebener Platon Kowalow.« »Sehr geehrter Herr! Ihr Brief hat mich über die Maßen verwundert. Ich muß Ihnen offen gestehen, das und insbesondere diese ungerechten Vorwürfe Ihrerseits hatte ich durchaus nicht erwartet. Ich teile Ihnen mit, daß ich den Beamten, von dem Sie sprachen, niemals in meinem Hause empfangen habe, weder in seiner eigenen noch in fremder Maske. Allerdings hat Philipp Iwanowitsch Potantschikow mich besucht, und wenn er sich freilich auch um meiner Tochter Hand beworben hat (er ist ein höchst ehrenwerter, nüchterner und hochgelehrter Mann), so habe ich ihm doch niemals die geringste Hoffnung gegeben. Sie erwähnen noch der Nase. Wenn Sie damit meinen, ich hätte Ihnen eine Nase, das heißt eine abschlägige Antwort oder einen sogenannten Korb geben wollen, so wundert es mich im höchsten Grade, daß Sie selbst davon reden, während ich doch, wie Ihnen wohl bekannt, der ganz entgegengesetzten Meinung war, und wenn Sie jetzt in gesetzlicher Weise um meine Tochter werben, so bin ich sofort bereit, Ihrem Wunsche entgegenzukommen, um so mehr, da dies stets der Gegenstand meines lebhaftesten Verlangens war, in welcher Hoffnung ich stets gern zu Ihren Diensten verbleibe Alexandra Podtotschin.« »Ja«, sagte Kowalow, als er den Brief gelesen, »sie ist wirklich unschuldig. Es ist nicht möglich. Der Brief[32]ist so geschrieben, wie nur ein vollkommen unschuldiger Mensch schreiben kann.« Der Kollegien-Assessor war in dergleichen Dingen erfahren, weil er wiederholt noch im Kaukasus in amtlichem Auftrage gerichtliche Untersuchungen zu leiten gehabt hatte. »Aber auf welche Weise, mit Hilfe welcher Schicksalstücke ist denn das vor sich gegangen? Nur der Teufel begreift die ganze Geschichte!« rief er endlich und ließ die Hände sinken.

Mittlerweile hatte sich das Gerücht von diesem außergewöhnlichen Ereignis durch die ganze Stadt verbreitet, und zwar, wie das dann immer zu geschehen pflegt, nicht ohne besondere Zusätze. Damals waren alle Geister ganz besonders dem Ungewöhnlichen zugeneigt; das Publikum hatte sich soeben erst mit dem Magnetismus zu beschäftigen angefangen. Zudem war die Geschichte von den tanzenden Stühlen, die in der Marstallstraße gespielt hatte, noch frisch in aller Gedächtnis, und somit brauchte man nicht darüber zu staunen, daß man sich bald darauf erzählte, die Nase des Kollegien-Assessors Kowalow spaziere gegen drei Uhr auf dem Newski-Prospekt umher. Täglich strömte eine große Menge von Neugierigen dorthin. Irgend jemand erzählte, die Nase habe sich in Junkers Ladenräumen gezeigt – und neben Junker entstand ein solches Gedränge und Gewühl von Menschen, daß sogar die Polizei einschreiten mußte. Ein gewisser Spekulant von ehrwürdigem Aussehen mit einem Backenbart, der vor dem Theater allerlei Kuchen verkaufte, fabrizierte sehr schöne hölzerne, dauerhafte Bänkchen, auf denen er die Neugierigen gegen Entrichtung von achtzig Kopeken sich aufstellen ließ. Ein verdienstvoller Oberst verließ deshalb extra früher als gewöhnlich das Haus und drängte sich nur mit großer Mühe durch die Menge; aber zu seinem nicht geringen Verdruß sah er in dem Ladenfenster statt der Nase eine gewöhnliche[33]wollene Jacke, sowie das lithographierte Bild eines jungen Mädchens, das seinen Strumpf glatt zog, nebst einem stutzerhaften Burschen mit ausgeschnittener Weste und kleinem Bärtchen, der sie hinter einem, Baum hervor beobachtete – ein Bild, das schon mehr als zehn Jahre an ein und derselben Stelle hing. Beim Fortgehen sagte er grimmig: »Wie kann man nur mit solchen einfältigen, unwahrscheinlichen Gerüchten die Leute in Aufregung versetzen!« Dann ging die Sage, die Nase des Majors Kowalow spaziere nicht auf dem Newski-Prospekt, sondern im Taurischen Garten umher; sie halte sich dort schon seit langer Zeit auf, und als Chosrew-Mirza dort noch wohnte, sei er über dieses seltsame Naturspiel im höchsten Grade erstaunt gewesen. Eine Anzahl Studenten der chirurgischen Akademie begab sich dorthin. Eine vornehme, ehrwürdige Dame bat in einem besonderen Brief den Inspektor des Taurischen Gartens, ihren Kindern dieses seltene Phänomen zu zeigen, und womöglich belehrende und bildende Erklärungen für die Jugend hinzuzufügen.

Über all diese Vorgänge waren natürlich alle diejenigen unvermeidlichen Besucher aller Bälle der Gesellschaft hocherfreut, die gern die Damen lachen machten und deren Stoff zu jener Zeit völlig erschöpft war. Nur wenige ehrwürdige, wohlgesinnte Leute waren unzufrieden. Ein Herr äußerte sich mit Unwillen dahin, daß er nicht begreife, wie man in dem gegenwärtigen erleuchteten Jahrhundert so unsinnige Erfindungen verbreiten könne, und er sei höchst er staunt, daß die Regierung nicht ihre Aufmerksamkeit darauf lenke. Dieser Herr gehörte, wie hieraus zu ersehen, zu denjenigen, welche die Regierung in alles[34]verwickeln möchten – sogar in ihre eigenen täglichen Streitigkeiten mit ihrer Frau. Gleich darauf – aber hier verhüllen sich alle Ereignisse wieder mit nebelhafter Dunkelheit, und was ferner geschah, ist ganz und gar nicht bekannt geworden.

[34]Vollkommen abgeschmacktes Zeug geschieht doch auf der Welt. Manchmal gibt's Dinge, die ganz und gar nicht wahrscheinlich sind: plötzlich zeigte sich dieselbe Nase, die im Range eines Staatsrats umhergefahren war und so viel Lärm erregt hatte, just als wäre nichts geschehen, wieder an ihrem Platze, das heißt zwischen den beiden Wangen des Majors Kowalow. Dieses Ereignis trug sich schon am siebenten April zu. Als der Major am Morgen erwachte und plötzlich in den Spiegel blickte, sah er – die Nase! Er betastete sie mit der Hand – richtig die Nase! »Hähä!« sagte Kowalow und hätte vor Freude beinahe in seinem Zimmer barfuß den Trepak getanzt, nur das Erscheinen seines Dieners verhinderte ihn daran. Er befahl diesem, ihm sofort Waschwasser zu geben, und nachdem er sich gewaschen, blickte er noch einmal in den Spiegel – die Nase! Dann rieb er sich mit dem Handtuch ab und schaute nochmals in den Spiegel – die Nase!

»Sieh mal her, Iwan, ich glaube, da ist mir ein Hitzbläschen auf die Nase geflogen«, sprach er und dachte bei sich: Ach, wenn nun aber Iwan sagt: ›Aber gnädiger Herr, Sie haben nicht nur kein Hitzbläschen, sondern nicht einmal eine Nase?‹ Aber Iwan sagte: »Es ist nichts – gar keine Spur von einem Hitzbläschen, die Nase ist ganz rein.« [35]»Schön, beim Teufel!« sagte der Major und schnalzte mit den Fingern. In diesem Augenblick schaute der Barbier Iwan Jakowlewitsch zur Tür herein, aber so ängstlich wie eine Katze, die gerade Prügel bekommen, weil sie Speck gestohlen hat.

»Zunächst sage mir, ob du saubere Hände hast«, schrie ihm Kowalow schon von weitem zu.

»Sie sind vollständig sauber.« »Das lügst du!« »Bei Gott, vollständig sauber, gnädiger Herr!« »Na, dann gib acht!« Kowalow setzte sich. Iwan Jakowlewitsch hüllte ihn mit seinem Tuch ein, und im Umsehen hatte er mit Hilfe seines Pinsels das ganze Kinn des Majors und einen Teil der Wangen in Creme verwandelt, wie sie die Kaufleute an ihrem Namenstag auftischen. »Sieh mal an!« sagte Iwan Jakowlewitsch für sich und betrachtete aufmerksam die Nase, und dann hielt er den Kopf nach der Seite, am sie auch von einem andern Standpunkt zu betrachten. »Sieh da, da ist sie, wirklich, denk mal«, fuhr er fort und blickte sie lange an. Endlich erhob er langsam, aber mit denkbar größter Vorsicht zwei Finger, um sie ganz an der Spitze zu erfassen. Das war die Methode Iwan Jakowlewitschs.

»Na, na, na, sieh dich vor!« schrie ihn Kowalow an.

Iwan Jakowlewitsch ließ die Hände sinken und wurde so bestürzt und verwirrt, wie noch nie in seinem Leben. Endlich begann er ganz vorsichtig unter dem Kinn zu rasieren, und obgleich es ihm höchst unbequem und schwer wurde zu rasieren, ohne daß er dabei an dem Riechorgan des Körpers eine Stütze hatte, so gelang es ihm doch schließlich, indem er den einen Finger auf die Wange und den Unterkiefer drückte, sich seiner Aufgabe vollständig zu entledigen und den Major zu rasieren.

Als der Barbier fertig war, kleidete sich Kowalow[36]schnell an, setzte sich in eine Droschke und fuhr geradeswegs nach einer Konditorei. Schon von weitem rief er: »Kellner, eine Tasse Schokolade!« und stand auch schon in demselben Augenblick vor dem Spiegel – er hat eine Nase! Fröhlich trat er zurück und betrachtete mit einem satirischen Gesichtsausdruck und mit den Augen blinzelnd zwei Soldaten, von denen der eine eine Nase hatte, die nicht viel größer war als ein Westenknopf. Dann begab er sich in die Kanzlei derjenigen Abteilung, bei der er sich um die Stelle eines Vizegouverneurs oder, falls eine solche nicht zu erlangen war, um die eines Exekutors bemühte. Als er durch das Empfangszimmer schritt, schaute er in den Spiegel – er hat eine Nase! Dann fuhr er zu einem andern Kollegien-Assessor oder Major, einem großen Witzbold, dem er auf seine Anzüglichkeiten stets zu entgegnen pflegte: »Nun, du kannst mir ja, ich kenne dich doch, du Spötter.« Unterwegs dachte er: Wenn der Major jetzt nicht bei deinem Anblick vor Lachen platzt, so ist es ein untrüglicher Beweis, daß alles ganz an seiner richtigen Stelle sitzt. Aber der Kollegien-Assessor erlaubte sich nicht die geringste Anzüglichkeit.

Ausgezeichnet, ausgezeichnet, beim Satan, dachte Kowalow bei sich. Unterwegs begegnete er der Frau des Stabsoffiziers und deren Tochter. Er machte ihnen eine Verbeugung und wurde mit freudigen Ausrufen empfangen: war also in keiner Weise zu Schaden gekommen ... Lange unterhielt er sich mit den Damen, und absichtlich zog er seine Tabaksdose hervor und versah wiederholt beide Öffnungen seiner Nase mit Schnupftabak, wobei er sich sagte: »Na, seht ihr's nun, ihr Weiber, ihr Hühnervolk! Aber das Töchterchen heirate ich doch nicht. Na, so ein bißchen – par amour – gern!« Und von jetzt an promenierte der Major Kowalow, als wäre gar nichts geschehen, auf dem Newski-Prospekt umher und zeigte sich im Theater,[37]auf Bällen, Soireen – kurz überall. Und auch die Nase saß und zeigte keinerlei Zeichen, daß sie nach dieser oder jener Seite gewichen wäre, als wäre ihr nichts passiert. Und in der Folge sah man den Major Kowalow stets bei ausgezeichneter Laune, immer lächelnd, fortwährend alle, aber alle schönen Damen verfolgend – ja, einmal kehrte er sogar in einen Laden ein und kaufte sich ein Ordensbändchen – aus welchem Grunde, ist nicht bekannt geworden; wenigstens war er nicht im Besitz irgendeines Ordens.

Schau, was für eine Geschichte sich in der nordischen Hauptstadt unseres weiten Reiches ereignet hat! Wenn man jetzt den ganzen Vorfall noch einmal recht bedenkt, so sieht man, daß vieles daran unwahrscheinlich ist. Ich will gar nicht davon sprechen, daß es wirklich wunderlich ist, daß eine Nase sich gegen alle Natürlichkeit entfernt und sich an verschiedenen Orten in Gestalt eines Staatsrates zeigt – aber wie vermochte Kowalow nur nicht zu begreifen, daß er doch unmöglich mit Hilfe einer Zeitung nach einer verschwundenen Nase fahnden konnte? Ich rede hier nicht in dem Sinne, daß mir die Zeitungsanzeige etwas teuer vorkäme: das ist Unsinn, und ich gehöre durchaus nicht zu den gewinnsüchtigen Menschen; aber ich finde so etwas unpassend, unschön, ungeschickt! Und dann wieder die Frage: wie kam die Nase in das Brot und wie konnte Iwan Jakowlewitsch ... nein, das begreife ich nicht! Aber das Seltsamste, Unbegreiflichste an der Sache ist, wie es nur Schriftsteller geben kann, die sich solche Gegenstände wählen. Ich muß gestehen, das ist mir das Allerunbegreiflichste ... in der Tat, das geht vollständig über mein Begriffsvermögen! Denn erstens hat das Vaterland nicht den mindesten Nutzen davon, und dann zweitens – aber auch zweitens springt kein Vorteil dabei heraus. Kurz, ich weiß nicht, was das soll ... [38]Aber dennoch, trotz alledem, obwohl man schließlich dies und jenes und noch ein drittes zugeben kann und vielleicht sogar ... wo gibt es denn übrigens keine unsinnigen Dinge? – Wie man die Geschichte auch drehen und wenden mag, irgend etwas ist doch daran. Man rede, was man will, solche Dinge gibt es in der Welt – zwar nur selten, aber sie kommen vor.