Kanzlerin Merkel zur Zukunft der EU
Wir sehen alle, dass die Welt sich neu ordnet.
Und dass diese Entwicklungen aus meiner Sicht eben aus zwei Strängen gespeist werden.
Der eine hat zu tun mit der Verarbeitung der
Schrecknisse des 2. Weltkrieges, des Nationalsozialismus und der Schrecknisse
die Deutschland über die Welt gebracht hat.
Und in diesem Zusammenhang sind damals unglaubliche Leistungen vollbracht worden:
die Gründung der Vereinten Nationen, die Charta der Menschenrecht und im Grunde auch
die Gründung der Europäischen Union.
Und wir spüren alle, im Grunde ein Menschenleben später, muss sich die Kraft dieser Institution
wieder völlig neu beweisen.
Und wir sehen auch, dass 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, im Grunde die Ordnung
der Bipolarität des Kalten Kriegs, sich entwickelt hat zu einer multipolareren Welt
mit der Supermacht USA und einem dynamisch wachsendem China.
Und in dieser Welt muss Europa, und Deutschland ist ganz fest in Europa eingebettet,
seine Rolle neu finden.
Und fast alle diese Herausforderungen sind ja globaler Natur: Terrorismus, Klimawandel,
digitaler Wandel, globaler Handel, Migration.
Und die Dimension dieser Probleme macht heute, auch in Deutschland, vielen Menschen Angst.
Und diese Angst, dass man diesen Herausforderungen vielleicht nicht gerecht werden kann,
die führt dann dazu, dass einfache Lösungen plötzlich die richtigen Lösungen scheinen.
- Und dies einfache Lösungen scheinen der Rückzug ins Nationale, Abschottung, Protektionismus
zu sein.
Und wer dies verhindern will, muss eben zu aller erst eine
überzeugende europäische Antwort geben.
Und deshalb glaube ich bedarf es einer wirklichen Kraftanstrengung, einer europäischen Kraftanstrengung,
um die Europäische Union in der globalen Ordnung des 21. Jahrhunderts
zu verankern und wieder ein umfassendes Sicherheitsversprechen zu geben.
Die Europäische Union war immer ein Wohlstandsversprechen und ein Friedensversprechen.
Und dieses umfassende Sicherheitsversprechen muss neu geschaffen werden.
Und deshalb glaube ich, dass wir Mut aufbringen müssen, dass wir wirtschaftliche Dynamik
entfalten müssen, dass wir offen sein müssen für Innovation, dass neu im Sinne der Nachhaltigkeit
denken müssen, Europa muss hier ein Beispiel sein, dass wir auf solide Finanzen setzen
müssen und dass wir Institutionen in der Europäischen Union brauchen,
die unsere Vorstellungen dann auch global umsetzen können.
Und Europa kann das schaffen, aber nur, wenn es seine Interessen in der Welt geschlossen
und entschlossen auch wirklich zu Gehör bringt.
Und dann muss man einfach sagen, wenn Europa ein globaler Akteur werden möchte,
dann muss sich Europa auch wie ein globaler Akteur verhalten.
Und das heißt, sowohl die Nationalstaaten müssen dazu bereit sein, und den europäischen
Institutionen dazu die Möglichkeit geben,
und die europäischen Institutionen müssen handlungsfähig sein.
Was meine ich mit einem umfassenden Sicherheitsversprechen?
Das ist erst einmal eine gemeinsame Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
Das ist zum zweiten eine gemeinsame Entwicklungs-, Migrations- und Asylpolitik.
Das ist drittens eine gemeinsame Wissenschafts-, Wirtschafts- und Währungsunion.
Das ist viertens eine gemeinsame Union der Bildung, der kulturellen Vielfalt
und der Bewahrung der Schöpfung.
Und das ist fünftens, eine Europäische Union, die handlungsfähiger ist
als sie es heute ist.
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist mir sehr wichtig,
weil wir natürlich nur unsere, auch die deutschen, Interessen wirklich vertreten können, wenn
wir als Europäer gemeinschaftlich auftreten.
Und deshalb ist mein Vorschlag, dass wir unsere nicht-ständigen Sitze - Deutschland wird
in dieser hoffentlich auch wieder einen bekommen im UN-Sicherheitsrat - in Zukunft als europäische
Sitze wahrnehmen, dass wir gemeinsam agieren, dass wir innerhalb der Europäischen Union
einen aus weniger Mitgliedern bestehenden Europäischen Sicherheitsrat schaffen,
in dem die Mitgliedsstaaten rotieren und die schneller agieren können, auch was Empfehlungen
an den UN-Sicherheitsrat anbelangt,
sodass wir ein kohärentes europäisches Auftreten haben.
Dass wir ein europäisches Weißbuch über Sicherheitspolitik und Sicherheitsherausforderungen haben:
Dass wir also die Herausforderungen gemeinsam definieren, dass wir zusammenarbeiten
im Bereich der Verteidigung, aber vor allen Dingen auch im Bereich der Entwicklungspolitik.
Heute macht viele von uns, jeder seine Sachen, die Europäische Union macht ihres - aber
eine konsistente Strategie, bei der die Empfängerländer dann wirklich die sind, die davon auch profitieren
und die nicht viel Arbeit mit 28 Mitgliedstaaten haben, das muss unser Ziel sein
und natürlich auch eine Koordinierung über terroristische Herausforderungen, organisierte Kriminalität
und illegale Migration.
Damit bin ich zweitens bei dem großen Punkt, der - glaube ich - im Augenblick die größte
Gefahr für die Zukunft der Europäischen Union ist, das ist die Frage: Wie reagieren
wir auf die Migration, die illegale Migration, wie schaffen wir ein Asylsystem, und wie schaffen
wir eine Entwicklungsagenda, die wirklich zum Wohlstand für alle und zur Nachhaltigkeit,
nicht nur bei uns, führt?
Und da glaube ich, dass wir ein gemeinsames europäisches Asylsystem brauchen.
Wir brauchen eine wirklich europäische Grenzpolizei.
Wir brauchen ein System der flexiblen Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.
Und wir brauchen, und das ist für diesen Kreis von besonderer Wichtigkeit, eine konsequente
Bekämpfung von Fluchtursachen durch einen neuen Pakt mit Afrika,
wir sagen: einen Marschall-Plan mit Afrika.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Amerikaner verstanden, dass dauerhafte Sicherheit und
Stabilität in Europa nur durch Entwicklung und Wohlstand möglich sind.
Und genau diese Erfahrung müssen wir auf den afrikanischen Kontinent übertragen,
um dort Entwicklungsperspektiven zu eröffnen.
Denn nur das wird den Migrationsdruck der vielen jungen Menschen mindern.
Deshalb sehe ich darin eine der großen Herausforderungen für Europa.
Und wir brauchen auch einen vernetzten Ansatz von Entwicklungs-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Drittens ist die Soziale Marktwirtschaft, und damit das Wohlstandsversprechen im 21.
Jahrhundert, unter Druck gekommen.
Viele Menschen glauben an dieses Wohlstandversprechen nicht mehr,
die Digitalisierung ist her eine der großen Herausforderungen.
Und deshalb schlage ich vor, dass wir wirklich konsequent unsere Forschungsaufgaben verstärken,
in die Zukunft investieren, auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Dass wir in Europa gemeinsame Netzwerke exzellenter Lehr- und Forschungseinrichtungen haben.
Dass wir uns wirklich um die Herausforderungen der künstlichen Intelligenz, der Bereiche
der Digitalisierung kümmern, aber in einer ethisch verantwortlichen Art und und Weise.
Und dass wir natürlich unsere Wirtschafts- und Währungsunion entwickeln, ganz besonders
auch die Eurozone.
Dazu bedarf es meiner Meinung nach einer größeren Unabhängigkeit innerhalb Europas
vom Internationalen Währungsfonds.
Wir sollten unseren eigenen Europäischen Währungsfonds haben.
Und wir sollten dort für alle Krisenfälle auch wirklich Vorsorge tragen.
Und wir müssen uns bemühen, dass es, ähnlich wie die Politik, die global ist, dass die
Konvergenz der wirtschaftlichen Stärke und der Lebenssituation innerhalb der Eurozone
auch wächst.
Denn eine gemeinsame Währung mit völlig unterschiedlichen Gegebenheiten und Wohlstandssituationen
in den einzelnen Mitgliedsländern sind nicht gut.
Deshalb schlage ich ein Investitionsbudget vor, mit dem man die stärkt, die zwar auch
exzellent sein wollen, aber heute noch schwächer sind.
Und wir müssen uns natürlich für multilaterale Handelsabkommen einsetzen, die WTO stärken
- wir können nicht die internationalen Organisationen alle für nicht-handlungsfähig erklären
- und wo notwendig, auch faire, bilaterale Handelsabkommen schließen.
Wir brauchen eine gemeinsame Union der Bildung, der kulturellen Vielfalt
und der Bewahrung der Schöpfung.
Ich glaube, ein Europäisches Jugendwerk könnte uns helfen, - ähnlich wie wir gute Erfahrungen
mit dem deutsch-französischen haben - Themen auch zu den jungen Menschen zu bringen.
Wir brauchen eine Ausweitung der Austauschprogramme nicht nur für Studenten,
sondern auch für die, die Berufsausbildung haben.
Wir brauchen gemeinsame Berufsabschlüsse, nicht nur die Bologna-Abschlüsse für die
Studierenden, sondern für die neuen Berufe.
Wir müssen uns in Europa damit auseinander setzen, wo gelingt Integration am besten,
wie können wir uns vergleichen.
Wir müssen gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus entschlossen und gemeinsam
vorgehen.
Und Europa muss Vorreiter bei der Umsetzung des Pariser Abkommens und bei den Zielen der
Agende 2030 sein.
Das heißt also, wir brauchen eine handlungsstärkere und handlungsschnellere Europäische Union,
bei der ich glaube, dass wir die Verkleinerung einer Kommission nicht zu einem Tabu erklüren
dürfen, sondern auch sagen müssen:
"Dann kann ein großes Land mal keinen Kommissar stellen."
Bei der wir, Länder, die weiter voran sind, im nenne im digitalen Bereich die baltischen
Länder auch zu Lead-Ländern erklären können, und nicht immer nur glauben, wir selber könnten
es am besten.
Dass wir die Arbeit eines europäischen Parlaments auf einen Standort konzentrieren,
aber dort dann vielleicht konzentriert arbeiten.
Und dass wir im Gegenzug auch immer wieder in den Ländern tagen,
die die Präsidentschaftstellen.
Ich habe das gesagt, hier an dieser Stelle, einmal weil Diskussion im Augenblick im Gange ist,
aber auch, weil ich das Gefühl habe, dass Europa am Scheideweg steht.
Wenn wir stehen bleiben, dann werden wir in den großen globalen Strukturen zerrieben.
Oder wir entscheiden uns in einer politischen Einheit, ganz besonderer Art - das wird Europa
immer bleiben - unsere gemeinsame Interessen und Werte und Überzeugungen im globalen Alltag
konsequent und im Sinne von Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie durchzusetzen.
Ich glaube, dass Letzteres wirklich es schaffen kann, Sicherheit im umfassenden Sinne zu gewährleisten.
Nicht nur für heute, sondern auch für morgen.
Und wir in Europa können ein Beispiel multilateraler Zusammenarbeit sein.
Wir sind schon mal 28, bald nur noch 27, aber mit den Staaten des westlichen Balkans eines
Tages wieder über 30.
Und wenn wir das nicht hin bekommen, wenn wir zerfallen, dann werden wir schwerlich
eine überzeugende Stimme in der Welt sein.
Und deshalb ist es so wichtig, dass wir mit einem eigenen Beispiel gut voran gehen, um
anderen zu sagen: Das globale Zusammenleben ist kein Nullsummenspiel, sondern es kann
eine Win-Win-Situation für alle sein.