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Sprachabar, Die Endlichkeit des Seins

Die Endlichkeit des Seins

Von Geburt an ist es klar: Das Leben wird einmal enden. Die deutsche Sprache ist dabei ein Spiegelbild des Umgangs in der Gesellschaft mit dem Thema. Sie umschreibt und beschönigt, ist manchmal aber auch derb und direkt.

Je älter ein Mensch wird, umso mehr ist er damit konfrontiert: mit der Tatsache, dass sein Leben einmal enden wird. Für junge Menschen ist dieses Thema oft ganz weit weg. Doch auch die Älteren sprechen nicht so gern darüber, schweigen es tot. Sterben – ich? Nein. Der Tod, das finale Ende eines Lebens, und das Sterben, der Prozess, der zum Tod führt, sind Tabuthemen.

Wer mit anderen darüber redet, verwendet selten eine direkte Sprache. Stattdessen wird umschrieben und verhüllt statt klar formuliert. Wendungen, die das Wort „sterben“ beinhalten, sind rar gesät, Euphemismen, beschönigende, weniger unangenehme Wörter und Wendungen, umso zahlreicher. So ist die letzte Stunde gekommen, sie schlägt oder die Uhr abgelaufen.

Das sind bildhafte Ausdrücke, denen eines gemeinsam ist: die Zeit. Sie ist Symbol für die Vergänglichkeit alles Lebens auf der Welt. Der Sterbende nimmt von ihr Abschied. Und wenn die Zeit abgelaufen, das Lebenslicht erloschen ist, dann …? Ja, was dann? Aus. Ende. Jemand hat die Augen geschlossen – für immer – und tritt seine letzte Reise an. Nur wohin?

Je nach Religion oder Glauben können das beispielsweise die ewigen Jagdgründe sein, in die jemand eingeht, die durch die Romane Karl Mays bekannt wurden, oder der Himmel, denn in die Hölle will ja keiner. Die Buddhisten hoffen darauf, irgendwann den Kreislauf des Wiedergeborenwerdens zu durchbrechen und endlich ins Nirwana einzugehen.

Wer in den letzten Zügen liegt, also merkt, dass er die letzten Atemzüge tut, es bald mit ihm zu Ende geht, kann sein bisheriges Leben überdenken – sofern er geistig dazu noch in der Lage ist. Manch einer hat allerdings gar keine Zeit, sich Gedanken über das Sterben zu machen. Denn er wird urplötzlich aus dem Leben gerissen. Von einem Moment zum nächsten ist alles aus. Der Lebensfaden ist abgeschnitten.

Und das kann irgendwann, irgendwo sein, auf einem Flug, während eines Café- oder Discobesuchs, im Straßenverkehr oder zu Hause vor dem Fernseher. Wer rechnet zum Beispiel schon damit, dass ein Pilot ein Flugzeug bewusst zum Absturz bringt, oder dass Terroristen, die einer Ideologie folgen, wahllos unschuldige Menschen hinmetzeln? Die Art und Weise, wie jemand ums Leben kommt, ist höchst verschieden. Und da ist sie – die Standardwendung der Nachrichtensprache, das Synonym für plötzliches Sterben.

Ob jemand mit dem Auto gegen einen Baum geprallt ist, beim Schwimmen ertrunken ist oder erschossen wurde: Er ist ums Leben gekommen, erlag seinen Verletzungen oder starb eines gewaltsamen Todes. Nachrichtensprache ist nüchtern, sachlich. Umschreibende, bildhafte Begriffe und Wendungen: Fehlanzeige. Schließlich ist das ja das Wesen der Nachrichten: sprachliche Distanz zu wahren.

Weniger zimperlich ist hier die Umgangssprache. Da beißt jemand ins Gras, nippelt ab, segnet das Zeitliche oder gibt den Löffel ab – Wendungen, die Bilder im Kopf erzeugen. Wer ins Gras gebissen hat, liegt – wie ein im Kampf gefallener Soldat – mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Wer keinen Löffel mehr hat, dem fehlt ein wichtiger Teil des Essbestecks.

Jemand kann auch hopsgehen oder draufgehen, wenn er auf Mahnungen, vorsichtig zu sein, nicht hört. Eher derb sind Begriffe wie krepieren, verrecken oder abkratzen. Wer solche Wörter benutzt, hat in der Regel wenig übrig für eine sterbende oder verstorbene Kreatur – egal ob Mensch oder Tier.

Gefühlsmäßige Begleiter des Tabuthemas sind unter anderem Abschied, Trauer, Kummer, Schmerz, Tränen, Hilflosigkeit, Ohnmacht. Aber auch Wut, Hass, Ärger auf der einen, Freude, Liebe und große Dankbarkeit auf der anderen Seite. Positive wie manchmal auch negative Gefühle bleiben oft über den Tod hinaus, kennen kein Verfallsdatum.

Aber auch Gefühle können sterben, sterben ab, erfrieren wie Gliedmaßen, die nicht mehr durchblutet sind, wie Pflanzen, die keine Nahrung mehr bekommen oder geschädigt sind. Fehlende Liebe, Verletzungen, Enttäuschungen können Gründe sein. Mancher geht dann im übertragenen Sinn ein wie eine Primel, stirbt innerlich ab. Die Fachsprache kennt dafür den Begriff der „Depression“.

Biologisch gesehen läuft das Sterben in mehreren Stufen ab – bis zur letzten Stufe, dem Hirntod. Nach und nach sterben dann die Körperzellen ab, die körperliche Hülle zersetzt sich. Das, was übrig bleibt von einem menschlichen Wesen, sind die sterblichen Überreste, der Leichnam.

Denn noch ist es nicht gefunden, das Mittel, unsterblich zu werden, ewig zu leben. Seit Anbeginn seiner Existenz träumt der Mensch von der Unsterblichkeit. Wäre das ein wirklich erstrebenswerter Zustand?

Die Antworten darauf dürften so mannigfaltig sein, wie die Zahl an Menschen, die auf unserem Planeten leben – wie auch die Antworten auf dieses japanische Sprichwort: „Es ist leicht zu sterben, aber schwer zu leben.“

Die Endlichkeit des Seins The finitude of being La finitud del ser 存在の有限性 De eindigheid van het zijn A finitude do ser Конечность бытия Varlığın sonluluğu

Von Geburt an ist es klar: Das Leben wird einmal enden. From birth it is clear: life will end one day. Die deutsche Sprache ist dabei ein Spiegelbild des Umgangs in der Gesellschaft mit dem Thema. The German language is a reflection of how society deals with the topic. La lengua alemana es un reflejo de cómo la sociedad aborda el tema. Sie umschreibt und beschönigt, ist manchmal aber auch derb und direkt. It paraphrases and glosses over, but is sometimes also rough and direct.

Je älter ein Mensch wird, umso mehr ist er damit konfrontiert: mit der Tatsache, dass sein Leben einmal enden wird. The older a person gets, the more they are confronted with it: with the fact that their life will end one day. Für junge Menschen ist dieses Thema oft ganz weit weg. For young people, this topic is often very far away. Doch auch die Älteren sprechen nicht so gern darüber, schweigen es tot. But the older people don't like to talk about it either, they keep silent about it. Sterben – ich? To die - me? Nein. No. Der Tod, das finale Ende eines Lebens, und das Sterben, der Prozess, der zum Tod führt, sind Tabuthemen. Death, the final end of a life, and dying, the process that leads to death, are taboo subjects.

Wer mit anderen darüber redet, verwendet selten eine direkte Sprache. Anyone who talks about it with others rarely uses direct language. Stattdessen wird umschrieben und verhüllt statt klar formuliert. Instead, it is circumscribed and concealed instead of clearly formulated. Wendungen, die das Wort „sterben“ beinhalten, sind rar gesät, Euphemismen, beschönigende, weniger unangenehme Wörter und Wendungen, umso zahlreicher. Phrases that contain the word “to die” are few and far between, euphemisms, euphemisms, less unpleasant words and phrases, all the more numerous. So ist die letzte Stunde gekommen, sie schlägt oder die Uhr abgelaufen. So the last hour has come, it strikes or the clock has run out.

Das sind bildhafte Ausdrücke, denen eines gemeinsam ist: die Zeit. These are pictorial expressions that have one thing in common: time. Sie ist Symbol für die Vergänglichkeit alles Lebens auf der Welt. It is a symbol of the transience of all life in the world. Der Sterbende nimmt von ihr Abschied. The dying man bids her farewell. Und wenn die Zeit abgelaufen, das Lebenslicht erloschen ist, dann …? And when the time is up, the light of life is out, then ...? Ja, was dann? Yeah what then? Aus. Out. Ende. The End. Jemand hat die Augen geschlossen – für immer – und tritt seine letzte Reise an. Someone has closed their eyes - forever - and begins their last journey. Nur wohin? Just where?

Je nach Religion oder Glauben können das beispielsweise die ewigen Jagdgründe sein, in die jemand eingeht, die durch die Romane Karl Mays bekannt wurden, oder der Himmel, denn in die Hölle will ja keiner. Depending on religion or belief, this can be, for example, the eternal hunting grounds that someone enters, which became known through Karl May's novels, or heaven, because nobody wants to go to hell. Die Buddhisten hoffen darauf, irgendwann den Kreislauf des Wiedergeborenwerdens zu durchbrechen und endlich ins Nirwana einzugehen. The Buddhists hope to break the cycle of being born again at some point and finally enter nirvana.

Wer in den letzten Zügen liegt, also merkt, dass er die letzten Atemzüge tut, es bald mit ihm zu Ende geht, kann sein bisheriges Leben überdenken – sofern er geistig dazu noch in der Lage ist. Those who are on their last draws, so notice that they are taking their last breaths, that it will soon come to an end, can rethink their previous life - provided they are still mentally able to do so. Manch einer hat allerdings gar keine Zeit, sich Gedanken über das Sterben zu machen. However, some people don't have time to worry about dying. Denn er wird urplötzlich aus dem Leben gerissen. Because he is suddenly torn from life. Von einem Moment zum nächsten ist alles aus. From one moment to the next it's all over. Der Lebensfaden ist abgeschnitten. The thread of life is cut.

Und das kann irgendwann, irgendwo sein, auf einem Flug, während eines Café- oder Discobesuchs, im Straßenverkehr oder zu Hause vor dem Fernseher. And that can be at any time, anywhere, on a flight, during a visit to a café or disco, in traffic or at home in front of the television. Wer rechnet zum Beispiel schon damit, dass ein Pilot ein Flugzeug bewusst zum Absturz bringt, oder dass Terroristen, die einer Ideologie folgen, wahllos unschuldige Menschen hinmetzeln? Who expects, for example, that a pilot will deliberately crash an airplane, or that terrorists who follow an ideology will indiscriminately slaughter innocent people? Die Art und Weise, wie jemand ums Leben kommt, ist höchst verschieden. The way someone dies is very different. Und da ist sie – die Standardwendung der Nachrichtensprache, das Synonym für plötzliches Sterben. And there it is - the standard phrase in news language, synonymous with sudden death.

Ob jemand mit dem Auto gegen einen Baum geprallt ist, beim Schwimmen ertrunken ist oder erschossen wurde: Er ist ums Leben gekommen, erlag seinen Verletzungen oder starb eines gewaltsamen Todes. Whether someone hit a tree in their car, drowned while swimming or was shot: they have died, succumbed to their injuries or died a violent death. Nachrichtensprache ist nüchtern, sachlich. Communication language is sober, factual. Umschreibende, bildhafte Begriffe und Wendungen: Fehlanzeige. Descriptive, pictorial terms and expressions: Nothing. Schließlich ist das ja das Wesen der Nachrichten: sprachliche Distanz zu wahren. After all, that is the essence of the news: maintaining linguistic distance.

Weniger zimperlich ist hier die Umgangssprache. The colloquial language is less squeamish here. Da beißt jemand ins Gras, nippelt ab, segnet das Zeitliche oder gibt den Löffel ab – Wendungen, die Bilder im Kopf erzeugen. Someone bites into the grass, nipples, blesses the temporal or gives up the spoon - turns that create images in the head. Wer ins Gras gebissen hat, liegt – wie ein im Kampf gefallener Soldat – mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Anyone who has bitten into the grass lies face down on the ground, like a soldier who has fallen in battle. Wer keinen Löffel mehr hat, dem fehlt ein wichtiger Teil des Essbestecks. If you don't have a spoon anymore, an important part of the cutlery is missing.

Jemand kann auch hopsgehen oder draufgehen, wenn er auf Mahnungen, vorsichtig zu sein, nicht hört. Someone can hop or die if they don't listen to reminders to be careful. Eher derb sind Begriffe wie krepieren, verrecken oder abkratzen. Terms like die, die or scratch off are rather crude. Wer solche Wörter benutzt, hat in der Regel wenig übrig für eine sterbende oder verstorbene Kreatur – egal ob Mensch oder Tier. Anyone who uses such words generally has little left for a dying or deceased creature - whether human or animal.

Gefühlsmäßige Begleiter des Tabuthemas sind unter anderem Abschied, Trauer, Kummer, Schmerz, Tränen, Hilflosigkeit, Ohnmacht. Emotional companions of the taboo subject include parting, sadness, sorrow, pain, tears, helplessness, powerlessness. Aber auch Wut, Hass, Ärger auf der einen, Freude, Liebe und große Dankbarkeit auf der anderen Seite. But also anger, hatred, anger on the one hand, joy, love and great gratitude on the other. Positive wie manchmal auch negative Gefühle bleiben oft über den Tod hinaus, kennen kein Verfallsdatum. Both positive and sometimes negative feelings often remain after death and have no expiration date.

Aber auch Gefühle können sterben, sterben ab, erfrieren wie Gliedmaßen, die nicht mehr durchblutet sind, wie Pflanzen, die keine Nahrung mehr bekommen oder geschädigt sind. But feelings can also die, die off, freeze to death, like limbs that are no longer supplied with blood, like plants that are no longer fed or are damaged. Fehlende Liebe, Verletzungen, Enttäuschungen können Gründe sein. A lack of love, injuries, disappointments can be reasons. Mancher geht dann im übertragenen Sinn ein wie eine Primel, stirbt innerlich ab. In the figurative sense, some then die like a primrose, dying inside. Die Fachsprache kennt dafür den Begriff der „Depression“. The technical language knows the term “depression” for this.

Biologisch gesehen läuft das Sterben in mehreren Stufen ab – bis zur letzten Stufe, dem Hirntod. From a biological point of view, death takes place in several stages - up to the last stage, brain death. Nach und nach sterben dann die Körperzellen ab, die körperliche Hülle zersetzt sich. Gradually, the cells of the body then die off and the physical envelope decomposes. Das, was übrig bleibt von einem menschlichen Wesen, sind die sterblichen Überreste, der Leichnam. What is left of a human being is the remains, the corpse.

Denn noch ist es nicht gefunden, das Mittel, unsterblich zu werden, ewig zu leben. Because the means to become immortal, to live forever, have not yet been found. Seit Anbeginn seiner Existenz träumt der Mensch von der Unsterblichkeit. Since the beginning of his existence man has dreamed of immortality. Wäre das ein wirklich erstrebenswerter Zustand? Would that be a really desirable state?

Die Antworten darauf dürften so mannigfaltig sein, wie die Zahl an Menschen, die auf unserem Planeten leben – wie auch die Antworten auf dieses japanische Sprichwort: „Es ist leicht zu sterben, aber schwer zu leben.“ The answers to this should be as varied as the number of people who live on our planet - as well as the answers to this Japanese saying: "It is easy to die, but difficult to live."