Der Schatten über Innsmouth - Kapitel 1 - 03
Niemand hier oder in Arkham oder Ipswich will irgendwas mit denen zu tun haben und sie selbst verhalten sich eher reserviert wenn sie in die Stadt kommen oder irgendwer in ihrer Gegend zu fischen versucht. Ist seltsam, wie die Fische sich immer dicht vor dem Hafen von Innsmouth tummeln, wenn nirgendwo sonst welche zu finden sind --- aber versuch mal, selbst da zu fischen und sieh wie die Kerle dich verjagen! Die Leute sind früher mit der Eisenbahn gekommen --- sind gelaufen und haben den Zug bei Rowley genommen, nachdem die Nebenstrecke aufgegeben worden war --- aber jetzt nehmen sie den Bus.
Ja, da gibt es ein Hotel in Innsmouth --- genannt das Gilman House --- aber ich glaube nicht, dass das viel was ist. Ich würde dir nicht raten, es auszuprobieren. Bleib lieber hier und nehm den 10-Uhr-Bus morgen früh, dann kannst Du mit dem Abendbus von da nach Arkham um acht. Da war mal ein Fabrikinspektor, der vor ein paar Jahren mal im Gilman abgestiegen ist und er hatte eine Menge unschöne Andeutungen darüber zu machen. Scheint, die kriegen da eine seltsame Kundschaft, denn der Kerl hat Stimmen in anderen Räumen gehört --- obwohl die meisten leer waren --- die ihn das Fürchten gelehrt haben. Es war 'ne Fremdsprache, glaubte er, aber er sagte, das Schlimme daran war eine Stimme, die manchmal sprach. Sie klang so unnatürlich --- schlabbernd, sagte er --- so dass er sich nicht traute, sich auszuziehen und zu schlafen. Wartete einfach und machte sich mit dem ersten Licht am Morgen davon. Das Gerede ging fast die ganze Nacht.
Dieser Bursche --- Casey war sein Name --- hatte 'ne Menge drüber zu erzählen, wie die Innsmouth-Leute ihn beobachtet haben und dass sie irgendwie auf der Hut zu sein schienen. Ihm kam die Marsh-Raffinerie merkwürdig vor --- ist in einer alten Fabrik an den unteren Fällen des Manuxet. Was er erzählte, passt zu dem was ich sonst gehört hab'. Die Bücher schlecht geführt und keine wirklichen Aufzeichnungen über irgendwelche Geschäfte. Weißt Du, es war immer etwas mysteriös, wo die Marshes das Gold, das sie aufbereiten herbekommen. Sie schienen nie sehr viel davon anzukaufen aber vor Jahren haben sie eine enorme Menge Barren verschifft.
Man hört Gerüchte über seltsamen, fremdartigen Schmuck, den Seemänner und Raffineriearbeiter manchmal heimlich verkauft haben, oder den man ein-zwei mal an einigen der Marsh-Frauen gesehen hat. Die Leute dachten, dass vielleicht der alte Käpt'n Obed das in irgendeinem Heidenhafen erhandelt hat, besonders weil er immer stapelweise Glasperlen und Kinkerlitzchen, die Seemänner für Handel mit Eingeborenen benutzten, kaufte. Andere glaubten und glauben noch heute, dass er einen alten Piratenschatz draußen am Devil Reef gefunden hat. Aber hier ist das Komische an der Sache: Der alte Käpt'n ist seit sechzig Jahren tot und es ist seit dem Bürgerkrieg kein größeres Schiff aus dem Hafen aufgebrochen, aber die Marshes kaufen immer noch ein paar von diesen Eingeborenen-Handelswaren --- größtenteils Plunder aus Glas und Gummi, heißt es. Vielleicht mögen die Innsmouther sie selbst anschauen --- Gott weiß, die müssen mittlerweile so schlimm dran sein wie Südseekannibalen und Wilde aus Guinea!
Die Seuche von '46 muss das beste Blut im Ort dahingerafft haben. Jedenfalls sind sie nun ein zweifelhafter Haufen und die Marshes und die anderen Reichen sind genau so schlimm wie der Rest. Wie gesagt, da leben wahrscheinlich nicht mehr als 400 Leute in dem ganzen Dorf, trotz all der Straßen, die es da angeblich gibt. Ich glaube, die sind, was man im Süden weißes Pack nennt --- gesetzlos, durchtrieben und voll geheimnistuerischer Machenschaften. Die haben eine Menge Fisch und Hummer und exportieren die per Lastwagen. Seltsam, wie es vor Fischen dort nur so wimmelt und nirgendwo sonst.
Niemand kann diese Leute im Auge behalten und Schulbeamte wie Volkszähler haben da eine Höllenarbeit. Du kannst drauf wetten, dass neugierige Fremde in Innsmouth nicht willkommen sind. Ich hab' selbst schon von mehr als einem Geschäftsmann oder Regierungsbeamten gehört, der dort verschwunden ist und es gibt vage Gerüchte, dass einer verrückt geworden ist und jetzt draußen in Danvers einsitzt. Die müssen ihm einen fürchterlichen Schrecken eingejagt haben.
Darum würde ich an deiner Stelle nicht über Nacht dorthin. Ich war da nie und habe auch nicht den Wunsch, dahin zu gehen, aber ich schätze, ein Tagesausflug würde dir nicht schaden --- auch wenn die Leute hier dir raten werden, den nicht anzutreten. Wenn Du nur auf die Besichtigung von altertümlichen Sachen aus bist, sollte Innsmouth der Ort für dich sein.“
Und so verbrachte ich einen Teil des Abends damit, in der öffentlichen Bibliothek von Newburyport Daten über Innsmouth nachzulesen. Als ich versucht hatte, die Einwohner in den Läden, dem Pausenraum, den Werkstätten und dem Feuerwehrhaus zu befragen, empfand ich es noch schwerer, sie in Gang zu bekommen als der Fahrkartenverkäufer es vorausgesagt hatte und mir wurde klar, dass ich keine Zeit hatte, ihre instinktive Verschwiegenheit zu überkommen. Sie besaßen eine Art obskures Misstrauen, als wenn etwas verkehrt wäre mit jemandem, der sich zu sehr für Innsmouth interessiere. In der YMCA-Herberge, in der ich abstieg, riet mir der Angestellte dort lediglich davon ab, in solch einen düsteren, entarteten Ort zu reisen und die Menschen in der Bibliothek zeigten ziemlich genau dieselbe Haltung. Offensichtlich war Innsmouth in den Augen der Gebildeten lediglich ein übertriebener Fall von gesellschaftlicher Degeneration.
Die Geschichtsbücher von Essex County in den Regalen der Bibliothek sagten wenig aus, außer dass die Stadt 1643 gegründet worden, bekannt für Schiffsbau vor der Revolution, ein Sitz großen auf dem Meer basierenden Wohlstands im frühen neunzehnten Jahrhundert und später ein kleineres Industriezentrum mit dem Manuxet als Energiequelle war. Die Seuche und Aufstände von 1846 wurden spärlich dokumentiert, als brächten sie den Landkreis in Verruf.
Verweise auf den Niedergang waren selten, obwohl die Bedeutung der späteren Aufzeichnungen unverkennbar war. Nach dem Bürgerkrieg war alles industrielle Treiben auf die Marsh-Raffinerie beschränkt und der Vertrieb von Goldbarren stellte den einzig verbliebenen Handel neben der immer währenden Fischerei dar. Diese Fischerei zahlte sich weniger und weniger aus, als der Preis der Bedarfsware fiel und große Unternehmen Konkurrenz machten, doch es mangelte nie an Fisch rund um den Hafen von Innsmouth. Fremde siedelten selten dort und es gab dezente Hinweise darauf, dass eine Anzahl an Polen und Portugiesen, die es versucht hatten in besonders drastischer Weise vertrieben worden waren.