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Wunderbares Ereignis des Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Kapitel 2 – Das Suchen nach Mr. Hyde – 03

Kapitel 2 – Das Suchen nach Mr. Hyde – 03

Als Mr. Hyde ihn verlassen hatte, blieb der Advokat einen Augenblick stehen, ein Bild innerer Unruhe. Darauf ging er langsam weiter, alle paar Schritte stehenbleibend, die Hand sich nachdenklich an die Stirn legend. Das Rätsel, welches ihn auf dem Wege beschäftigte, war ein solches, das selten gelöst wird. Mr. Hyde war klein und zwerghaft, er machte den Eindruck eines verwachsenen Menschen, ohne jedoch eine namhafte Missbildung zu besitzen. Sein Lächeln berührte unangenehm. Dem Advokaten gegenüber hatte er sich mit einer seltsamen Mischung von Schüchternheit und Keckheit gezeigt. Er sprach mit heiserer, gebrochener, etwas flüsternder Stimme. Alles nahm gegen ihn ein, aber keiner von den Punkten konnte den unbewussten Abscheu und Widerwillen erklären, womit Mr. Utterson ihn betrachtete. „Es steckt jedenfalls noch etwas anderes dahinter, wenn ich nur einen Namen dafür finden könnte,“ sagte der beunruhigte Herr. „Gott schütze mich! Der Mann macht kaum den Eindruck eines Menschen, er gleicht eher einem Affen, oder ist es der Abglanz einer verlorenen Seele, der sich so auf der sterblichen Hülle abmalt? — Das Letztere, glaube ich, denn, oh! mein armer, alter Henry Jekyll, wenn ich jemals das Zeichen des Satans auf einer Stirn las, so ist es bei deinem neuen Freund.“

Um die Ecke biegend gelangte man auf einen großen Platz, der mit schönen alten Häusern bebaut war, die jetzt allerdings verfallen und von ihrem ehemalig guten Zustand heruntergekommen. Die Räume waren parzelliert und von Menschen aller Arten und Stände bewohnt. Die Einwohner bestanden aus Kartenzeichnern, Bauleuten, unterirdischen Advokaten und Agenten zweifelhafter Unternehmungen. Ein Haus jedoch, das zweite an der Ecke war, noch vollständig erhalten und machte, obwohl sonst im Dunkeln daliegend, nur von einer Laterne erhellt, den Eindruck eines reichen und vornehmen Hauses. Dort angelangt, blieb Utterson stehen und klopfte an die Tür. Ein gut gekleideter älterer Diener öffnete ihm.

„Ist Dr. Jekyll zu Hause, Poole?“ fragte der Advokat.

„Ich werde nachsehen, Mr. Utterson,“ sagte Poole, indem er den Besucher in einen großen, hohen, gemütlichen Vorsaal führte, der nach Sitte der Landhäuser mit Fliesen belegt war. Derselbe war durch ein offenes, helles Kaminfeuer erwärmt und mit kostbaren Eichenmöbeln eingerichtet. „Wollen Sie hier bei dem Feuer verweilen, gnädiger Herr, oder soll ich Ihnen Licht in das Speisezimmer bringen?“

„Hier, danke,“ sagte der Advokat und trat näher an den Kamin, auf dessen Brüstung er sich stützte. Diese Halle, in der er jetzt allein gelassen wurde, war ein Lieblingsplatz seines Freundes, des Doktors, und Utterson selbst war gewohnt, davon als von dem angenehmsten Raume Londons zu sprechen. Aber in dieser Nacht schauderte sein Blut, Mr. Hydes Gesicht schwebte ihm stets vor Augen, er fühlte, was selten bei ihm vorkam, Widerwillen und Unlust am Leben. In dieser geistigen Gedrücktheit sah er das flackernde Feuer, welches sich auf den blanken Möbeln abspiegelte und seinen unsteten Schatten auf den Wänden abmalte, gleichsam als eine Drohung an. Er schämte sich seines erleichterten Aufatmens, als Poole bald wiederkehrte und ihm ankündigte, daß Dr. Jekyll ausgegangen wäre.

„Ich sah Mr. Hyde durch die alte verfallene Tür hineingehen, Poole,“ sagte der Advokat, „ist das in der Ordnung, wenn Dr. Jekyll nicht zu Hause ist?“

„Ja, gnädiger Herr, Mr. Hyde hat einen Schlüssel,“ entgegnete der Diener.

„Ihr Herr scheint dem jungen Mann großes Vertrauen zu schenken,“ meinte Mr. Utterson nachdenklich.

„Dem ist allerdings so, gnädiger Herr,“ sagte Poole, „wir alle haben den Befehl erhalten, ihm zu gehorchen.“

„So viel ich weiß, habe ich Mr. Hyde hier nie getroffen?,“ sagte Utterson.

„Nein, ganz sicher nicht, gnädiger Herr, er speist hier nur zu Mittag,“ bemerkte der Diener. „Wir sehen ihn in diesem Teile des Hauses überhaupt sehr selten. Mr. Hyde kommt und geht meistens durch das Laboratorium.“

„Nun, dann gute Nacht, Poole!“

„Gute Nacht, Mr. Utterson“.

Der Advokat ging schweren Herzens heim.

„Armer Henry Jekyll,“ dachte er, „mein Gefühl sagt mir, dass er im trüben Wasser fischt. Er war wohl ausgelassen in seiner Jugend, doch das ist lange her, im Gesetze Gottes aber gibt es keine Verjährung. Es muss der Geist einer alten Sünde, der Krebs einer verborgenen Schande sein, und die Strafe kommt pede claudo, jahrelang, nachdem die Sünde dem Gedächtnis entschwunden oder die Eigenliebe den Fehler beschönigt hat.“ Mit diesen Gedanken beschäftigt, blickte der Advokat auf seine eigene Vergangenheit zurück. In allen Winkeln seines Gedächtnisses suchte er, ob er nicht irgendeine alte Schuld an das Licht fördern könnte. Seine Vergangenheit war durchaus tadellos, wenige Menschen konnten die Blätter ihres Lebens mit so geringer Furcht lesen, dennoch war er bis zum Staube gedemütigt durch seine vielen schlechten Handlungen, welche er begangen hatte, und doch war er in aufrichtiger Dankbarkeit erhoben durch die, welche er fast begangen hätte, aber noch rechtzeitig davor bewahrt worden war. Zu seinem vorhergehenden Gegenstand der Betrachtung sich wendend, überkam ihn ein Strahl der Hoffnung. Wenn man nur etwas Näheres über diesen Mr. Hyde nachforschen könnte, so müßte man, nach seinem Blick zu urteilen, dunkle Geheimnisse über ihn erfahren, im Vergleich zu denen des armen Jekylls schlimmste Gewiß, der reine Sonnenschein sind. Die Dinge können so nicht weitergehen. Ich friere bei dem Gedanken an dieses Geschäft, das sich gleich einem Dieber an Henrys Bett schleicht. Armer Henry, welch ein Erwachen! Und die Gefahr dabei, wenn dieser Hyde das Vorhandensein des Testaments ahnt, wird er doch sicher ungeduldig nach der Erbschaft werden. Auf jeden Fall muß ich das Rollen des Rades hemmen, wenn Jekyll mich nur handeln läßt, fügte er hinzu, wenn er mich nur handeln lassen wollte. Wieder war es ihm, als hätte er die sonderbaren Klauseln des Testaments vor Augen.


Kapitel 2 – Das Suchen nach Mr. Hyde – 03 Chapter 2 - Looking for Mr. Hyde - 03 Chapitre 2 - La recherche de Mr Hyde - 03 Hoofdstuk 2 - De zoektocht naar Mr Hyde - 03 Capítulo 2 - A procura do Sr. Hyde - 03

Als Mr. Hyde ihn verlassen hatte, blieb der Advokat einen Augenblick stehen, ein Bild innerer Unruhe. Darauf ging er langsam weiter, alle paar Schritte stehenbleibend, die Hand sich nachdenklich an die Stirn legend. Das Rätsel, welches ihn auf dem Wege beschäftigte, war ein solches, das selten gelöst wird. Mr. Hyde war klein und zwerghaft, er machte den Eindruck eines verwachsenen Menschen, ohne jedoch eine namhafte Missbildung zu besitzen. Sein Lächeln berührte unangenehm. Dem Advokaten gegenüber hatte er sich mit einer seltsamen Mischung von Schüchternheit und Keckheit gezeigt. Er sprach mit heiserer, gebrochener, etwas flüsternder Stimme. Alles nahm gegen ihn ein, aber keiner von den Punkten konnte den unbewussten Abscheu und Widerwillen erklären, womit Mr. Utterson ihn betrachtete. „Es steckt jedenfalls noch etwas anderes dahinter, wenn ich nur einen Namen dafür finden könnte,“ sagte der beunruhigte Herr. „Gott schütze mich! Der Mann macht kaum den Eindruck eines Menschen, er gleicht eher einem Affen, oder ist es der Abglanz einer verlorenen Seele, der sich so auf der sterblichen Hülle abmalt? — Das Letztere, glaube ich, denn, oh! mein armer, alter Henry Jekyll, wenn ich jemals das Zeichen des Satans auf einer Stirn las, so ist es bei deinem neuen Freund.“

Um die Ecke biegend gelangte man auf einen großen Platz, der mit schönen alten Häusern bebaut war, die jetzt allerdings verfallen und von ihrem ehemalig guten Zustand heruntergekommen. Die Räume waren parzelliert und von Menschen aller Arten und Stände bewohnt. Die Einwohner bestanden aus Kartenzeichnern, Bauleuten, unterirdischen Advokaten und Agenten zweifelhafter Unternehmungen. Ein Haus jedoch, das zweite an der Ecke war, noch vollständig erhalten und machte, obwohl sonst im Dunkeln daliegend, nur von einer Laterne erhellt, den Eindruck eines reichen und vornehmen Hauses. Dort angelangt, blieb Utterson stehen und klopfte an die Tür. Ein gut gekleideter älterer Diener öffnete ihm.

„Ist Dr. Jekyll zu Hause, Poole?“ fragte der Advokat.

„Ich werde nachsehen, Mr. Utterson,“ sagte Poole, indem er den Besucher in einen großen, hohen, gemütlichen Vorsaal führte, der nach Sitte der Landhäuser mit Fliesen belegt war. Derselbe war durch ein offenes, helles Kaminfeuer erwärmt und mit kostbaren Eichenmöbeln eingerichtet. „Wollen Sie hier bei dem Feuer verweilen, gnädiger Herr, oder soll ich Ihnen Licht in das Speisezimmer bringen?“

„Hier, danke,“ sagte der Advokat und trat näher an den Kamin, auf dessen Brüstung er sich stützte. Diese Halle, in der er jetzt allein gelassen wurde, war ein Lieblingsplatz seines Freundes, des Doktors, und Utterson selbst war gewohnt, davon als von dem angenehmsten Raume Londons zu sprechen. Aber in dieser Nacht schauderte sein Blut, Mr. Hydes Gesicht schwebte ihm stets vor Augen, er fühlte, was selten bei ihm vorkam, Widerwillen und Unlust am Leben. In dieser geistigen Gedrücktheit sah er das flackernde Feuer, welches sich auf den blanken Möbeln abspiegelte und seinen unsteten Schatten auf den Wänden abmalte, gleichsam als eine Drohung an. Er schämte sich seines erleichterten Aufatmens, als Poole bald wiederkehrte und ihm ankündigte, daß Dr. Jekyll ausgegangen wäre.

„Ich sah Mr. Hyde durch die alte verfallene Tür hineingehen, Poole,“ sagte der Advokat, „ist das in der Ordnung, wenn Dr. Jekyll nicht zu Hause ist?“

„Ja, gnädiger Herr, Mr. Hyde hat einen Schlüssel,“ entgegnete der Diener.

„Ihr Herr scheint dem jungen Mann großes Vertrauen zu schenken,“ meinte Mr. Utterson nachdenklich.

„Dem ist allerdings so, gnädiger Herr,“ sagte Poole, „wir alle haben den Befehl erhalten, ihm zu gehorchen.“

„So viel ich weiß, habe ich Mr. Hyde hier nie getroffen?,“ sagte Utterson.

„Nein, ganz sicher nicht, gnädiger Herr, er speist hier nur zu Mittag,“ bemerkte der Diener. „Wir sehen ihn in diesem Teile des Hauses überhaupt sehr selten. Mr. Hyde kommt und geht meistens durch das Laboratorium.“

„Nun, dann gute Nacht, Poole!“

„Gute Nacht, Mr. Utterson“.

Der Advokat ging schweren Herzens heim.

„Armer Henry Jekyll,“ dachte er, „mein Gefühl sagt mir, dass er im trüben Wasser fischt. Er war wohl ausgelassen in seiner Jugend, doch das ist lange her, im Gesetze Gottes aber gibt es keine Verjährung. Es muss der Geist einer alten Sünde, der Krebs einer verborgenen Schande sein, und die Strafe kommt __pede claudo__, jahrelang, nachdem die Sünde dem Gedächtnis entschwunden oder die Eigenliebe den Fehler beschönigt hat.“ Mit diesen Gedanken beschäftigt, blickte der Advokat auf seine eigene Vergangenheit zurück. In allen Winkeln seines Gedächtnisses suchte er, ob er nicht irgendeine alte Schuld an das Licht fördern könnte. Seine Vergangenheit war durchaus tadellos, wenige Menschen konnten die Blätter ihres Lebens mit so geringer Furcht lesen, dennoch war er bis zum Staube gedemütigt durch seine vielen schlechten Handlungen, welche er begangen hatte, und doch war er in aufrichtiger Dankbarkeit erhoben durch die, welche er fast begangen hätte, aber noch rechtzeitig davor bewahrt worden war. Zu seinem vorhergehenden Gegenstand der Betrachtung sich wendend, überkam ihn ein Strahl der Hoffnung. Wenn man nur etwas Näheres über diesen Mr. Hyde nachforschen könnte, so müßte man, nach seinem Blick zu urteilen, dunkle Geheimnisse über ihn erfahren, im Vergleich zu denen des armen Jekylls schlimmste Gewiß, der reine Sonnenschein sind. Die Dinge können so nicht weitergehen. Ich friere bei dem Gedanken an dieses Geschäft, das sich gleich einem Dieber an Henrys Bett schleicht. Armer Henry, welch ein Erwachen! Und die Gefahr dabei, wenn dieser Hyde das Vorhandensein des Testaments ahnt, wird er doch sicher ungeduldig nach der Erbschaft werden. Auf jeden Fall muß ich das Rollen des Rades hemmen, wenn Jekyll mich nur handeln läßt, fügte er hinzu, wenn er mich nur handeln lassen wollte. Wieder war es ihm, als hätte er die sonderbaren Klauseln des Testaments vor Augen.