×

Wir verwenden Cookies, um LingQ zu verbessern. Mit dem Besuch der Seite erklärst du dich einverstanden mit unseren Cookie-Richtlinien.


image

DW Marktplatz, Der Kiosk (1)

Der Kiosk (1)

Montag früh in Deutschland. Millionen Menschen sind auf dem Weg zur Arbeit. Die meisten machen vorher noch einen schnellen Einkauf.

Morgen, Herr Berger. Sie sind aber später dran heute

Moin-moin, ja die ganze Familie hat verschlafen. Ich bin heut' Nacht von der Kegeltour zurückgekommen - einmal Mallorca, nie wieder. Na ja, erzähl' ich Ihnen morgen. Und die Kinder hatten Disco in der Schule. Haben auch keinen Wecker gehört. Ist ja auch kein Wunder, stundenlang dieses Techno-Gedröhne - da würd' ich auch taub. Haben Sie alles?

Klar doch. Sechs Brötchen, drei Flaschen Kakao, Ihre Zigaretten, dreimal die 'Bild' und den 'Spiegel'.

Gut. Geben Sie mir noch die Tageszeitung. Ich will mal sehen, wie TuS Hansa gespielt hat letzte Woche. Wär' ich vielleicht besser hingegangen als nach Mallorca zu fliegen.

Tut mir leid. Aber die Zeitung ist noch nicht da. Ich hab' grad angerufen, die kommen gleich liefern.

Nee, nee, ich muss jetzt los. Bis morgen dann

Okay, bis morgen. Schönen Tag auch.

Ach, von meiner Frau soll ich noch sagen: Der Kuchen gestern war große Klasse. Schönen Dank nochmals.

Gern geschehen...

Die fehlende Tageszeitung ist nicht das einzige Problem, das Kiosk-Besitzer Kuno Wünsche an diesem Montag hat. Heute ist für ihn ein Tag mit noch mehr unangenehmen Überraschungen.

In Deutschland gibt es etwa 25.000 Kioskbetriebe. Diese kleinen Geschäfte erwirtschaften einen Umsatz von rund zehn Milliarden D-Mark pro Jahr. Fast jeder Kiosk ist ein Familienbetrieb.

Das bedeutet: Hier arbeiten die Inhaber selbst. Angestellte zu beschäftigen ist teuer. Der Überschuss, also die Differenz zwischen Einnahmen und Kosten, ist meist nicht groß genug, um Personal bezahlen zu können.

Aber einen Kiosk zu betreiben, heißt viele Stunden Arbeit. Der Kioskbetreiber steht schon längst in seinem Laden, wenn andere erst auf dem Weg zur Arbeit sind. Wie der Tag beginnt, erzählt Kioskbesitzer Wolfgang Wilhelm:

Meine Werbesachen rausstellen, die Zeitungswerbung, Zeitungsständer - dann den Mülleimer. Dann hier drinnen die Zeitungsstapel, die angeliefert werden, kontrollieren auf Richtigkeit, die Zeitungen einsortieren, damit sie griffbereit liegen, wenn die Kunden kommen...

Ein Kiosk lebt ganz wesentlich von seinen Stammkunden. Also, von den Leuten, die regelmäßig mindestens einmal am Tag kommen. Wichtig für Überleben und Erfolg eines Kiosks ist seine örtliche Lage.

Die nennt man Standort. Wichtig für den Standort ist, dass der Kiosk an einer vielbefahrenen Durchgangsstraße liegt oder an einer Haltestelle von Untergrundbahn, Autobus oder Eisenbahn.

Wenn dann noch ein großes Wohngebiet in der Nähe liegt, eine Fabrik, große Verwaltungsgebäude oder eine Schule, dann ist der Standort gut. Was ein Kiosk an Waren in jedem Fall haben muss, erzählt Wolfgang Wilhelm:

Also, die Zeitungen, Tabakwaren, Süßwaren, - im Moment mit 112 Artikeln - Getränke, - alkoholfreie wie Cola, Fanta, Mineralwasser, Limo so noch, dann Wein, Schnaps, Bier in verschiedenen Sorten, - im Moment 15 verschiedene Sorten, Kuchen, also und Brötchen.

Tageszeitungen, Zeitschriften, Tabakwaren, Süßwaren und Getränke. Ein Kiosk darf in Deutschland praktisch alles verkaufen - außer frischen und verderblichen Lebensmitteln. Aber auch hierfür gibt es Möglichkeiten und Ausnahmen. Neben dem richtigen Standort ist die Persönlichkeit des Kioskbetreibers der nächstwichtige Faktor für den Erfolg.

Die Schwierigkeiten sind, beim Publikum anzukommen. Wenn Sie einen Kiosk übernehmen und schon einen Grund-Kundenstamm haben, geht es noch, den können Sie zum größten Teil übernehmen. Aber wenn Sie ganz von vorne anfangen, ist es doch schwierig, die Kunden zu binden und die Kunden auch davon zu überzeugen, dass dieser Kiosk der richtige ist.

Wie überzeugt man die Kunden davon, dass dieser Kiosk der "richtige" ist?

Durch Freundlichkeit den ganzen Tag, ein freundliches Wort zu den Kunden. 'Ne große Auswahl an Ware, und vor allen Dingen Qualität an Ware. Damit... , dann sind die Kunden auch bereit, mal 'nen Pfennig mehr zu bezahlen, weil sie wissen, das ist Qualität, da zahle ich woanders auch was mehr für.

Kuno Wünsche und seine Frau Elisabeth haben ihren Kiosk erst seit einigen Monaten. Zu ihrer Kundschaft haben sie, wie wir schon hörten, ein gutes Verhältnis. Für heute morgen war, wenn auch mit Verspätung, Walter Berger der letzte der Stammkunden.

Es ist jetzt kurz vor halb neun. Kioskbesitzer Kuno Wünsche hat schon fast vier Stunden Arbeit hinter sich. Jetzt, nach dem morgendlichen Ansturm, kehrt etwas Ruhe ein. Zeit für eine erste Kontrolle, aber auch für den ersten Ärger an diesem Tag.

Sag' 'mal, sag' 'mal. Das stimmt doch wieder nicht! Soviel Zeitungen, wie die mir berechnen, haben wir doch letzte Woche gar nicht gehabt! Was wollen die heute abbuchen? 4.600 Mark! Das kann doch nicht angehen!

Hallo Kuno. Alles in Ordnung?

Ach, Elisabeth, hallo... Ja. Doch, alles wie immer. Nur die Abrechnung vom Zeitungsgrossisten stimmt hinten und vorne nicht...

Was? Schon wieder nicht?

Nein. Die haben mindestens 800 Stück mehr abgerechnet als wir letzte Woche bekommen haben. Und die wollen heute 4.600 Mark abbuchen. Ruf bitte den Grossisten an und auch die Bank. Das muss gestoppt werden.

Kannst du das nicht selber machen?

Nein, ich muss noch den Kuchen von gestern abrechnen.

Na gut. Bis später dann.

Ja. Wenn du so gegen zwölf Uhr kommst, wär' schon gut.

Zeitungen, Tabakwaren und Getränke sind für jeden Kiosk die wichtigsten Artikel. Deshalb kommen die meisten Kunden; und weil der Kiosk schon in aller Frühe geöffnet hat, wenn in den meisten anderen Geschäften in Deutschland noch nichts los ist.

Bei Tabakwaren ist die Verdienstspanne, also der Unterschied zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis, nicht groß. Es sind weniger als zehn Prozent. Anders bei Zeitungen: Sie bringen um die 20 Prozent.

Bei Getränken kann die Verdienstspanne noch größer sein. Denn der Kioskbesitzer ist frei, hier den Verkaufspreis selbst festzusetzen. Anders bei Tabakwaren und Zeitungen. Sie unterliegen in Deutschland der sogenannten Preisbindung. Das heißt: nicht der Verkäufer setzt den Preis fest, sondern der Hersteller.

Bei Tabakwaren ist auch der Staat an der Preisbildung beteiligt. Denn die Tabaksteuer treibt - wie beim Benzin die Mineralölsteuer - den Preis nach oben. Wie jede Zigarettenmarke hat auch jede Zeitung ihren festen Preis in ganz Deutschland. Den Preis einer Zeitung setzt der Hersteller, das ist der Zeitungsverlag, fest. Was der Zeitungskäufer zahlt, wird zwischen dem Verlag, dem Großhandel und den Verkäufern aufgeteilt. Und manchmal steckt in der Aufteilung ein bedrohlicher Fehler. Gefährlich für den Verkäufer im Kiosk.

12, 13, 14 Zwanziger am Donnerstag, 12 am Freitag, und am Samstag... (Telefon-Klingeln) Ja, Wünsche. - Elisabeth. - Was?! Die haben das ganze Geld schon abgebucht! Das kann doch wohl nicht wahr sein! Dann ist das Konto wieder blank.

Aber ich muss doch heute Mittag den Getränkelieferanten bezahlen! Du, ruf' den bitte sofort an, dass wir ausnahmsweise erst morgen zahlen. Nein, die Einnahmen von gestern sind noch nicht auf dem Konto. Das wollte ich auch heute Nachmittag machen. Ruf' auch den Grossisten an.

Die sind ja wohl wahnsinnig. Das sieht mir alles danach aus, als hätten wir diesmal die Rechnung von zwei Kiosken. Wir haben aber nur einen oder was?! - Wenn ich könnte, würde ich noch heute den Grossisten wechseln!

Genau das aber kann Herr Wünsche nicht. In einer Marktwirtschaft gibt es üblicherweise mindestens zwei Anbieter für die gleiche Leistung in einer Stadt. Nicht so im Großhandel, also in der Vermittlung zwischen dem Hersteller und dem Endverkäufer von Zeitungen und Zeitschriften. Diesen Großhändler nennt man Grossist. In vielen deutschen Städten gibt es jeweils nur einen Zeitungsgrossisten.

Der hat ein Monopol und beliefert alle Kioske und alle Geschäfte. Die Grossisten bestimmen gegenüber den Verkäufern die Bedingungen. Dazu gehört auch die Abrechnung. Sie ist sehr kompliziert. Der Großhändler lässt sich stets alle Zeitungen bezahlen, die er liefert.

Er bestimmt auch, wie viele Zeitungen er an jede Verkaufsstelle gibt. Die Zeitungen, die ein Kiosk nicht verkauft, muss der Großhändler wieder zurücknehmen. Dafür gibt er dem Kiosk eine Erstattung, eine Gutschrift.

Der Kiosk zahlt also immer im Voraus, bevor er selbst verkauft. Die Gutschrift bekommt er immer erst später. Deshalb hat der Grossist regelmäßig mehr Geld von seinen Kunden, den Endverkäufern, als ihm zusteht.

Morgen Herr Wünsche. Hier sind die Tageszeitungen...

Die können Sie gleich wieder mitnehmen, Herr Kröger. Sind die denn verrückt bei Ihnen? Es ist schon bald Mittag, und Sie kommen jetzt mit der Frühstückszeitung!

Machen Sie mich nicht an, Herr Wünsche. Ich kann nichts dafür. Was glauben Sie, was ich hinter mir habe. In der Druckerei von denen war heute früh ein Feuer. Alles zu spät hier für die Innenstadt. Ich renne mir die Hacken ab. Sie sind nicht der Einzige, der dran glauben muss.

Ist jetzt auch egal. Ich habe heute sowieso nur Ärger mit euch. Die ganze Abrechnung für die letzte Woche ist falsch. Ihre Firma hat mir zuviel abgebucht. Und jetzt kommt die Tageszeitung, wenn alle Stammkunden längst weg sind. Wie soll ich denn da noch 'was verdienen?

Mit den Abbuchungen, da hab' ich nichts zu tun. Da müssen Sie die Buchhaltung fragen.

Das hat meine Frau längst gemacht.

Also, nehmen Sie jetzt die Zeitungen? Ich kann hier keine Plauderstunde mit Ihnen halten. Ich muss weiter. Später komm' ich noch mal, um die Remissionen zu holen.

Ja, ich nehm' sie, ich hab ja nichts zu verschenken.

Remissionen, das ist der Ausdruck für die Zeitungen, die der Verkäufer zurückgibt, weil er sie nicht verkaufen konnte. Der Lieferant, Herr Kröger, der die Zeitungen verspätet zum Kiosk gebracht hat, ist ein Angestellter des Grossisten und hat mit dem Abrechnungsproblem nichts zu tun. Aber natürlich bekommt er den Ärger von Herrn Wünsche, den Ärger über das offenbar zu Unrecht abgebuchte Geld, zu spüren.

Barzahlung oder Abbuchung - das ist die Zahlungsbedingung im Zeitungshandel. Mit der Abbuchung gibt der Kioskbesitzer dem Grossisten eine Vollmacht über sein Konto. Mit dieser Vollmacht holt sich der Grossist das Geld immer ganz schnell.

Abbuchungen sind normalerweise ein gutes Verfahren, mit dem Lieferanten und Kunden einen Zahlungsvorgang reibungslos und zu geringen Kosten erledigen. Normalerweise, das heißt: solange kein Fehler passiert.

Gut, dass du kommst, Elisabeth. Nun, was sagt der Grossist?

Die prüfen noch. Die Frau in der Buchhaltung sagt, dass es eine Verwechslung sein kann. Aber: Um das herauszufinden, müssen sie die Abrechnungen aller anderen Kunden auch prüfen. Und sie wollen unsere Remissionen von heute abwarten.

Na Klasse. Der Fahrer war vor gut 'ner Stunde hier, hat die Tageszeitungen gebracht. Der hatte es aber wegen der Verspätung so eilig gehabt...

Ach ja, genau. Im Radio haben sie gesagt, in der Druckerei hätte es heute früh gebrannt. Es soll auch einen Verletzten gegeben haben.

Hmmh, also wegen der Verspätung war der Kröger so eilig, dass er für die Remissionen noch mal vorbeikommen will. Du, also ich fahr' jetzt auf die Bank, und dann zum Getränkelieferanten. Ich hab' hier noch 'ne Vorbestellung für die Jugendmannschaft von TuS Hansa. Die jungen Fußballhelden wollen Cola und Limonade heute Nachmittag.

Ja, dann bring' doch die Einnahmen vom Wochenende am besten direkt zum Getränkelieferanten. Der hat nämlich am Telefon gesagt, wenn wir die Rechnung von letzter Woche heute nicht bezahlen, gibt es ab sofort Lieferung nur noch gegen Bargeld. Was ist los, Kuno? Sind wir pleite?

Nee, Elisabeth, nee, nee. Aber das zuviel abgebuchte Geld für die Zeitungen muss sofort zurück. Übermorgen ist der Erste. Na und wenn die Bank sich sperrt und die Miete nicht überweist, dann kriegen wir ein echtes Problem. Du, ich fahr' jetzt. Tschüss, mein Schatz.

Ein Kioskgeschäft ist völlig abhängig von seinem täglichen Umsatz. Der Verkauf im Kiosk geht nur über Bargeld. Die Einnahmen müssen regelmäßig zur Bank gebracht werden. Denn die meisten Lieferanten, der Vermieter und das Finanzamt wollen ihr Geld nicht bar sondern über eine Zahlung von einem Konto. Das Geld, das im Kiosk täglich eingenommen wird, gehört also noch lange nicht dem Kioskbesitzer. Auch daran erinnert Wolfgang Wilhelm:

Das Geld, was ich abends in der Kasse habe, ist nicht mein Geld. Ich muss daran denken, dass ich von dem Geld Ware kaufen muss. Ich muss die Miete für den Kiosk bezahlen - wenn Miete gezahlt wird - ich muss Steuern abgeben, die ganzen Umlagen, die ich habe, und das, was über ist, das ist erst mein Geld.

Und viele Leute machen das eben falsch und gehen hin und nehmen das aus der Kasse raus und meinen, sie könnten damit leben. Das ist an für sich der größte Fehler, den man machen kann. Damit geht man innerhalb von Wochen baden.

Fehler, die ihre Ursache in mangelhaftem kaufmännischem Verständnis haben, sind nicht das Problem von Kuno und Elisabeth Wünsche. Der Fehler, der bei ihnen an diesem Montag das Geld knapp werden lässt, ist woanders gemacht worden: in der Buchhaltung des Zeitungsgrossisten.

Hallo Frau Wünsche, wo ist denn ihr Mann?

Der ist unterwegs. Wollen Sie die Remissionen holen?

Ja, genau. Und ich hab' eine gute Nachricht für Sie.


Der Kiosk (1)

Montag früh in Deutschland. Millionen Menschen sind auf dem Weg zur Arbeit. Die meisten machen vorher noch einen schnellen Einkauf.

Morgen, Herr Berger. Sie sind aber später dran heute

Moin-moin, ja die ganze Familie hat verschlafen. Ich bin heut' Nacht von der Kegeltour zurückgekommen - einmal Mallorca, nie wieder. Na ja, erzähl' ich Ihnen morgen. Und die Kinder hatten Disco in der Schule. Haben auch keinen Wecker gehört. Ist ja auch kein Wunder, stundenlang dieses Techno-Gedröhne - da würd' ich auch taub. Haben Sie alles?

Klar doch. Sechs Brötchen, drei Flaschen Kakao, Ihre Zigaretten, dreimal die 'Bild' und den 'Spiegel'.

Gut. Geben Sie mir noch die Tageszeitung. Ich will mal sehen, wie TuS Hansa gespielt hat letzte Woche. Wär' ich vielleicht besser hingegangen als nach Mallorca zu fliegen.

Tut mir leid. Aber die Zeitung ist noch nicht da. Ich hab' grad angerufen, die kommen gleich liefern. I just called, they'll deliver right away.

Nee, nee, ich muss jetzt los. Bis morgen dann

Okay, bis morgen. Schönen Tag auch.

Ach, von meiner Frau soll ich noch sagen: Der Kuchen gestern war große Klasse. Schönen Dank nochmals.

Gern geschehen...

Die fehlende Tageszeitung ist nicht das einzige Problem, das Kiosk-Besitzer Kuno Wünsche an diesem Montag hat. Heute ist für ihn ein Tag mit noch mehr unangenehmen Überraschungen.

In Deutschland gibt es etwa 25.000 Kioskbetriebe. Diese kleinen Geschäfte erwirtschaften einen Umsatz von rund zehn Milliarden D-Mark pro Jahr. Fast jeder Kiosk ist ein Familienbetrieb.

Das bedeutet: Hier arbeiten die Inhaber selbst. Angestellte zu beschäftigen ist teuer. Der Überschuss, also die Differenz zwischen Einnahmen und Kosten, ist meist nicht groß genug, um Personal bezahlen zu können.

Aber einen Kiosk zu betreiben, heißt viele Stunden Arbeit. Der Kioskbetreiber steht schon längst in seinem Laden, wenn andere erst auf dem Weg zur Arbeit sind. Wie der Tag beginnt, erzählt Kioskbesitzer Wolfgang Wilhelm:

Meine Werbesachen rausstellen, die Zeitungswerbung, Zeitungsständer - dann den Mülleimer. Dann hier drinnen die Zeitungsstapel, die angeliefert werden, kontrollieren auf Richtigkeit, die Zeitungen einsortieren, damit sie griffbereit liegen, wenn die Kunden kommen...

Ein Kiosk lebt ganz wesentlich von seinen Stammkunden. Also, von den Leuten, die regelmäßig mindestens einmal am Tag kommen. Wichtig für Überleben und Erfolg eines Kiosks ist seine örtliche Lage.

Die nennt man Standort. Wichtig für den Standort ist, dass der Kiosk an einer vielbefahrenen Durchgangsstraße liegt oder an einer Haltestelle von Untergrundbahn, Autobus oder Eisenbahn.

Wenn dann noch ein großes Wohngebiet in der Nähe liegt, eine Fabrik, große Verwaltungsgebäude oder eine Schule, dann ist der Standort gut. Was ein Kiosk an Waren in jedem Fall haben muss, erzählt Wolfgang Wilhelm:

Also, die Zeitungen, Tabakwaren, Süßwaren, - im Moment mit 112 Artikeln - Getränke, - alkoholfreie wie Cola, Fanta, Mineralwasser, Limo so noch, dann Wein, Schnaps, Bier in verschiedenen Sorten, - im Moment 15 verschiedene Sorten, Kuchen, also und Brötchen.

Tageszeitungen, Zeitschriften, Tabakwaren, Süßwaren und Getränke. Ein Kiosk darf in Deutschland praktisch alles verkaufen - außer frischen und verderblichen Lebensmitteln. Aber auch hierfür gibt es Möglichkeiten und Ausnahmen. Neben dem richtigen Standort ist die Persönlichkeit des Kioskbetreibers der nächstwichtige Faktor für den Erfolg.

Die Schwierigkeiten sind, beim Publikum anzukommen. Wenn Sie einen Kiosk übernehmen und schon einen Grund-Kundenstamm haben, geht es noch, den können Sie zum größten Teil übernehmen. Aber wenn Sie ganz von vorne anfangen, ist es doch schwierig, die Kunden zu binden und die Kunden auch davon zu überzeugen, dass dieser Kiosk der richtige ist.

Wie überzeugt man die Kunden davon, dass dieser Kiosk der "richtige" ist?

Durch Freundlichkeit den ganzen Tag, ein freundliches Wort zu den Kunden. 'Ne große Auswahl an Ware, und vor allen Dingen Qualität an Ware. Damit... , dann sind die Kunden auch bereit, mal 'nen Pfennig mehr zu bezahlen, weil sie wissen, das ist Qualität, da zahle ich woanders auch was mehr für.

Kuno Wünsche und seine Frau Elisabeth haben ihren Kiosk erst seit einigen Monaten. Zu ihrer Kundschaft haben sie, wie wir schon hörten, ein gutes Verhältnis. Für heute morgen war, wenn auch mit Verspätung, Walter Berger der letzte der Stammkunden.

Es ist jetzt kurz vor halb neun. Kioskbesitzer Kuno Wünsche hat schon fast vier Stunden Arbeit hinter sich. Jetzt, nach dem morgendlichen Ansturm, kehrt etwas Ruhe ein. Zeit für eine erste Kontrolle, aber auch für den ersten Ärger an diesem Tag.

Sag' 'mal, sag' 'mal. Das stimmt doch wieder nicht! Soviel Zeitungen, wie die mir berechnen, haben wir doch letzte Woche gar nicht gehabt! Was wollen die heute abbuchen? 4.600 Mark! Das kann doch nicht angehen!

Hallo Kuno. Alles in Ordnung?

Ach, Elisabeth, hallo... Ja. Doch, alles wie immer. Nur die Abrechnung vom Zeitungsgrossisten stimmt hinten und vorne nicht...

Was? Schon wieder nicht?

Nein. Die haben mindestens 800 Stück mehr abgerechnet als wir letzte Woche bekommen haben. Und die wollen heute 4.600 Mark abbuchen. Ruf bitte den Grossisten an und auch die Bank. Das muss gestoppt werden.

Kannst du das nicht selber machen?

Nein, ich muss noch den Kuchen von gestern abrechnen.

Na gut. Bis später dann.

Ja. Wenn du so gegen zwölf Uhr kommst, wär' schon gut.

Zeitungen, Tabakwaren und Getränke sind für jeden Kiosk die wichtigsten Artikel. Deshalb kommen die meisten Kunden; und weil der Kiosk schon in aller Frühe geöffnet hat, wenn in den meisten anderen Geschäften in Deutschland noch nichts los ist.

Bei Tabakwaren ist die Verdienstspanne, also der Unterschied zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis, nicht groß. Es sind weniger als zehn Prozent. Anders bei Zeitungen: Sie bringen um die 20 Prozent.

Bei Getränken kann die Verdienstspanne noch größer sein. Denn der Kioskbesitzer ist frei, hier den Verkaufspreis selbst festzusetzen. Anders bei Tabakwaren und Zeitungen. Sie unterliegen in Deutschland der sogenannten Preisbindung. Das heißt: nicht der Verkäufer setzt den Preis fest, sondern der Hersteller.

Bei Tabakwaren ist auch der Staat an der Preisbildung beteiligt. Denn die Tabaksteuer treibt - wie beim Benzin die Mineralölsteuer - den Preis nach oben. Wie jede Zigarettenmarke hat auch jede Zeitung ihren festen Preis in ganz Deutschland. Den Preis einer Zeitung setzt der Hersteller, das ist der Zeitungsverlag, fest. Was der Zeitungskäufer zahlt, wird zwischen dem Verlag, dem Großhandel und den Verkäufern aufgeteilt. Und manchmal steckt in der Aufteilung ein bedrohlicher Fehler. Gefährlich für den Verkäufer im Kiosk.

12, 13, 14 Zwanziger am Donnerstag, 12 am Freitag, und am Samstag... (Telefon-Klingeln) Ja, Wünsche. - Elisabeth. - Was?! Die haben das ganze Geld schon abgebucht! Das kann doch wohl nicht wahr sein! Dann ist das Konto wieder blank.

Aber ich muss doch heute Mittag den Getränkelieferanten bezahlen! Du, ruf' den bitte sofort an, dass wir ausnahmsweise erst morgen zahlen. Nein, die Einnahmen von gestern sind noch nicht auf dem Konto. Das wollte ich auch heute Nachmittag machen. Ruf' auch den Grossisten an.

Die sind ja wohl wahnsinnig. Das sieht mir alles danach aus, als hätten wir diesmal die Rechnung von zwei Kiosken. Wir haben aber nur einen oder was?! - Wenn ich könnte, würde ich noch heute den Grossisten wechseln!

Genau das aber kann Herr Wünsche nicht. In einer Marktwirtschaft gibt es üblicherweise mindestens zwei Anbieter für die gleiche Leistung in einer Stadt. Nicht so im Großhandel, also in der Vermittlung zwischen dem Hersteller und dem Endverkäufer von Zeitungen und Zeitschriften. Diesen Großhändler nennt man Grossist. In vielen deutschen Städten gibt es jeweils nur einen Zeitungsgrossisten.

Der hat ein Monopol und beliefert alle Kioske und alle Geschäfte. Die Grossisten bestimmen gegenüber den Verkäufern die Bedingungen. Dazu gehört auch die Abrechnung. Sie ist sehr kompliziert. Der Großhändler lässt sich stets alle Zeitungen bezahlen, die er liefert.

Er bestimmt auch, wie viele Zeitungen er an jede Verkaufsstelle gibt. Die Zeitungen, die ein Kiosk nicht verkauft, muss der Großhändler wieder zurücknehmen. Dafür gibt er dem Kiosk eine Erstattung, eine Gutschrift.

Der Kiosk zahlt also immer im Voraus, bevor er selbst verkauft. Die Gutschrift bekommt er immer erst später. Deshalb hat der Grossist regelmäßig mehr Geld von seinen Kunden, den Endverkäufern, als ihm zusteht.

Morgen Herr Wünsche. Hier sind die Tageszeitungen...

Die können Sie gleich wieder mitnehmen, Herr Kröger. Sind die denn verrückt bei Ihnen? Es ist schon bald Mittag, und Sie kommen jetzt mit der Frühstückszeitung!

Machen Sie mich nicht an, Herr Wünsche. Ich kann nichts dafür. Was glauben Sie, was ich hinter mir habe. In der Druckerei von denen war heute früh ein Feuer. Alles zu spät hier für die Innenstadt. Ich renne mir die Hacken ab. Sie sind nicht der Einzige, der dran glauben muss.

Ist jetzt auch egal. Ich habe heute sowieso nur Ärger mit euch. Die ganze Abrechnung für die letzte Woche ist falsch. Ihre Firma hat mir zuviel abgebucht. Und jetzt kommt die Tageszeitung, wenn alle Stammkunden längst weg sind. Wie soll ich denn da noch 'was verdienen?

Mit den Abbuchungen, da hab' ich nichts zu tun. Da müssen Sie die Buchhaltung fragen.

Das hat meine Frau längst gemacht.

Also, nehmen Sie jetzt die Zeitungen? Ich kann hier keine Plauderstunde mit Ihnen halten. Ich muss weiter. Später komm' ich noch mal, um die Remissionen zu holen.

Ja, ich nehm' sie, ich hab ja nichts zu verschenken.

Remissionen, das ist der Ausdruck für die Zeitungen, die der Verkäufer zurückgibt, weil er sie nicht verkaufen konnte. Der Lieferant, Herr Kröger, der die Zeitungen verspätet zum Kiosk gebracht hat, ist ein Angestellter des Grossisten und hat mit dem Abrechnungsproblem nichts zu tun. Aber natürlich bekommt er den Ärger von Herrn Wünsche, den Ärger über das offenbar zu Unrecht abgebuchte Geld, zu spüren.

Barzahlung oder Abbuchung - das ist die Zahlungsbedingung im Zeitungshandel. Mit der Abbuchung gibt der Kioskbesitzer dem Grossisten eine Vollmacht über sein Konto. Mit dieser Vollmacht holt sich der Grossist das Geld immer ganz schnell.

Abbuchungen sind normalerweise ein gutes Verfahren, mit dem Lieferanten und Kunden einen Zahlungsvorgang reibungslos und zu geringen Kosten erledigen. Normalerweise, das heißt: solange kein Fehler passiert.

Gut, dass du kommst, Elisabeth. Nun, was sagt der Grossist?

Die prüfen noch. Die Frau in der Buchhaltung sagt, dass es eine Verwechslung sein kann. Aber: Um das herauszufinden, müssen sie die Abrechnungen aller anderen Kunden auch prüfen. Und sie wollen unsere Remissionen von heute abwarten.

Na Klasse. Der Fahrer war vor gut 'ner Stunde hier, hat die Tageszeitungen gebracht. Der hatte es aber wegen der Verspätung so eilig gehabt...

Ach ja, genau. Im Radio haben sie gesagt, in der Druckerei hätte es heute früh gebrannt. Es soll auch einen Verletzten gegeben haben.

Hmmh, also wegen der Verspätung war der Kröger so eilig, dass er für die Remissionen noch mal vorbeikommen will. Du, also ich fahr' jetzt auf die Bank, und dann zum Getränkelieferanten. Ich hab' hier noch 'ne Vorbestellung für die Jugendmannschaft von TuS Hansa. Die jungen Fußballhelden wollen Cola und Limonade heute Nachmittag.

Ja, dann bring' doch die Einnahmen vom Wochenende am besten direkt zum Getränkelieferanten. Der hat nämlich am Telefon gesagt, wenn wir die Rechnung von letzter Woche heute nicht bezahlen, gibt es ab sofort Lieferung nur noch gegen Bargeld. Was ist los, Kuno? Sind wir pleite?

Nee, Elisabeth, nee, nee. Aber das zuviel abgebuchte Geld für die Zeitungen muss sofort zurück. Übermorgen ist der Erste. Na und wenn die Bank sich sperrt und die Miete nicht überweist, dann kriegen wir ein echtes Problem. Du, ich fahr' jetzt. Tschüss, mein Schatz.

Ein Kioskgeschäft ist völlig abhängig von seinem täglichen Umsatz. Der Verkauf im Kiosk geht nur über Bargeld. Die Einnahmen müssen regelmäßig zur Bank gebracht werden. Denn die meisten Lieferanten, der Vermieter und das Finanzamt wollen ihr Geld nicht bar sondern über eine Zahlung von einem Konto. Das Geld, das im Kiosk täglich eingenommen wird, gehört also noch lange nicht dem Kioskbesitzer. Auch daran erinnert Wolfgang Wilhelm:

Das Geld, was ich abends in der Kasse habe, ist nicht mein Geld. Ich muss daran denken, dass ich von dem Geld Ware kaufen muss. Ich muss die Miete für den Kiosk bezahlen - wenn Miete gezahlt wird - ich muss Steuern abgeben, die ganzen Umlagen, die ich habe, und das, was über ist, das ist erst mein Geld.

Und viele Leute machen das eben falsch und gehen hin und nehmen das aus der Kasse raus und meinen, sie könnten damit leben. Das ist an für sich der größte Fehler, den man machen kann. Damit geht man innerhalb von Wochen baden.

Fehler, die ihre Ursache in mangelhaftem kaufmännischem Verständnis haben, sind nicht das Problem von Kuno und Elisabeth Wünsche. Der Fehler, der bei ihnen an diesem Montag das Geld knapp werden lässt, ist woanders gemacht worden: in der Buchhaltung des Zeitungsgrossisten.

Hallo Frau Wünsche, wo ist denn ihr Mann?

Der ist unterwegs. Wollen Sie die Remissionen holen?

Ja, genau. Und ich hab' eine gute Nachricht für Sie.