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TED Deutsch, Rassismus mit Liebe begegnen | Ali Can | TEDxBerlin (1)

Rassismus mit Liebe begegnen | Ali Can | TEDxBerlin (1)

Transkribierer: Nadine Hennig Lektorat: Swenja Gawantka

Als ein junger Mann,

der einen Migrationshintergrund hat,

aber auch einen Migrationsvordergrund,

muss ich sagen, bin ich sehr froh darüber,

dass die Mehrheit der deutschen Gesellschaft sehr tolerant ist,

die ist sehr offen gegenüber fremden Kulturen

und gegenüber geflüchteten Menschen.

Gleichzeitig habe ich letztes Jahr im Februar

ein Video gesehen, auf Facebook, am späten Abend:

"Ab nach Hause! Widerstand!

Wir sind das Volk! Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!"

In dem Video ist eine Männergruppe zu sehen, alle schwarz gekleidet.

Ein richtiger wütender Mob, der einen Bus blockiert,

und in dem Bus sind geflüchtete Frauen und Kinder,

die wollen aber eigentlich zu ihrer Flüchtlingsunterkunft,

können nicht weiter, weil dieser wütende Mob davorsteht

und sie beleidigt, mit Fäusten in der Luft.

In dem Bus sieht man hinter der Scheibe Frauen und Kinder weinen.

Sie klammern sich aneinander und trauen sich nicht aus dem Bus.

Das habe ich gesehen,

und das bleibt mir bis heute in Erinnerung.

Nehmen wir mal für einen Moment an,

Sie wären auch zu diesem Zeitpunkt an dieser Stelle gewesen,

wie dieser wütende Mob.

Alle Männer vor dem Bus,

der Bus ist hier und Sie stehen daneben.

Was wäre Ihre Reaktion gewesen?

Manche hätten Angst gehabt, weil die Männer sehr aggressiv waren.

Manche hätten vielleicht eingegriffen, aber wüssten nicht wie.

Manche wären nach Hause gegangen, total entsetzt, und hätten überlegt:

Wie schaffe ich es,

dass sich so eine Szene nicht noch einmal abspielt?

Ich muss gestehen, auch ich weiß nicht,

wie meine Reaktion damals gewesen wäre.

Aber jetzt möchte ich in den kommenden Minuten

Ihnen und euch erklären,

was meine Antwort heute gewesen wäre

und heute auch ist.

Ich möchte auch anhand meiner eigenen Geschichte erzählen,

wie ich Fremdenfeindlichkeit und Hass entgegenwirke.

Mein Name ist, wie mein Gesicht es schon erahnen lässt,

Ali Can.

Ich habe in meinen 23 Jahren, die ich jetzt erlebt habe,

hin und wieder mit Rassismus Erfahrungen gemacht,

etwa als wir in einem Club feiern wollten

und alle Freunde kamen durch, nur ich nicht -- warum?

Er ist voll, aber alle gehen durch.

Oder als ich eine deutsche, blonde, bayerische, katholische Freundin hatte,

kamen immer wieder mal Kommentare und Blicke,

und ich habe das bisher immer hingenommen,

bis ich dieses Video gesehen habe --

dieses Video aus Clausnitz mit diesem wütenden Mob,

der einen Bus blockiert.

Und ich wollte unbedingt etwas dagegen tun.

Ich wollte mir das nicht länger ansehen, weil ich mir gedacht habe:

Das sind geflüchtete Menschen, vor allem Frauen und Kinder,

besonders unschuldige Menschen,

die gerade vor Krieg und Terror geflohen sind,

aber sofort wieder mit Hass und sogar Feindseligkeit

konfrontiert werden.

Was kann ich machen?

Das habe ich mich gefragt, aber wusste nicht, was ich machen soll.

Und mit der Zeit hatte ich den Gedanken,

dass ich wahrscheinlich an die Orte,

die ich von den negativen Berichten kenne, fahren muss,

dass ich die Rassisten treffen muss, wie in diesem Video,

um Antworten zu finden,

wie ich diesem Fremdenhass entgegenkommen kann.

Dann habe ich recherchiert.

In den letzten zwei bis drei Jahren gab es einige Orte,

die immer wieder anklangen, die auftauchten.

Und da gab es einen Ort, zum Beispiel Hoyerswerda.

Da gab es mal einen sehr schlimmen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim.

Sehr schlimm.

Die Polizei hatte das nicht unter Kontrolle,

und ich habe mir gedacht:

So weit im Osten war ich noch nicht, ich fahre mal dahin.

Ich bin hingefahren und habe viele Gespräche geführt.

Ich war das erste Mal da und muss sagen, es ist eine sehr schöne Stadt.

Die meisten, die mir entgegenkamen, waren sehr freundlich.

Ich musste meine eigenen Schubladen neu sortieren.

Ich wollte eigentlich weg und fragte zwei Jungs nach dem Weg:

"Wo ist der Bahnhof?"

Die sagten mir: "Geh einfach in die Richtung."

Ich: "Ja, okay."

Ich nahm meinen Rucksack, ging in die Richtung,

guckte, ging, hielt Ausschau:

kein Bahnhof, keine Station.

Bin also gegangen und gegangen, nichts gefunden,

also drehte ich mich um und sah dann diese zwei Jungs,

wie sie mir schon entgegenkamen.

Ich weiß nicht, kennen Sie dieses Gefühl, wenn Ihr Bauch sich zusammenzieht,

dieses mulmige Gefühl?

Ich wollte gerade fragen: "Entschuldigung, ich hab's nicht gesehen?"

Da fing der eine schon an: "Was willst du hier, du Scheiß-Ausländer?"

Der andere: "Was willst du in unserem Land? Verpiss dich!",

und hat mich getreten.

Ich habe mich sofort reflexartig an meinem Knie gepackt.

Ich wusste nicht, was ich machen sollte.

Ich wollte eigentlich was sagen,

aber habe dann meinen Rucksack genommen und bin weggerannt,

habe die hinter mir gelassen.

Sie waren zu zweit

und an ein Gespräch war nicht zu denken.

Ich bin also gelaufen und gelaufen.

Ich war wütend, habe mir ein Taxi zum Bahnhof genommen

und habe den Ort sofort verlassen, bin in Richtung Dresden.

Das war nämlich auch meine nächste Station.

Auf dem Weg dahin, muss ich ehrlich sagen,

hatte ich keinen klaren Gedanken fassen können,

weil ich so sauer war.

Ich habe den ganzen Ort verflucht.

Ich habe alle Menschen, die dort wohnen, verflucht, verteufelt.

Ich fand das alles scheußlich.

Meine Emotionen haben sehr gebrodelt.

Es war eine sehr unschöne Erfahrung,

die ich niemandem empfehlen möchte.

In Dresden angekommen bin ich in mein Hotel gegangen,

habe mich hingelegt und weiterhin den Ort verflucht.

Irgendwann klingelte mein Handy.

Es war mein Cousin, der wissen wollte, wie es mir geht.

Wie soll es mir gehen?

Ich habe ihm natürlich alles erzählt, was mir passiert war;

dass ich das erste Mal

von zwei sehr rassistischen jungen Menschen getreten worden bin.

Er hat sich das angehört, war geduldig, hat nichts gesagt.

Irgendwann hat er gesagt: "Ja, Ali, das ist schlimm.

Ja, das sollte niemanden passieren,

aber ich möchte dir auch noch was anderes sagen:

"Meinst du, dass es richtig ist,

dass du diesem Hass, der dir entgegnet wurde,

genauso mit hasserfüllten Worten begegnen möchtest?

Ähnelst du nicht eigentlich genau den Menschen,

die du eigentlich toleranter machen möchtest,

wenn du anfängst, jetzt zu pauschalisieren?

Bist du nicht genauso wie die ganzen Rechtspopulisten,

die Kriminalität und Einwanderung in Verbindung bringen,

die Terrorismus und Muslime in Verbindung bringen,

nur weil du jetzt in einer Stadt diese Erfahrung gemacht hast?

Bist du dann nicht genauso?

Ich habe ihn angeschrien: "Was soll ich denn machen?

Weißt du, wie schlimm das ist?

Er sagte: "Schau mal, was ist dein Ziel?

Wofür stehst du?

Nicht wogegen bist du -- wofür stehst du,

und warum hast du diese Reise angefangen?"

Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht

und erst am Mittag des nächsten Tages, muss ich ehrlich sagen,

habe ich ein bisschen verstanden, was er meinte:

Der Hass, den ich in diesem Video gesehen habe,

den ich in den Berichten sehe und der mir passiert ist --

genau dagegen war ich doch, genau das wollte ich nicht.

Mein Cousin sagte also: "Was ist dein Ziel?"

Ich konnte das mit dem Gegenteil für mich beantworten,

nämlich mit Liebe, Verständnis, Mitgefühl;

das sind meine Ziele, das will ich sehen.

Dann habe ich mir gedacht:

Ich werde nicht wie die ganzen Populisten sein.

Ich werde nicht sein wie diejenigen,

die ständig pauschalisieren und generalisieren.

Ich würde allen anderen Menschen in dieser Stadt unrecht tun.

Also habe ich meine Reise fortgesetzt und bin zu meiner nächsten Station.

Und die nächste Station hieß Dresden:

die Pegida-Demonstration.

Die Pegida-Demonstration

ist eine Kundgebung mit vielen tausend Menschen,

die sich dann versammeln;

einfach ausgedrückt begegnen sie Muslimen mit großer Skepsis.

Ich war da noch nie, bin hingefahren

und wollte mehr über die Hintergründe erfahren.

Warum? Auch bei Pegida riefen die Menschen:

"Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!".

Da war eine Ähnlichkeit zu dem Video, das mich sehr berührt hat.

Und ich habe irgendwie kein Gespräch anfangen können.

Jeder, mit dem ich reden wollte, hat dann gesagt:

"Dann schau doch da, hör doch mal zu."

Und ich so: "Aber ich bin extra aus Hessen gekommen

und ich würde gerne reden."

Ich war wie so ein kleiner Keks, der da hinkam und etwas wissen wollte,

aber natürlich war das aus der Sicht der Demonstranten so:

Vorne sagt der Redner:

"Es kommen ständig kriminelle Asylbewerber.

Alle muslimischen Menschen sind eine Gefahr für uns."

Und dann kommt jemand wie ich mit diesem Gesicht und will reden.

Das ist klar, dass das nicht gut funktioniert.

Irgendwann haben wir alle zusammen die deutsche Nationalhymne gesungen

und ich habe mich das erste Mal, glaube ich, verbunden gefühlt mit allen.

(Lachen)

Ich meine, das tue ich auch, wenn ich Fußballspiele schaue.

Ich lebe ja gerne hier.

Danach fing der Redner an, über deutsche Tradition zu reden.

Mein Besuch bei Pegida war eine Woche vor Ostern

und er ging auf christliche Traditionen wie Ostern ein.

Mein Magen knurrte, ich hatte wirklich Hunger,

und dann fiel mir etwas ein, in meinem Rucksack, was passte.

Dann habe ich meinen Rucksack genommen und abgestellt,

und habe im Blickwinkel gesehen, wie ein Pärchen neben mir stand

und auch schon so geguckt hat:

Was macht er da? Etwa so: Was macht er da?

Ich hatte auch ein bisschen mehr Bart als jetzt.

(Lachen)

Und ich in meiner Tasche, ich krame so, ich suche,

ich hatte tausend Sachen drin; Kameras und so,

habe es irgendwann gefunden und schon gemerkt:

Die sind sehr nervös. Ich bin aber auch nervös.

Ich muss denen unbedingt zeigen, was ich dabei habe.

Ich habe dann so aufgezeigt, und meine Hand einfach geöffnet.

Und was hatte ich in meiner Hand? Einen Schokoladenosterhasen.

In dem Augenblick habe ich gesehen,

wie die Zornfalten dieser Frau sich geglättet haben

und dann hat sie so gemacht.

Ich wollte ihr gerade den Schokoladenosterhasen geben,

weil ich das so berührend fand, dass mich jemand dort angelächelt hat.

Ich wollte ihr den geben, aber in dem Moment hat der Redner

irgendetwas Schlimmes gesagt, ich weiß nicht was,

auf jeden Fall haben alle wieder angefangen mit:

"Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!",

und die Frau hat dann mitdemonstriert,

so dass ich immer noch meinen Schokoladenosterhasen hatte

und ihr den nicht geben konnte.

Aber ich habe gemerkt, dass dieser Schokoladenosterhase

etwas ausgelöst hat.

Ich habe mich an etwas erinnert, was ein guter Freund von mir,

der Darius, mal gesagt hat:

"Ali, wenn du Interesse bei Frauen schaffen willst,

musst du Neugier schaffen und Humor zeigen."

(Lachen)

Ich weiß nicht, ob das so ist, weil ich immer noch Single bin,

aber das Ding ist, in dem Moment hat das funktioniert.

Mein Schokoladenosterhase

hat nämlich die Funktion eines Brückenbauers gehabt.

Dieser Osterhase steht ja irgendwo in Verbindung mit dem Christentum,

zumindest kommerziell heutzutage, aber es hat symbolisiert,

dass ich, ein offensichtlicher Migrant, eine positive Absicht habe

und eine positive Haltung zu ihrer jüdisch-christlichen,

abendländischen Kultur.

Mit diesem Schokoladenosterhasen konnte ich ganz viele Gespräche eröffnen.

Das Schöne war, vorher musste ich hingehen und sagen:

"Hallo, Entschuldigung!"

Aber mit dem Osterhasen --

ich habe ihn nur hochgehalten und hatte diesen Blick drauf.

(Lachen)

Musste ich vorher die Leute ansprechen, haben die mich angesprochen.

Ich muss ehrlich sagen, ich habe erstmal gemerkt,

dass nicht jeder ein Rassist ist.

Ich musste wieder meine eigenen Schubladen sortieren.

Mit dem Osterhasen konnte ich tiefe Gespräche beginnen.

Ein Gespräch ging ungefähr so, dass ein alter Mann kam:

"Hallo. Ist das der Pegida-Osterhase?"

(Lachen)

Ich: "Ja, ich habe den geschenkt bekommen,

weil ich für einen ehemaligen Asylbewerber ziemlich integriert bin."

"Spitze. Woher kommst du denn?" Ich so: "Aus Gießen, in Mittelhessen."

"Nein, woher kommst du wirklich?"

So haben wir geredet und uns ausgetauscht.

Der war wirklich sichtlich interessiert.

Ich war für ihn der "Migrant des Vertrauens".

(Lachen)

Und warum?

Weil ich ein Symbol in meiner Hand hatte,

das eine liebevolle Geste ist.

Ich habe ihm auch die Schokolade angeboten,

aber er isst nicht gerne Süßes, hat er gesagt.

Jedenfalls war das eine liebevolle Geste,

und das meine ich mit Menschen mit Liebe begegnen,

und auch Leuten begegnen, von denen man denkt,

dass das Rassisten sind, die rassistische Dinge sagen.

Denn das Erste, was man merkt, ist, dass nicht jeder ein Rassist ist.

Das Zweite ist, man kommt in Gespräche und baut auf beiden Seiten Vorurteile ab,

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