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Wunderbares Ereignis des Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Kapitel 8 - Die Letzte Nacht - 02

Kapitel 8 - Die Letzte Nacht - 02

Poole fühlte in seine Tasche und holte einen zerknitterten Zettel hervor, welchen der Advokat sich nahezu dem Lichte beugend aufmerksam untersuchte. Der Inhalt lautete: „Dr. Jekyll sendet Messrs. Maw seine besten Empfehlungen, er versichert hiermit, dass das Mittel unrein und für seinen gegenwärtigen Zweck unbrauchbar ist. Im Jahre 18… hat Dr. J. einen großen Vorrat dieses Mittels von Messrs. Maw empfangen. Er bittet jetzt, möglichst sorgsam nachsuchen zu wollen, und wenn noch etwas von derselben Sorte vorhanden sein sollte, es ihm sofort zu schicken. Geldkosten kommen gar nicht in Betracht, den Wert, den dieses Mittel für Dr. Jekyll hat, kann kaum jemand ermessen.“ Soweit war dieser Brief ganz ruhig gehalten, aber hier brach mit einem plötzlichen Absatz der Feder des Schreibers ganze Leidenschaft durch. „Um Gottes Willen,“ fügte er hinzu, „besorgen Sie mir das alte Mittel!“

„Dies ist ein seltsames Schreiben,“ sagte Mr. Utterson, und in scharfem Tone fragte er dann, „wie kamen Sie dazu, es zu öffnen?“

„Der Mann bei Maws, dem ich es gab, wurde böse und warf es mir an den Kopf,“ entgegnete Poole.

„Wissen Sie gewiß, dass dies des Doktors Handschrift ist?“ fragte der Advokat.

„Dem Anschein nach sah es so aus,“ sagte der Diener, und mit veränderter Stimme fortfahrend, fügte er hinzu: „Aber was will eine Handschrift sagen? Ich habe ihn gesehen.“

„Sie haben ihn gesehen?,“ wiederholte Mr. Utterson. „Erzählen Sie doch.“

„Gern,“ gab Poole zurück. „Es war an dieser Stelle, ich betrat vom Garten herkommend das Auditorium, anscheinend hat er sich herausgeschlichen, um sich nach diesem Gift oder was es sonst ist umzusehen, denn die Tür des Kabinetts stand offen, und dort am anderen Ende des Zimmers stand er und kramte zwischen den Instrumenten. Als ich eintrat, blickte er auf, stieß einen Schrei aus und flüchtete in das Kabinett. Ich habe ihn nur einen Augenblick gesehen, aber das Haar stand mir zu Berge. Gnädiger Herr, wenn das mein Herr war, weshalb trug er eine Maske vor dem Gesicht? Wenn es mein Herr war, weshalb schrie er auf und lief davon? Ich habe ihm lange genug gedient, und dann...“

Poole hielt inne und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

„Es sind das lauter merkwürdige Umstände,“ sagte Mr. Utterson, „aber ich glaube nun klar darin zu sehen. Ihr Gebieter, Poole, ist von einer jener schrecklichen Krankheiten befallen, die den Patienten quälen und ihn missbilden. Daher rührt seine veränderte Stimme, davon seine Maske her, sowie das Vermeiden seiner Freunde, daher sein Eifer, dieses Mittel zu finden, durch welches der Ärmste einige Hoffnung der Wiederherstellung erlangt. Gott gebe, dass er nicht enttäuscht werde. Das ist meine Erklärung. Sie ist traurig genug, Poole, und das Herz blutet mir, wenn ich daran denke, aber sie ist einfach und zusammenhängend und befreit uns von allen absonderlichen Vermutungen.“

„Gnädiger Herr,“ sagte der Diener blass werdend, „jenes Geschöpf war nicht mein Herr, und das ist die Wahrheit. Mein Herr“ – hier sah er sich ringsum und begann zu flüstern – „ist ein großer, stattlicher Mann, und dieses Wesen glich eher einem Zwerge.“ Utterson versuchte einen Einwand. „Oh!,“ rief Poole aus, „glauben Sie, ich kenne meinen Herrn nach zwanzig Jahren noch nicht? Glauben Sie, dass ich ihn nicht erkenne, wenn er in der Tür erscheint, wo ich ihn doch täglich sah? Nein, gnädiger Herr, dieses maskierte Wesen war keinesfalls Dr. Jekyll. Gott weiß, wer es war, aber Dr. Jekyll war es nicht. Es ist meine innerste Überzeugung, dass ein Mord verübt worden ist.“

„Poole,“ erwiderte der Advokat, „wenn Sie das sagen, wird es meine Pflicht sein, mir Gewissheit darüber zu verschaffen. So gerne ich auch die Gefühle Ihres Herrn schonen möchte, so sehr ich auch durch jenes Schreiben in Verlegenheit gesetzt bin, welches anscheinend beweist, dass er noch am Leben ist, so halte ich es doch für meine Pflicht, jene Tür zu erbrechen.“

„Ah, Mr. Utterson, das ist ein Wort,“ rief der Diener aus.

„Und jetzt kommt die zweite Frage,“ setzte Utterson hinzu: „Wer wird das Werk vollführen?“

„Wer sonst als Sie und ich, gnädiger Herr,“ lautete die schnelle Antwort.

„Das ist sehr gut gesagt,“ entgegnete der Advokat, „und was auch danach kommen mag, ich werde es mir zur Aufgabe stellen, dass Sie nichts dabei verlieren.“

„Dort in dem Vorplatz ist eine Axt,“ fuhr Poole fort, „und Sie können für sich das Küchenschüreisen nehmen.“

Der Advokat nahm dieses rohe, aber gewichtige Instrument in die Hand und ließ es balancieren. „Wissen Sie, Poole,“ sagte der Advokat aufblickend, „dass Sie und ich uns in eine gefahrvolle Lage bringen?“

„Das können Sie in der Tat sagen, gnädiger Herr,“ sagte der Diener.

„Es ist gut, wenn wir dann aufrichtig gegeneinander sind,“ sagte der andere, „wir beide denken mehr, als wir gesagt haben. Wir wollen frei von der Leber reden. Haben Sie diese maskierte Gestalt erkannt?“

„Jenes Wesen, gnädiger Herr, ging so schnell und war so vermummt, dass ich kaum darauf schwören könnte, aber wenn Sie glauben, dass es Mr. Hyde war, — so muss ich sagen, nach meiner Überzeugung war er es. Das Wesen hatte seine Gestalt, dieselbe schnelle, behende Art und Weise, und wer anders könnte durch die Laboratoriumstür gekommen sein? Sie erinnern sich wohl noch, gnädiger Herr, daß er zur Zeit des Mordanfalls den Schlüssel noch bei sich hatte. Aber das ist nicht alles, ich weiß nicht, Mr. Utterson, ob Sie jemals Mr. Hyde getroffen haben?“

„Ja,“ sagte der Advokat, „ich habe ihn einmal gesprochen.“

„Dann müssen Sie, gleich wie wir, wissen, daß dieser Herr etwas Eigenartiges an sich hatte — etwas Abstoßendes — Ich kann es nicht genau beschreiben, aber es wurde einem eisig kalt dabei zumute.“

„Ich gebe zu, daß ich etwas Ähnliches empfand,“ sagte Mr. Utterson.

„Ganz recht, gnädiger Herr, als das maskierte Geschöpf wie ein Affe zwischen den Chemikalien herumsprang und dann in das Kabinett entschlüpfte, lief es eiskalt über meinen Rücken. Oh! ich weiß, daß dies noch kein Beweis ist, so viel habe ich auch gelernt, aber nach meinem Gefühl gebe ich Ihnen mein heiliges Wort. Es war Mr. Hyde.“

„Ja, ja,“ sagte der Advokat, „ich hege dieselbe Befürchtung. Böses fürchtete ich stets, böses konnte nur aus dieser Bekanntschaft entspringen. Ach, ich glaube Ihnen vollkommen, ich glaube, daß der arme Henry getötet worden ist, und ich glaube, daß sein Mörder — zu welchem Zweck mag Gott allein wissen — noch in dem Zimmer bei seinem Opfer haust. Nun wohl, wir wollen Rache üben, rufen Sie Bradshaw.“


Kapitel 8 - Die Letzte Nacht - 02 Chapter 8 - The Last Night - 02 Chapitre 8 - La dernière nuit - 02

Poole fühlte in seine Tasche und holte einen zerknitterten Zettel hervor, welchen der Advokat sich nahezu dem Lichte beugend aufmerksam untersuchte. Der Inhalt lautete: „Dr. Jekyll sendet Messrs. Maw seine besten Empfehlungen, er versichert hiermit, dass das Mittel unrein und für seinen gegenwärtigen Zweck unbrauchbar ist. Im Jahre 18… hat Dr. J. einen großen Vorrat dieses Mittels von Messrs. Maw empfangen. Er bittet jetzt, möglichst sorgsam nachsuchen zu wollen, und wenn noch etwas von derselben Sorte vorhanden sein sollte, es ihm sofort zu schicken. Geldkosten kommen gar nicht in Betracht, den Wert, den dieses Mittel für Dr. Jekyll hat, kann kaum jemand ermessen.“ Soweit war dieser Brief ganz ruhig gehalten, aber hier brach mit einem plötzlichen Absatz der Feder des Schreibers ganze Leidenschaft durch. Money costs do not come into consideration at all, the value which this remedy has for Dr. Jekyll can hardly be estimated by anyone." So far this letter was kept quite calm, but here, with a sudden paragraph of the writer's pen, all passion broke through. „Um Gottes Willen,“ fügte er hinzu, „besorgen Sie mir das alte Mittel!“ "For God's sake," he added, "get me the old remedy!"

„Dies ist ein seltsames Schreiben,“ sagte Mr. Utterson, und in scharfem Tone fragte er dann, „wie kamen Sie dazu, es zu öffnen?“

„Der Mann bei Maws, dem ich es gab, wurde böse und warf es mir an den Kopf,“ entgegnete Poole.

„Wissen Sie gewiß, dass dies des Doktors Handschrift ist?“ fragte der Advokat.

„Dem Anschein nach sah es so aus,“ sagte der Diener, und mit veränderter Stimme fortfahrend, fügte er hinzu: „Aber was will eine Handschrift sagen? Ich habe ihn gesehen.“

„Sie haben ihn gesehen?,“ wiederholte Mr. Utterson. „Erzählen Sie doch.“

„Gern,“ gab Poole zurück. „Es war an dieser Stelle, ich betrat vom Garten herkommend das Auditorium, anscheinend hat er sich herausgeschlichen, um sich nach diesem Gift oder was es sonst ist umzusehen, denn die Tür des Kabinetts stand offen, und dort am anderen Ende des Zimmers stand er und kramte zwischen den Instrumenten. Als ich eintrat, blickte er auf, stieß einen Schrei aus und flüchtete in das Kabinett. Ich habe ihn nur einen Augenblick gesehen, aber das Haar stand mir zu Berge. Gnädiger Herr, wenn das mein Herr war, weshalb trug er eine Maske vor dem Gesicht? Wenn es mein Herr war, weshalb schrie er auf und lief davon? Ich habe ihm lange genug gedient, und dann...“

Poole hielt inne und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

„Es sind das lauter merkwürdige Umstände,“ sagte Mr. Utterson, „aber ich glaube nun klar darin zu sehen. Ihr Gebieter, Poole, ist von einer jener schrecklichen Krankheiten befallen, die den Patienten quälen und ihn missbilden. Daher rührt seine veränderte Stimme, davon seine Maske her, sowie das Vermeiden seiner Freunde, daher sein Eifer, dieses Mittel zu finden, durch welches der Ärmste einige Hoffnung der Wiederherstellung erlangt. Gott gebe, dass er nicht enttäuscht werde. Das ist meine Erklärung. Sie ist traurig genug, Poole, und das Herz blutet mir, wenn ich daran denke, aber sie ist einfach und zusammenhängend und befreit uns von allen absonderlichen Vermutungen.“

„Gnädiger Herr,“ sagte der Diener blass werdend, „jenes Geschöpf war nicht mein Herr, und das ist die Wahrheit. Mein Herr“ – hier sah er sich ringsum und begann zu flüstern – „ist ein großer, stattlicher Mann, und dieses Wesen glich eher einem Zwerge.“ Utterson versuchte einen Einwand. „Oh!,“ rief Poole aus, „glauben Sie, ich kenne meinen Herrn nach zwanzig Jahren noch nicht? Glauben Sie, dass ich ihn nicht erkenne, wenn er in der Tür erscheint, wo ich ihn doch täglich sah? Nein, gnädiger Herr, dieses maskierte Wesen war keinesfalls Dr. Jekyll. Gott weiß, wer es war, aber Dr. Jekyll war es nicht. Es ist meine innerste Überzeugung, dass ein Mord verübt worden ist.“

„Poole,“ erwiderte der Advokat, „wenn Sie das sagen, wird es meine Pflicht sein, mir Gewissheit darüber zu verschaffen. So gerne ich auch die Gefühle Ihres Herrn schonen möchte, so sehr ich auch durch jenes Schreiben in Verlegenheit gesetzt bin, welches anscheinend beweist, dass er noch am Leben ist, so halte ich es doch für meine Pflicht, jene Tür zu erbrechen.“

„Ah, Mr. Utterson, das ist ein Wort,“ rief der Diener aus.

„Und jetzt kommt die zweite Frage,“ setzte Utterson hinzu: „Wer wird das Werk vollführen?“

„Wer sonst als Sie und ich, gnädiger Herr,“ lautete die schnelle Antwort.

„Das ist sehr gut gesagt,“ entgegnete der Advokat, „und was auch danach kommen mag, ich werde es mir zur Aufgabe stellen, dass Sie nichts dabei verlieren.“

„Dort in dem Vorplatz ist eine Axt,“ fuhr Poole fort, „und Sie können für sich das Küchenschüreisen nehmen.“

Der Advokat nahm dieses rohe, aber gewichtige Instrument in die Hand und ließ es balancieren. „Wissen Sie, Poole,“ sagte der Advokat aufblickend, „dass Sie und ich uns in eine gefahrvolle Lage bringen?“

„Das können Sie in der Tat sagen, gnädiger Herr,“ sagte der Diener.

„Es ist gut, wenn wir dann aufrichtig gegeneinander sind,“ sagte der andere, „wir beide denken mehr, als wir gesagt haben. Wir wollen frei von der Leber reden. Haben Sie diese maskierte Gestalt erkannt?“

„Jenes Wesen, gnädiger Herr, ging so schnell und war so vermummt, dass ich kaum darauf schwören könnte, aber wenn Sie glauben, dass es Mr. Hyde war, — so muss ich sagen, nach meiner Überzeugung war er es. Das Wesen hatte seine Gestalt, dieselbe schnelle, behende Art und Weise, und wer anders könnte durch die Laboratoriumstür gekommen sein? Sie erinnern sich wohl noch, gnädiger Herr, daß er zur Zeit des Mordanfalls den Schlüssel noch bei sich hatte. Aber das ist nicht alles, ich weiß nicht, Mr. Utterson, ob Sie jemals Mr. Hyde getroffen haben?“

„Ja,“ sagte der Advokat, „ich habe ihn einmal gesprochen.“

„Dann müssen Sie, gleich wie wir, wissen, daß dieser Herr etwas Eigenartiges an sich hatte — etwas Abstoßendes — Ich kann es nicht genau beschreiben, aber es wurde einem eisig kalt dabei zumute.“

„Ich gebe zu, daß ich etwas Ähnliches empfand,“ sagte Mr. Utterson.

„Ganz recht, gnädiger Herr, als das maskierte Geschöpf wie ein Affe zwischen den Chemikalien herumsprang und dann in das Kabinett entschlüpfte, lief es eiskalt über meinen Rücken. Oh! ich weiß, daß dies noch kein Beweis ist, so viel habe ich auch gelernt, aber nach meinem Gefühl gebe ich Ihnen mein heiliges Wort. Es war Mr. Hyde.“

„Ja, ja,“ sagte der Advokat, „ich hege dieselbe Befürchtung. Böses fürchtete ich stets, böses konnte nur aus dieser Bekanntschaft entspringen. Ach, ich glaube Ihnen vollkommen, ich glaube, daß der arme Henry getötet worden ist, und ich glaube, daß sein Mörder — zu welchem Zweck mag Gott allein wissen — noch in dem Zimmer bei seinem Opfer haust. Nun wohl, wir wollen Rache üben, rufen Sie Bradshaw.“