Die Polizei im Haus und der Abstimmungssonntag
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Herzlich Willkommen zur Sendung „Zukker im Leben“ vom 16. März 2018. Die Einweihungsparty [1] in der WG bei uns im Haus ging bis morgens um 4 Uhr und es kam sogar die Polizei. Davon erzähle ich Ihnen heute. Brigit und ich haben wieder einmal zusammen Kaffee getrunken und über die Abstimmungen diskutiert. Ob Brigit und ich uns einig wurden, erfahren Sie ebenfalls heute. Viel Vergnügen!
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Es ist Samstagabend und Anna ist bei mir. Wir kochen und trinken Rotwein. Anna hat Liebeskummer, schneidet Zwiebeln für die Pastasauce und behauptet, sie weine wirklich nur wegen der Zwiebeln. Ich würde ihr gerne helfen, damit der Liebeskummer schneller vergeht[2], aber das einzige, was eine Freundin da machen kann, ist: Zuhören und Essen und Alkohol auftischen [3]. Anna will aber gar nicht erzählen, sie ist einfach nur wütend und ich weiss, dass sie dann schon irgendwann von diesem Mann erzählen wird, wenn sie soweit ist. Wir schauen einen Horrorfilm. Ich mag Horrorfilme gar nicht, weil ich so schreckhaft bin. Aber wer Liebeskummer hat, darf bestimmen, was geschaut wird. Gerade wird einer Frau der kleine Finger abgeschnitten und sie schreit sehr laut. Als die Frau schon lange nicht mehr im Bild [4] ist,hören Anna und ich immer noch ein lautes Geschrei. Anna stellt den Film stumm und sagt: „Nora, woher kommt dieses Geschrei? Es klingt nicht so, als wird jemand geschlachtet [5], sondern nach richtig viel Spass!“Jetzt fällt es mir wieder ein. Heute ist die Einweihungsparty in der WG bei uns im Haus. Ich sage zu Anna: „Ich wäre eigentlich eingeladen,wollen wir runter gehen, damit du etwas abgelenkt [6] bist?“ Anna überlegt, lacht und sagt: „Dir ist alles lieber, als einen Horrorfilm zu schauen, oder?“ Wie Recht sie hat. Eine halbe Stunde später stehen wir in der Küche der WG zwischen jungen Menschen mit gefärbten Haaren und Tattoos, die farbigen Wodka trinken und sich auf ihren SmartphonesVideos zeigen und Instagram Accounts vergleichen. Anna und ich holen uns ein Bier aus dem Kühlschrank und gehen ins Wohnzimmer, wo wir von Vanessa begrüsst werden. Sie fällt mir um den Hals [7] und schwankt [8] schon ziemlich stark, aber sie freut sich wahnsinnig, dass wir hier sind. Dann schaut sie mich mit grossen Augen an und sagt: „Nora, bitte sag Brigit nicht, dass wir in der Wohnung kiffen!“ Ich schaue zum Sofa, auf dem sich drei junge Menschen gegenseitig in den Armen liegen und alle ein breites Grinsen im Gesicht haben. „Ach, Jugend!“ seufzt Anna und füllt sich einen Becher mit der Bowle [9], die in einer Salatschüssel auf dem Wohnzimmertisch steht. Dann unterhält sie sich mit zwei jungen Männern über Hip Hop Musik.Ich will gerne ins Bett und suche Vanessa, um mich zu verabschieden.Als ich in den Flur komme, stehen dort zwei Polizisten mit ernster Miene[10] und fragen mich, wer hier wohnt. Ich sage den Polizisten die Namen,will damit aber wirklich nichts zu tun haben. Als ich Anna aus dem Wohnzimmer holen will, liegt sie oben ohne [11] und lachend auf dem Boden. Um Himmels Willen! Ich richte sie auf [12]und gebe ihr ihre Kleider. Dann frage ich die beiden Jungs, was passiert sei. Der eine schaut mich an und sagt ziemlich entspannt: „Sie hat von der Bowle getrunken.“ Ich schaue ihn fragend an. Der andere sagt dann: „Bowle? MDMA [13]- Bowle? Kennt man das in eurem Alter nicht mehr?“
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Mein Telefon klingelt. Brigit ruf an und sagt: „Nora, kommst du zum Kaffee zu mir runter?“ Ich muss lachen und sage: „Bist du zu faul [14], um schnell bei mir zu klingeln?“ Brigit lacht auch und ich sage ihr, dass ich gerne komme. Auf meinem Küchentisch liegt das Couvert [15] für die Abstimmung [16] vom 4. März. Ich muss nach dem Kaffee direkt zur Arbeit und sollte es heute noch einwerfen, damit ich am Sonntag der Abstimmung nicht früh am Morgen an die Urne [17] gehen muss. Bei Brigit liegt das Couvert auch auf dem Küchentisch. Als ich mich setze sagt sie: „Ich habe keine Ahnung, warum ich pro Jahr 365.- bezahlen soll, wenn ich fast nie Radio höre oder fernsehe.“ Ich sage zu Brigit, dass ich auch Serien bei Netflix schaue oder Musik im Internet höre,aber für die Krankenkasse müssten wir ja auch bezahlen, auch wenn wir nicht ständig krank sind. Brigit beklagt sich über die schlechten Sendungen im Schweizer Fernsehen und sagt dann, dass sie eigentlich nur die Tagesschau schaue oder die Nachrichten im Radio höre. Ich sage zu ihr: „Weisst Du Brigit, das Problem bei dieser Abstimmung ist der Name. Natürlich will niemand Geld für etwas bezahlen, was er nicht konsumiert [18]. Aber es geht eben um etwas Grundsätzliches. Es müsste heissen No-SRF und nicht No-Billag [19].“ Brigit rümpft die Nase. Ich erkläre ihr, wenn die Abstimmung so ausfalle, dass viele Menschen für die Abschaffung derRadio- und Fernsehgebühren sind, dann werde das SRF, also das öffentliche Radio- und Fernsehunternehmen schliessen müssen. Und dann fehlt in unserem Land ein Medienhaus, das uns unabhängig und möglichst objektiv informiert. Das wäre ein Angriff auf unsere Demokratie [20] und man wisse nicht, wer dann künftig dafür sorge, dass die Schweiz in vier Landessprachen ausgewogen [21] informiert werde. Brigit denkt lange nach, zündet sich eine Zigarette an und sagt dann:„Das wäre eine Katastrophe! Das würde ja bedeuten, dass reiche Menschen mit viel Einfluss plötzlich Informationen verbreiten könnten und uns damit manipulieren [22] würden!“ Ich lache und sage, dass es wahrscheinlich nicht gleich zu einer Diktatur [23] komme, aber es sei schon ziemlich wichtig, dass viele Menschen Nein zur No-Billag Initiative stimmen. Brigit füllt gleich ihren Stimmzettel [24] aus, ich nehme ihn mit und werfe unsere beiden Couverts in den nächsten Briefkasten. Als ich am Sonntag 4. März aufwache, bin ich nervös. Um 12:30 Uhr kann ich endlich aufatmen. Mit 71,6 % hat die Schweizer Bevölkerung die No-Billag Initiative deutlich abgelehnt. Draussen scheint nach zwei Wochen Nebel und Kälte endlich die Sonne, der Frühling kündigt sich an und ich weiss; heute ist ein sehr guter Sonntag für die Schweiz.
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Ich freue mich sehr, wenn ich Ihnen am 29. März, ausnahmsweise am Donnerstag, auf podclub.ch und in der App wieder aus meinem Leben erzählen darf. Wir mussten mit allen Nachbarn eine Krisensitzung einberufen [25]. Wie das war, erzähle ich Ihnen sehr gerne. Anna hat sich mit Steve getroffen, um sich von ihrem Liebeskummer abzulenken. Wie das war, erfahren Sie ebenfalls in der nächsten Sendung. Und jetzt möchte ich meiner Kollegin Isabelle ganz herzlich zu ihrer 50. Sendung gratulieren! Wie wunderbar! Oh und übrigens, sie würde sich freuen, wenn Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ihr ein französisches Wort, das Sie komisch oder auch lustig finden, schicken.Einfach als Kommentar auf der französischen Website Balades. Und dann schauen Sie doch in der Zwischenzeit bei Instagram unter#PodClubNora und #zukkerimleben vorbei und üben Sie mit dem Vokabeltrainer in unserer App. Auf Wiederhören! Glossar: Zukker im Leben (D) [1] die Einweihungsparty: ein Fest in einer neuen Wohnung
[2] etwas vergeht: etwas hört auf
[3] auftischen: servieren
[4] im Bild sein: zu sehen sein
[5] schlachten: umbringen
[6] ablenken: auf andere Gedanken bringen
[7] um den Hals fallen: fest umarmen
[8] schwanken: nicht gerade stehen
[9] die Bowle: alkoholhaltiges Getränk mit Früchten
[10] die Miene: Gesichtsausdruck
[11] oben ohne: nackt (auf den Oberkörper bezogen)
[12] sich aufrichten: gerade hinsetzen
[13] MDMA: Droge, die Menschen locker, hemmungslos macht
[14] faul sein: sich nicht bewegen wollen
[15] das Couvert: der Briefumschlag
[16] die Abstimmung: etwas, worüber die Bevölkerung entscheiden muss
[17] die Urne: hier: Gefäss, in das die Abstimmungszettel geworfen werden
[18] konsumieren: benutzen
[19] die No-Billag-Initiative: eidgenössische Volksinitiative „Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren“
[20] die Demokratie: politisches System, wo die Bevölkerung durch Wahlen mitbestimmen kann
[21] ausgewogen: gleichmässig
[22] manipulieren: beeinflussen
[23] die Diktatur: Gesellschaft, die von einem Machthaber regiert wird
[24] der Stimmzettel: das Formular für die schriftliche Stimmabgabe
[25] einberufen: zusammentrommeln, zusammenkommen