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Youtube-Lektionen - April 2020, Zivilcourage - hat jede*r das Zeug dazu? | RESPEKT Demokratie

Zivilcourage - hat jede*r das Zeug dazu? | RESPEKT Demokratie

Untertitelung: BR 2018

Wie heißt du übrigens? - Patrizia.

Patrizia. Ein cooler Name.

Du bist echt ne Hübsche. Lächelst so nett.

Hast du einen Freund? - Nein.

Keinen Freund? Super. Genau mein Ding, oder?

Blonde Haare finde ich eh super.

Du bist genau mein Typ, Patrizia.

Steigen wir an der nächsten Haltestelle aus?

Nein.

Natürlich. Sag nicht nein.

Bist doch ein cooler Typ und ich auch. Komm jetzt.

Wir steigen aus, komm.

Jetzt komm, wir steigen aus! Los, komm mit mir raus!

Los, komm mit mir!

Und? Was hättet ihr gemacht?

Wie würdet ihr handeln? Greift ihr ein?

Wenn ja, wie?

Und wenn nein: warum nicht?

Die Frage ist: Habt ihr Zivilcourage?

Stellen Sie sich vor, Sie sind in der U-Bahn oder im Bus

und jemand wird bedroht. Was würden Sie tun?

Es käme sehr drauf an, ob ich gerade mit meiner Tochter unterwegs bin.

Ich wünsche mir, ich könnte sagen: Ich würde auf jeden Fall helfen.

Ich weiß es aber nicht.

Ich schlage ihm eine auf die Fresse.

Kommt auf die Situation an.

Wie gefährlich es ist, ob man sich in Gefahr bringen würde.

Würde ich situativ entscheiden.

Es ist ein reines Bauch-Situativ-Gefühl,

Sekunden-Entscheidung.

Am wichtigsten ist, aufmerksam zu machen, laut zu werden.

Zu vermitteln: Leute sehen das, sie schauen nicht weg.

Ich würde wohl nicht dazwischengehen.

Man kann die Leute nicht einschätzen.

Hilfe rufen und dazwischengehen.

Ich bedanke mich.

Gerne. Ich denke, das macht jeder so, oder?

Von dieser Galerie warfen Sophie und Hans Scholl die Flugblätter,

die zum Widerstand gegen das Nazi-Regime aufriefen.

Hier wird der Zivilcourage von jungen Leuten gedacht,

die ihren Protest gegen Hitler mit dem Leben bezahlt haben.

Sie haben gehandelt, unter Lebensgefahr.

Hättet ihr das auch getan?

Hätte ich das auch getan?

Persönlich und nach meinen Erfahrungen: ja.

Sterben ist mir viel lieber, als als unterdrückter Mensch weiterzuleben.

Ich treffe jetzt Anna Halmburger von der Uni Koblenz Landau.

Sie forscht über Zivilcourage und weiß alles darüber.

Wie ist das: Die meisten Menschen würden auf der Straße,

wenn man sie so trifft, natürlich sagen, dass sie helfen,

wenn jemand Hilfe braucht. Tun sie das tatsächlich?

Unsere Erfahrung aus der Forschung ist leider,

dass das häufig nicht der Fall ist.

Wir haben oft eine Diskrepanz von 60 bis 100% an Personen,

die sagen, sie würden eingreifen.

Die tatsächliche Quote der Leute, die es tun, ist oft unter 30%.

Warum ist das so?

Gerade in Situationen, in denen die Risiken nicht abschätzbar sind,

kann Angst dazu führen, dass die Personen zurückschrecken.

Auch die Angst vor langfristigen Konsequenzen.

Die Beispiele finden wir auch,

von missglückten Versuchen von Zivilcourage,

wo die Personen, die einschreiten, selbst zum Opfer werden.

Ich treffe gleich Leute, die Zivilcourage besitzen.

Wir lernen, wie Zivilcourage richtig geht.

Aber was ist Zivilcourage überhaupt?

Das Wort "Zivilcourage" setzt sich zusammen

aus dem lateinischen Wort "civis", das heißt Bürger,

und dem französischen Wort "courage", das heißt Beherztheit oder Mut.

Also: Zivilcourage bedeutet "Bürgermut" oder auch "sozialer Mut".

Gemeint ist damit, dass Menschen den Mut aufbringen,

bei Konflikten oder Gewalt nicht nur zuzuschauen

oder aus Angst sogar wegzuschauen, sondern aktiv einzugreifen,

z.B., um anderen kurz entschlossen zu Hilfe zu kommen.

Zivilcourage ist aber auch,

wenn Menschen sich einsetzen für allgemeine Werte

wie für Toleranz gegenüber Andersdenkenden

oder für das Recht oder die Interessen anderer,

z.B. von Personen, die benachteiligt werden.

Und natürlich auch, wenn sich Menschen ganz konkret wehren

gegen körperliche Angriffe, gegen Mobbing,

gegen soziale Ungerechtigkeiten.

Oder wenn sie einem Unrechtsstaat den Gehorsam verweigern.

Und das, obwohl für die Person, die sich entschließt zu handeln,

eine unangenehme oder sogar gefährliche Situation entstehen kann:

Sie kann wegen ihres Mutes angefeindet, bedroht

oder sogar körperlich verletzt werden.

Und genau das kennzeichnet Zivilcourage:

Wenn Menschen Stärkeren oder sogar Übermächtigen gegenübertreten,

ohne mögliche Schwierigkeiten zu scheuen.

Denn bei Zivilcourage geht es immer darum,

menschliche Werte zu verteidigen wie Gerechtigkeit, Würde,

körperliche Unversehrtheit oder Selbstbestimmung.

Da stellt sich mir die Frage, wie man eingreift.

Ich treffe Samuel Liranzo.

Er hat sich getraut, aber dabei riskierte er seine Gesundheit.

Hallo Samuel. - Servus.

Ich bin Ramo. Was ist dir passiert?

Wir waren bei einer Freundin. Weil wir alle hier in der Nähe wohnen,

sind wir zur Münchner Freiheit gefahren und hatten Hunger.

Sind in den McDonald's gegangen und hatten Spaß.

Bis im Hintergrund Europa-Hassparolen kamen.

"Europa ist scheiße" und so.

Ich habe gefragt, warum sie das sagen, und die Antwort war:

"Weil Deutschland das Allerbeste ist."

Ich habe gesagt, ihr seid doch hier in Europa.

"Weil Hitler der Allerbeste ist.

Deutschland ist das Beste, ich steh dazu."

Habe auch einen Hitlergruß bekommen.

Ich habe gefragt, was das soll, warum sie das machen.

Ob sie wissen, was Hitler damals gemacht hat.

Als Antwort sind sie auf mich zugelaufen,

der eine hat mich gepackt

und der andere hat mir ins Gesicht geschlagen.

Das zwei- bis dreimal.

Als sie dich angegriffen haben, hat sich keiner gekümmert?

Nein. Das Restaurant, da waren 30 bis 35 Leute.

Die haben alle nur geschaut und nichts gemacht,

was mich am meisten stört.

V.a. dass sie nicht mal das Handy gezückt haben,

um ein Video oder Foto zu machen.

Denn die Polizei hatte zu wenig Beweismittel,

um den Täter zu fassen.

Weshalb ich nach sechs Wochen die Nachricht gekriegt habe,

von der Staatsanwaltschaft, dass das Verfahren eingestellt wurde.

Du hast Zivilcourage bewiesen.

Ich gehe jetzt zu einem Kurs, in dem man lernt,

wie man nicht nur mutig ist wie du,

sondern womöglich so eine Situation löst, ohne verprügelt zu werden.

Kommst du mit? - Auf jeden Fall.

Zusammen mit Samuel mache ich jetzt einen Kurs von Zivilcourage,

den die Münchner Polizei anbietet.

Einer von uns hier ist ein Polizeihauptkommissar.

Er heißt Alexander Schwandner.

Ich bin gespannt, ob ihr auch gleich herausfindet, wer er ist.

Servus. Grüß dich. Tu mal deine Tasche weg, lass mich hersetzen.

Wie geht's dir?

Reden Sie mit mir? - Ja natürlich.

Kein Interesse. - Wieso nicht?

Du fährst doch eh Bus, kann man sich unterhalten.

Sie sind viel zu nah. - Hey, was ist denn?

Du bist ganz schön zickig.

So ne hübsche Frau und dann so zickig.

Wir können uns doch kennenlernen.

Fass mich nicht an! Hör auf!

Was gibt's da zu glotzen? Gibt's was zu glotzen?

Das ist meine Exfreundin!

Lass sie in Ruhe, sie will das nicht.

Schau nach vorne oder was! Spacko, ehrlich.

Leute im Bus, unglaublich.

Wie haben Sie sich gefühlt in der Situation?

Ganz schrecklich.

V.a., dass es so schnell alles passiert.

Ich war in Gedanken, dann kommt ein Typ, spricht mich an,

ich wollte weggehen, aber hatte keine Möglichkeit.

Ich fühlte mich hilflos.

Hatten Sie keine Idee, was Sie dagegen machen können?

Ehrlich gesagt nein.

Dieses Gefühl der Hilflosigkeit ist ganz normal.

Im normalen menschlichen Umgang haben wir die Regel,

dass wir dem anderen unser Desinteresse zeigen können.

Wenn ich ein "Normaler" wäre, würde ich sagen:

"Ich finde Sie toll, wollen wir Kaffee trinken?"

Sagt sie: "Nein." Ich sage: "Gut, schönen Tag noch." Und gehe.

Aber ich bin ja jetzt ein "Täter". Und reagiere genau auf so etwas.

Ich will ja, dass die Leute mir höflich erklären:

"Nein, du bist ein cooler Typ, nimm doch eine andere."

Aber das funktioniert bei mir nicht.

Mir muss man deutlich die Grenze setzen:

"Nein. Lassen Sie mich in Ruhe! Fassen Sie mich nicht an!"

Wir bleiben immer beim "Sie". Dann weiß man: Die kennen sich nicht.

Der eine Herr hat versucht, sich einzumischen.

Dann hab ich gesagt: "Das ist meine Ex. Schleich dich."

Da will man sich nicht einmischen. Ist vielleicht ein Beziehungsstreit.

Man hat so viele Möglichkeiten, sich nicht einzumischen.

Hat dein Rucksack einen Platz bezahlt?

Du hast ein Adidas-Shirt, das ist doch scheiße teuer?

Wir sind nicht per Du. Wenn du nicht aufpasst, dann schreien wir ...

Was bist du denn so unentspannt?

Ich frag dich nur wegen deinem T-Shirt.

Du hast bestimmt einen Haufen Geld? Ich hab gar kein Geld.

Das ist mir egal. - Ich fahr sogar schwarz.

Das interessiert mich nicht. - Das ist genau ...

Schauen Sie, dass sie vorgehen. Raus. Sonst schreie ich!

Jetzt schrei doch nicht so rum.

Finger weg! Fass mich nicht an! Finger weg! Raus!

* Sie brüllen beide. *

Man ist verkrampft, nervös.

Man weiß nicht, wie man richtig reagieren soll.

Ruhig bleiben ist schwierig, weil man so einen Puls kriegt.

Was ist hier los, was mache ich mit dem?

Waren Sie hilflos?

Ja, ich fühle mich schon hilflos. Eingezwängt. Ich kann nicht raus.

Das ist ein Gefühl der Bedrängnis. Innerlich und äußerlich.

Herr Schwandner, so haben Sie Ihr Ziel erreicht?

Ja. Jetzt wäre der Punkt erreicht, wo er die Mitfahrer einbindet.

Dass er sagt: "Sie mit dem auberginefarbenen Oberteil,

gehen Sie zum Busfahrer, ich brauche Hilfe.

Sie mit dem weißen T-Shirt ..."

Jemanden direkt ansprechen, am besten anhand der Kleidung, sagen:

"Gehen Sie zum Busfahrer, ich brauche Hilfe,

ich komme nicht raus."

Von außen jemanden einbinden.

Wir haben ja genügend Mitfahrer, die nicht wissen: Soll ich helfen?

Kommt er selber klar? Kann ich was tun und was?

Der Typ wirkt ja aggressiv, da traut man sich nicht so ran.

Obwohl ich das Gefühl hatte, dann ziehe ich den Täter auf mich.

Genau. - Das ist dann die Gefahr.

Die Leute wollen sich dieser Gefahr nicht aussetzen.

Deshalb gibt es als Helfer eine bessere Lösung.

Eine Alternative, wo man nicht die Energie des Täters auf sich zieht,

sondern man konzentriert sich aufs Opfer.

Der ist ja auch noch da. Er braucht ja Hilfe.

Die ideale Lösung wäre, zu ihm zu sagen: "Brauchen Sie Hilfe?"

Er hätte gemerkt: Da ist von außen Unterstützung.

Er hätte sagen können: "Ja. Ich komme nicht raus.

Ich weiß nicht, was der will. Ich kenne den nicht."

Er hätte sagen können: "Ich gehe zum Busfahrer, der holt die Polizei."

Dann hätte er nicht die Angst gehabt,

dass ich mich auf ihn konzentriere. Wie vorhin beim Spiel hinten.

Und sage: "Was mischst du dich ein? Kriegst gleich auch eine drauf."

Dieser Gefahr entgehen wir.

Da haben wir ein praktisches Beispiel. Samuel.

Im Vergleich mit deiner Erfahrung.

Im Nachhinein: Würdest du was anders machen?

Ich würde erst mal das Gleiche machen.

Vielleicht ...

Es haben ja alle gesehen, dass ich Hilfe brauche.

Aber vielleicht dass ich noch mal um Hilfe schreie.

Oder sage, dass ich Hilfe brauche.

Dass die Situation besser ausgeht, gegen den Täter.

Nicht gegen das Opfer.

Das ist auch für uns Männer nicht so leicht.

Deswegen empfehle ich: Üben mit der Stimme. Ruhig mal lauter reden.

Kein Problem. Man muss ja keine Pöbeleien rumschreien.

Einfach mal laut was erklären.

Aufstehen, wenn andere persönlich angegriffen werden.

Das ist eine Form von Zivilcourage.

Aber es gibt auch noch ganz andere Arten von Bürgermut.

Mehrere Millionen Menschen

arbeiteten während des Zweiten Weltkrieges in deutschen Ghettos.

Nach einem Gesetz von 2002

steht Zehntausenden dieser Menschen eine Rente zu.

Die Rentenversicherungen lehnten diese Zahlungen aber ab.

Weil sie sagten, es wäre Zwangsarbeit,

für die es eigene Entschädigungen gebe.

Aus anderen Töpfen.

Ich treffe den Mann, der es geschafft hat,

dass die meisten Betroffenen doch eine Rente bekamen:

Jan-Robert von Renesse.

Grüß Gott. - Hallo, grüß Sie.

Wie kann man dagegen sein, dass diese Menschen Rente bekommen?

Das habe ich mich auch immer wieder gefragt.

Wenn man sieht, welche Verantwortung wir haben.

Mit welcher Hartnäckigkeit,

nahezu Fanatismus, gegen die Überlebenden angekämpft wurde

von der Deutschen Rentenversicherung.

Da fehlt mir jede Erklärung.

Ich habe auch nie sonst bei Rentenfällen erlebt,

dass die Behörde mit so einem Hass gegen die Antragsteller vorgeht.

Was hat Ihr Engagement verändert?

Am Anfang haben nahezu alle Anträge zu einer Ablehnung geführt,

über 96%.

Danach ist in weit über 90% der Anträge eine Anerkennung erfolgt.

Das Wichtigste war, dass die Menschen,

für die ich als Richter persönlich verantwortlich war,

zu Wort gekommen sind.

Sie konnten sich gegenüber einem deutschen Gericht

von Angesicht zu Angesicht äußern

und wurden als Mensch mit Menschenwürde wahrgenommen.

Wofür haben sie den Preis "Zivilcourage" bekommen?

Entschieden hat das die Stadt Dachau.

Diesen Preis verleiht sie an Menschen, die ihrer Auffassung nach

für ihre Überzeugung eingetreten sind

und dafür persönliche Nachteile in Kauf nehmen mussten.

Das, wofür ich eingetreten bin, sind die Rechte der Überlebenden

und die Unabhängigkeit der Gerichte in diesen Fällen.

Die persönlichen Nachteile lagen im Ergebnis darin,

dass ich mich in einem Disziplinarverfahren

verteidigen musste für das,

was ich zur Verteidigung der Rechte der Überlebenden gesagt hatte.

Also eine große seelische Belastung.

Ja, kann man so sagen. Auch für die Familie.

Es war ein Albtraum von fast 10 Jahren.

Der Druck besteht darin,

dass man seine Arbeitsstelle vollständig verlieren kann.

Und man ist ein Aussätziger in dieser Zeit in der Behörde.

Wie kann das sein?

Es wurde von der Richterschaft

als ein Angriff auf sie selbst empfunden.

Dass eine Verfahrensweise herausgestellt worden ist,

auch in der Öffentlichkeit,

die am Ende das Oberste Gericht für richtig erklärt hat,

die sie selber aber für falsch befunden haben

und der sie sich nicht angeschlossen hatten.

Sie empfanden das, so denke ich,

als einen Angriff auf ihre persönliche Ehre.

Warum haben Sie das dann gemacht?

Es gibt Sachen, die muss man zu Ende bringen.

Wenn man einmal etwas angefangen hat, muss man zu seinem Wort stehen.

Das hat etwas mit der Erziehung zu tun, mit dem familiären Hintergrund,

mit dem Glauben, den man hat.

Ich hätte sonst nicht mehr in den Spiegel kucken können,

wenn ich das anders gemacht hätte.

Zivilcourage kostet also ganz schön viel Kraft.

Und wird oft nicht belohnt.

Um Missstände aufzudecken, haben sie gegen geltendes Recht verstoßen.

Verbrecher oder Helden?

Zivilcourage heißt nicht nur, z.B. bei einer Schlägerei einzugreifen.

Sondern auch zu handeln, wenn etwas nicht korrekt läuft,

in einer Behörde oder einem Unternehmen.

Stichwort: Wikileaks, Panama Papers oder Watergate.

Korruption, Datenmissbrauch, Steuerhinterziehung, Insiderhandel:

Klar illegal.

Wer solche Vorgänge öffentlich macht, wird zum Whistleblower.

So wie Christopher Wylie, Mitarbeiter von Cambridge Analytica.

Der Firma, die weltweit Wahlkämpfe beeinflusst

und dafür die Daten von Millionen Facebook-Nutzern geklaut hat,

um Trump zum Wahlsieg zu verhelfen.

Wylie hatte im Nachhinein ein schlechtes Gewissen

und ging im März 2018 an die Öffentlichkeit.

Ergebnis: Der Facebook-Aktienkurs stürzte ab,

Cambridge Analytica wurde geschlossen.

Klar, dass Whistleblower deshalb nicht von allen

als Helden der Zivilcourage gefeiert werden.

Firmen und Institutionen bekommen durch sie Probleme

und antworten dann mit Klagen.

Denn wer interne Dokumente veröffentlicht,

verstößt meist gegen seinen Arbeitsvertrag

und bekommt ein rechtliches Problem.

Das hatte auch Antoine Deltour nach den Luxemburg-Leaks 2014.

Er machte öffentlich, wie große Firmen Steuern vermeiden

und das mithilfe von Wirtschaftsprüfern

und der Steuerbehörde.

Deltour wurde wegen Datendiebstahls

und Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen verklagt.

Erst im zweiten Berufungsverfahren

wurde seine Bewährungsstrafe aufgehoben.

Das Problem: Arbeitsrechtlich wird nur das Vergehen

gegenüber dem Arbeitgeber gesehen.

Dass der Rechtsbruch der Allgemeinheit dient

und das wichtiger sein kann, ist oft zweitrangig.

Whistleblower müssen aber auch mit persönlichen Folgen rechnen.

Unter Kollegen gelten sie teilweise als Denunzianten und Nestbeschmutzer.

Sie werden ausgegrenzt, versetzt oder aufs Abstellgleis gestellt.

Die Karriere ist vorbei, ein neuer Job schwer zu finden.

Die Folgen: psychischer Druck und finanzielle Probleme.

So wie bei Margrit Herbst. Die Tierärztin wies schon

Anfang der 1990er auf BSE-Fälle in Deutschland hin.

Ihre Arbeitgeber wollten nicht, dass das an die Öffentlichkeit kommt.

Der Whistleblowerin wurde gekündigt. Arbeitslos mit 54, geringere Rente.

Eigene Gesetze,

die speziell Informanten wie Whistleblower schützen,

gibt es in Deutschland nicht. Noch nicht.

Denn der Informantenschutz wird seit Jahren diskutiert.

In anderen Ländern wie Großbritannien

gibt es bereits Whistleblower-Gesetze.

Die will die EU jetzt europaweit.

Damit Whistleblower der Gesellschaft helfen können,

ohne ihre Arbeit, ihre Freiheit oder ihr Leben zu riskieren.

Wie wichtig ist Zivilcourage für unsere Demokratie?

Zivilcourage ist sehr wichtig für unsere Demokratie.

Zivilcourage per se basiert auf demokratischen Grundprinzipien.

Und versucht, Menschenrechte im Alltag umzusetzen.

Da kann es sein,

dass es mit mini-kleinen Norm-Verletzungen anfängt,

die erst mal von vielen als trivial wahrgenommen werden.

Wenn aber keiner dagegen vorgeht, kann es sein,

dass es sich immer weiter steigert und dass große Arten

von Fehlverhalten nicht mehr in der Gesellschaft diskreditiert werden.

Das ist aber sehr wichtig.

Es ist wichtig, Tätern zu signalisieren:

Wir dulden euer Verhalten nicht, wir finden das nicht richtig,

wir finden das nicht vereinbar mit den demokratischen Grundwerten.

Natürlich auch Opfern zu demonstrieren:

Wir stehen auf eurer Seite, wir sehen euch,

wir setzen uns für euch ein.

Und durch das Verhalten für andere Menschen ein Vorbild zu sein,

die daraus lernen können.

Die somit Rollenmuster haben, denen sie nacheifern können.

Das ist sehr relevant.

Oft zahlen die Menschen, die den Mund aufmachen, einen hohen Preis.

Samuel Liranzo ist nur verletzt worden,

als er seine Stimme erhob gegen Nazi-Brüllerei.

Er ist verletzt worden,

als er seine Stimme erhoben hat gegen aggressive Menschen.

Ein Rollenspiel haben wir noch.

Mann, mann. Immer diese Scheiße. Kein Job und nix, weißte?

Keine Ahnung, wie's weitergehen soll.

Scheißdreck, ehrlich.

Da muss ich erst mal eine rauchen. - Das ist jetzt nicht Ihr Ernst?

Entspann dich. Ich hab keinen Job und nix.

Ich hab einen totalen Scheißtag heute.

Das ist nicht mein Problem. - Entspann dich. Willst auch eine?

Nein. - Komm, wir rauchen zusammen eine.

Steigen Sie aus, wenn Sie rauchen wollen.

Ich muss doch wo hin, hab einen Termin.

Ist doch scheiße.

Machen Sie die aus jetzt!

Fegst du mich jetzt an oder was? Ich sitz in meinem Bus und fahr heim.

Ich bin eh schon genervt. - Ich saß hier zuerst.

Zuerst ... Das ist doch nicht dein Bus.

Hau doch einfach ab!

Kann ich Ihnen helfen? - Ja.

Hey, was mischst du dich jetzt ein?

Hey, was soll denn das jetzt.

Lauter Arschlöcher hier in diesem scheiß Bus.

Ich wäre am liebsten aufgestanden, aber er hatte seine Beine so quer.

Ich wäre mir nicht sicher gewesen,

ob er die wegmacht, wenn ich sage: "Lassen Sie mich aussteigen."

Laut. Immer laut. Dann funktioniert das schon.

So laut, dass der ganze Bus weiß, wer Sie hier einsperrt.

"Ich möchte aufstehen. Nehmen Sie die Füße von der Sitzbank!"

Dann kucken alle mich an:

Ah, der hat die Füße auf der Sitzbank, lässt die Dame nicht raus.

Andere fühlen sich bemüßigt, zu helfen.

Der Busfahrer bekommt es vielleicht mit.

Laut.

Das stimmt. Ich habe es erst gemerkt,

nachdem ich den Zigarettengeruch gerochen habe.

Da habe ich mich umgedreht.

Aber von Unterhaltung habe ich nichts mitbekommen.

Das ist ein wichtiger Punkt.

Dann hat der Herr versucht zu helfen.

Das war auch okay.

Dass er an die Seite gekommen ist, ihr die Hand gereicht hat:

"Kommen Sie, wir gehen hier raus. Wir gehen an die Tür, steigen aus."

"Oder wir gehen zum Busfahrer."

Perfekte Lösung, da kann ich nichts mehr sagen.

Plötzlich sind sie zu zweit.

Samuel. Nach all den Erfahrungen, die wir heute erlebt haben:

Hast du dir irgendwas Neues gemerkt? Würdest du was anders machen?

Ich würde erst mal meine Stimme erheben.

Diesmal lauter, weil's anscheinend was bewirkt, habe ich mitgekriegt.

Danach, wenn die Situation nicht besser wird,

nach Hilfe rufen, mehrere Leute miteinbeziehen, die helfen können.

Und die die Polizei rufen können oder eine Autoritätsperson.

Zivilcourage geht wirklich fast in jeder Lebenslage.

Es kann immer einen Unterschied machen, ob ich eingreife oder nicht.

Aber, wie so oft im Leben, es kommt auf das "Wie" an.

Gell?

Untertitelung: BR 2018


Zivilcourage - hat jede*r das Zeug dazu? | RESPEKT Demokratie

Untertitelung: BR 2018

Wie heißt du übrigens? - Patrizia.

Patrizia. Ein cooler Name.

Du bist echt ne Hübsche. Lächelst so nett.

Hast du einen Freund? - Nein.

Keinen Freund? Super. Genau mein Ding, oder?

Blonde Haare finde ich eh super.

Du bist genau mein Typ, Patrizia.

Steigen wir an der nächsten Haltestelle aus?

Nein.

Natürlich. Sag nicht nein.

Bist doch ein cooler Typ und ich auch. Komm jetzt.

Wir steigen aus, komm.

Jetzt komm, wir steigen aus! Los, komm mit mir raus!

Los, komm mit mir!

Und? Was hättet ihr gemacht?

Wie würdet ihr handeln? Greift ihr ein?

Wenn ja, wie?

Und wenn nein: warum nicht?

Die Frage ist: Habt ihr Zivilcourage?

Stellen Sie sich vor, Sie sind in der U-Bahn oder im Bus

und jemand wird bedroht. Was würden Sie tun?

Es käme sehr drauf an, ob ich gerade mit meiner Tochter unterwegs bin.

Ich wünsche mir, ich könnte sagen: Ich würde auf jeden Fall helfen.

Ich weiß es aber nicht.

Ich schlage ihm eine auf die Fresse.

Kommt auf die Situation an.

Wie gefährlich es ist, ob man sich in Gefahr bringen würde.

Würde ich situativ entscheiden.

Es ist ein reines Bauch-Situativ-Gefühl,

Sekunden-Entscheidung.

Am wichtigsten ist, aufmerksam zu machen, laut zu werden.

Zu vermitteln: Leute sehen das, sie schauen nicht weg.

Ich würde wohl nicht dazwischengehen.

Man kann die Leute nicht einschätzen.

Hilfe rufen und dazwischengehen.

Ich bedanke mich.

Gerne. Ich denke, das macht jeder so, oder?

Von dieser Galerie warfen Sophie und Hans Scholl die Flugblätter,

die zum Widerstand gegen das Nazi-Regime aufriefen.

Hier wird der Zivilcourage von jungen Leuten gedacht,

die ihren Protest gegen Hitler mit dem Leben bezahlt haben.

Sie haben gehandelt, unter Lebensgefahr.

Hättet ihr das auch getan?

Hätte ich das auch getan?

Persönlich und nach meinen Erfahrungen: ja.

Sterben ist mir viel lieber, als als unterdrückter Mensch weiterzuleben.

Ich treffe jetzt Anna Halmburger von der Uni Koblenz Landau.

Sie forscht über Zivilcourage und weiß alles darüber.

Wie ist das: Die meisten Menschen würden auf der Straße,

wenn man sie so trifft, natürlich sagen, dass sie helfen,

wenn jemand Hilfe braucht. Tun sie das tatsächlich?

Unsere Erfahrung aus der Forschung ist leider,

dass das häufig nicht der Fall ist.

Wir haben oft eine Diskrepanz von 60 bis 100% an Personen,

die sagen, sie würden eingreifen.

Die tatsächliche Quote der Leute, die es tun, ist oft unter 30%.

Warum ist das so?

Gerade in Situationen, in denen die Risiken nicht abschätzbar sind,

kann Angst dazu führen, dass die Personen zurückschrecken.

Auch die Angst vor langfristigen Konsequenzen.

Die Beispiele finden wir auch,

von missglückten Versuchen von Zivilcourage,

wo die Personen, die einschreiten, selbst zum Opfer werden.

Ich treffe gleich Leute, die Zivilcourage besitzen.

Wir lernen, wie Zivilcourage richtig geht.

Aber was ist Zivilcourage überhaupt?

Das Wort "Zivilcourage" setzt sich zusammen

aus dem lateinischen Wort "civis", das heißt Bürger,

und dem französischen Wort "courage", das heißt Beherztheit oder Mut.

Also: Zivilcourage bedeutet "Bürgermut" oder auch "sozialer Mut".

Gemeint ist damit, dass Menschen den Mut aufbringen,

bei Konflikten oder Gewalt nicht nur zuzuschauen

oder aus Angst sogar wegzuschauen, sondern aktiv einzugreifen,

z.B., um anderen kurz entschlossen zu Hilfe zu kommen.

Zivilcourage ist aber auch,

wenn Menschen sich einsetzen für allgemeine Werte

wie für Toleranz gegenüber Andersdenkenden

oder für das Recht oder die Interessen anderer,

z.B. von Personen, die benachteiligt werden.

Und natürlich auch, wenn sich Menschen ganz konkret wehren

gegen körperliche Angriffe, gegen Mobbing,

gegen soziale Ungerechtigkeiten.

Oder wenn sie einem Unrechtsstaat den Gehorsam verweigern.

Und das, obwohl für die Person, die sich entschließt zu handeln,

eine unangenehme oder sogar gefährliche Situation entstehen kann:

Sie kann wegen ihres Mutes angefeindet, bedroht

oder sogar körperlich verletzt werden.

Und genau das kennzeichnet Zivilcourage:

Wenn Menschen Stärkeren oder sogar Übermächtigen gegenübertreten,

ohne mögliche Schwierigkeiten zu scheuen.

Denn bei Zivilcourage geht es immer darum,

menschliche Werte zu verteidigen wie Gerechtigkeit, Würde,

körperliche Unversehrtheit oder Selbstbestimmung.

Da stellt sich mir die Frage, wie man eingreift.

Ich treffe Samuel Liranzo.

Er hat sich getraut, aber dabei riskierte er seine Gesundheit.

Hallo Samuel. - Servus.

Ich bin Ramo. Was ist dir passiert?

Wir waren bei einer Freundin. Weil wir alle hier in der Nähe wohnen,

sind wir zur Münchner Freiheit gefahren und hatten Hunger.

Sind in den McDonald's gegangen und hatten Spaß.

Bis im Hintergrund Europa-Hassparolen kamen.

"Europa ist scheiße" und so.

Ich habe gefragt, warum sie das sagen, und die Antwort war:

"Weil Deutschland das Allerbeste ist."

Ich habe gesagt, ihr seid doch hier in Europa.

"Weil Hitler der Allerbeste ist.

Deutschland ist das Beste, ich steh dazu."

Habe auch einen Hitlergruß bekommen.

Ich habe gefragt, was das soll, warum sie das machen.

Ob sie wissen, was Hitler damals gemacht hat.

Als Antwort sind sie auf mich zugelaufen,

der eine hat mich gepackt

und der andere hat mir ins Gesicht geschlagen.

Das zwei- bis dreimal.

Als sie dich angegriffen haben, hat sich keiner gekümmert?

Nein. Das Restaurant, da waren 30 bis 35 Leute.

Die haben alle nur geschaut und nichts gemacht,

was mich am meisten stört.

V.a. dass sie nicht mal das Handy gezückt haben,

um ein Video oder Foto zu machen.

Denn die Polizei hatte zu wenig Beweismittel,

um den Täter zu fassen.

Weshalb ich nach sechs Wochen die Nachricht gekriegt habe,

von der Staatsanwaltschaft, dass das Verfahren eingestellt wurde.

Du hast Zivilcourage bewiesen.

Ich gehe jetzt zu einem Kurs, in dem man lernt,

wie man nicht nur mutig ist wie du,

sondern womöglich so eine Situation löst, ohne verprügelt zu werden.

Kommst du mit? - Auf jeden Fall.

Zusammen mit Samuel mache ich jetzt einen Kurs von Zivilcourage,

den die Münchner Polizei anbietet.

Einer von uns hier ist ein Polizeihauptkommissar.

Er heißt Alexander Schwandner.

Ich bin gespannt, ob ihr auch gleich herausfindet, wer er ist.

Servus. Grüß dich. Tu mal deine Tasche weg, lass mich hersetzen.

Wie geht's dir?

Reden Sie mit mir? - Ja natürlich.

Kein Interesse. - Wieso nicht?

Du fährst doch eh Bus, kann man sich unterhalten.

Sie sind viel zu nah. - Hey, was ist denn?

Du bist ganz schön zickig.

So ne hübsche Frau und dann so zickig.

Wir können uns doch kennenlernen.

Fass mich nicht an! Hör auf!

Was gibt's da zu glotzen? Gibt's was zu glotzen?

Das ist meine Exfreundin!

Lass sie in Ruhe, sie will das nicht.

Schau nach vorne oder was! Spacko, ehrlich.

Leute im Bus, unglaublich.

Wie haben Sie sich gefühlt in der Situation?

Ganz schrecklich.

V.a., dass es so schnell alles passiert.

Ich war in Gedanken, dann kommt ein Typ, spricht mich an,

ich wollte weggehen, aber hatte keine Möglichkeit.

Ich fühlte mich hilflos.

Hatten Sie keine Idee, was Sie dagegen machen können?

Ehrlich gesagt nein.

Dieses Gefühl der Hilflosigkeit ist ganz normal.

Im normalen menschlichen Umgang haben wir die Regel,

dass wir dem anderen unser Desinteresse zeigen können.

Wenn ich ein "Normaler" wäre, würde ich sagen:

"Ich finde Sie toll, wollen wir Kaffee trinken?"

Sagt sie: "Nein." Ich sage: "Gut, schönen Tag noch." Und gehe.

Aber ich bin ja jetzt ein "Täter". Und reagiere genau auf so etwas.

Ich will ja, dass die Leute mir höflich erklären:

"Nein, du bist ein cooler Typ, nimm doch eine andere."

Aber das funktioniert bei mir nicht.

Mir muss man deutlich die Grenze setzen:

"Nein. Lassen Sie mich in Ruhe! Fassen Sie mich nicht an!"

Wir bleiben immer beim "Sie". Dann weiß man: Die kennen sich nicht.

Der eine Herr hat versucht, sich einzumischen.

Dann hab ich gesagt: "Das ist meine Ex. Schleich dich."

Da will man sich nicht einmischen. Ist vielleicht ein Beziehungsstreit.

Man hat so viele Möglichkeiten, sich nicht einzumischen.

Hat dein Rucksack einen Platz bezahlt?

Du hast ein Adidas-Shirt, das ist doch scheiße teuer?

Wir sind nicht per Du. Wenn du nicht aufpasst, dann schreien wir ...

Was bist du denn so unentspannt?

Ich frag dich nur wegen deinem T-Shirt.

Du hast bestimmt einen Haufen Geld? Ich hab gar kein Geld.

Das ist mir egal. - Ich fahr sogar schwarz.

Das interessiert mich nicht. - Das ist genau ...

Schauen Sie, dass sie vorgehen. Raus. Sonst schreie ich!

Jetzt schrei doch nicht so rum.

Finger weg! Fass mich nicht an! Finger weg! Raus!

* Sie brüllen beide. *

Man ist verkrampft, nervös.

Man weiß nicht, wie man richtig reagieren soll.

Ruhig bleiben ist schwierig, weil man so einen Puls kriegt.

Was ist hier los, was mache ich mit dem?

Waren Sie hilflos?

Ja, ich fühle mich schon hilflos. Eingezwängt. Ich kann nicht raus.

Das ist ein Gefühl der Bedrängnis. Innerlich und äußerlich.

Herr Schwandner, so haben Sie Ihr Ziel erreicht?

Ja. Jetzt wäre der Punkt erreicht, wo er die Mitfahrer einbindet.

Dass er sagt: "Sie mit dem auberginefarbenen Oberteil,

gehen Sie zum Busfahrer, ich brauche Hilfe.

Sie mit dem weißen T-Shirt ..."

Jemanden direkt ansprechen, am besten anhand der Kleidung, sagen:

"Gehen Sie zum Busfahrer, ich brauche Hilfe,

ich komme nicht raus."

Von außen jemanden einbinden.

Wir haben ja genügend Mitfahrer, die nicht wissen: Soll ich helfen?

Kommt er selber klar? Kann ich was tun und was?

Der Typ wirkt ja aggressiv, da traut man sich nicht so ran.

Obwohl ich das Gefühl hatte, dann ziehe ich den Täter auf mich.

Genau. - Das ist dann die Gefahr.

Die Leute wollen sich dieser Gefahr nicht aussetzen.

Deshalb gibt es als Helfer eine bessere Lösung.

Eine Alternative, wo man nicht die Energie des Täters auf sich zieht,

sondern man konzentriert sich aufs Opfer.

Der ist ja auch noch da. Er braucht ja Hilfe.

Die ideale Lösung wäre, zu ihm zu sagen: "Brauchen Sie Hilfe?"

Er hätte gemerkt: Da ist von außen Unterstützung.

Er hätte sagen können: "Ja. Ich komme nicht raus.

Ich weiß nicht, was der will. Ich kenne den nicht."

Er hätte sagen können: "Ich gehe zum Busfahrer, der holt die Polizei."

Dann hätte er nicht die Angst gehabt,

dass ich mich auf ihn konzentriere. Wie vorhin beim Spiel hinten.

Und sage: "Was mischst du dich ein? Kriegst gleich auch eine drauf."

Dieser Gefahr entgehen wir.

Da haben wir ein praktisches Beispiel. Samuel.

Im Vergleich mit deiner Erfahrung.

Im Nachhinein: Würdest du was anders machen?

Ich würde erst mal das Gleiche machen.

Vielleicht ...

Es haben ja alle gesehen, dass ich Hilfe brauche.

Aber vielleicht dass ich noch mal um Hilfe schreie.

Oder sage, dass ich Hilfe brauche.

Dass die Situation besser ausgeht, gegen den Täter.

Nicht gegen das Opfer.

Das ist auch für uns Männer nicht so leicht.

Deswegen empfehle ich: Üben mit der Stimme. Ruhig mal lauter reden.

Kein Problem. Man muss ja keine Pöbeleien rumschreien.

Einfach mal laut was erklären.

Aufstehen, wenn andere persönlich angegriffen werden.

Das ist eine Form von Zivilcourage.

Aber es gibt auch noch ganz andere Arten von Bürgermut.

Mehrere Millionen Menschen

arbeiteten während des Zweiten Weltkrieges in deutschen Ghettos.

Nach einem Gesetz von 2002

steht Zehntausenden dieser Menschen eine Rente zu.

Die Rentenversicherungen lehnten diese Zahlungen aber ab.

Weil sie sagten, es wäre Zwangsarbeit,

für die es eigene Entschädigungen gebe.

Aus anderen Töpfen.

Ich treffe den Mann, der es geschafft hat,

dass die meisten Betroffenen doch eine Rente bekamen:

Jan-Robert von Renesse.

Grüß Gott. - Hallo, grüß Sie.

Wie kann man dagegen sein, dass diese Menschen Rente bekommen?

Das habe ich mich auch immer wieder gefragt.

Wenn man sieht, welche Verantwortung wir haben.

Mit welcher Hartnäckigkeit,

nahezu Fanatismus, gegen die Überlebenden angekämpft wurde

von der Deutschen Rentenversicherung.

Da fehlt mir jede Erklärung.

Ich habe auch nie sonst bei Rentenfällen erlebt,

dass die Behörde mit so einem Hass gegen die Antragsteller vorgeht.

Was hat Ihr Engagement verändert?

Am Anfang haben nahezu alle Anträge zu einer Ablehnung geführt,

über 96%.

Danach ist in weit über 90% der Anträge eine Anerkennung erfolgt.

Das Wichtigste war, dass die Menschen,

für die ich als Richter persönlich verantwortlich war,

zu Wort gekommen sind.

Sie konnten sich gegenüber einem deutschen Gericht

von Angesicht zu Angesicht äußern

und wurden als Mensch mit Menschenwürde wahrgenommen.

Wofür haben sie den Preis "Zivilcourage" bekommen?

Entschieden hat das die Stadt Dachau.

Diesen Preis verleiht sie an Menschen, die ihrer Auffassung nach

für ihre Überzeugung eingetreten sind

und dafür persönliche Nachteile in Kauf nehmen mussten.

Das, wofür ich eingetreten bin, sind die Rechte der Überlebenden

und die Unabhängigkeit der Gerichte in diesen Fällen.

Die persönlichen Nachteile lagen im Ergebnis darin,

dass ich mich in einem Disziplinarverfahren

verteidigen musste für das,

was ich zur Verteidigung der Rechte der Überlebenden gesagt hatte.

Also eine große seelische Belastung.

Ja, kann man so sagen. Auch für die Familie.

Es war ein Albtraum von fast 10 Jahren.

Der Druck besteht darin,

dass man seine Arbeitsstelle vollständig verlieren kann.

Und man ist ein Aussätziger in dieser Zeit in der Behörde.

Wie kann das sein?

Es wurde von der Richterschaft

als ein Angriff auf sie selbst empfunden.

Dass eine Verfahrensweise herausgestellt worden ist,

auch in der Öffentlichkeit,

die am Ende das Oberste Gericht für richtig erklärt hat,

die sie selber aber für falsch befunden haben

und der sie sich nicht angeschlossen hatten.

Sie empfanden das, so denke ich,

als einen Angriff auf ihre persönliche Ehre.

Warum haben Sie das dann gemacht?

Es gibt Sachen, die muss man zu Ende bringen.

Wenn man einmal etwas angefangen hat, muss man zu seinem Wort stehen.

Das hat etwas mit der Erziehung zu tun, mit dem familiären Hintergrund,

mit dem Glauben, den man hat.

Ich hätte sonst nicht mehr in den Spiegel kucken können,

wenn ich das anders gemacht hätte.

Zivilcourage kostet also ganz schön viel Kraft.

Und wird oft nicht belohnt.

Um Missstände aufzudecken, haben sie gegen geltendes Recht verstoßen.

Verbrecher oder Helden?

Zivilcourage heißt nicht nur, z.B. bei einer Schlägerei einzugreifen.

Sondern auch zu handeln, wenn etwas nicht korrekt läuft,

in einer Behörde oder einem Unternehmen.

Stichwort: Wikileaks, Panama Papers oder Watergate.

Korruption, Datenmissbrauch, Steuerhinterziehung, Insiderhandel:

Klar illegal.

Wer solche Vorgänge öffentlich macht, wird zum Whistleblower.

So wie Christopher Wylie, Mitarbeiter von Cambridge Analytica.

Der Firma, die weltweit Wahlkämpfe beeinflusst

und dafür die Daten von Millionen Facebook-Nutzern geklaut hat,

um Trump zum Wahlsieg zu verhelfen.

Wylie hatte im Nachhinein ein schlechtes Gewissen

und ging im März 2018 an die Öffentlichkeit.

Ergebnis: Der Facebook-Aktienkurs stürzte ab,

Cambridge Analytica wurde geschlossen.

Klar, dass Whistleblower deshalb nicht von allen

als Helden der Zivilcourage gefeiert werden.

Firmen und Institutionen bekommen durch sie Probleme

und antworten dann mit Klagen.

Denn wer interne Dokumente veröffentlicht,

verstößt meist gegen seinen Arbeitsvertrag

und bekommt ein rechtliches Problem.

Das hatte auch Antoine Deltour nach den Luxemburg-Leaks 2014.

Er machte öffentlich, wie große Firmen Steuern vermeiden

und das mithilfe von Wirtschaftsprüfern

und der Steuerbehörde.

Deltour wurde wegen Datendiebstahls

und Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen verklagt.

Erst im zweiten Berufungsverfahren

wurde seine Bewährungsstrafe aufgehoben.

Das Problem: Arbeitsrechtlich wird nur das Vergehen

gegenüber dem Arbeitgeber gesehen.

Dass der Rechtsbruch der Allgemeinheit dient

und das wichtiger sein kann, ist oft zweitrangig.

Whistleblower müssen aber auch mit persönlichen Folgen rechnen.

Unter Kollegen gelten sie teilweise als Denunzianten und Nestbeschmutzer.

Sie werden ausgegrenzt, versetzt oder aufs Abstellgleis gestellt.

Die Karriere ist vorbei, ein neuer Job schwer zu finden.

Die Folgen: psychischer Druck und finanzielle Probleme.

So wie bei Margrit Herbst. Die Tierärztin wies schon

Anfang der 1990er auf BSE-Fälle in Deutschland hin.

Ihre Arbeitgeber wollten nicht, dass das an die Öffentlichkeit kommt.

Der Whistleblowerin wurde gekündigt. Arbeitslos mit 54, geringere Rente.

Eigene Gesetze,

die speziell Informanten wie Whistleblower schützen,

gibt es in Deutschland nicht. Noch nicht.

Denn der Informantenschutz wird seit Jahren diskutiert.

In anderen Ländern wie Großbritannien

gibt es bereits Whistleblower-Gesetze.

Die will die EU jetzt europaweit.

Damit Whistleblower der Gesellschaft helfen können,

ohne ihre Arbeit, ihre Freiheit oder ihr Leben zu riskieren.

Wie wichtig ist Zivilcourage für unsere Demokratie?

Zivilcourage ist sehr wichtig für unsere Demokratie.

Zivilcourage per se basiert auf demokratischen Grundprinzipien.

Und versucht, Menschenrechte im Alltag umzusetzen.

Da kann es sein,

dass es mit mini-kleinen Norm-Verletzungen anfängt,

die erst mal von vielen als trivial wahrgenommen werden.

Wenn aber keiner dagegen vorgeht, kann es sein,

dass es sich immer weiter steigert und dass große Arten

von Fehlverhalten nicht mehr in der Gesellschaft diskreditiert werden.

Das ist aber sehr wichtig.

Es ist wichtig, Tätern zu signalisieren:

Wir dulden euer Verhalten nicht, wir finden das nicht richtig,

wir finden das nicht vereinbar mit den demokratischen Grundwerten.

Natürlich auch Opfern zu demonstrieren:

Wir stehen auf eurer Seite, wir sehen euch,

wir setzen uns für euch ein.

Und durch das Verhalten für andere Menschen ein Vorbild zu sein,

die daraus lernen können.

Die somit Rollenmuster haben, denen sie nacheifern können.

Das ist sehr relevant.

Oft zahlen die Menschen, die den Mund aufmachen, einen hohen Preis.

Samuel Liranzo ist nur verletzt worden,

als er seine Stimme erhob gegen Nazi-Brüllerei.

Er ist verletzt worden,

als er seine Stimme erhoben hat gegen aggressive Menschen.

Ein Rollenspiel haben wir noch.

Mann, mann. Immer diese Scheiße. Kein Job und nix, weißte?

Keine Ahnung, wie's weitergehen soll.

Scheißdreck, ehrlich.

Da muss ich erst mal eine rauchen. - Das ist jetzt nicht Ihr Ernst?

Entspann dich. Ich hab keinen Job und nix.

Ich hab einen totalen Scheißtag heute.

Das ist nicht mein Problem. - Entspann dich. Willst auch eine?

Nein. - Komm, wir rauchen zusammen eine.

Steigen Sie aus, wenn Sie rauchen wollen.

Ich muss doch wo hin, hab einen Termin.

Ist doch scheiße.

Machen Sie die aus jetzt!

Fegst du mich jetzt an oder was? Ich sitz in meinem Bus und fahr heim.

Ich bin eh schon genervt. - Ich saß hier zuerst.

Zuerst ... Das ist doch nicht dein Bus.

Hau doch einfach ab!

Kann ich Ihnen helfen? - Ja.

Hey, was mischst du dich jetzt ein?

Hey, was soll denn das jetzt.

Lauter Arschlöcher hier in diesem scheiß Bus.

Ich wäre am liebsten aufgestanden, aber er hatte seine Beine so quer.

Ich wäre mir nicht sicher gewesen,

ob er die wegmacht, wenn ich sage: "Lassen Sie mich aussteigen."

Laut. Immer laut. Dann funktioniert das schon.

So laut, dass der ganze Bus weiß, wer Sie hier einsperrt.

"Ich möchte aufstehen. Nehmen Sie die Füße von der Sitzbank!"

Dann kucken alle mich an:

Ah, der hat die Füße auf der Sitzbank, lässt die Dame nicht raus.

Andere fühlen sich bemüßigt, zu helfen.

Der Busfahrer bekommt es vielleicht mit.

Laut.

Das stimmt. Ich habe es erst gemerkt,

nachdem ich den Zigarettengeruch gerochen habe.

Da habe ich mich umgedreht.

Aber von Unterhaltung habe ich nichts mitbekommen.

Das ist ein wichtiger Punkt.

Dann hat der Herr versucht zu helfen.

Das war auch okay.

Dass er an die Seite gekommen ist, ihr die Hand gereicht hat:

"Kommen Sie, wir gehen hier raus. Wir gehen an die Tür, steigen aus."

"Oder wir gehen zum Busfahrer."

Perfekte Lösung, da kann ich nichts mehr sagen.

Plötzlich sind sie zu zweit.

Samuel. Nach all den Erfahrungen, die wir heute erlebt haben:

Hast du dir irgendwas Neues gemerkt? Würdest du was anders machen?

Ich würde erst mal meine Stimme erheben.

Diesmal lauter, weil's anscheinend was bewirkt, habe ich mitgekriegt.

Danach, wenn die Situation nicht besser wird,

nach Hilfe rufen, mehrere Leute miteinbeziehen, die helfen können.

Und die die Polizei rufen können oder eine Autoritätsperson.

Zivilcourage geht wirklich fast in jeder Lebenslage.

Es kann immer einen Unterschied machen, ob ich eingreife oder nicht.

Aber, wie so oft im Leben, es kommt auf das "Wie" an.

Gell?

Untertitelung: BR 2018