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Andrea erzählt (D), Hergiswil

Hergiswil

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlich willkommen zur Sendung «Andrea erzählt» vom 21. Oktober 2016. Es ist noch etwas zu früh für Weihnachtsgeschenke. Aber dafür ist es noch nicht kalt und man kann noch schöne Ausflüge machen. Was beides miteinander zu tun hat? In der Glaserei [1] Hergiswil kann man selbst Glaskugeln machen. Zum Beispiel für den Weihnachtsbaum. Meist sagt man übrigens einfach «Glasi» Hergiswil. Es ist ein wirklich schöner Tagesausflug dorthin. Vielleicht ist es also doch nicht zu früh, um das erste Weihnachtsgeschenk zu besorgen. Viel Vergnügen!

*

Unsere letzte Glaskugel ist leider vor ein paar Monaten kaputt gegangen. Ich spreche von einer selbstgemachten Glaskugel. Aber lassen Sie mich die Geschichte doch von Anfang an erzählen. Jedes Mal, wenn wir mit dem Auto ins Tessin oder nach Italien fahren, kommen wir an der «Glasi» vorbei. Das ist eine Glasfabrik am Vierwaldstättersee.

Und lange sagte ich jedes Mal zu meinen Kindern: «Irgendwann gehen wir da hin.» Als wir vor ein paar Jahren auf dem Heimweg von den Ferien waren, sagte mein Mann: «So, ich brauche eine Pause. Kommt, wir gehen endlich in die Glasi.»

Es war ein wunderbares Erlebnis. Denn die «Glasi» in Hergiswil gehört zu den ganz alten Fabriken. Lange ging es ihr sehr gut. Doch mit der Zeit wurde immer mehr Glas in billigen Fabriken gemacht. Die Glasi verlor Aufträge [2] und hätte fast schliessen müssen. Doch da kam der italienische Glaskünstler [3] Roberto Niederer und machte die «Glasi» mit seiner Glaskunst wieder berühmt. Die Leute kommen heute von weit her, um hier Glas zu kaufen.

Aber die «Glasi» hat auch noch andere Wege gefunden, um zu überleben: Es gibt ein Glasmuseum und man kann hier sogar selbst Glas blasen.

In einer Halle stehen die grossen Öfen, in denen das Glas geschmolzen [4] wird. Es ist sehr heiss. Oben gibt es eine Art Balkon. Von da kann man hinuntersehen. Man sieht wie die Glasarbeiter flüssiges Glas herausnehmen. Daraus blasen sie dann Weingläser oder Vasen oder sie giessen [5] es in Formen.

Plötzlich rief mein Sohn Samuel: «Mama, schau mal! Da drüben kann man selbst Glas blasen.» Für 20 Franken konnte man ein Ticket kaufen. Sobald er dran war, winkte der Glasbläser Samuel zu sich heran. Er gab ihm eine lange Stange mit einem glühenden [6] Stück Glas. Der Glasbläser hatte schon ein bisschen hineingeblasen, damit es einfacher war. Jetzt legte er die lange Stange für Samuel auf einen Ständer [7]. Er zeigte ihm, wie man bläst und rief: «Fest! Fest! Fest!» Gleichzeitig drehte er die ganze Zeit am Rohr [8], damit das flüssige Glas nicht auf den Boden tropfte. Er fragte: «Ist sie schon gross genug?» Doch Samuel schüttelte den Kopf und blies weiter. Als er fertig war, hatte er ganz rote Wangen und war aufgeregt. Auch unsere Tochter machte eine Kugel.

Danach mussten wir eine Viertelstunde warten, bis wir die Kugeln abholen duften. Sie waren jetzt abgekühlt [9]. Seither hatten wir sie jede Weihnachten am Baum. Den Rest des Jahres hingen sie am Fenster. Meine Kinder fanden: «Diese Kugeln sind viel zu schön, um sie in den Schrank zu tun, Mama. Wir wollen sie das ganze Jahr über anschauen.»

Aber eben. Nun sind beide zerbrochen. Und meine Kinder finden, sie seien zu gross, um neue zu machen. Gut, hat mein Bruder eine kleine Tochter. Sie heisst Carla und ist acht Jahre alt. Er lebt mit ihr in den USA.

Als ich sie im letzte April besuchte, sagte ich zu ihr: «Wenn du im Sommer in die Schweiz kommst, werden wir zusammen eine magische Glaskugel machen.» Carla war ganz aufgeregt. Das freute mich. Sie kommt nämlich aus einer Künstlerfamilie und hat für ihre acht Jahre schon sehr, sehr viel erlebt.

*

Diesen Sommer kam sie wie immer in die Schweiz. Ich kaufte uns ein Ticket für den Zug. Carla liebt Zugfahren, denn zuhause fährt sie nur Auto. Ich hatte uns Sandwiches mit Mozzarella und Tomaten gemacht. Zuerst fuhren wir nach Luzern. Dort hatte ich ein ungewöhnliches Hotel gebucht. Ich sagte: «Morgen machen wir deine Glaskugel. Aber heute machen wir zuerst etwas ganz Seltsames [10]. Wir schlafen im Gefängnis.» Sie sah mich erschreckt an. Aber ich sagte zu ihr: «Du musst keine Angst haben, das verspreche ich dir.»

Wir gingen zu Fuss vom Bahnhof durch die Altstadt. Dort steht das alte Gefängnis, das seit einigen Jahren ein Hotel ist. Es heisst Jail [11]. Damit Carla keine Angst hatte, hatte ich ein Spezial-Zimmer genommen: Das Zimmer des Direktors. Es hat keine Gittertüre. Es ist gross und hat einen Schrank, einen Tisch und ein Bett. Dieses war früher natürlich noch nicht da gewesen.

Dann ging ich mit Carla durch das Hotel und zeigte ihr die Gänge [12] und die anderen Zimmer. Besonders interessant fand sie einen Glaskasten im Flur. Dort konnte man Dinge anschauen, welche den Häftlingen im Gefängnis gehört hatten. Eine Seife, ein Buch und andere kleine Sachen.

Am Abend wollte ich mit Carla in ein Restaurant gehen. Aber sie sagte: «Müssen wir das tun? Ich muss so oft in Restaurants essen. Das ist immer so langweilig.» Das konnte ich gut verstehen. Für Kinder ist es nicht besonders interessant, wenn Erwachsene um einen Tisch sitzen und nur reden.

Ich überlegte [13] kurz und sagte: «Du hast recht. Ich habe eine Idee. Komm, wir gehen einkaufen.» Dann gingen wir in eine Bäckerei und kauften feines Brot und Chatzestreckerli [14]. Das sind berühmte Luzerner Kekse [15]. Sie sind mit Karamel und Mandeln gemacht. Nachher gingen wir in einen Käseladen und holten verschiedene Käse. Meine Nichte [16] gehört zu wenigen Kindern, die ich kenne, die stinkigen [17] Käse mögen. Sie sagte: «Ich liebe Schweizer Käse. Ist doch logisch. Mein Papa kommt ja von hier.» Ich antwortete: «Erklär das bitte mal deinem Cousin und deiner Cousine!» Meine Kinder sind ja auch Schweizer, aber sie mögen keinen Käse ausser Mozzarella.

Dann kauften wir in einem kleinen Supermarkt noch Getränke und etwas Obst und Wurst und gingen ins Hotel zurück. Dort machten wir im Zimmer des Gefängnisdirektors ein Picknick. Dabei stellten wir uns vor, wir seien die Direktorinnen. Ich sagte: «Ach, haben wir gutes Essen. Die armen anderen Leute hier bekommen ja nur trockenes Brot und Wasser.» Mein Nichte sagte ernst: «Oh. Das ist aber gemein [18]. Sollen wir ihnen etwas von unserem Picknick bringen?» Ich nahm sie in den Arm und sagte: «Du liebes Mädchen, ich mache doch nur Spass.»

Bald legten wir uns schlafen. Das war ein wenig komisch, denn es gab nur eine Lampe und diese musste man bei der Türe ausschalten. Anschliessend musste man im Dunkeln ins Bett zurückgehen.

Deshalb wollten wir auch nicht mehr lesen. Wir waren zu faul, um danach nochmals aufzustehen und das Licht zu löschen. Dafür waren wir am nächsten Tag früh wach. Nach dem Frühstück gingen wir zum Hafen beim Bahnhof. Von dort fuhren wir mit dem Schiff direkt zur Glasi Hergiswil.

*

Zuerst machten wir die Tour, in der sie Bilder von früher zeigten. Es gab ein Bild von einer Murano-Lampe. Sie war wunderschön und voller bunter Blumen und Blätter aus Glas. Ich sagte: «Früher war das Glasmachen in Venedig eine ganz geheime Kunst. Die Menschen, die mit Glas arbeiteten, mussten immer auf der Insel Murano bleiben. Dort lebten und arbeiteten sie. So konnten sie niemandem verraten [19], wie man Glas macht. Trotzdem fanden es die Leute irgendwann heraus. Und danach wurde auch in anderen Ländern Glas gemacht.»

Nach der Führung gingen wir auf den Balkon und sahen den Glasbläsern zu. Dann war es endlich soweit. Carla durfte eine Glaskugel blasen. Als wir in der Reihe warteten, bis sie dran war, wurde sie immer nervöser. Dann sagte sie: «Ich will es lieber nicht machen. Mach du es.» Aber ich sagte: «Nein. Es geht ganz schnell. Du wirst sehen, nachher bist du stolz, dass du es selbst getan hast.»

Sie ging nach vorne und blies aufgeregt eine ganz kleine Kugel. Darum waren die Glaswände richtig dick. Wir mussten lange warten, bis sie abgekühlt war und wir sie mitnehmen durften. Als wir sie sahen, war Carla ganz stolz. Ich zeigte ihr eine kleine Blase [20] und sagte: «Schau mal. Das ist dein Atem. Damit hast du etwas Schweizer Luft für immer im Glas gefangen. Jetzt hast du eine Schweizer Erinnerung für daheim.»

Das gefiel ihr so gut, dass sie die Kugel auf dem Heimweg immer wieder auspackte und anschaute. Als wir endlich wieder zuhause waren, sagte sie zu meinem Bruder: «Hier, Papa. Das ist für dich. Es ist eine Weihnachtskugel mit einem Stück Schweizer Luft drin.»

Ich hoffe, die Kugel hat den Flug zurück in die USA überlebt. Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Ausflug mit meiner Nichte.

Vielleicht werden wir in die Berge fahren und Kristalle suchen oder wir besuchen eine Höhle.

*

Ich habe mir übrigens im Laden der «Glasi» zwei neue Kugeln gekauft. Sie sind schöner, als die alten. Aber diese haben mir trotzdem besser gefallen, denn meine Kinder hatten sie selbst gemacht.

Jetzt freue ich mich sehr, wenn Sie bei Instagram unter #PodClubAndrea und #andreaerzaelt vorbeischauen.

Es wäre schön, wenn Sie auch am 4. November wieder auf podclub.ch oder über unsere App mit dem Vokabeltrainer mit dabei sind, wenn es heisst «Andrea erzählt». Dann werde ich Ihnen von «Genf» erzählen. Auf Wiederhören! Glossaire: Andrea erzählt (D) [1] die Glaserei: eine Fabrik, in der Glas gemacht wird

[2] der Auftrag: eine Abmachung, ein Versprechen für einen Job

[3] der Glaskünstler: jemand der mit Glas Kunst macht

[4] schmelzen: flüssig machen

[5] giessen: eine Flüssigkeit in ein Gefäss tun

[6] glühend: so heiss, dass etwas rot wird und leuchtet

[7] der Ständer: eine Stange, ein dünnes Gestell, das etwas hält (zum Beispiel ein Notenständer für die Noten der Musiker)

[8] das Rohr: eine hohle Stange

[9] abkühlen: kalt werden

[10] etwas Seltsames: etwas Komisches, Ungewöhnliches

[11] Link: http://www.hotel-jail.ch/de/

[12] der Gang: der Flur, langer Raum von dem meist andere Räume weggehen

[13] überlegen: nachdenken

[14] Chatzestreckerli: Schweizerdeutsch für Katzen-Streckerlein

[15] der Keks: ein trockenes kleines Gebäck, das man zum Tee isst oder an Weihnachten

[16] die Nichte: Tochter des Bruders oder der Schwester

[17] stinkig: schlecht riechend, mit einem starken Geruch (z.B. bestimmte Käse)

[18] gemein: nicht nett, unfair, fies

[19] verraten: etwas sagen, was man nicht darf, was ein Geheimnis ist

[20] die Blase: etwas was (meist) mit Luft gefüllt ist und eine dünne Wand hat (Seifenblase)


Hergiswil Hergiswil Hergiswil Hergiswil

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlich willkommen zur Sendung «Andrea erzählt» vom 21. Oktober 2016. Es ist noch etwas zu früh für Weihnachtsgeschenke. Aber dafür ist es noch nicht kalt und man kann noch schöne Ausflüge machen. Was beides miteinander zu tun hat? In der Glaserei [1] Hergiswil kann man selbst Glaskugeln machen. Zum Beispiel für den Weihnachtsbaum. Meist sagt man übrigens einfach «Glasi» Hergiswil. Es ist ein wirklich schöner Tagesausflug dorthin. Vielleicht ist es also doch nicht zu früh, um das erste Weihnachtsgeschenk zu besorgen. Viel Vergnügen!

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Unsere letzte Glaskugel ist leider vor ein paar Monaten kaputt gegangen. Ich spreche von einer selbstgemachten Glaskugel. I'm talking about a homemade crystal ball. Aber lassen Sie mich die Geschichte doch von Anfang an erzählen. Jedes Mal, wenn wir mit dem Auto ins Tessin oder nach Italien fahren, kommen wir an der «Glasi» vorbei. Das ist eine Glasfabrik am Vierwaldstättersee.

Und lange sagte ich jedes Mal zu meinen Kindern: «Irgendwann gehen wir da hin.» Als wir vor ein paar Jahren auf dem Heimweg von den Ferien waren, sagte mein Mann: «So, ich brauche eine Pause. Kommt, wir gehen endlich in die Glasi.»

Es war ein wunderbares Erlebnis. Denn die «Glasi» in Hergiswil gehört zu den ganz alten Fabriken. Lange ging es ihr sehr gut. Doch mit der Zeit wurde immer mehr Glas in billigen Fabriken gemacht. Die Glasi verlor Aufträge [2] und hätte fast schliessen müssen. Doch da kam der italienische Glaskünstler [3] Roberto Niederer und machte die «Glasi» mit seiner Glaskunst wieder berühmt. Die Leute kommen heute von weit her, um hier Glas zu kaufen.

Aber die «Glasi» hat auch noch andere Wege gefunden, um zu überleben: Es gibt ein Glasmuseum und man kann hier sogar selbst Glas blasen.

In einer Halle stehen die grossen Öfen, in denen das Glas geschmolzen [4] wird. Es ist sehr heiss. Oben gibt es eine Art Balkon. Von da kann man hinuntersehen. Man sieht wie die Glasarbeiter flüssiges Glas herausnehmen. Daraus blasen sie dann Weingläser oder Vasen oder sie giessen [5] es in Formen.

Plötzlich rief mein Sohn Samuel: «Mama, schau mal! Da drüben kann man selbst Glas blasen.» Für 20 Franken konnte man ein Ticket kaufen. Sobald er dran war, winkte der Glasbläser Samuel zu sich heran. Er gab ihm eine lange Stange mit einem glühenden [6] Stück Glas. Der Glasbläser hatte schon ein bisschen hineingeblasen, damit es einfacher war. Jetzt legte er die lange Stange für Samuel auf einen Ständer [7]. Er zeigte ihm, wie man bläst und rief: «Fest! Fest! Fest!» Gleichzeitig drehte er die ganze Zeit am Rohr [8], damit das flüssige Glas nicht auf den Boden tropfte. Er fragte: «Ist sie schon gross genug?» Doch Samuel schüttelte den Kopf und blies weiter. Als er fertig war, hatte er ganz rote Wangen und war aufgeregt. Auch unsere Tochter machte eine Kugel.

Danach mussten wir eine Viertelstunde warten, bis wir die Kugeln abholen duften. Then we had to wait a quarter of an hour before we could pick up the balls. Sie waren jetzt abgekühlt [9]. Seither hatten wir sie jede Weihnachten am Baum. Den Rest des Jahres hingen sie am Fenster. Meine Kinder fanden: «Diese Kugeln sind viel zu schön, um sie in den Schrank zu tun, Mama. Wir wollen sie das ganze Jahr über anschauen.»

Aber eben. Nun sind beide zerbrochen. Und meine Kinder finden, sie seien zu gross, um neue zu machen. Gut, hat mein Bruder eine kleine Tochter. Sie heisst Carla und ist acht Jahre alt. Er lebt mit ihr in den USA.

Als ich sie im letzte April besuchte, sagte ich zu ihr: «Wenn du im Sommer in die Schweiz kommst, werden wir zusammen eine magische Glaskugel machen.» Carla war ganz aufgeregt. Das freute mich. Sie kommt nämlich aus einer Künstlerfamilie und hat für ihre acht Jahre schon sehr, sehr viel erlebt.

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Diesen Sommer kam sie wie immer in die Schweiz. Ich kaufte uns ein Ticket für den Zug. Carla liebt Zugfahren, denn zuhause fährt sie nur Auto. Ich hatte uns Sandwiches mit Mozzarella und Tomaten gemacht. Zuerst fuhren wir nach Luzern. Dort hatte ich ein ungewöhnliches Hotel gebucht. Ich sagte: «Morgen machen wir deine Glaskugel. Aber heute machen wir zuerst etwas ganz Seltsames [10]. Wir schlafen im Gefängnis.» Sie sah mich erschreckt an. Aber ich sagte zu ihr: «Du musst keine Angst haben, das verspreche ich dir.»

Wir gingen zu Fuss vom Bahnhof durch die Altstadt. Dort steht das alte Gefängnis, das seit einigen Jahren ein Hotel ist. Es heisst Jail [11]. Damit Carla keine Angst hatte, hatte ich ein Spezial-Zimmer genommen: Das Zimmer des Direktors. Es hat keine Gittertüre. Es ist gross und hat einen Schrank, einen Tisch und ein Bett. Dieses war früher natürlich noch nicht da gewesen.

Dann ging ich mit Carla durch das Hotel und zeigte ihr die Gänge [12] und die anderen Zimmer. Besonders interessant fand sie einen Glaskasten im Flur. Dort konnte man Dinge anschauen, welche den Häftlingen im Gefängnis gehört hatten. Eine Seife, ein Buch und andere kleine Sachen.

Am Abend wollte ich mit Carla in ein Restaurant gehen. Aber sie sagte: «Müssen wir das tun? Ich muss so oft in Restaurants essen. Das ist immer so langweilig.» Das konnte ich gut verstehen. Für Kinder ist es nicht besonders interessant, wenn Erwachsene um einen Tisch sitzen und nur reden.

Ich überlegte [13] kurz und sagte: «Du hast recht. Ich habe eine Idee. Komm, wir gehen einkaufen.» Dann gingen wir in eine Bäckerei und kauften feines Brot und Chatzestreckerli [14]. Das sind berühmte Luzerner Kekse [15]. Sie sind mit Karamel und Mandeln gemacht. Nachher gingen wir in einen Käseladen und holten verschiedene Käse. Meine Nichte [16] gehört zu wenigen Kindern, die ich kenne, die stinkigen [17] Käse mögen. Sie sagte: «Ich liebe Schweizer Käse. Ist doch logisch. Mein Papa kommt ja von hier.» Ich antwortete: «Erklär das bitte mal deinem Cousin und deiner Cousine!» Meine Kinder sind ja auch Schweizer, aber sie mögen keinen Käse ausser Mozzarella.

Dann kauften wir in einem kleinen Supermarkt noch Getränke und etwas Obst und Wurst und gingen ins Hotel zurück. Dort machten wir im Zimmer des Gefängnisdirektors ein Picknick. Dabei stellten wir uns vor, wir seien die Direktorinnen. Ich sagte: «Ach, haben wir gutes Essen. Die armen anderen Leute hier bekommen ja nur trockenes Brot und Wasser.» Mein Nichte sagte ernst: «Oh. Das ist aber gemein [18]. Sollen wir ihnen etwas von unserem Picknick bringen?» Ich nahm sie in den Arm und sagte: «Du liebes Mädchen, ich mache doch nur Spass.»

Bald legten wir uns schlafen. Das war ein wenig komisch, denn es gab nur eine Lampe und diese musste man bei der Türe ausschalten. Anschliessend musste man im Dunkeln ins Bett zurückgehen.

Deshalb wollten wir auch nicht mehr lesen. Wir waren zu faul, um danach nochmals aufzustehen und das Licht zu löschen. Dafür waren wir am nächsten Tag früh wach. Nach dem Frühstück gingen wir zum Hafen beim Bahnhof. Von dort fuhren wir mit dem Schiff direkt zur Glasi Hergiswil.

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Zuerst machten wir die Tour, in der sie Bilder von früher zeigten. Es gab ein Bild von einer Murano-Lampe. Sie war wunderschön und voller bunter Blumen und Blätter aus Glas. Ich sagte: «Früher war das Glasmachen in Venedig eine ganz geheime Kunst. Die Menschen, die mit Glas arbeiteten, mussten immer auf der Insel Murano bleiben. Dort lebten und arbeiteten sie. So konnten sie niemandem verraten [19], wie man Glas macht. Trotzdem fanden es die Leute irgendwann heraus. Und danach wurde auch in anderen Ländern Glas gemacht.»

Nach der Führung gingen wir auf den Balkon und sahen den Glasbläsern zu. Dann war es endlich soweit. Carla durfte eine Glaskugel blasen. Als wir in der Reihe warteten, bis sie dran war, wurde sie immer nervöser. Dann sagte sie: «Ich will es lieber nicht machen. Mach du es.» Aber ich sagte: «Nein. Es geht ganz schnell. Du wirst sehen, nachher bist du stolz, dass du es selbst getan hast.»

Sie ging nach vorne und blies aufgeregt eine ganz kleine Kugel. Darum waren die Glaswände richtig dick. Wir mussten lange warten, bis sie abgekühlt war und wir sie mitnehmen durften. Als wir sie sahen, war Carla ganz stolz. Ich zeigte ihr eine kleine Blase [20] und sagte: «Schau mal. Das ist dein Atem. Damit hast du etwas Schweizer Luft für immer im Glas gefangen. Jetzt hast du eine Schweizer Erinnerung für daheim.»

Das gefiel ihr so gut, dass sie die Kugel auf dem Heimweg immer wieder auspackte und anschaute. Als wir endlich wieder zuhause waren, sagte sie zu meinem Bruder: «Hier, Papa. Das ist für dich. Es ist eine Weihnachtskugel mit einem Stück Schweizer Luft drin.»

Ich hoffe, die Kugel hat den Flug zurück in die USA überlebt. Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Ausflug mit meiner Nichte.

Vielleicht werden wir in die Berge fahren und Kristalle suchen oder wir besuchen eine Höhle.

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Ich habe mir übrigens im Laden der «Glasi» zwei neue Kugeln gekauft. Sie sind schöner, als die alten. Aber diese haben mir trotzdem besser gefallen, denn meine Kinder hatten sie selbst gemacht.

Jetzt freue ich mich sehr, wenn Sie bei Instagram unter #PodClubAndrea und #andreaerzaelt vorbeischauen. Now I am very happy if you stop by Instagram under #PodClubAndrea and #andreaerzaelt.

Es wäre schön, wenn Sie auch am 4. November wieder auf podclub.ch oder über unsere App mit dem Vokabeltrainer mit dabei sind, wenn es heisst «Andrea erzählt». Dann werde ich Ihnen von «Genf» erzählen. Auf Wiederhören! Glossaire: Andrea erzählt (D) [1] die Glaserei: eine Fabrik, in der Glas gemacht wird

[2] der Auftrag: eine Abmachung, ein Versprechen für einen Job

[3] der Glaskünstler: jemand der mit Glas Kunst macht

[4] schmelzen: flüssig machen

[5] giessen: eine Flüssigkeit in ein Gefäss tun

[6] glühend: so heiss, dass etwas rot wird und leuchtet

[7] der Ständer: eine Stange, ein dünnes Gestell, das etwas hält (zum Beispiel ein Notenständer für die Noten der Musiker)

[8] das Rohr: eine hohle Stange

[9] abkühlen: kalt werden

[10] etwas Seltsames: etwas Komisches, Ungewöhnliches

[11] Link: http://www.hotel-jail.ch/de/

[12] der Gang: der Flur, langer Raum von dem meist andere Räume weggehen

[13] überlegen: nachdenken

[14] Chatzestreckerli: Schweizerdeutsch für Katzen-Streckerlein

[15] der Keks: ein trockenes kleines Gebäck, das man zum Tee isst oder an Weihnachten

[16] die Nichte: Tochter des Bruders oder der Schwester

[17] stinkig: schlecht riechend, mit einem starken Geruch (z.B. bestimmte Käse)

[18] gemein: nicht nett, unfair, fies

[19] verraten: etwas sagen, was man nicht darf, was ein Geheimnis ist

[20] die Blase: etwas was (meist) mit Luft gefüllt ist und eine dünne Wand hat (Seifenblase)