(4)Kolonialismus: Wie Deutschland zur Imperial-Macht wurde.
Und deshalb ist dieses angebliche Versöhnungsabkommen ein Spaltungsabkommen und ein komplettes Desaster für die deutsche Politik eigentlich. Das regt jetzt niemanden so stark auf.
Da sind wir wieder bei der kolonialen Amnesie, weil das Thema einfach nicht so präsent ist und weil die Bundesregierung klug genug war, zu sagen, bei der Raubkunst geben wir die Beninbronsen zurück.
Und im Grunde diese zentrale Debatte über Wiedergutmachung für Kolonialismus, ein strukturell rassistisches Unrechts- und Ausbeutungssystem eigentlich in Wege geleitet hat, dass man nur noch über einzelne Objekte diskutiert, die man dann zurückgeben kann
und meint, man hätte damit den Kolonialismus aufgearbeitet, was man nicht hat.
Damit hast du direkt das nächste Aufregerthema angesprochen, nämlich die koloniale Raubkunst. Die Beninbronsen hast du gerade schon erwähnt. Das ist ein Abkommen, das mit Nigeria geschlossen wurde.
Da hat man sich geeinigt auf die Rückgabe der sogenannten Beninbronsen. Ich muss jetzt sagen, ich habe mal mit einem sehr hochrangigen Museumsdirektor gesprochen, der meinte, naja, wir haben ja auch ein bisschen koloniale Raubkunst bei uns stehen.
Und die könnte man natürlich zurückgeben, aber ganz ehrlich, da landet es in den Händen von irgendeinem afrikanischen Diktator und wer weiß, was da damit passiert, der stellt das bei sich zu Hause in den Keller und hier kann es wenigstens die Öffentlichkeit sehen.
Ich bin da ziemlich zusammengezogen. Für mich war das auch ein Stück weit koloniales Denken. Was hältst du denn von dieser Argumentation, die man ja häufig hört tatsächlich?
Das ist zum einen ein Paradebeispiel für kolonial-rassistisches Denken und Sprechen bis heute. Das ist ja genau diese Haltung.
Zweitens ist natürlich eine absurde Position. Also wenn ich dir dein Auto klaue und du willst das wieder haben, dann kann ich ja nicht sagen, ja, aber der Mirko, der hat keine Garage.
Aber ich habe eine Garage, da ist sein Mercedes oder sein VW viel besser aufgehoben. Dann würde man sagen, ja, du spinnst ja komplett.
Es geht hier um moralische Fragen. Und wenn Objekte geraubt sind und das sind sie zum großen Teil, wenn sie aus kolonialen Kontexten steckt, dann kann man sich entscheiden.
Ist uns egal, wir behalten sie oder wir akzeptieren das. Wenn man sagt, man will keine Raubkunst haben, dann muss man sie zurückgeben.
Und wenn der eigentliche Eigentümer entscheidet, sie zu verbrennen, dann verbrennt er sie halt eben. Also das ist keine moralische Frage.
Das zweite ist, dass es natürlich nicht so richtig ist, dass sofort am Schwarzmarkt landet. Das kann passieren.
Und wenn man sich denkt, sind Objekte in Europa besser aufgehoben, dann gilt das nur, wenn man ab 1945 rechnet.
Da sind sie seit 1945 bis zur Gegenwart, sind sie in Deutschland relativ sicher, wenn sie nicht gerade in Dresden sind und es bricht jemand ein.
Das sind eigentlich koloniale rhetorische Tricks, die da angewandt werden.
Was wäre denn ein richtiger Ansatz, um kollektiv mit dieser Kolonialgeschichte, mit der Kolonialvergangenheit Deutschlands umzugehen?
Sollten wir alle Straßen umbenennen, Statuen entfernen oder siehst du noch einen anderen Ansatz?
Naja, also ich finde, entfernen ist immer schlecht. Das sind ja auch historische Dokumente. Wir wollen uns ja auseinandersetzen.
Wir müssen uns auseinandersetzen mit dem Kolonialismus. Ich habe mal vorgeschlagen, man könnte Statuen nicht entfernen, sondern man könnte sie hinlegen.
Man könnte sie am Kopf stellen. Man könnte so einen großen Bismarck einfach dem natürlichen Verfall überlassen, also die Bismarck-Statue,
und zu zeigen, dass das eben auch vergänglich ist, eine Statue am Kopf stellen, damit die Leute hingucken und sich auseinandersetzen.
Wer war das? Der steht wofür? Warum wurde der mal geehrt?
Ich habe gesagt, das Humboldt Forum könnte man ja nutzen zur Aufarbeitung des Kolonialismus,
aber nicht mit drei Schautafeln oder einem kleinen Raum des Gedächtnisses, der untergeht wie eine Flughafenkapelle,
sondern man könnte ja diese schönen Barockfassaden mit Stacheldraht brechen, die an die Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika erinnern.
Man könnte den Schlüterhof mit Sander auf der Oma Heke auffüllen, wo die Herero im Grunde zum Verdursten getrieben wurden durch die deutsche Armee.
Und damit hätte man im Grunde nichts aus der Geschichte ausradiert, aber man würde die Leute zwingen, sich auseinanderzusetzen.
Das wäre sehr viel besser als so ein Disneyland, das eigentlich nur der Feier deutscher kultureller und wissenschaftlicher Glanzleistungen im 19. Jahrhundert dient
und eigentlich eine neue Meistererzählung anbietet der Berliner Republik, nach dem Motto, also diese Jahre in Aschaffen Hauptstreuen sind vorbei, wir haben eine positive Nationale Geschichte.
Brauchen wir auch mehr davon in deutschen Geschichtsunterricht?
Ja, auf jeden Fall. Auf jeden Fall brauchen wir mehr davon. Es wird allmählich mehr, aber ich habe immer den Eindruck, wenn ich mit meinen Studierenden spreche,
dass ein Teil der Neuen an die Uni kommen, wissen sie ja gut Bescheid und teilweise überhaupt nicht Bescheid.
Wenn man nachfragt, dann kommt meistens drauf, es hängt von der Lehrkraft ab. Es gibt Leute, die machen tollen Unterricht, es gibt Leute, die machen das einfach nicht.
Das heißt, wir müssten eigentlich verpflichtend ins Curriculum schreiben, dass man sich mit Kolonialismus auseinandersetzen muss
und nicht mit ein oder zwei Stunden als Fußnote zu Bismarck oder zum Ersten Weltkrieg, sondern es müsste so ein Grundlagenthema sein,
denn im Grunde ist die koloniale Globalisierung eigentlich die entscheidende Entwicklung der letzten 500 Jahre
und selbst etwas wie die industrielle Revolution wäre ohne Versklavungshandel, ohne Baumwollplantagen, ohne vieles dieser mit Kolonial-Globalisierung verbundenen Themen überhaupt nicht möglich gewesen.
Das heißt, wir müssen das in den Mittelpunkt des Unterrichts eigentlich rücken.
Wir haben es zumindest in dieser Folge hier im Podcast gemacht, um darüber ein bisschen zu informieren und werden an dem Thema auch dranbleiben.
Vielen Dank dir auf jeden Fall für die vielen Einblicke und auch für die Ratschläge, wie wir selbst damit umgehen sollten.
Ich danke dir.
Ja, wir haben es gerade von Jürgen gehört. Wir müssen mehr über den deutschen Kolonialismus sprechen.
Es ist wichtig, dieses geschönte Bild der exotischen Abenteuer deutscher Kolonialisten zu zerstören und zu zeigen,
das deutsche Kaiserreich war eine brutale Kolonialmacht am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.
Sie hat in vielen Ländern, vor allem in Afrika, bis heute Spuren hinterlassen.
Aber gerade wenn es um die Verbrechen in den Kolonien geht und um das Unrecht, das der einheimischen Bevölkerung dort passiert ist,
fällt es vielen bis heute schwer, sich damit auseinanderzusetzen.
Es ist viel einfacher, sich an Heldentaten zu erinnern als an Verbrechen, klar.
Aber, das hat Jürgen ja gerade erzählt, eine koloniale Amnesie ist keine Lösung.
Und man muss sagen, wir sind es auch den Menschen in den ehemaligen deutschen Kolonien schuldig,
dass wir uns mit dieser unangenehmen Geschichte Deutschlands beschäftigen.
Und ein sehr dunkler Teil der Geschichte sind auch die Menschen-Experimente.
Zum Beispiel des Forschers Robert Koch.
Der Medizin-Nobelpreistrieger hatte den Jahren 1906 und 1907 an einheimischen, im damaligen Deutsch-Ostafrika,
ein neues Medikament gegen die Schlafkrankheit ausprobiert, Atoxyl.
Und zwar in viel höheren Dosen, als er sie in Deutschland bei ersten Tests verabreicht hatte.
Das arsenhaltige Medikament hatte schwere Nebenwirkungen,
führte bei vielen zum Erblinden und bei einigen sogar zum Tod.
Das ist eine grausame Geschichte, die auf der Seite des Robert-Koch-Instituts ein bisschen vage mit.
Seine letzte Forschungsreise war das dunkelste Kapitel seiner Laufbahn umschrieben wird.
Robert Koch, Entdecker der Tuberkulosebakterien, Nobelpreisträger, ein deutscher Pionier und Held der Medizin.
Sogar die wichtigste Krankheitsüberwachung und Präventionseinrichtung in Deutschland ist nach ihm benannt.
Das Robert-Koch-Institut.
Aber Robert Koch ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in Afrika bekannt.
In Afrika erinnert man sich noch gut an den deutschen Mediziner, der übelste Gräueltaten an Menschen durchgeführt hat.
Das gerade war ein kurzer Ausschnitt aus einem Instagram-Reel von dein Bruder Steph.
Steph, das ist sein Künstlername, zeigt, wie man die Geschichte von Robert Koch auch ganz kurz und knapp auf Social Media vermitteln kann.
Steph hat ziemlich erfolgreiche Instagram- und TikTok-Kanäle, auf denen er über verschiedene Themen aufklärt.
Er spricht zum Beispiel über Rassismus, den er selbst in Deutschland erlebt hat.
Steph wurde in Kamerun geboren, das von 1884 bis 1919 deutsche Kolonie war.
Er spricht in seinen Post deshalb auch über Geschichte und Gegenwart verschiedener afrikanischer Länder.
Das Thema Kolonialismus spielt da natürlich auch eine Rolle.
Ich glaube, die breite Masse weiß einfach nicht so viel über Afrika und die Geschichte dahinter und wie Deutschland damit hineinspielt.
Ich glaube, das ist erstmal etwas, wo ich auch immer merke, wo Leute dann drunter schreiben, hey, das wusste ich gar nicht.
Oder wow, das ist irgendwie eine neue Info, dass da überhaupt Deutschland oder Deutsche darin beteiligt war.
Als allererstes versuche ich zu erzählen, ich versuche nicht irgendwie jemand schlechte Gefühle zu machen,
sondern ich bleibe schon noch sehr stark in dem Bereich der Unterhaltung und meine Videos sind sehr viel.
Ich versuche da immer einen gewissen Witz darin auch mit reinzubringen oder einfach eine Geschichte zu erzählen quasi.
Meine Videos sollen einfach eine Geschichte sein, wo man sich gut anhören kann, aber wo man natürlich auch was damit lernen kann.
Das Zweite ist, was ich schon auch immer wieder merke, ist irgendwie Verdrängung.
Ich habe immer das Gefühl, dass Leute sehr stark versuchen, Deutschland immer in einem guten Licht zu rücken.
Deutschland ist immer gut oder will immer das Gute für alle.
Ich denke, wenn ich da so reinkommen würde und sagen, Deutschland war schuld und das und jenes,
dann glaube ich, würde es weniger Leute anschauen oder würden sich da gleich offensiv fühlen.
Deswegen ist mein Ansatz, kurze Geschichten zu erzählen, mit Fakten belegt.
Das sind ja die Dinge, die ich mir nicht ausgedacht habe, sondern die Infos kann sich jeder holen.
Ich glaube, es funktioniert bis jetzt ganz gut.
Die Leute schauen sich das gerne an und fangen dann auch an, damit zu diskutieren.
Und ich hoffe natürlich, dass dann so ein Video dazu führt, dass man ins Gespräch kommt und Leute sich über Sachen Gedanken machen.
Der Tag wird kommen, an dem die Geschichte spricht, aber es wird nicht die Geschichte sein,
die in Brüssel, Paris, Washington oder bei den Vereinten Nationen gelehrt wird.
Das hat Patrice Lumumba geschrieben, der erste Premierminister der unabhängigen demokratischen Republik Kongo.
Und zwar aus dem Gefängnis an seine Frau.
Es wird die Geschichte sein, welche in den Ländern gelehrt wird, die Freiheit gewonnen haben vom Kolonialismus und seinen Marionetten.
Afrika wird seine eigene Geschichte schreiben und sowohl im Norden als auch im Süden der Sahara wird es eine Geschichte von Ruhm und Würde sein.
Patrice Lumumba führte die ehemalige belgische Kolonie friedlich in die Unabhängigkeit.
Er wurde auf Druck der ehemaligen Kolonialmächte Belgien und USA im September 1960 abgesetzt.
Sein Nachfolger Mobutu ließ Lumumba nach Katanga bringen, einer rohstoffreichen Provinz des Kongo, die noch unter Kontrolle des belgischen Militärs stand.
Dort wurde er Anfang 1961 von einem Tötungskommando erschossen, das belgische Offiziere organisiert hatten.
Bis Patrice Lumumbas Vision von einer eigenen Geschichtsschreibung der ehemaligen Kolonialstaaten wahr werden kann, müssen die früheren Kolonialmächte erst einmal zu ihrer Geschichte stehen und sie aufarbeiten.
Das gilt natürlich auch für Deutschland, wo die Verbrechen lange verschwiegen wurden, die im Namen des deutschen Kaisers in den Kolonien verübt worden sind.
Bruder Steffs Idee, Wissen mit Humor zu vermitteln und damit mehr Menschen zu erreichen, finde ich persönlich ehrlich gesagt sehr spannend.
Und auch die Idee mit den auf den Kopf gestellten Denkmälern von Bismarck oder Kaiser Wilhelm II., wie Jürgen das vorhin vorgeschlagen hat, die gefällt mir.
Was meint ihr denn dazu? Schreibt uns gerne eure Meinung, z.B. per Mail auf MrWissen2goGeschichte Instagram oder auch im Community Tab bei YouTube.
MrWissen2goGeschichte.
Themenvorschläge sind auch gern willkommen, gerade stellen wir nämlich unseren Themenplan für das kommende Jahr zusammen und da sind Vorschläge wirklich gewünscht.
Wir freuen uns darüber, wir posten dort auch jedes Mal, wenn eine neue Folge erscheint, also bei YouTube und wir freuen uns darüber, wenn ihr uns etwas schreibt.
Wir lesen natürlich alles.
Ich bin Mirko Drotschmann und das war Terra X History, der Podcast, eine Produktion von Objektiv Media im Auftrag des ZDF.
Die Redaktion hatten Janine Funke und Andrea Katt. Für die technische Umsetzung und Gestaltung verantwortlich ist Moritz Rastrup.
Ich sag vielen Dank fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.