×

Wir verwenden Cookies, um LingQ zu verbessern. Mit dem Besuch der Seite erklärst du dich einverstanden mit unseren Cookie-Richtlinien.


image

Das Haidedorf, Das Haidedorf (1)

Das Haidedorf

The Project Gutenberg EBook of Das Haidedorf, by Adalbert Stifter

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org

Title: Das Haidedorf

Author: Adalbert Stifter

Posting Date: September 11, 2012 [EBook #7068] Release Date: December, 2004 First Posted: March 5, 2003

Language: German

* START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS HAIDEDORF *

Produced by David Starner, Delphine Lettau, Olaf Voss, and the people at Disributed Proofing

DAS HAIDEDORF

von

Adalbert Stifter

EDITED FOR THE USE OF SCHOOLS

BY

OTTO HELLER

professor of the German language and literature, Washington University

PREFACE.

If any prose-writer may be called a poet, none is more worthy of that name than Adalbert Stifter. And, unless it be a requirement that, to be ranked as classic, a writer must be dead for many years, Stifter is entitled to an honorable place among the classic writers of Germany. Not all he has written bears the stamp of beauty and genius, but at his best he is truly great, and of his best we have a great deal.

Adalbert Stifter was born in Oberplan, Bohemia, October 23d, 1806. His father was a poor linen-weaver who was killed by an accident when the boy was only ten years old. An uncle assumed charge of his education and sent him to the monastic Latin School at Kremsmünster. His education was completed in Vienna, whither he went in 1826, principally to study history and philosophy, but also to cultivate his love of nature by the pursuit of natural science and landscape-painting. His love for nature remained throughout his life the most characteristic trait of the man. In all his works, but especially in his "Studien," he showed himself to be a painter of words who has only one equal in German Literature--Paul Heyse. His love of detail confined him to one form of literary production, the short novel. And even within these narrow limits Stifter's works show little action. But for this we are amply compensated by the simple beauty of his diction, its calm moderated tone, with never a word superfluous or lacking, the manly nobility of his sentiment, and the almost womanly delicacy of his perception. No one can read "Das Haidedorf" without feeling the poet's love for man and nature.

The two volumes of which "Das Haidedorf" forms a small part are entitled "Studien." In an English translation of extracts from Stifter this is rendered by "Sketches." Far from being sketches, they are exquisite studies carefully finished by a master hand. It may be said without exaggeration that the following beautiful prose-idyl will suggest to a sensitive and appreciative mind a succession of pictures destined to remain as permanent possessions of art. And, when it is added that the style is simple and modern, no further apology need be made for this publication, save this, that the "Studien" have not, as far as I have been able to gather, been reprinted singly.

Stifter's life, like his writings, was idyllic. He was appointed in 1846 to one of the higher educational posts by the Austrian government, and took up his residence in Linz. This post he had to resign in 1856, owing to impaired health. His remaining years were spent in happy retirement, given to literary work, landscape-painting and his favorite pastime of horticulture. Adalbert Stifter died at Linz, Austria ob der Enns, January 28th, 1868.

OTTO HELLER.

Philadelphia, February, 1891.

N.B. The orthography of this edition is that used in the original edition of the "Studien."

I.

DIE HAIDE.

Im eigentlichen Sinne des Wortes ist es nicht eine Haide, wohin ich den lieben Leser und Zuhörer führen will, sondern weit von unserer Stadt ein traurig liebliches Fleckchen [1] Landes, das sie die Haide nennen, weil seit unvordenklichen Zeiten [2] nur kurzes Gras darauf wuchs, hie und da ein Stamm Haideföhre, [3] oder die Krüppelbirke, an deren Rinde zuweilen ein Wollflöckchen hing, von den wenigen Schafen und Ziegen, die zeitweise [4] hier herumgingen. Ferner war noch in ziemlicher Verbreitung die Wachholderstaude [5] da, im Weitern [6] aber kein andrer Schmuck mehr; man müßte nur [7] die fernen Berge hierher rechnen, die ein wunderschönes blaues Band um das mattfarbige Gelände [8] zogen.

Wie es aber des Oeftern [9] geht, daß tiefsinnige Menschen, oder solche, denen die Natur allerlei wunderliche Dichtung und seltsame Gefühle in das Herz gepflanzt hatte, gerade solche Orte aussuchen und liebgewinnen, weil sie da ihren Träumen und innerem Klingklang nachgehen können: so geschah es auch auf diesem Haideflecke. Mit den Ziegen und Schafen nämlich kam auch sehr oft ein schwarzäugiger Bube von zehn oder zwölf Jahren, eigentlich [10] um dieselben zu hüten; aber wenn sich die Thiere zerstreuten--die Schafe um das kurze würzige Gras zu genießen, die Ziegen hingegen, für die im Grunde [11] kein passendes Futter da war, mehr ihren Betrachtungen und der reinen Luft überlassen, nur so gelegentlich den einen oder andern weichen Sprossen pflückend--fing er inzwischen an, Bekanntschaft mit den allerlei Wesen zu machen, welche die Haide hegte [12], und schloß mit ihnen Bündniß und Freundschaft.

Es war da ein etwas erhabener Punkt, an dem sich das graue Gestein, auch ein Mitbesitzer [13] der Haide, reichlicher vorfand, und sich gleichsam emporschob, ja sogar am Gipfel mit einer überhängenden Platte ein Obdach und eine Rednerbühne bildete. Auch der Wachholder drängte sich dichter an diesem Orte, sich breit machend in vielzweigiger Abstammung [14] und Sippschaft [15] nebst manch schönblumiger Distel. Bäume aber waren gerade hier weit und breit keine, weßhalb eben die Aussicht weit schöner war, als an andern Punkten, vorzüglich gegen Süden, wo das ferne Moorland, so ungesund für seine Bewohner, so schön für das entfernte Äuge, blauduftig [16] hinausschwamm in allen Abstufungen der Ferne. Man hieß den Ort den Roßberg [17]; aus welchen Gründen, ist unbekannt, da hier nie seit Menschenbesinnen ein Pferd ging, was überhaupt [18] ein für die Haide zu kostbares Gut gewesen wäre.

Nach diesem Punkte nun [19] wanderte unser kleiner Freund am allerliebsten, wenn auch seine Pflegebefohlenen [20] weit ab in ihren Berufsgeschäften gingen, da er aus Erfahrung wußte, daß keines die Gesellschaft verließ, und er sie am Ende alle wieder vereint fand, wie weit er auch nach ihnen suchen mußte; ja, das Suchen war ihm selber abenteuerlich, vorzüglich, wenn er weit und breit wandern mußte. Auf dem Hügel des Roßberges gründete er sein Reich. Unter dem überhängenden Blocke bildete er nach und nach durch manche Zuthat, [21] und durch mühevolles, mit spitzen Steinen bewerkstelligtes [22] Weghämmern einen Sitz, anfangs für Einen, dann füglich für Drei geräumig [23] genug; auch ein und das andere Fach [24] wurde vorgefunden oder hergerichtet, oder andere bequeme Stellen und Winkel, wohin er seinen leinenen Haidesack legte, und sein Brot, und die unzähligen Haideschätze, die er oft hieher zusammen trug. Gesellschaft war im Uebermaße da. Vorerst [25] die vielen großen Blöcke, die seine Burg bildeten, ihm alle bekannt und benannt, jeder anders an Farbe und Gesichtsbildung, der unzähligen kleinen gar nicht zu gedenken, die oft noch bunter und farbenfeuriger waren. Die großen theilte er ein, je nachdem sie ihn durch Abenteuerlichkeit entzückten, oder durch Gemeinheit ärgerten: die kleinen liebte er alle. Dann war der Wachholder, ein widerspenstiger [26] Geselle, unüberwindlich zähe in seinen Gliedern, wenn er einen köstlichen, wohlriechenden Hirtenstab sollte fahren lassen, [27] oder Platz machen für einen anzulegenden [28] Weg;--seine Aeste starrten [29] rings von Nadeln, strotzten [30] aber auch in allen Zweigen von Gaben der Ehre, die sie Jahr aus Jahr ein den reichlichen Haidegästen auftischten, [31] die millionenmal Millionen blauer und grüner Beeren. Dann waren die wundersamen Haideblümchen, glutfärbig oder himmelblau brennend, zwischen dem sonnigen Gras des Gesteines, oder jene unzählbaren kleinen, zwischen dem Wachholder sprossend, die ein weißes Schnäbelchen aussperren, mit einem gelben Zünglein darinnen--auch manche Erdbeere war hie und da, selbst zwei Himbeersträuche, und sogar, zwischen den Steinen emporwachsend, eine lange Haselruthe. Böse Gesellschaft fehlte wohl [32] auch nicht, die er vom Vater gar wohl kannte, wenn sie auch schön war, z. B. hie und da, aber sparsam, die Einbeeren, [33] die er nur schonte, weil sie so glänzend schwarz waren, so schwarz, wie gar nichts auf der ganzen Haide, seine Augen ausgenommen, die er freilich [34] nicht sehen konnte.

Fast sollte man von der lebenden und bewegenden Gesellschaft nun gar nicht mehr reden, so viel ist schon da; aber diese Gesellschaft ist erst vollends ausgezeichnet. Ich will von den tausend und tausend goldenen, rubinenen, smaragdenen Thierchen und Würmchen gar nichts sagen, die auf Stein, Gras und Halm kletterten, rannten und arbeiteten, weil er von Gold, Rubinen und Smaragden noch nichts sah, außer was der Himmel und die Haide zuweilen zeigte;--aber von Anderem muß gesprochen werden. Da war einer seiner Günstlinge, ein schnarrender [35] purpurflügliger Springer, [36] der dutzendweise vor ihm aufflog, und sich wieder hinsetzte, wenn er eben seine Gebiete durchreiste--da waren dessen unzählbare Vettern, die größern und kleinern Heuschrecken, in mißfarbiges Grün gekleidete Heiduken, [37] lustig und rastlos zirpend [38] und schleifend, [39] daß an Sonnentagen ein zitterndes Gesinge [40] längs der ganzen Haide war,--dann waren die Schnecken mit und ohne Häuser, braune und gestreifte, gewölbte und platte, und sie zogen silberne Straßen über das Haidegras, oder über seinen Filzhut, auf den er sie gerne setzte--dann die Fliegen, summende, singende, piepende, blaue, grüne, glasflüglige--dann die Hummel, die schläfrig vorbeiläutete [41]--die Schmetterlinge, besonders ein kleiner mit himmelblauen Flügeln, auf der Kehrseite [42] silbergrau mit gar anmuthigen Aeuglein, dann noch ein kleinerer mit Flügeln, wie eitel [43] Abendröthe--dann endlich war die Ammer, und sang an vielen Stellen; die Goldammer, das Rotkehlchen, die Haidelerche, daß von ihr oft der ganze Himmel voll Kirchenmusik hing; der Distelfink, die Grasmücke, der Kibitz, und andere und wieder andere. Alle ihre Nester lagen in seiner Monarchie, und wurden ausgesucht und beschützt. Auch manch rothes Feldmäuschen sah er schlüpfen [44] und schonte sein, wenn es plötzlich stille hielt, und ihn mit den glänzenden erschrockenen Aeuglein ansah. Von Wölfen oder andern gefährlichen Bösewichtern war seit Urzeiten [45] aller seiner Vorfahren keiner erlebt worden, [46] manches eiersaufende [47] Wiesel ausgenommen, das er aber mit Feuer und Schwert verfolgte.

Inmitten all dieser Herrlichkeiten stand er, oder ging, oder sprang, oder saß er--ein herrlicher Sohn der Haide: aus dem tiefbraunen Gesichtchen voll Güte und Klugheit leuchteten in blitzendem, unbewußtem Glanze die pechschwarzen Augen, voll Liebe und Kühnheit, und reichlich zeigend jenes gefahrvolle Element, was ihm geworden [48] und in der Haideeinsamkeit zu sprossen begann, eine dunkle glutensprühige Fantasie. Um die Stirne war eine Wildniß dunkelbrauner Haare, kunstlos den Winden der Fläche hingegeben. Wenn es mir erlaubt wäre, so würde ich meinen Liebling vergleich en mit jenem Hirtenknaben aus den heiligen Büchern, der auch auf der Haide vor Bethlehem sein Herz fand, und seinen Gott, und die Träume der künftigen Königsgröße. Aber so ganz arm, wie unser kleiner Freund, war jener Hirtenknabe gewiß nicht; denn des ganzen lieben Tages Länge hatte er nichts, als ein tüchtig Stück schwarzen Brotes, wovon er unbegreiflicher Weise [49] seinen blühenden Körper und den noch blühendern Geist nährte, und ein klares kühles Wasser, das unweit des Roßberges vorquoll, [50] ein Brünnlein füllte, und dann flink längs der Haide forteilte, um mit andern Schwestern vereint jenem fernen Moore zuzugehen, dessen wir oben gedachten. Zu g u t e n Zeiten waren auch ein oder zwei Ziegenkäse in der Tasche. Aber ein Nahrungsmittel hatte er in einer Güte und Fülle, wie es der überreichste Städter nicht aufweisen kann, einen ganzen Ozean der heilsamsten Luft u m sich, und eine Farbe und Gesundheit reifende Lichthülle ü b e r sich. Abends, wenn er heim kam, wohin er sehr weit hatte, kochte ihm die Mutter eine Milchsuppe, oder einen köstlichen Brei aus Hirse. [51] Sein Kleid war ein halbgebleichtes Linnen. Weiter hatte er noch einen breiten Filzhut, den er aber selten aufthat, sondern meistens in seinem Schlosse an einen Holznagel hing, der er in die Felsenritze geschlagen hatte.


Das Haidedorf

The Project Gutenberg EBook of Das Haidedorf, by Adalbert Stifter

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org

Title: Das Haidedorf

Author: Adalbert Stifter

Posting Date: September 11, 2012 [EBook #7068] Release Date: December, 2004 First Posted: March 5, 2003

Language: German

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS HAIDEDORF ***

Produced by David Starner, Delphine Lettau, Olaf Voss, and the people at Disributed Proofing

DAS HAIDEDORF

von

Adalbert Stifter

EDITED FOR THE USE OF SCHOOLS

BY

OTTO HELLER

professor of the German language and literature, Washington University

PREFACE.

If any prose-writer may be called a poet, none is more worthy of that name than Adalbert Stifter. And, unless it be a requirement that, to be ranked as classic, a writer must be dead for many years, Stifter is entitled to an honorable place among the classic writers of Germany. Not all he has written bears the stamp of beauty and genius, but at his best he is truly great, and of his best we have a great deal.

Adalbert Stifter was born in Oberplan, Bohemia, October 23d, 1806. His father was a poor linen-weaver who was killed by an accident when the boy was only ten years old. An uncle assumed charge of his education and sent him to the monastic Latin School at Kremsmünster. His education was completed in Vienna, whither he went in 1826, principally to study history and philosophy, but also to cultivate his love of nature by the pursuit of natural science and landscape-painting. His love for nature remained throughout his life the most characteristic trait of the man. In all his works, but especially in his "Studien," he showed himself to be a painter of words who has only one equal in German Literature--Paul Heyse. His love of detail confined him to one form of literary production, the short novel. And even within these narrow limits Stifter's works show little action. But for this we are amply compensated by the simple beauty of his diction, its calm moderated tone, with never a word superfluous or lacking, the manly nobility of his sentiment, and the almost womanly delicacy of his perception. No one can read "Das Haidedorf" without feeling the poet's love for man and nature.

The two volumes of which "Das Haidedorf" forms a small part are entitled "Studien." In an English translation of extracts from Stifter this is rendered by "Sketches." Far from being sketches, they are exquisite studies carefully finished by a master hand. It may be said without exaggeration that the following beautiful prose-idyl will suggest to a sensitive and appreciative mind a succession of pictures destined to remain as permanent possessions of art. And, when it is added that the style is simple and modern, no further apology need be made for this publication, save this, that the "Studien" have not, as far as I have been able to gather, been reprinted singly.

Stifter's life, like his writings, was idyllic. He was appointed in 1846 to one of the higher educational posts by the Austrian government, and took up his residence in Linz. This post he had to resign in 1856, owing to impaired health. His remaining years were spent in happy retirement, given to literary work, landscape-painting and his favorite pastime of horticulture. Adalbert Stifter died at Linz, Austria ob der Enns, January 28th, 1868.

OTTO HELLER.

Philadelphia, February, 1891.

N.B. The orthography of this edition is that used in the original edition of the "Studien."

I.

DIE HAIDE.

Im eigentlichen Sinne des Wortes ist es nicht eine Haide, wohin ich den lieben Leser und Zuhörer führen will, sondern weit von unserer Stadt ein traurig liebliches Fleckchen [1] Landes, das sie die Haide nennen, weil seit unvordenklichen Zeiten [2] nur kurzes Gras darauf wuchs, hie und da ein Stamm Haideföhre, [3] oder die Krüppelbirke, an deren Rinde zuweilen ein Wollflöckchen hing, von den wenigen Schafen und Ziegen, die zeitweise [4] hier herumgingen. Ferner war noch in ziemlicher Verbreitung die Wachholderstaude [5] da, im Weitern [6] aber kein andrer Schmuck mehr; man müßte nur [7] die fernen Berge hierher rechnen, die ein wunderschönes blaues Band um das mattfarbige Gelände [8] zogen.

Wie es aber des Oeftern [9] geht, daß tiefsinnige Menschen, oder solche, denen die Natur allerlei wunderliche Dichtung und seltsame Gefühle in das Herz gepflanzt hatte, gerade solche Orte aussuchen und liebgewinnen, weil sie da ihren Träumen und innerem Klingklang nachgehen können: so geschah es auch auf diesem Haideflecke. Mit den Ziegen und Schafen nämlich kam auch sehr oft ein schwarzäugiger Bube von zehn oder zwölf Jahren, eigentlich [10] um dieselben zu hüten; aber wenn sich die Thiere zerstreuten--die Schafe um das kurze würzige Gras zu genießen, die Ziegen hingegen, für die im Grunde [11] kein passendes Futter da war, mehr ihren Betrachtungen und der reinen Luft überlassen, nur so gelegentlich den einen oder andern weichen Sprossen pflückend--fing er inzwischen an, Bekanntschaft mit den allerlei Wesen zu machen, welche die Haide hegte [12], und schloß mit ihnen Bündniß und Freundschaft.

Es war da ein etwas erhabener Punkt, an dem sich das graue Gestein, auch ein Mitbesitzer [13] der Haide, reichlicher vorfand, und sich gleichsam emporschob, ja sogar am Gipfel mit einer überhängenden Platte ein Obdach und eine Rednerbühne bildete. Auch der Wachholder drängte sich dichter an diesem Orte, sich breit machend in vielzweigiger Abstammung [14] und Sippschaft [15] nebst manch schönblumiger Distel. Bäume aber waren gerade hier weit und breit keine, weßhalb eben die Aussicht weit schöner war, als an andern Punkten, vorzüglich gegen Süden, wo das ferne Moorland, so ungesund für seine Bewohner, so schön für das entfernte Äuge, blauduftig [16] hinausschwamm in allen Abstufungen der Ferne. Man hieß den Ort den Roßberg [17]; aus welchen Gründen, ist unbekannt, da hier nie seit Menschenbesinnen ein Pferd ging, was überhaupt [18] ein für die Haide zu kostbares Gut gewesen wäre.

Nach diesem Punkte nun [19] wanderte unser kleiner Freund am allerliebsten, wenn auch seine Pflegebefohlenen [20] weit ab in ihren Berufsgeschäften gingen, da er aus Erfahrung wußte, daß keines die Gesellschaft verließ, und er sie am Ende alle wieder vereint fand, wie weit er auch nach ihnen suchen mußte; ja, das Suchen war ihm selber abenteuerlich, vorzüglich, wenn er weit und breit wandern mußte. Auf dem Hügel des Roßberges gründete er sein Reich. Unter dem überhängenden Blocke bildete er nach und nach durch manche Zuthat, [21] und durch mühevolles, mit spitzen Steinen bewerkstelligtes [22] Weghämmern einen Sitz, anfangs für Einen, dann füglich für Drei geräumig [23] genug; auch ein und das andere Fach [24] wurde vorgefunden oder hergerichtet, oder andere bequeme Stellen und Winkel, wohin er seinen leinenen Haidesack legte, und sein Brot, und die unzähligen Haideschätze, die er oft hieher zusammen trug. Gesellschaft war im Uebermaße da. Vorerst [25] die vielen großen Blöcke, die seine Burg bildeten, ihm alle bekannt und benannt, jeder anders an Farbe und Gesichtsbildung, der unzähligen kleinen gar nicht zu gedenken, die oft noch bunter und farbenfeuriger waren. Die großen theilte er ein, je nachdem sie ihn durch Abenteuerlichkeit entzückten, oder durch Gemeinheit ärgerten: die kleinen liebte er alle. Dann war der Wachholder, ein widerspenstiger [26] Geselle, unüberwindlich zähe in seinen Gliedern, wenn er einen köstlichen, wohlriechenden Hirtenstab sollte fahren lassen, [27] oder Platz machen für einen anzulegenden [28] Weg;--seine Aeste starrten [29] rings von Nadeln, strotzten [30] aber auch in allen Zweigen von Gaben der Ehre, die sie Jahr aus Jahr ein den reichlichen Haidegästen auftischten, [31] die millionenmal Millionen blauer und grüner Beeren. Dann waren die wundersamen Haideblümchen, glutfärbig oder himmelblau brennend, zwischen dem sonnigen Gras des Gesteines, oder jene unzählbaren kleinen, zwischen dem Wachholder sprossend, die ein weißes Schnäbelchen aussperren, mit einem gelben Zünglein darinnen--auch manche Erdbeere war hie und da, selbst zwei Himbeersträuche, und sogar, zwischen den Steinen emporwachsend, eine lange Haselruthe. Böse Gesellschaft fehlte wohl [32] auch nicht, die er vom Vater gar wohl kannte, wenn sie auch schön war, z. B. hie und da, aber sparsam, die Einbeeren, [33] die er nur schonte, weil sie so glänzend schwarz waren, so schwarz, wie gar nichts auf der ganzen Haide, seine Augen ausgenommen, die er freilich [34] nicht sehen konnte.

Fast sollte man von der lebenden und bewegenden Gesellschaft nun gar nicht mehr reden, so viel ist schon da; aber diese Gesellschaft ist erst vollends ausgezeichnet. Ich will von den tausend und tausend goldenen, rubinenen, smaragdenen Thierchen und Würmchen gar nichts sagen, die auf Stein, Gras und Halm kletterten, rannten und arbeiteten, weil er von Gold, Rubinen und Smaragden noch nichts sah, außer was der Himmel und die Haide zuweilen zeigte;--aber von Anderem muß gesprochen werden. Da war einer seiner Günstlinge, ein schnarrender [35] purpurflügliger Springer, [36] der dutzendweise vor ihm aufflog, und sich wieder hinsetzte, wenn er eben seine Gebiete durchreiste--da waren dessen unzählbare Vettern, die größern und kleinern Heuschrecken, in mißfarbiges Grün gekleidete Heiduken, [37] lustig und rastlos zirpend [38] und schleifend, [39] daß an Sonnentagen ein zitterndes Gesinge [40] längs der ganzen Haide war,--dann waren die Schnecken mit und ohne Häuser, braune und gestreifte, gewölbte und platte, und sie zogen silberne Straßen über das Haidegras, oder über seinen Filzhut, auf den er sie gerne setzte--dann die Fliegen, summende, singende, piepende, blaue, grüne, glasflüglige--dann die Hummel, die schläfrig vorbeiläutete [41]--die Schmetterlinge, besonders ein kleiner mit himmelblauen Flügeln, auf der Kehrseite [42] silbergrau mit gar anmuthigen Aeuglein, dann noch ein kleinerer mit Flügeln, wie eitel [43] Abendröthe--dann endlich war die Ammer, und sang an vielen Stellen; die Goldammer, das Rotkehlchen, die Haidelerche, daß von ihr oft der ganze Himmel voll Kirchenmusik hing; der Distelfink, die Grasmücke, der Kibitz, und andere und wieder andere. Alle ihre Nester lagen in seiner Monarchie, und wurden ausgesucht und beschützt. Auch manch rothes Feldmäuschen sah er schlüpfen [44] und schonte sein, wenn es plötzlich stille hielt, und ihn mit den glänzenden erschrockenen Aeuglein ansah. Von Wölfen oder andern gefährlichen Bösewichtern war seit Urzeiten [45] aller seiner Vorfahren keiner erlebt worden, [46] manches eiersaufende [47] Wiesel ausgenommen, das er aber mit Feuer und Schwert verfolgte.

Inmitten all dieser Herrlichkeiten stand er, oder ging, oder sprang, oder saß er--ein herrlicher Sohn der Haide: aus dem tiefbraunen Gesichtchen voll Güte und Klugheit leuchteten in blitzendem, unbewußtem Glanze die pechschwarzen Augen, voll Liebe und Kühnheit, und reichlich zeigend jenes gefahrvolle Element, was ihm geworden [48] und in der Haideeinsamkeit zu sprossen begann, eine dunkle glutensprühige Fantasie. Um die Stirne war eine Wildniß dunkelbrauner Haare, kunstlos den Winden der Fläche hingegeben. Wenn es mir erlaubt wäre, so würde ich meinen Liebling vergleich en mit jenem Hirtenknaben aus den heiligen Büchern, der auch auf der Haide vor Bethlehem sein Herz fand, und seinen Gott, und die Träume der künftigen Königsgröße. Aber so ganz arm, wie unser kleiner Freund, war jener Hirtenknabe gewiß nicht; denn des ganzen lieben Tages Länge hatte er nichts, als ein tüchtig Stück schwarzen Brotes, wovon er unbegreiflicher Weise [49] seinen blühenden Körper und den noch blühendern Geist nährte, und ein klares kühles Wasser, das unweit des Roßberges vorquoll, [50] ein Brünnlein füllte, und dann flink längs der Haide forteilte, um mit andern Schwestern vereint jenem fernen Moore zuzugehen, dessen wir oben gedachten. Zu g u t e n Zeiten waren auch ein oder zwei Ziegenkäse in der Tasche. Aber ein Nahrungsmittel hatte er in einer Güte und Fülle, wie es der überreichste Städter nicht aufweisen kann, einen ganzen Ozean der heilsamsten Luft u m sich, und eine Farbe und Gesundheit reifende Lichthülle ü b e r sich. Abends, wenn er heim kam, wohin er sehr weit hatte, kochte ihm die Mutter eine Milchsuppe, oder einen köstlichen Brei aus Hirse. [51] Sein Kleid war ein halbgebleichtes Linnen. Weiter hatte er noch einen breiten Filzhut, den er aber selten aufthat, sondern meistens in seinem Schlosse an einen Holznagel hing, der er in die Felsenritze geschlagen hatte.