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Sherlock Holmes - Der Hund der Baskervilles, Achtes Kapitel - Erster Bericht des Doktor Watson - 02

Achtes Kapitel - Erster Bericht des Doktor Watson - 02

Neulich – ganz genau am Donnerstag – frühstückte Dr. Mortimer bei uns. Er hat in Long Down einen Grabhügel untersucht und einen prähistorischen Schädel gefunden, der ihn mit großer Freude erfüllt. Er ist ein ganz großer Enthusiast. Nach dem Essen kamen auch die Stapletons, und der gute Doktor führte uns alle zu der Taxusallee, um uns auf Sir Henrys Bitten genau zu erklären, wie sich der Vorgang in der verhängnisvollen Nacht abspielte.

Die Taxusallee ist ein langer, öder Weg zwischen zwei hohen, beschnittenen Hecken; ein schmaler Grasstreifen befindet sich an jeder Seite.

Ungefähr auf halbem Weg ist die Moorpforte, wo der alte Herr seine Zigarrenasche hinterließ. Es ist eine weiße Lattentür, die mit einem Riegel verschlossen ist. Dahinter erstreckt sich das weite Moor. Ich erinnerte mich an deine Mutmaßung über den Hergang und versuchte mir ein Bild davon zu machen. Als der alte Herr an der Pforte stand, sah er irgend etwas über das Moor kommen, irgend ein Etwas, das ihn so in Schrecken setzte, daß er die Besinnung verlor und rannte und rannte, bis er vor nackter Angst und Erschöpfung tot umfiel. Was verfolgte ihn? Ein Schäferhund vom Moor? Oder ein schwarzer, schweigender, ungeheurer Gespensterhund? Waren Menschenhände dabei im Spiel? Wußte der wachsame blasse Barrymore mehr als er sagen wollte? Alles ist schwankend und vage, aber überall wirft ein Verbrechen seine dunklen Schatten über dieses Rätsel.

Seitdem ich meinen letzten Brief schrieb, habe ich noch einen anderen Nachbarn kennengelernt: Herrn Frankland von Lafter Hall, vier Meilen von uns in südlicher Richtung gelegen. Er ist ein älterer Herr mit rotem Gesicht, weißem Haar und höchst cholerischem Gemüt. Seine Leidenschaft ist das britische Recht, und er hat ein bedeutendes Vermögen in Prozessen draufgehen lassen. Er kämpft aus reiner Lust am Kampf und ist stets bereit, die eine oder die andere Seite eines Rechtsstreites zu seiner Sache zu machen; es ist daher kein Wunder, daß sich sein Vergnügen als recht kostspielig herausgestellt hat. Zuweilen erläßt er ein Verbot, irgend einen Weg zu benutzen; dann muß die Gemeinde erst einen Prozeß führen, um die Öffnung desselben durchzusetzen. Dann wieder reißt er eigenhändig irgend ein anderen Leuten gehörendes Gatter nieder und behauptet, es habe seit undenklichen Zeiten an der betreffenden Stelle ein freier Weg existiert. Dann muß der Eigentümer ebenfalls erst einen Prozeß führen, um sein Zugangsrecht zu behalten. Er ist ein Experte in altem Kommunal- und Gutsrecht, und er wendet sein Wissen manchmal zugunsten der Dörfler von Fernworthy an und manchmal gegen sie; so wird er zur verschiedenen Zeiten einmal im Triumph über die Dorfstraße getragen, ein andermal aber hätten sie ihn am liebsten verbrannt.

Gegenwärtig soll er sieben Prozesse schweben haben, die wahrscheinlich den Rest seines Vermögens verschlingen werden; dann wird ihm der Stachel genommen und er in Zukunft ein harmloser alter Herr sein. Abgesehen von seiner Prozeßsucht macht er den Eindruck eines freundlichen und gutmütigen Menschen, und ich erwähne ihn nur, weil Du mir besonders einschärftest, ich sollte die Personen in unserer Umgebung genauer beschreiben.

Gegenwärtig hat er eine sonderbare Beschäftigung: er ist Amateur-Astronom und besitzt deshalb ein ausgezeichnetes Fernrohr. Mit diesem liegt er nun den ganzen Tag auf dem Dach seines Hauses und sieht auf das Moor hinaus in der Hoffnung, den entsprungenen Zuchthäusler zu entdecken. Wollte er seine Tatkraft hierauf beschränken, so wäre alles schön und gut, aber wie das Gerücht wissen will, beabsichtigt er dem Dr. Mortimer wegen seiner Ausgrabung des vorgeschichtlichen Schädels in Long Down einen Prozeß anzuhängen, weil er ohne Einwilligung des nächsten Anverwandten ein Grab geöffnet hat. Herr Frankland bringt ein bißchen Abwechselung in unser gar zu eintöniges Leben hier und sorgt für etwas Komik, die wir hier wirklich bitter nötig haben.

Und nun, nachdem ich Dir über den entsprungenen Sträfling, über die Stapletons, Dr. Mortimer und Herrn Frankland von Laster Hall alles mir Bekannte mitgeteilt habe, will ich mich zum Schluß dem wichtigsten Teil meines Berichtes zuwenden und Dir einiges Neue über die Barrymores melden, besonders eine überraschende Wendung, die die vorige Nacht gebracht hat.

Zunächst noch einiges über das Telegramm, das Du von London aus sandtest, um Gewißheit zu bekommen, ob Barrymore in Wirklichkeit hier war oder nicht. Wie ich bereits auseinandersetzte, geht aus dem Zeugnis des Postmeisters von Grimpen hervor, daß es keinerlei gültigen Beweis für den einen oder den anderen Fall gibt. Ich sagte Sir Henry, wie die Sache steht, und in seiner geraden offenen Art ließ er sofort Barrymore rufen und fragte ihn, ob er das Telegramm selber in Empfang genommen hätte. Der Kammerdiener bejahte die Frage.

»Lieferte der Junge es zu Ihren eigenen Händen ab?« fragte der Baronet weiter.

Barrymore machte ein überraschtes Gesicht, dachte eine kleine Weile nach und sagte dann:

»Nein; ich war in dem Moment gerade auf dem Dachboden und meine Frau brachte es mir herauf.«

»Beantworteten Sie es selber?«

»Nein, ich sagte meiner Frau, was zu antworten sei, und sie ging hinunter, um es aufzuschreiben.«

Am Abend kam Barrymore von selbst auf das Thema zurück, indem er sagte:

»Ich konnte nicht recht verstehen, welche Absicht Ihre Fragen von heute früh verfolgten, Sir Henry. Es war damit doch gewiß nicht bezweckt, mir eine Täuschung Ihres Vertrauens zur Last zu legen?«

Sir Henry mußte ihm versichern, dies sei nicht der Fall und gab ihm schließlich, um ihn nur wieder zu beruhigen, einen beträchtlichen Teil seiner alten Sachen; die in London bestellte neue Ausstattung ist nämlich jetzt eingetroffen.

Frau Barrymore interessiert mich. Sie ist eine derbe, grobschlächtige Person, sehr beschränkt, durch und durch ehrenwert und mit einer Neigung zum Puritanischen. Rührselig ist sie sicherlich nicht im geringsten. Und doch hörte ich sie in der ersten Nacht meines Hierseins schluchzen, wie ich Dir bereits schrieb, und seitdem habe ich mehr als einmal auf ihrem Gesicht die Spuren von Tränen bemerkt. Irgend ein tiefer Kummer nagt ihr am Herzen. Manchmal frage ich mich, ob vielleicht ein schuldbeladenes Gewissen sie quält, manchmal habe ich Barrymore im Verdacht, ein Haustyrann zu sein. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, daß sein Charakter seltsam und fragwürdig sei, aber mein Erlebnis von voriger Nacht gibt meinem Verdacht eine bestimmte Richtung – obgleich es Dir vielleicht an und für sich unbedeutend vorkommen wird.

Wie du weißt, habe ich keinen sehr festen Schlaf, und seitdem ich hier auf meinem Beobachtungsposten bin, ist mein Schlummer leiser denn je. Heute nacht – es war gegen zwei Uhr morgens – weckte mich das Geräusch verstohlener Schritte auf dem Korridor. Ich stand auf, öffnete meine Tür und lugte hinaus. Ein langer schwarzer Schatten schwebte den Gang entlang. Es war ein Mann, der mit einer Kerze in der Hand behutsam den Korridor hinunterging. Er war in Hemd und Hosen und barfüßig; ich konnte nur die Umrisse seiner Gestalt sehen, merkte aber an der Größe, daß es Barrymore war. Er ging sehr langsam und vorsichtig und seine ganze Erscheinung hatte etwas unbeschreiblich Scheues und Schuldbewußtes an sich.

Wie ich Dir bereits schrieb, wird der Korridor von der rund um die große Halle laufenden Empore unterbrochen, hat aber eine Fortsetzung jenseits derselben. Ich wartete, bis Barrymore verschwunden war und ging ihm dann nach. Als ich an der Empore vorbei war, hatte er bereits das andere Ende des Korridors erreicht und war, wie ich an einem aus einer offenen Thür herausfallenden Lichtschein sehen konnte, in eines der Zimmer getreten. Da nun alle diese Räume unbewohnt und unmöbliert sind, so wurde sein Vorhaben immer rätselhafter für mich. Der Lichtschein blieb immer auf einer Stelle, woraus man schließen konnte, daß Barrymore still stand. Ich schlich mich so geräuschlos wie möglich den Gang entlang und sah in das Zimmer hinein.

Barrymore hockte am Fenster und hielt sein Licht an die Scheibe. Sein Profil war mir halb zugewandt und sein Gesicht war starr gespannt; er spähte in die auf dem Moor liegende Finsternis hinaus.

Mehrere Minuten lang wartete er; dann stieß er einen tiefen Seufzer aus und löschte das Licht. Sofort ging ich zu meinem Zimmer zurück, und ganz wenige Augenblicke darauf kamen wieder die verstohlenen Schritte an meiner Tür vorbei.

Viel später, als ich in einen leichten Schlummer gefallen war, hörte ich einen Schlüssel in einem Schloß drehen, konnte aber nicht feststellen, aus welcher Richtung der Laut kam.

Ich kann dir nicht erklären, was dies alles bedeutet, aber soviel ist sicher: etwas Geheimnisvolles geht in diesem Haus vor, und früher oder später werden wir dahinter kommen. Ich will Dich nicht mit Theorien behelligen, denn Du batest mich ja, bloß Tatsachen mitzuteilen. Ich habe heute früh ein langes Gespräch mit Sir Henry gehabt, und wir haben auf Grund meiner in der vorigen Nacht gemachten Beobachtungen einen Schlachtplan entworfen. Ich will heute nichts mehr darüber sagen, um auch meinem nächsten Bericht zu einer spannenden Lektüre werden zu lassen.

Achtes Kapitel - Erster Bericht des Doktor Watson - 02 Chapter Eight - First Report of Doctor Watson - 02 Глава 8 - Первый доклад доктора Ватсона - 02

Neulich – ganz genau am Donnerstag – frühstückte Dr. Mortimer bei uns. Er hat in Long Down einen Grabhügel untersucht und einen prähistorischen Schädel gefunden, der ihn mit großer Freude erfüllt. He has been investigating a burial mound in Long Down and has found a prehistoric skull that fills him with great joy. Er ist ein ganz großer Enthusiast. Nach dem Essen kamen auch die Stapletons, und der gute Doktor führte uns alle zu der Taxusallee, um uns auf Sir Henrys Bitten genau zu erklären, wie sich der Vorgang in der verhängnisvollen Nacht abspielte. After dinner the Stapletons also arrived, and the good doctor led us all to Taxus Alley to explain to us, at Sir Henry's request, exactly how the incident took place that fateful night.

Die Taxusallee ist ein langer, öder Weg zwischen zwei hohen, beschnittenen Hecken; ein schmaler Grasstreifen befindet sich an jeder Seite. The taxus avenue is a long, barren path between two tall, trimmed hedges; a narrow strip of grass is on either side.

Ungefähr auf halbem Weg ist die Moorpforte, wo der alte Herr seine Zigarrenasche hinterließ. Es ist eine weiße Lattentür, die mit einem Riegel verschlossen ist. It is a white slat door, which is closed with a bolt. Dahinter erstreckt sich das weite Moor. Ich erinnerte mich an deine Mutmaßung über den Hergang und versuchte mir ein Bild davon zu machen. I remembered your speculation about what happened and tried to get a picture of it. Als der alte Herr an der Pforte stand, sah er irgend etwas über das Moor kommen, irgend ein Etwas, das ihn so in Schrecken setzte, daß er die Besinnung verlor und rannte und rannte, bis er vor nackter Angst und Erschöpfung tot umfiel. Was verfolgte ihn? Ein Schäferhund vom Moor? Oder ein schwarzer, schweigender, ungeheurer Gespensterhund? Waren Menschenhände dabei im Spiel? Wußte der wachsame blasse Barrymore mehr als er sagen wollte? Did the watchful pale Barrymore know more than he wanted to say? Alles ist schwankend und vage, aber überall wirft ein Verbrechen seine dunklen Schatten über dieses Rätsel. Everything is shaky and vague, but everywhere a crime casts its dark shadow over this mystery.

Seitdem ich meinen letzten Brief schrieb, habe ich noch einen anderen Nachbarn kennengelernt: Herrn Frankland von Lafter Hall, vier Meilen von uns in südlicher Richtung gelegen. Since writing my last letter, I have met another neighbor, Mr. Frankland of Lafter Hall, located four miles from us to the south. Er ist ein älterer Herr mit rotem Gesicht, weißem Haar und höchst cholerischem Gemüt. He is an elderly gentleman with a red face, white hair and a highly choleric disposition. Seine Leidenschaft ist das britische Recht, und er hat ein bedeutendes Vermögen in Prozessen draufgehen lassen. His passion is British law, and he has lost a significant fortune in litigation. Er kämpft aus reiner Lust am Kampf und ist stets bereit, die eine oder die andere Seite eines Rechtsstreites zu seiner Sache zu machen; es ist daher kein Wunder, daß sich sein Vergnügen als recht kostspielig herausgestellt hat. He fights for the sheer pleasure of it, and is always ready to make one side or the other of a dispute his own; it is no wonder, therefore, that his pleasure has proved quite costly. Zuweilen erläßt er ein Verbot, irgend einen Weg zu benutzen; dann muß die Gemeinde erst einen Prozeß führen, um die Öffnung desselben durchzusetzen. Sometimes he issues a prohibition to use any road; then the municipality must first conduct a lawsuit to enforce the opening of the same. Dann wieder reißt er eigenhändig irgend ein anderen Leuten gehörendes Gatter nieder und behauptet, es habe seit undenklichen Zeiten an der betreffenden Stelle ein freier Weg existiert. Then again, he single-handedly tears down some gate belonging to other people and claims that there has been a free path at the place in question since time immemorial. Dann muß der Eigentümer ebenfalls erst einen Prozeß führen, um sein Zugangsrecht zu behalten. Then the owner must also first file a lawsuit to retain his right of access. Er ist ein Experte in altem Kommunal- und Gutsrecht, und er wendet sein Wissen manchmal zugunsten der Dörfler von Fernworthy an und manchmal gegen sie; so wird er zur verschiedenen Zeiten einmal im Triumph über die Dorfstraße getragen, ein andermal aber hätten sie ihn am liebsten verbrannt. He is an expert in ancient municipal and estate law, and he sometimes applies his knowledge in favor of the villagers of Fernworthy and sometimes against them; thus at various times he is carried in triumph along the village street, but at other times they would have preferred to burn him.

Gegenwärtig soll er sieben Prozesse schweben haben, die wahrscheinlich den Rest seines Vermögens verschlingen werden; dann wird ihm der Stachel genommen und er in Zukunft ein harmloser alter Herr sein. At present he is said to have seven lawsuits pending, which will probably devour the rest of his fortune; then the sting will be taken out of him and he will be a harmless old gentleman in the future. Abgesehen von seiner Prozeßsucht macht er den Eindruck eines freundlichen und gutmütigen Menschen, und ich erwähne ihn nur, weil Du mir besonders einschärftest, ich sollte die Personen in unserer Umgebung genauer beschreiben. Apart from his litigiousness, he makes the impression of a friendly and good-natured person, and I mention him only because you particularly inculcated in me that I should describe the people around us more precisely.

Gegenwärtig hat er eine sonderbare Beschäftigung: er ist Amateur-Astronom und besitzt deshalb ein ausgezeichnetes Fernrohr. Mit diesem liegt er nun den ganzen Tag auf dem Dach seines Hauses und sieht auf das Moor hinaus in der Hoffnung, den entsprungenen Zuchthäusler zu entdecken. Wollte er seine Tatkraft hierauf beschränken, so wäre alles schön und gut, aber wie das Gerücht wissen will, beabsichtigt er dem Dr. Mortimer wegen seiner Ausgrabung des vorgeschichtlichen Schädels in Long Down einen Prozeß anzuhängen, weil er ohne Einwilligung des nächsten Anverwandten ein Grab geöffnet hat. If he wanted to limit his action to this, everything would be fine, but rumor has it that he intends to sue Dr. Mortimer for his excavation of the prehistoric skull at Long Down for opening a grave without the consent of the next of kin. Herr Frankland bringt ein bißchen Abwechselung in unser gar zu eintöniges Leben hier und sorgt für etwas Komik, die wir hier wirklich bitter nötig haben. Mr. Frankland brings a bit of variety into our too monotonous life here and provides some comedy, which we really need here.

Und nun, nachdem ich Dir über den entsprungenen Sträfling, über die Stapletons, Dr. Mortimer und Herrn Frankland von Laster Hall alles mir Bekannte mitgeteilt habe, will ich mich zum Schluß dem wichtigsten Teil meines Berichtes zuwenden und Dir einiges Neue über die Barrymores melden, besonders eine überraschende Wendung, die die vorige Nacht gebracht hat.

Zunächst noch einiges über das Telegramm, das Du von London aus sandtest, um Gewißheit zu bekommen, ob Barrymore in Wirklichkeit hier war oder nicht. First, a few things about the telegram you sent from London to find out whether Barrymore was really here or not. Wie ich bereits auseinandersetzte, geht aus dem Zeugnis des Postmeisters von Grimpen hervor, daß es keinerlei gültigen Beweis für den einen oder den anderen Fall gibt. As I have already pointed out, it is clear from the testimony of the postmaster of Grimpen that there is no valid proof of one or the other case. Ich sagte Sir Henry, wie die Sache steht, und in seiner geraden offenen Art ließ er sofort Barrymore rufen und fragte ihn, ob er das Telegramm selber in Empfang genommen hätte. Der Kammerdiener bejahte die Frage. The valet answered the question in the affirmative.

»Lieferte der Junge es zu Ihren eigenen Händen ab?« fragte der Baronet weiter.

Barrymore machte ein überraschtes Gesicht, dachte eine kleine Weile nach und sagte dann:

»Nein; ich war in dem Moment gerade auf dem Dachboden und meine Frau brachte es mir herauf.«

»Beantworteten Sie es selber?«

»Nein, ich sagte meiner Frau, was zu antworten sei, und sie ging hinunter, um es aufzuschreiben.«

Am Abend kam Barrymore von selbst auf das Thema zurück, indem er sagte:

»Ich konnte nicht recht verstehen, welche Absicht Ihre Fragen von heute früh verfolgten, Sir Henry. "I couldn't quite understand the intent of your questions this morning, Sir Henry. Es war damit doch gewiß nicht bezweckt, mir eine Täuschung Ihres Vertrauens zur Last zu legen?« Surely it was not intended to accuse me of deceiving your trust?"

Sir Henry mußte ihm versichern, dies sei nicht der Fall und gab ihm schließlich, um ihn nur wieder zu beruhigen, einen beträchtlichen Teil seiner alten Sachen; die in London bestellte neue Ausstattung ist nämlich jetzt eingetroffen. Sir Henry had to assure him that this was not the case, and finally, only to reassure him again, gave him a considerable part of his old things; for the new equipment ordered in London has now arrived.

Frau Barrymore interessiert mich. Sie ist eine derbe, grobschlächtige Person, sehr beschränkt, durch und durch ehrenwert und mit einer Neigung zum Puritanischen. She is a coarse, coarse person, very limited, thoroughly honorable, and with an inclination toward the Puritan. Rührselig ist sie sicherlich nicht im geringsten. It is certainly not maudlin in the least. Und doch hörte ich sie in der ersten Nacht meines Hierseins schluchzen, wie ich Dir bereits schrieb, und seitdem habe ich mehr als einmal auf ihrem Gesicht die Spuren von Tränen bemerkt. And yet, the first night I was here, I heard her sobbing, as I wrote to you before, and since then I have noticed the traces of tears on her face more than once. Irgend ein tiefer Kummer nagt ihr am Herzen. Manchmal frage ich mich, ob vielleicht ein schuldbeladenes Gewissen sie quält, manchmal habe ich Barrymore im Verdacht, ein Haustyrann zu sein. Sometimes I wonder if perhaps a guilt-ridden conscience is tormenting her, sometimes I suspect Barrymore of being a domestic bully. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, daß sein Charakter seltsam und fragwürdig sei, aber mein Erlebnis von voriger Nacht gibt meinem Verdacht eine bestimmte Richtung – obgleich es Dir vielleicht an und für sich unbedeutend vorkommen wird. From the beginning I had the feeling that his character was strange and questionable, but my experience of last night gives my suspicions a certain direction - although it may seem insignificant to you in and of itself.

Wie du weißt, habe ich keinen sehr festen Schlaf, und seitdem ich hier auf meinem Beobachtungsposten bin, ist mein Schlummer leiser denn je. Heute nacht – es war gegen zwei Uhr morgens – weckte mich das Geräusch verstohlener Schritte auf dem Korridor. Tonight - it was around two o'clock in the morning - the sound of furtive footsteps in the corridor woke me up. Ich stand auf, öffnete meine Tür und lugte hinaus. Ein langer schwarzer Schatten schwebte den Gang entlang. Es war ein Mann, der mit einer Kerze in der Hand behutsam den Korridor hinunterging. Er war in Hemd und Hosen und barfüßig; ich konnte nur die Umrisse seiner Gestalt sehen, merkte aber an der Größe, daß es Barrymore war. He was in shirt and pants and barefoot; I could only see the outline of his figure, but realized by the size that it was Barrymore. Er ging sehr langsam und vorsichtig und seine ganze Erscheinung hatte etwas unbeschreiblich Scheues und Schuldbewußtes an sich. He walked very slowly and carefully and his whole appearance had something indescribably shy and guilty about it.

Wie ich Dir bereits schrieb, wird der Korridor von der rund um die große Halle laufenden Empore unterbrochen, hat aber eine Fortsetzung jenseits derselben. As I wrote to you earlier, the corridor is interrupted by the gallery running around the great hall, but has a continuation beyond it. Ich wartete, bis Barrymore verschwunden war und ging ihm dann nach. Als ich an der Empore vorbei war, hatte er bereits das andere Ende des Korridors erreicht und war, wie ich an einem aus einer offenen Thür herausfallenden Lichtschein sehen konnte, in eines der Zimmer getreten. When I had passed the gallery, he had already reached the other end of the corridor and had entered one of the rooms, as I could see from a light shining out of an open door. Da nun alle diese Räume unbewohnt und unmöbliert sind, so wurde sein Vorhaben immer rätselhafter für mich. Now that all these rooms are unoccupied and unfurnished, his plan became more and more puzzling to me. Der Lichtschein blieb immer auf einer Stelle, woraus man schließen konnte, daß Barrymore still stand. Ich schlich mich so geräuschlos wie möglich den Gang entlang und sah in das Zimmer hinein.

Barrymore hockte am Fenster und hielt sein Licht an die Scheibe. Barrymore squatted by the window and held his light to the pane. Sein Profil war mir halb zugewandt und sein Gesicht war starr gespannt; er spähte in die auf dem Moor liegende Finsternis hinaus. His profile was half turned towards me and his face was rigidly tense; he was peering out into the darkness lying on the moor.

Mehrere Minuten lang wartete er; dann stieß er einen tiefen Seufzer aus und löschte das Licht. Sofort ging ich zu meinem Zimmer zurück, und ganz wenige Augenblicke darauf kamen wieder die verstohlenen Schritte an meiner Tür vorbei. Immediately I went back to my room, and very few moments later the stealthy footsteps passed by my door again.

Viel später, als ich in einen leichten Schlummer gefallen war, hörte ich einen Schlüssel in einem Schloß drehen, konnte aber nicht feststellen, aus welcher Richtung der Laut kam.

Ich kann dir nicht erklären, was dies alles bedeutet, aber soviel ist sicher: etwas Geheimnisvolles geht in diesem Haus vor, und früher oder später werden wir dahinter kommen. Ich will Dich nicht mit Theorien behelligen, denn Du batest mich ja, bloß Tatsachen mitzuteilen. I do not want to bother you with theories, because you asked me to communicate only facts. Ich habe heute früh ein langes Gespräch mit Sir Henry gehabt, und wir haben auf Grund meiner in der vorigen Nacht gemachten Beobachtungen einen Schlachtplan entworfen. I had a long talk with Sir Henry this morning, and we came up with a battle plan based on my observations the previous night. Ich will heute nichts mehr darüber sagen, um auch meinem nächsten Bericht zu einer spannenden Lektüre werden zu lassen. I don't want to say anything more about it today in order to make my next report an exciting read as well.