Der Junge mit der Zahnlücke und der Mann, der unbedingt Kinder will
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Herzlich Willkommen zur Sendung „Zukker im Leben“ vom 2. Februar 2018. Tom ist ausgezogen, warum fragen Sie sich? Ja, ich war auch sehr überrascht. Davon werde ich ihnen heute erzählen. Und ich hatte ein Date letzte Woche. Das war sehr komisch. Ich bin sehr froh, dass ich diesen Mann nie wieder sehen werde. Was da genau passiert ist, erfahren Sie ebenfalls heute! Viel Vergnügen!
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Als ich gestern Abend nach Hause gekommen bin, standen vor der Wohnungstüre von Tom Schuhe. Das ist natürlich nicht aussergewöhnlich, ausser dass es Brigit lieber wäre, wenn wir alle unsere Schuhe mit in die Wohnung nehmen. Sie sagt immer: „Weisst Du Nora, es ist sehr wichtig, dass im Treppenhaus nichts steht, falls es einmal brennt. Dann müssten wir alle sehr schnell aus dem Haus flüchten [1] und wenn dann jemand über Schuhe stolpert [2], kann man sich ganz schlimm verletzen.“ Gut, es hat zum Glück noch nie gebrannt und es soll jetzt auch nicht um Brigit gehen, sondern um Tom. Auf jeden Fall standen neben den Turnschuhen von Tomkleine Kinderschuhe. Ich blieb stehen und habe sie lange angeschaut. Es waren so kleine Nike-Turnschuhe für ein etwa fünfjähriges Kind. Hat Tom ein Patenkind [3]? Ist es das Mädchen oder der Junge seiner Schwester? Oder hat Tom selber ein Kind? Nein, das kann nicht sein, das hätte er mir sicher erzählt. Heute Morgen, ich bin mit meinem überfüllten [4] Wäschekorb auf dem Weg in die Waschküche, geht die Tür bei Tom auf und er kommt mit zwei Kisten aus der Wohnung. Neben ihm steht ein Junge mit einer grossen Zahnlücke [5] und streckt mir die Zunge raus. Ich lache und sage zum Jungen: „Das ist aber eine schöne Begrüssung von dir!“ und dann strecke ich ihm auch die Zunge raus, das findet er sehr lustig. Tom bekommt rote Flecken [6] am Hals, stellt die Kisten auf den Boden und schaut mich an, als müsste er sich für den Jungen mit der Zahnlücke rechtfertigen [7]. Tom sagt zu mir: „Das ist Paul, mein Sohn.“ Ich schaue die beiden an und sehe, dass sie beide ein Muttermal [8] unter dem linken Auge haben. Ich sage zu Tom: „Von Paul hast du gar nie erzählt.“ Paul lacht ganz laut und bevor Tom antworten kann, sagt Paul zu mir: „Papa war sehr wütend auf Mama, weil sie einen neuen Mann hat und der wohnt in Deutschland und ich und Mama haben dann auch in Deutschland bei Uwe gewohnt. Ich finde Uwe auch blöd und wohne jetzt beim Papa.“ Tom ist es sehr peinlich und er sagt zu mir: „Es ist natürlich alles etwas komplexer [9]. Ich bin kein schlechter Mann und auch kein schlechter Vater, der sein Kind im Stich lässt [10].“ Das hätte ich auch gar nicht gedacht, aberwenn jemand extra betont [11], dass er kein schlechter Mensch ist, dann ist das etwas unbeholfen [12], finde ich. Jetzt ist es unangenehm still.Ich sage zu Tom: „Zieht ihr jetzt um?“ Tom schaut mich an, streicht Paul über den Kopf und sagt zu mir: „Ja, wir ziehen zu meiner Freundin. Sie hat eine grössere Wohnung und eine kleine Tochter, die gleich alt ist wie Paul.“ Ich nehme den Wäschekorb, wünsche den beiden viel Glück für alles und gehe in die Waschküche. Tom hat einen Sohn und eine Freundin? Zum Glück habe ich mich nie in ihn verliebt. Ich muss das unbedingt Brigit erzählen, wenn wir das nächste Mal zusammen Kaffee trinken.
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Ich habe keine Erfahrung, wenn es um Onlinedating geht. Ich war noch nie auf einer Plattform [13], die sich um die Partnervermittlung [14] kümmert, weil ich Männer immer über meine Freunde kennen gelernt habe. Am ersten Januar nach Silvester habe ich mir mit meiner Freundin Anna einen Spass daraus gemacht [15] mich bei einer Plattform anzumelden. Anna ist ein Profi, sie trifft regelmässig Männer, die sie online kennen lernt. Also habe ich mir ein Profil eingerichtet, zwei drei Fotos von mir hochgeladen und zehn Minuten später schrieb der erste Mann. In den wenigen Sätzen waren so viele Schreibfehler, dass ich ihn gleich gelöscht habe. Aber dann schrieb ein anderer Mann, der sehr gut aussieht. Schwarze Locken und Bart. Wir haben hin und her geschrieben und als er fragte, ob wir uns nicht heute Abend treffen wollen, sagte Anna zu mir: „Triff ihn unbedingt! Es ist der erste Januar heute. Ein Date ist das beste, um das neue Jahr anzufangen.“ Anna hat mich also überredet. [16] Als ich in die Bar komme, sitzt er schon am Tresen [17]. Wir wissen zum Glück sofort, dass wir verabredet sind, weil ich ihm geschrieben habe, dass ich einen orangen Schal trage. Wir bestellen uns ein Glas Rotweinund kommen sofort ins Gespräch. Er heisst Manuel und arbeitet als Sozialarbeiter mit schwer erziehbaren [18] Jugendlichen. Nachdem wir eine halbe Stunde über seine und meine Arbeit reden und uns tief in die Augen geschaut haben, fragt mich Manuel: „Möchtest Du Kinder?“ Ich muss lachen und sage: „Nein, im Moment nicht.“ Was ist das auch für eine komische Frage an einem ersten Date. Manuel denkt kurz nach und sagt dann: „Okay. Ich will eben Kinder in den nächsten zwei Jahren. Ich verdiene genug Geld und werde in zwei Wochen 38. Ich habe keine Zeit mehr zu warten und suche jetzt eine Frau, die mit mir eine Familie gründen will.“ Ich schaue ihn an und sage dann: „Das finde ich lustig. Meistens sind es Frauen, die in diesem Alter Angst haben, dass sie keinen Mann mehr finden, der mit ihnen eine Familie gründet. Aber du könntest ja noch mit 50 Vater werden.“ Manuel lacht nicht. Er meint das wirklich ernst und sagt dann: „Nora, ich denke dann können wir unser Treffen hier auch abbrechen. Ich darf bei der Suche nach der passenden Frau keine Zeit verlieren.“ Bevor ich etwas sagen kann, ist er schon aufgestanden und hat für uns beide den Wein bezahlt. Er zieht seine Jacke an und umarmt mich zum Abschied. Dann sagt er: „Nora ich wünsche dir wirklich viel Erfolg bei der Suche nach einem Mann, der zu dir passt.“ Ich sage zu Manuel: „Ich wünsche Dir auch viel Erfolg, vielleicht kommt es aber besser, wenn du dich etwas entspannst. Nur so als Tipp von mir.“ Ich bleibe noch am Tresen sitzen, trinke ein Glas Rotwein und unterhalte mich mit dem Kellner [19], der das Gespräch zwischen Manuel und mir belauscht [20] hat. Ohne dass ich den Kellner nach seiner Meinung frage, sagt er zu mir: „Sei froh, dass du diesen Typen los geworden bist. Er sass nämlich gestern schon hier und hat einer anderen Frau genau die gleiche Geschichte erzählt.“ Als ich nach Hause spaziere, überlege ich, ob ich die App der Plattform löschen soll, aber dann schreibt schon ein neuer Mann.
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Ich freue mich sehr, wenn ich Ihnen am 16. Februar auf podclub.ch und in der App wieder aus meinem Leben erzählen darf. Brigit war mit Viktor für ein Wochenende in Paris und hat mir natürlich erzählt, wie es war.Und wissen Sie was? Obwohl ich keinen guten Start hatte beim Onlinedating, werde ich weiter machen. Wie ich den Valentinstag verbracht habe, werde ich Ihnen das nächste Mal erzählen. Schauen Sie doch in der Zwischenzeit bei Instagram unter #PodClubNora und #zukkerimleben vorbei und üben Sie mit dem Vokabeltrainer in unserer App. Auf Wiederhören! Glossar: Zukker im Leben (D) [1] flüchten: sehr schnell einen Ort verlassen müssen
[2] stolpern: beim Gehen ungeschickt laufen, vielleicht sogar über etwas fallen
[3] das Patenkind: Eltern wählen jemanden aus, der ab der Geburt eine spezielle Bezugsperson für das Kind ist, bei der Taufe dabei ist und im Todesfall der Eltern vielleicht sogar das Sorgerecht übernimmt
[4] überfüllt: wenn man in ein Gefäss zu viele Sachen packt
[5] die Zahnlücke: der Abstand zwischen zwei Zähnen, bei Kindern, wenn sie die Milchzähne verlieren
[6] rote Flecken bekommen: wer aufgeregt und gestresst ist, kann rote Flecken auf der Haut bekommen
[7] rechtfertigen: immer wieder betonen, dass etwas so ist, wie es ist, sich gegen mögliche Kritik wehren
[8] das Muttermal: ein brauner Fleck auf der Haut, den man seit der Geburt hat
[9] komplex: kompliziert und nicht ganz einfach
[10] jemanden im Stich lassen: sich nicht um jemanden kümmern, jemanden alleine lassen
[11] betonen: wenn etwas sehr wichtig ist, immer wiederholen, dass es wichtig ist
[12] unbeholfen: ungeschickt
[13] die Plattform: ein Ort, wo Menschen mit ähnlichen Interessen aufeinander treffen
[14] die Partnervermittlung: Apps und Webseiten, wo sich Menschen kennen lernen, die eine Beziehung suchen (Parship, Tinder u.ä.)
[15] sich einen Spass aus etwas machen: etwas nicht ganz ernst nehmen, spielerisch sein
[16] überreden: wenn man immer wieder betont, dass jemand etwas bestimmtes tun soll
[17] der Tresen: eine Theke an der man in einer Bar sitzt
[18] schwer erziehbar: Kinder oder Jugendliche mit Verhaltensstörungen, die deshalb in der Erziehung schwierig sind
[19] der Kellner: jemand der in einer Bar arbeitet oder in einem Restaurant
[20] belauschen: heimlich bei einem Gespräch zuhören