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Wunderbares Ereignis des Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Kapitel 3 - Dr. Jekyll war ganz ungezwungen

Kapitel 3 - Dr. Jekyll war ganz ungezwungen

Vierzehn Tage darauf wollte der Glückszufall, daß Dr. Jekyll seinen fünf oder sechs alten Bekannten, die sämtlich kluge Leute sowie Kenner guten Weines waren, eines seiner so angenehmen Mittagessen gab. Mr. Utterson richtete es so ein, daß er noch zurückblieb, nachdem die übrigen bereits fortgegangen waren. Dieses war nun gerade nichts Neues, sondern ereignete sich häufig. Wo Utterson einmal beliebt war, war er sehr beliebt. Alle Gastgeber liebten es, den trockenen Advokaten noch zurückzuhalten, wenn die leichtherzigen und losen Zungen den Fuß bereits wieder über die Schwelle gesetzt hatten. Sie saßen gerne mit ihm, der so wenig aufdringlich war, und klärten so nach und nach der vorangegangenen Ausgelassenheit und Fröhlichkeit ihrer Gemüter in des Mannes reichem Schweigen. Dr. Jekyll machte von dieser Regel keine Ausnahme, und wie er nun an der anderen Seite des Kaminfeuers saß, ein großer, wohlgeformter, gutaussehender Mann von fünfzig Jahren, mit einem leichten Anflug von Schlauheit im Gesicht, das jedoch daneben alle Zeichen der Fähigkeit und der Freundlichkeit trug, konnte man in seinen Blicken lesen, daß er für Mr. Utterson eine aufrichtige, warme Freundschaft hegte.

„Ich wünsche mit dir zu reden, Jekyll,“ begann der Advokat, „du erinnerst dich ja wohl deines Testaments?“

Ein genauer Beobachter würde erraten haben, daß dieses Thema seinen Unwillen erregte, aber der Doktor ging leicht darüber hinweg. „Mein armer Utterson, es ist dein Unglück, einen solchen Klienten zu haben. Ich sah niemals einen Menschen in solcher Verzweiflung, wie du es über mein Testament bist. Es sei denn jener strenge Pedant Lanyon, der auf meine wissenschaftlichen Ketzereien, wie er es nannte, schallt. Oh, ich weiß, er ist ein guter Kollege — du brauchst gar nicht die Stirn zu runzeln, ein ausgezeichneter Kollege, und ich wünschte, ihn öfter zu sehen, aber trotzdem ist er ein Pedant durch und durch, ein unwissender, geschwätziger Pedant, — ich war niemals enttäuschter als durch Lanyon.“

„Du weißt, ich war nie damit einverstanden,“ fuhr Utterson rücksichtslos fort, das neue Thema ganz außer Acht lassend.

„Mein Testament? Ja, gewiß, das weiß ich,“ sagte der Doktor ein wenig scharf, „du hast es mir bereits gesagt.“

„Nun, ich sage dir das nochmals,“ entgegnete der Advokat, „ich habe etwas über den jungen Hyde in Erfahrung gebracht.“

Das große, schöne Gesicht Doktor Jekylls wurde blass bis an die Lippen, und seine Blicke verdüsterten sich. „Ich habe keine Lust noch mehr davon zu hören,“ sagte er, „ich dächte, wir hätten uns geeinigt, dieses Thema fallen zu lassen.“

„Was ich von ihm hörte, war verabscheuungswürdig,“ sagte Utterson.

„Das ändert nichts, du verstehst meine Lage nicht,“ erwiderte der Doktor mit einer gewissen Unsicherheit des Benehmens, „ich bin in einer seltsamen, ganz eigentümlichen Lage. Es ist eine jener Angelegenheiten, die durch vieles Reden nicht besser werden.“

„Jekyll,“ sagte Utterson, „du kennst mich, ich bin ein Mann, auf den man bauen kann. Erleichtere doch dein Herz im Vertrauen, und zweifelsohne kann ich dich aus dieser Sache erlösen.“

„Mein guter Utterson,“ sagte der Doktor, „das ist wirklich über allemaßen gut von dir, und ich kann kaum Worte finden, um dir meinen Dank auszudrücken. Ich würde dir vor allen anderen vertrauen, noch mehr als mir selber, wenn ich die Wahl hätte. Aber es ist wirklich nicht das, was du denkst, so schlimm ist es nun wirklich nicht. Nur um dein gutes Herz zu beruhigen, will ich dir das eine sagen, dass ich, sobald es mir gefällt, den Mister Hyde ganz loswerden kann. Ich gebe dir mein Wort darauf, und danke dir nochmals. Nur eine kleine Bitte, von der ich weiß, dass du sie erfüllen wirst,“ fügte er noch hinzu, „dieses ist eine Privatangelegenheit, also lasse die Sache ruhen.“

Utterson blickte überlegend ins Feuer.

„Ich hege keinen Zweifel, du hast vollkommen recht,“ sagte er sich erhebend.

„Nun, da wir aber doch einmal die Angelegenheit berührt haben, so gibt es einen Punkt, den ich auf alle Fälle klarlegen möchte. Ich hege wirklich viel Interesse für den Armen Hyde, ich weiß, du hast ihn gesehen, er erzählte es mir, und ich fürchte, er war grob gegen dich. Dennoch nehme ich sehr großen Anteil an diesem jungen Mann, und wenn ich hinweggerückt bin, Utterson, so wünsche ich, dass du ihn verträgst und ihm zu seinen Rechten verhilfst. Ich glaube, du tätest es, wenn du alles wüsstest, und mir wäre ein Stein vom Herzen, wenn du mir das Versprechen geben wolltest.“

„Ich kann nicht sagen, dass ich ihn je mögen werde,“ sagte der Advokat.

„Danach frage ich auch nicht,“ fiel Jekyll ein, seine Hand auf das anderen Arm legend. „Ich verlange nur Gerechtigkeit und bitte dich, ihm um meinetwillen zu helfen, wenn ich nicht mehr bin.“

Utterson stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ja,“ sagte er dann, „ich verspreche es.“


Kapitel 3 - Dr. Jekyll war ganz ungezwungen Chapter 3 - Dr. Jekyll was quite at ease Capitolo 3 - Il dottor Jekyll era piuttosto informale Hoofdstuk 3 - Dr Jekyll was helemaal op zijn gemak Capítulo 3 - O Dr. Jekyll era bastante informal

Vierzehn Tage darauf wollte der Glückszufall, daß Dr. Jekyll seinen fünf oder sechs alten Bekannten, die sämtlich kluge Leute sowie Kenner guten Weines waren, eines seiner so angenehmen Mittagessen gab. Mr. Utterson richtete es so ein, daß er noch zurückblieb, nachdem die übrigen bereits fortgegangen waren. Dieses war nun gerade nichts Neues, sondern ereignete sich häufig. Wo Utterson einmal beliebt war, war er sehr beliebt. Alle Gastgeber liebten es, den trockenen Advokaten noch zurückzuhalten, wenn die leichtherzigen und losen Zungen den Fuß bereits wieder über die Schwelle gesetzt hatten. Sie saßen gerne mit ihm, der so wenig aufdringlich war, und klärten so nach und nach der vorangegangenen Ausgelassenheit und Fröhlichkeit ihrer Gemüter in des Mannes reichem Schweigen. Dr. Jekyll machte von dieser Regel keine Ausnahme, und wie er nun an der anderen Seite des Kaminfeuers saß, ein großer, wohlgeformter, gutaussehender Mann von fünfzig Jahren, mit einem leichten Anflug von Schlauheit im Gesicht, das jedoch daneben alle Zeichen der Fähigkeit und der Freundlichkeit trug, konnte man in seinen Blicken lesen, daß er für Mr. Utterson eine aufrichtige, warme Freundschaft hegte.

„Ich wünsche mit dir zu reden, Jekyll,“ begann der Advokat, „du erinnerst dich ja wohl deines Testaments?“

Ein genauer Beobachter würde erraten haben, daß dieses Thema seinen Unwillen erregte, aber der Doktor ging leicht darüber hinweg. „Mein armer Utterson, es ist dein Unglück, einen solchen Klienten zu haben. Ich sah niemals einen Menschen in solcher Verzweiflung, wie du es über mein Testament bist. Es sei denn jener strenge Pedant Lanyon, der auf meine wissenschaftlichen Ketzereien, wie er es nannte, schallt. Oh, ich weiß, er ist ein guter Kollege — du brauchst gar nicht die Stirn zu runzeln, ein ausgezeichneter Kollege, und ich wünschte, ihn öfter zu sehen, aber trotzdem ist er ein Pedant durch und durch, ein unwissender, geschwätziger Pedant, — ich war niemals enttäuschter als durch Lanyon.“

„Du weißt, ich war nie damit einverstanden,“ fuhr Utterson rücksichtslos fort, das neue Thema ganz außer Acht lassend.

„Mein Testament? Ja, gewiß, das weiß ich,“ sagte der Doktor ein wenig scharf, „du hast es mir bereits gesagt.“

„Nun, ich sage dir das nochmals,“ entgegnete der Advokat, „ich habe etwas über den jungen Hyde in Erfahrung gebracht.“

Das große, schöne Gesicht Doktor Jekylls wurde blass bis an die Lippen, und seine Blicke verdüsterten sich. „Ich habe keine Lust noch mehr davon zu hören,“ sagte er, „ich dächte, wir hätten uns geeinigt, dieses Thema fallen zu lassen.“

„Was ich von ihm hörte, war verabscheuungswürdig,“ sagte Utterson.

„Das ändert nichts, du verstehst meine Lage nicht,“ erwiderte der Doktor mit einer gewissen Unsicherheit des Benehmens, „ich bin in einer seltsamen, ganz eigentümlichen Lage. Es ist eine jener Angelegenheiten, die durch vieles Reden nicht besser werden.“

„Jekyll,“ sagte Utterson, „du kennst mich, ich bin ein Mann, auf den man bauen kann. Erleichtere doch dein Herz im Vertrauen, und zweifelsohne kann ich dich aus dieser Sache erlösen.“

„Mein guter Utterson,“ sagte der Doktor, „das ist wirklich über allemaßen gut von dir, und ich kann kaum Worte finden, um dir meinen Dank auszudrücken. Ich würde dir vor allen anderen vertrauen, noch mehr als mir selber, wenn ich die Wahl hätte. Aber es ist wirklich nicht das, was du denkst, so schlimm ist es nun wirklich nicht. Nur um dein gutes Herz zu beruhigen, will ich dir das eine sagen, dass ich, sobald es mir gefällt, den Mister Hyde ganz loswerden kann. Ich gebe dir mein Wort darauf, und danke dir nochmals. Nur eine kleine Bitte, von der ich weiß, dass du sie erfüllen wirst,“ fügte er noch hinzu, „dieses ist eine Privatangelegenheit, also lasse die Sache ruhen.“

Utterson blickte überlegend ins Feuer.

„Ich hege keinen Zweifel, du hast vollkommen recht,“ sagte er sich erhebend.

„Nun, da wir aber doch einmal die Angelegenheit berührt haben, so gibt es einen Punkt, den ich auf alle Fälle klarlegen möchte. Ich hege wirklich viel Interesse für den Armen Hyde, ich weiß, du hast ihn gesehen, er erzählte es mir, und ich fürchte, er war grob gegen dich. Dennoch nehme ich sehr großen Anteil an diesem jungen Mann, und wenn ich hinweggerückt bin, Utterson, so wünsche ich, dass du ihn verträgst und ihm zu seinen Rechten verhilfst. Ich glaube, du tätest es, wenn du alles wüsstest, und mir wäre ein Stein vom Herzen, wenn du mir das Versprechen geben wolltest.“

„Ich kann nicht sagen, dass ich ihn je mögen werde,“ sagte der Advokat.

„Danach frage ich auch nicht,“ fiel Jekyll ein, seine Hand auf das anderen Arm legend. „Ich verlange nur Gerechtigkeit und bitte dich, ihm um meinetwillen zu helfen, wenn ich nicht mehr bin.“

Utterson stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ja,“ sagte er dann, „ich verspreche es.“