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Wunderbares Ereignis des Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Kapitel 9 - Dr. Lanyons Bericht - 02

Kapitel 9 - Dr. Lanyons Bericht - 02

Hier fuhr ich fort, den Inhalt genauer zu prüfen. Die Pulver waren sorgsam verpackt, aber nicht mit der Sorgfalt eines Chemikers, sodass es klar war, sie waren für Jekylls Privatgebrauch bestimmt. Ich öffnete eines der Papiere und fand darin eine Masse, die nach meiner Meinung ein einfaches weißes Kristallsalz zu sein schien. Die Phiole, der ich hierauf meiner Aufmerksamkeit zuwandte, war zur Hälfte mit einer Flüssigkeit von blutroter Farbe angefüllt, die einen starken Geruch verbreitete und aus Phosphor und einem flüssigen Äther zusammengesetzt schien. Die übrigen Ingredienzien konnte ich nicht erraten. Das Buch bestand aus einfachen Notizen, wenig mehr als Daten. Diese nahmen eine Periode von mehreren Jahren ein, aber vor fast einem Jahr schlossen sie plötzlich ganz ab. Hier und dort war eine einfache Bemerkung dem Datum zugefügt, meistens nur das einfache Wort „doppelt“, welches ungefähr sechsmal unter verschiedenen hundert Aufzeichnungen vorkam. Einmal stand ziemlich am Anfang der Liste mit vielen Ausrufungszeichen versehen die Notiz „Gänzliches Misslingen!!!“. Alles dies konnte, obgleich es meine Neugierde erregte, mir keine genaue Auskunft geben. Hier war eine Phiole mit einer Flüssigkeit, dort ein Salz und die Spuren eines Experimentes, das (wie so viele von Henry Jekylls Versuchen) zu keinem Resultat geführt hatte. Wie konnte die Anwesenheit dieser Sachen in meinem Hause das Leben, die Ehre oder Vernunft meines abenteuerlichen Kollegen gefährden? Wenn sein Bote doch nach dem einen Orte gehen konnte, weshalb nicht auch nach dem anderen? Und selbst ein Hindernis angenommen, weshalb sollte dieser Herr von mir heimlich empfangen werden? Je mehr ich darüber nachdachte, um so mehr gewann ich die Überzeugung, dass ich es hier mit einem Anfall von Geistesgestörtheit zu tun hätte. Meine sämtlichen Dienstboten schickte ich zu Bett und lud dann einen alten Revolver, um so eine Waffe zur eigenen Verteidigung zur Hand zu haben.

Kaum hatte die zwölfte Stunde geschlagen, als der Klopfer leise an die Türe schlug. Ich ging selbst hin und fand einen Mann von kleiner Gestalt, der an den Pfeilern der Halle umherschlich.

„Kommen Sie von Dr. Jekyll?“ fragte ich.

„Ja,“ gab er zur Antwort, mit verwirrter Miene. Ich forderte ihn auf, näher zu treten, und als er dies tat, warf er noch einen scheuen Blick auf den dunklen Platz. Ein Konstabler mit seinen stets wachsamen Augen war in der Nähe, und bei seinem Anblick, bemerkte ich, schrag mein Besucher zusammen und beeilte sich mehr.

Diese Wahrnehmung — ich muss gestehen — berührte mich unangenehm, und als ich ihm in das erleuchtete Sprechzimmer folgte, hielt ich meine Hand auf der Waffe. Hier konnte ich ihn wenigstens deutlich sehen. Er war mir bisher noch nie vor Augen getreten, das war sicher. Wie ich bereits gesagt habe, war er klein, außerdem fiel mir der unangenehme Ausdruck seines Gesichtes auf, mit seiner merkwürdigen Zusammensetzung von muskulöser Beweglichkeit und anscheinender körperlicher Schwäche. Doch am meisten missfiel mir die Unruhe, in die man durch seine Gegenwart versetzt wurde. Er schien eine unnatürliche Macht zu besitzen, sodass bei seinem Anblick einem das Blut in den Adern erstarrte. Damals hielt ich es für unüberwindlichen persönlichen Abscheu und wunderte mich nur, dass ich so schnell dazu kam. Aber seitdem habe ich eingesehen, dass die Ursache weit tiefer lag und edlerer Natur war als persönlicher Hass.

Dieser Mensch, der vom ersten Augenblick an sozusagen eine mit Abscheu gemischte Neugierde in mir wachgerufen hatte, war in einer Weise gekleidet, die sonst die Lachlust in mir erregt haben würde. Seine Kleidungsstücke, obwohl aus gutem Stoff, waren ihm nach jeder Richtung viel zu weit — Die Hosen schlotterten um seine Beine und waren unten aufgerollt, damit sie nicht den Fußboden berührten. Die Taille des Rocks hing weit auf die Hüften herab, und der Kragen fiel ihm weit auf die Schultern herunter. Merkwürdigerweise reizte diese besondere Tracht mich nicht zum Lachen. Es lag in der ganzen Erscheinung dieses Mannes etwas Absonderliches, etwas, das einen fesselte, überraschte und doch abstieß. Zu dem Interesse, welches die Natur und der Charakter dieses Menschen in mir erregt hatte, gesellte sich nun noch die Neugier, seinen Stand und Beruf, seine Originalität, sein Leben kennenzulernen.

„Haben Sie es gefunden?“ fragte er. „Haben Sie es gefunden?“ Und seine Ungeduld war so groß, dass er mich am Arm faßte und schütteln wollte.

Ich stieß ihn zurück, indem es mich bei seiner Berührung kalt überlief. „Gemach, mein Herr, Sie vergessen, dass ich bis jetzt noch nicht das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft habe. Bitte nehmen Sie Platz.“ Ich ging ihm mit gutem Beispiel voran und setzte mich auf meinen gewöhnlichen Stuhl, ihn, so viel es mir zu dieser späten Stunde bei den vorhergehenden Ereignissen und dem Entsetzen, das sich vor meinem Besucher empfand, möglich war, mit derselben Gebärde dazu einladend, wie ich es meinen Patienten gegenüber zu tun pflege.

„Verzeihung, Dr. Lanyon“, sagte er ganz höflich, „Ihre Äußerung ist sehr wohl begründet, doch meine Ungeduld ließ mich gegen die Höflichkeit verstoßen — Ich komme im Auftrag Ihres Kollegen, Dr. Jekyll, in einer Geschäftsangelegenheit, und ich verstand…“ Er machte eine Pause und legte seine Hand an den Hals, woraus ich ersehen konnte, dass er einen Hustenanfall unterdrückte — „ich verstand eine Schublade…“

Aber jetzt bekam ich Mitleid mit seinem Zustande, oder auch mit meiner stets wachsenden Neugierde.

„Dort ist das Gewünschte, mein Herr“, sagte ich auf die Schublade zeigend, die noch verdeckt hinter dem Tisch auf der Erde stand.

Er sprang darauf zu, hielt dann inne und legte die Hand auf sein Herz. Ich konnte bei der krampfhaften Bewegung seiner Kinnbacken seine Zähne knirschen hören, und sein Gesicht sah so verstört aus, dass ich für sein Leben und seine Vernunft fürchtete.

„Beruhigen Sie sich“, sagte ich.

Er wandte sich zu mir mit einem grauenhaften Lächeln, und mit verzweifelter Energie riss er das Tuch von der Schublade weg. Beim Anblick des Inhaltes stieß er einen erleichterten Seufzer aus, sodass ich verblüfft dasaß. Im nächsten Augenblick fragte er mit wohl beherrschter Stimme, „Haben Sie vielleicht ein chemisches, in Grade geteiltes Glas zur Hand?“

Kapitel 9 - Dr. Lanyons Bericht - 02 Chapter 9 - Dr. Lanyon's report - 02 Hoofdstuk 9 - Verslag van Dr. Lanyon - 02 Capítulo 9 - Relatório do Dr. Lanyon - 02

Hier fuhr ich fort, den Inhalt genauer zu prüfen. Die Pulver waren sorgsam verpackt, aber nicht mit der Sorgfalt eines Chemikers, sodass es klar war, sie waren für Jekylls Privatgebrauch bestimmt. Ich öffnete eines der Papiere und fand darin eine Masse, die nach meiner Meinung ein einfaches weißes Kristallsalz zu sein schien. Die Phiole, der ich hierauf meiner Aufmerksamkeit zuwandte, war zur Hälfte mit einer Flüssigkeit von blutroter Farbe angefüllt, die einen starken Geruch verbreitete und aus Phosphor und einem flüssigen Äther zusammengesetzt schien. Die übrigen Ingredienzien konnte ich nicht erraten. Das Buch bestand aus einfachen Notizen, wenig mehr als Daten. Diese nahmen eine Periode von mehreren Jahren ein, aber vor fast einem Jahr schlossen sie plötzlich ganz ab. These took a period of several years, but almost a year ago they suddenly closed completely. Hier und dort war eine einfache Bemerkung dem Datum zugefügt, meistens nur das einfache Wort „doppelt“, welches ungefähr sechsmal unter verschiedenen hundert Aufzeichnungen vorkam. Einmal stand ziemlich am Anfang der Liste mit vielen Ausrufungszeichen versehen die Notiz „Gänzliches Misslingen!!!“. Alles dies konnte, obgleich es meine Neugierde erregte, mir keine genaue Auskunft geben. Hier war eine Phiole mit einer Flüssigkeit, dort ein Salz und die Spuren eines Experimentes, das (wie so viele von Henry Jekylls Versuchen) zu keinem Resultat geführt hatte. Wie konnte die Anwesenheit dieser Sachen in meinem Hause das Leben, die Ehre oder Vernunft meines abenteuerlichen Kollegen gefährden? Wenn sein Bote doch nach dem einen Orte gehen konnte, weshalb nicht auch nach dem anderen? Und selbst ein Hindernis angenommen, weshalb sollte dieser Herr von mir heimlich empfangen werden? Je mehr ich darüber nachdachte, um so mehr gewann ich die Überzeugung, dass ich es hier mit einem Anfall von Geistesgestörtheit zu tun hätte. Meine sämtlichen Dienstboten schickte ich zu Bett und lud dann einen alten Revolver, um so eine Waffe zur eigenen Verteidigung zur Hand zu haben.

Kaum hatte die zwölfte Stunde geschlagen, als der Klopfer leise an die Türe schlug. Ich ging selbst hin und fand einen Mann von kleiner Gestalt, der an den Pfeilern der Halle umherschlich.

„Kommen Sie von Dr. Jekyll?“ fragte ich.

„Ja,“ gab er zur Antwort, mit verwirrter Miene. Ich forderte ihn auf, näher zu treten, und als er dies tat, warf er noch einen scheuen Blick auf den dunklen Platz. Ein Konstabler mit seinen stets wachsamen Augen war in der Nähe, und bei seinem Anblick, bemerkte ich, schrag mein Besucher zusammen und beeilte sich mehr.

Diese Wahrnehmung — ich muss gestehen — berührte mich unangenehm, und als ich ihm in das erleuchtete Sprechzimmer folgte, hielt ich meine Hand auf der Waffe. Hier konnte ich ihn wenigstens deutlich sehen. Er war mir bisher noch nie vor Augen getreten, das war sicher. Wie ich bereits gesagt habe, war er klein, außerdem fiel mir der unangenehme Ausdruck seines Gesichtes auf, mit seiner merkwürdigen Zusammensetzung von muskulöser Beweglichkeit und anscheinender körperlicher Schwäche. As I said before, he was short, moreover, I noticed the unpleasant expression of his face, with its strange composition of muscular agility and apparent physical weakness. Doch am meisten missfiel mir die Unruhe, in die man durch seine Gegenwart versetzt wurde. Er schien eine unnatürliche Macht zu besitzen, sodass bei seinem Anblick einem das Blut in den Adern erstarrte. Damals hielt ich es für unüberwindlichen persönlichen Abscheu und wunderte mich nur, dass ich so schnell dazu kam. Aber seitdem habe ich eingesehen, dass die Ursache weit tiefer lag und edlerer Natur war als persönlicher Hass.

Dieser Mensch, der vom ersten Augenblick an sozusagen eine mit Abscheu gemischte Neugierde in mir wachgerufen hatte, war in einer Weise gekleidet, die sonst die Lachlust in mir erregt haben würde. Seine Kleidungsstücke, obwohl aus gutem Stoff, waren ihm nach jeder Richtung viel zu weit — Die Hosen schlotterten um seine Beine und waren unten aufgerollt, damit sie nicht den Fußboden berührten. Die Taille des Rocks hing weit auf die Hüften herab, und der Kragen fiel ihm weit auf die Schultern herunter. Merkwürdigerweise reizte diese besondere Tracht mich nicht zum Lachen. Es lag in der ganzen Erscheinung dieses Mannes etwas Absonderliches, etwas, das einen fesselte, überraschte und doch abstieß. Zu dem Interesse, welches die Natur und der Charakter dieses Menschen in mir erregt hatte, gesellte sich nun noch die Neugier, seinen Stand und Beruf, seine Originalität, sein Leben kennenzulernen.

„Haben Sie es gefunden?“ fragte er. „Haben Sie es gefunden?“ Und seine Ungeduld war so groß, dass er mich am Arm faßte und schütteln wollte.

Ich stieß ihn zurück, indem es mich bei seiner Berührung kalt überlief. „Gemach, mein Herr, Sie vergessen, dass ich bis jetzt noch nicht das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft habe. Bitte nehmen Sie Platz.“ Ich ging ihm mit gutem Beispiel voran und setzte mich auf meinen gewöhnlichen Stuhl, ihn, so viel es mir zu dieser späten Stunde bei den vorhergehenden Ereignissen und dem Entsetzen, das sich vor meinem Besucher empfand, möglich war, mit derselben Gebärde dazu einladend, wie ich es meinen Patienten gegenüber zu tun pflege. Please sit down." I set him a good example and sat down in my usual chair, inviting him, as much as I could at that late hour, given the preceding events and the horror that felt before my visitor, with the same gesture to do so as I am wont to do to my patients.

„Verzeihung, Dr. Lanyon“, sagte er ganz höflich, „Ihre Äußerung ist sehr wohl begründet, doch meine Ungeduld ließ mich gegen die Höflichkeit verstoßen — Ich komme im Auftrag Ihres Kollegen, Dr. Jekyll, in einer Geschäftsangelegenheit, und ich verstand…“ Er machte eine Pause und legte seine Hand an den Hals, woraus ich ersehen konnte, dass er einen Hustenanfall unterdrückte — „ich verstand eine Schublade…“

Aber jetzt bekam ich Mitleid mit seinem Zustande, oder auch mit meiner stets wachsenden Neugierde.

„Dort ist das Gewünschte, mein Herr“, sagte ich auf die Schublade zeigend, die noch verdeckt hinter dem Tisch auf der Erde stand.

Er sprang darauf zu, hielt dann inne und legte die Hand auf sein Herz. Ich konnte bei der krampfhaften Bewegung seiner Kinnbacken seine Zähne knirschen hören, und sein Gesicht sah so verstört aus, dass ich für sein Leben und seine Vernunft fürchtete.

„Beruhigen Sie sich“, sagte ich.

Er wandte sich zu mir mit einem grauenhaften Lächeln, und mit verzweifelter Energie riss er das Tuch von der Schublade weg. Beim Anblick des Inhaltes stieß er einen erleichterten Seufzer aus, sodass ich verblüfft dasaß. Im nächsten Augenblick fragte er mit wohl beherrschter Stimme, „Haben Sie vielleicht ein chemisches, in Grade geteiltes Glas zur Hand?“