Obwohl ich in einer unvergleichlich besseren Situation bin als die Menschen, die zu uns geflüchtet sind, haben mich diese Ereignisse schon sehr mitgenommen. Ich war oft äußerst bedrückt und auch unglaublich traurig, aber gleichzeitig habe ich wunderbare Dinge erlebt. Es gab und gibt noch immer ein Ausmaß an Hilfsbereitschaft, das ich mir nie erwartet hätte.
Menschen haben Flüchtlinge vorübergehend in ihre Wohnungen und Häuser aufgenommen, um sie mit Essen und Kleidung zu versorgen, um ihnen Waschmöglichkeiten zu bieten. Es gingen und gehen noch immer viele Spenden ein, viele Freiwillige verbringen viel Zeit mit Flüchtlingen.
Ich glaube schon, dass die meisten längerfristig hier bleiben wollen, allen wird das aber wohl nicht gelingen. Es wird Enttäuschungen geben, auf beiden Seiten, und es wird - hoffentlich - auch in absehbarer Zeit die Möglichkeit zur Rückkehr für alle jene Menschen geben, die das wollen.
Dass Österreich eine Art Zwischenstation auf dem Weg nach Deutschland ist, glaube ich nicht. Jene, die hier sind und einen Antrag gestellt haben, werden sicher zum Großteil hier bleiben. Wir haben in der Zwischenzeit rund 120.000 Menschen aufgenommen. Das ist für ein kleines Land wie Österreich, vor allem gemessen an den Zahlen in anderen Ländern, sehr viel.
Ich befürchte, die EU wird es nicht schaffen, die Menschen fair auf alle Mitgliedsländer aufzuteilen. Das liegt auch insbesondere an der äußerst unkooperativen und egoistischen Vorgangsweise der osteuropäischen Länder. Deren Verhalten finde ich zutiefst enttäuschend und oft auch menschenverachtend.
Wenn man bedenkt, wie viele Osteuropäer, die in einer weitaus besseren Situation waren als die Flüchtlinge aus den Krisengebieten, die jetzt zu uns kommen, in den Westen gezogen sind (man denke nur an die vielen Polen im UK), dann finde ich es unglaublich beschämend, wie im Osten gegen Flüchtlinge gehetzt wird und sich kaum jemand aus der Zivilgesellschaft (obwohl es auch positive Ausnahmen gibt) für diese Menschen einsetzt.
Natürlich ist die Aufnahme von so vielen Menschen in so kurzer Zeit eine Herausforderung. Wer aber soll eine solche Herausforderung annehmen können, wenn nicht der reichste Kontinent dieser Welt? Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, dass über 80 % der Flüchtlinge nicht in Europa gelandet sind.
Der Libanon ist so groß wie Oberösterreich, eines unserer neun Bundesländer, und hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als die gesamte EU mit ca. 500 Millionen Einwohnern (ich rechne das UK noch mit ;-)).
Ich habe bisher großteils nur positive Erfahrungen gemacht, was die Integrationsbereitschaft der Menschen anbelangt. Aber es gibt sicherlich auch Problemfälle. Grundsätzlich gilt es, klarzustellen, dass unsere Gesetze eingehalten werden müssen, das wird auch von den wenigsten in Frage gestellt. Es spießt sich manchmal an religiösen Überzeugungen, aber auch hier habe ich bisher keine unüberwindbaren Probleme festgestellt.
Ich spreche nicht von religiösen Fanatikern, wie den Salafisten, die man meiner Meinung nach schon längst verbieten hätte müssen. Es geht um kleinere Fragen im alltäglichen Umgang miteinander (Händeschütteln zur Begrüßung, Kopftücher etc.). Grundsätzlich lassen sich meiner Erfahrung nach diese Probleme sehr leicht lösen.
Wir haben Wohnungen, viele stehen leer. Manches wird neu gebaut werden müssen und das wird unsere Wirtschaft ankurbeln.
Viele Leute vergessen, dass das Geld, das jetzt für Flüchtlinge ausgegeben wird, auch eine Investition in unsere Wirtschaft ist. Die Menschen geben das Geld, das sie vom Staat bekommen, in österreichischen Geschäften aus, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Mieten für die Unterkünfte werden an österreichische Vermieter bezahlt. Es werden Deutschlehrer eingestellt, viele Menschen haben Arbeit, weil die Flüchtlinge hier sind. Das Geld verpufft nicht einfach. Abgesehen davon, dass man Menschenleben ohnehin nicht mit Geld bewerten kann.
Was gewisse gesellschaftliche Einstellungen anbelangt, so spreche ich diese beispielsweise immer in meinen Deutschkursen an. Wir sprechen über Religionsfreiheit, ich sage den Menschen auch, dass ich nicht religiös bin, wir diskutieren über die Trennung zwischen Staat und Religion, über die Stellung der Frau und über Homosexualität.
Ich bin bisher damit noch nie auf völliges Unverständnis gestoßen. Dass es einer Phase der Anpassung bedarf, ist klar. Alle meine Kursteilnehmer wissen nach einer gewissen Zeit (ich sage das nicht gleich bei der ersten Begegnung), dass ich mit meinem Freund zusammenlebe. Viele von ihnen waren bei uns schon zu Besuch, mein Freund und ich sind oft bei ihnen in den Unterkünften eingeladen.
Es gibt manche, die sagen, dass es auf Grund ihrer religiösen Überzeugung nicht dem entspricht, was Gott möchte, aber das sagen auch viele Christen und Juden. Gleichzeitig haben auch diese Leute mir gegenüber niemals den gebotenen Respekt vermissen lassen. Mit vielen kann ich auch durchaus Scherze darüber machen.
Zweifelsohne wird es in Einzelfällen immer wieder zu Schwierigkeiten kommen, aber wir haben es nicht mit einer homogenen Masse an gesellschaftlich völlig rückständigen Menschen zu tun. Vor allem unter den Arabern sind viele sehr offene und gebildete Menschen dabei. Bei den Afghanen merkt man manchmal, dass sie aus einer noch viel patriarchalischeren Gesellschaft kommen, aber auch unter ihnen ist die Mehrheit willens, sich auf ein neues Leben einzulassen.
Es wird auch davon abhängen, inwieweit es uns gelingt, gewisse Regeln und deren Einhaltung verständlich zu machen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie hier eine Chance haben, sich ein neues Leben aufzubauen.
Der Zulauf zu den rechtsgerichteten Parteien und rechtsradikalen (teilweise auch illegalen) Gruppierungen ist leider deutlich spürbar. Das wird sicher noch ein Problem werden. Ich wurde auch schon mehrmals persönlich bedroht. Diese Gruppierungen kommen zu unseren Veranstaltungen, machen Fotos von uns, erstellen so genannte “schwarze Listen” von Flüchtlingshelfern, die in ihren Augen “Vaterlandsverräter” sind usw.
Dennoch gibt es eine ungeheure Hilfsbereitschaft, die ich so nicht für möglich gehalten hätte. Wir haben letztendlich auch keine andere Wahl. Es stellt sich gar nicht die Frage, ob ich möchte, dass diese Menschen hier sind. Sie sind hier und das ist ein Faktum. Wir haben auch logistisch gar nicht die Möglichkeit, eine derart große Anzahl von Flüchtlingen zu “deportieren”. Abgesehen davon, dass das niemals ohne große gesellschaftliche Unruhen vonstatten gehen würde.
Der Krieg muss endlich beendet werden, wir dürfen die Nachbarländer in den Krisengebieten (den Libanon, Jordanien etc.) nicht mehr so kläglich im Stich lassen, wir müssen mit den Waffenlieferungen aufhören, die geopolitischen Interventionen im Nahen Osten müssen ein Ende haben.
Kein Mensch verlässt gerne seine Heimat. Wenn ich mit den Menschen spreche, dann sehe ich manchmal die Trauer in ihren Augen. Sie haben nicht nur Grund und Boden verloren, sondern wurden buchstäblich entwurzelt. Es ist unglaublich schwer für sie, emotional Anbindung zu finden. Sie haben ihre gewohnte Umgebung, ihre Sprache, ihre Gestik verloren, sind auf eine Existenz von “Geduldeten” reduziert, werden oft nur mehr unter dem allgemeinen Etikett des “Flüchtlings” summiert, so als ob man ihre ganze bisherige persönliche Biographie mit einem Streich ausgelöscht hätte.
Ihr fortgesetztes Leid ist ein Warn- und Weckruf, in erster Linie jedenfalls eine große Verantwortung für uns. Wenn wir ihnen helfen, handeln wir auch in unserem eigenen Interesse.
Klar ist auch, dass die Menschen, die zu uns kommen, rechtsstaatliche Prinzipien einhalten müssen, das fordern wir von allen. Bisher hat es diesbezüglich keine Probleme gegeben, die über traurige Einzelfälle hinausgehen. Wir haben beispielsweise um ein Vielfaches mehr Schwierigkeiten mit kriminellen Gruppierungen aus Osteuropa. Aber darüber spricht man weniger, weil sie keine Muslime sind …
Tut mir leid, dass dieser Beitrag wieder so lang geworden ist, aber ich hoffe, er dient dir wenigstens als gute Übung für dein Deutsch, das entgegen deiner Ansicht noch immer hervorragend ist.