(3)Kolonialismus: Wie Deutschland zur Imperial-Macht wurde.
Er löst mit seinem Kolonialrunden die Insel Samoa.
Er löst mit seinem Kolonialroman förmlich einen Südsee-Hype im deutschen Kaiserreich aus.
Die harte Wirklichkeit ist in Samoa, Nauru oder dem Bismarck-Archipel allerdings kaum anders als in den anderen deutschen Kolonien.
Am Anfang sind es meist kleine Handelsplätze.
Deutsche Kaufleute lassen sich auf Nauru, Palau oder anderen Inseln der Südsee nieder.
Einige Regionen, wie das Bismarck-Archipel oder Kaiser Wilhelms Land auf Neuginea, erhalten sogar deutsche Namen.
Die Händler kaufen den Einheimischen billig ihr Land ab.
Darauf legen sie vor allem Kokosplantagen an.
Auf den Plantagen werden Einheimische zur Arbeit gezwungen.
Auch Chinesen aus dem sogenannten deutschen Schutzgebiet in Tsingtao müssen hier arbeiten.
Aber bei der Kolonie in Samoa gibt es eine Besonderheit.
Die Einwohner der Inselgruppe gelten als edle Wilde.
Die Deutschen einigen sich 1889 auf der Samoa-Konferenz mit Großbritannien und den USA über die Aufteilung der Inseln.
Nicht dabei sind natürlich die Samoaner.
Allerdings dürfen sie ihre Kolonie zumindest selbst verwalten.
Es ist schon sehr bizarr, welche Unterschiede die Deutschen in ihren Kolonien gemacht haben.
Ulrika hat es ja vorhin auch schon gesagt.
Die Menschen in der Südsee galten als zivilisierter im Vergleich zu den Menschen in den afrikanischen Kolonien.
Und noch etwas ist außergewöhnlich, was den deutschen Kolonialismus anbelangt.
Er hat sich nämlich für das deutsche Reich volkswirtschaftlich überhaupt nicht gelohnt.
Die Kriege gegen die Einheimischen und die Verwaltung, die haben so viel Geld gekostet, dass die Kolonien letztlich nichts eingebracht haben.
Es gab nur eine einzige deutsche Kolonie, die sich volkswirtschaftlich wirklich gelohnt hat.
Und das war die kleinste deutsche Kolonie Togo zwischen Ghana und Benin in Westafrika gelegen.
Togo galt als sogenannte Musterkolonie.
Für die etwa eine Million Menschen, die 1884 auf dem Gebiet lebten, sah der Alltag allerdings alles andere als mustergültig aus.
Von Deutschen haben wir von vielen Seiten gehört, dass alle, ob jung oder alt, welche sich etwas zur Schulden kommen lassen und dafür vor Gericht gestellt werden,
nach erfolgtem Verhör zuerst durchgepeitscht und dann noch mit Gefängnis bestraft werden.
Das schreibt Isa Aquazo 1894 in einen Brief über die deutsche Kolonialherrschaft in Togo.
Warum aber galt Togo trotzdem als Musterkolonie und wird bis heute selbst von den Menschen in Togo oft positiv wahrgenommen?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich Koku Asamede. Er ist Historiker und arbeitet an der Universität Lomé in Togo.
Es geht um diese wirtschaftliche Stabilität der Kolonie damals und deswegen wurde sie als Musterkolonie genommen, sogar als Modell, als Vorbild für andere Kolonien.
Musterkolonie, das hieß, die Einheimischen wurden ausgebeutet und mussten zum Beispiel auf den Baumwollplantagen schuften.
Das brachte den wirtschaftlichen Erfolg. In Togo gab es zwar kein deutsches Militär, dafür gingen die Kolonialbeamten umso brutaler vor.
Die Prügelstrafe war nur ein Beispiel.
Und die meisten Petitionen und irgendwie Beschwerden wurden in so einer Zeit zwischengeschrieben nur von Einheimischen, die natürlich sehr kritisch gegenüber der Kolonialregierung waren.
Es gibt sehr viele Quellen, also von der Perspektive der Einheimischen, die ganz klar und offensichtlich diese Kolonialherrschaft bekämpften.
Über diese Kritik an der Kolonialherrschaft ist im Kaiserreich in Zeitungen und anderen Medien nur wenig geschrieben worden.
Die Warenzustände in den Kolonien wurden von der deutschen Bevölkerung kaum wahrgenommen.
Stattdessen gab es viele politisch motivierte Fotografien, die man als Postkarten kaufen konnte oder die in Zeitungen abgedruckt wurden.
Die Kolonialfotografie besteht aus Fotografien in den Kolonien, die nicht nur von Kolonialbeamten, sondern auch von Kaufleuten, als auch von Missionaren gemacht wurden.
Je nachdem, was die Leute zeigen wollten, um ihre Aktivitäten zu rechtfertigen, wurden Bilder gezeigt.
Und diese Bilder standen alle unter einer Ideologie. Das war die Ideologie der Herrschaft und die Ideologie des Rassismus.
Sie wollten dadurch zeigen, zumindest rechtfertigen, dass diese Menschen, diese sogenannten primitiven Menschen eine Zivilisierung brauchen.
Und genau dieses Bild hat sich bis heute gehalten. Seltsamerweise haben die meisten Menschen in Togo heute die deutsche Kolonialzeit positiv in Erinnerung.
Eine Erklärung dafür ist, 1914, mit Beginn des Ersten Weltkriegs, verlor das deutsche Kaiserreich seine Kolonie Togo an Frankreich.
Und es ist der jahrzehntelange und erbitterte Kampf bis 1960 um die Unabhängigkeit von Frankreich,
der den Menschen in Togo stärker im Gedächtnis geblieben ist, als die deutsche Kolonialherrschaft, die viel länger zurückliegt.
Wenn man davon ausgeht, dass die Kolonialzeit keine positive Tatsache war, dann konnte man langsam der Geschichte gegenüber kritisch werden.
Ich glaube, das ist auch ein Prozess. Ist gar nicht selbstverständlich.
In Kamerun ist die Erinnerung an die deutsche Kolonialmacht übrigens ähnlich positiv eingefärbt. Auch hier hatten die Franzosen die Kolonie übernommen.
Kuckoo hat gerade schon von den Kolonialfotografien erzählt, die ein ganz bestimmtes rassistisches Bild über die Menschen in den Kolonien zeigen sollten.
Es gab noch eine andere Möglichkeit, durch die die deutsche Bevölkerung etwas über ihre Kolonien erfahren konnte.
Nämlich beim Besuch im Menschenzoo. Ja, habt ihr richtig gehört.
Kolonialbeamte und findige Unternehmer wie der Hamburger Karl Hagenbeck kamen auf diese menschenverachtende Idee.
Sie organisierten Völkerschauen und lockten Besucher an mit Werbesprüchen wie
die letzten Kannibalen der Südsee oder Ausstellung anthropologisch-zoologischer Prachtgruppen in Hamburg noch nie gesehen.
Zoos mit exotischen Tieren waren damals so beliebt, dass Karl Hagenbeck auf die Idee kam, dort auch Menschen auszustellen,
die in der rassistischen Sichtweise als exotisch galten.
Völkerschauen gab es auch schon in der frühen Neuzeit, aber Hagenbeck perfektionierte die Inszenierung auf eine perfide Art und Weise.
Indigene aus Neuginea oder aus Afrika mussten zwischen Garzellen und Zebras rituelle Tänze aufführen
und sperrig begleitet mit Wurfsperren herumfuchteln. Die Zuschauer sollten sich fühlen wie auf einer Weltreise.
Einigen Indigenen wurden sogar die Zähne abgefeilt, damit man ihnen den Kannibalismus abnahm.
Die Menschen, die wie Tiere im Zoo ausgestellt wurden, haben das meistens nicht freiwillig gemacht.
Sie wurden mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt und landeten unversehens in den Gehegen.
Oder sie waren als Sklaven an die Zoos verkauft worden und hatten sowieso keine Wahl.
Mit diesen Völkerschauen machte Zoobesitzer Karl Hagenbeck übrigens ziemlich gute Geschäfte.
So gute Geschäfte, dass er 1907 einen neuen Tierpark eröffnen konnte.
Jemand, der sich mit der Aufarbeitung dieser Kolonialgeschichte beschäftigt und mit den Fragen rund um die Erinnerungskultur zum deutschen Kolonialismus sehr gut auskennt, ist Jürgen Zimmerer.
Jürgen ist Professor für Globalgeschichte an der Universität Hamburg.
Er ist einer der Kritiker des Humboldt-Forums in Berlin.
Den Macherinnen und Machern wirft er unter anderem vor, die deutsche Kolonialgeschichte bei der Ausstellungskonzeption fast vollständig ausgeblendet zu haben.
Jürgen, schön, dass du da bist. Hallo.
Hallo.
Du sprichst im Zusammenhang mit der deutschen Kolonialgeschichte auch von kolonialer Amnesie.
Das heißt also, dass man einen Großteil vergessen hat, dass wir als Gesellschaft vieles einfach nicht mehr wissen oder auch nicht wahrhaben wollen.
Allerdings sagst du auch, es gibt in diesen 30 Jahren deutsche Kolonialgeschichte auch Ereignisse, Persönlichkeiten und Begriffe aus dieser Zeit, die Eingang in das kollektive Gedächtnis der Deutschen gefunden haben.
Das scheint erstmal ein Widerspruch zu sein, ist es aber gar nicht, oder?
Nein, es ist kein Widerspruch, sondern es ist eigentlich die Feststellung des Kolonialismus, die deutsche Geschichte wie auch die europäische Geschichte insgesamt doch erheblich prägte.
Übrigens nicht nur die 30 Jahre formalen deutschen Kolonialreichs von 1884 bis 1918, sondern eigentlich auch die Zeit vorher und nachher, wo auch immer Menschen, die wir heute als Deutsch bezeichnen würden, im Grunde beteiligt waren in den kolonialen Unternehmungen anderer Länder.
Das ist das eine. Es ist ein wesentlicher Teil unserer Geschichte. Gleichzeitig, bis vor ein paar Jahren, haben die meisten offenbar nicht aktiv gewusst, dass Deutschland ein Kolonialreich hatte, das viertgrößte seiner Zeit und über 30 Jahre lang eben in zahlreichen Ländern Afrikas, aber auch in Asien herrschte.
Und dort eben, und das ist eigentlich der Punkt der Debatte, eben auch Kriegsverbrechen begangen hat oder im Beispiel des heutigen Namibias auch den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts.
Wir stellen fest, da tut sich gerade einiges. Du hast es beschrieben. Es gibt eine Aufarbeitung und es werden plötzlich auch Begriffe in Frage gestellt, die aus der Zeit des deutschen Kolonialismus stammen.
Kannst du da vielleicht mal so ein paar Beispiele nennen? Was benutzen wir vielleicht heute ganz selbstverständlich? Ist aber vielleicht dann doch nicht mehr so en vogue?
Naja, also selbstverständlich benutzen wir es ja eben nicht mehr, aber man kann sich ja die Debatte anschauen um das N-Wort oder um das M-Wort, um die M-Straße in Berlin.
Die Debatten um Black Facing im Karneval ist ja auf Kritik gestoßen, weil man sich eben auch ganz anders mit den Fragen des Rassismus auseinandersetzt.
Und die Frage des Rassismus in Deutschland natürlich auch wieder sehr stark auf den Kolonialismus verweist, weil im Grunde ist dieser Rassismus heute eben in wesentlichen Teilen eben auch in diesem Kolonialrassismus mit entstanden und geprägt worden.
Das heißt, das geht jetzt ineinander und Menschen möchten das nicht mehr, die fühlen sich rassistisch beleidigt. Es gibt Debatten, es gibt Debatten Black Life Matters vor zwei Jahren, das in Europa dann diskutiert wurde, führte dazu, dass man zum Beispiel in Hamburg, wo ich jetzt bin, diese riesige Bismarck-Statuenfrage stellte und sagte, ist Bismarck nicht auch ein Kolonialdenkmal?
Selbstverständlich ist er eins. Bismarck zeichnet verantwortlich für die Kolonialreichsgründung. Er ist mitverantwortlich und der geistige Vater der Aufteilung Afrikas in der Afrika-Konferenz, die bis heute nachwirkt.
Wir hören dann in den Nachrichten irgendwelche Grenzkonflikte oder Minderheitenkonflikte oder was auch immer und denken gar nicht dran, dass das auf Berlin, auf die Afrika-Konferenz und auf Bismarck mit zurückgeht.
Viele Probleme wurzeln ja auch daran, dass man die deutsche Kolonialzeit bis heute nicht richtig aufgearbeitet hat.
Deutschland hat als Kolonialmacht im damaligen Deutsch Südwestafrika 1904 den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts begangen, nämlich an den Herero und Nama.
Anerkannt ist dieser Völkermord von der Bundesregierung allerdings nur im historischen, nicht aber im völkerrechtlichen Sinne.
Unter anderem dagegen haben Vertreterinnen und Vertreter der Herero und Nama protestiert. Kannst du vielleicht noch mal darlegen, wogegen sich der Protest noch gerichtet hat?
Also man muss einfach klarstellen, es gibt eine Anerkennung dahingehend, dass es bis vor einigen Jahren hoch problematisch war.
Man bekam Probleme, wenn man von Genozid sprach im Zusammenhang mit Herero und Nama. Das ist jetzt aufgegeben worden.
Deutschland verhandelte mit Namibia sechs Jahre lang über eine Anerkennung und Formen der finanziellen Hilfe, Kompensation, Wiedergutmachung.
Es gibt jetzt eigentlich ein Abkommen, das im Grunde paraffiert ist. Das heißt, es wurde von den Unterhändlern unterzeichnet.
Aber es wurde im Grunde noch nicht formal angenommen, auch nicht von der namibischen Seite. Und zwar vor allem deshalb, weil ein Großteil der Herero und Nama sich in diesem Verhandlungsprozess nicht wiedergefunden hat.
Sie fühlten sich ausgeschlossen. Sie sagten, wir waren nicht beteiligt. Und es kann keine Entschuldigung, kein Abkommen über unsere Geschichte geben, an der wir nicht durch die von uns selbst gewählten Vertreter und Vertreterinnen beteiligt sind.
Das heißt, es ist nicht nur Kritik jetzt an der Anerkennung nur im historischen Sinne und nicht im völkerrechtlichen Sinne, sondern generell an diesem Verhandeln über die Köpfe der Menschen hinweg.
Dieser Hinweis auf das völkerrechtliche anerkennen, der hat einen anderen Grund. Man fürchtete von Anfang an, dass man im Grunde, wenn man praktisch historisch eine Zahlungsverpflichtung gegenüber den Herero und Nama eingeht, einen Präzedenzfall schafft, der eben dann auch gegenüber Italien, gegenüber Griechenland, gegenüber Polen und anderen Staaten und Opfern aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs eigentlich kommt.
Ja, man hat dann so eine Lösung gefunden, dass man sagt, wir investieren da jetzt in Infrastruktur und bauen Dinge im Land auf und versuchen damit dann Dinge gut zu machen. Aber wie du schon sagst, es ist natürlich noch was anderes, als sich offiziell zu entschuldigen, was definitiv nicht passiert ist.
Also man hat im Grunde gesagt, wir haben keine Pflicht etwas zu tun, aber wir einigen uns jetzt, dass wir freiwillig etwas geben. Das ist diese juristische Fiktion und die eben auch bei den Herero und Nama deshalb, glaube ich, auch so übel angesehen wird, weil man die Leute von den Verhandlungen ausgeschlossen hat, die die moralische Autorität gehabt hätten, das zu akzeptieren.
Das heißt, es ist auch ein ganz schwerer, handwerklicher, politischer Fehler der Bundesrepublik gewesen, zu sagen, wir wollen ein Deal machen, wir wollen ein Abkommen machen, aber wir schließen die aus, die eigentlich sagen können, ja, jetzt reicht es.