×

We use cookies to help make LingQ better. By visiting the site, you agree to our cookie policy.


image

Alice's Abenteur im Wunderland, Sechstes Kapitel

Sechstes Kapitel

Sechstes Kapitel.

Ferkel und Pfeffer.

Noch ein bis zwei Augenblicke stand sie und sah das Häuschen an, ohne

recht zu wissen was sie nun thun solle, als plötzlich ein Lackei in

Livree vom Walde her gelaufen kam -- (sie hielt ihn für einen Lackeien,

weil er Livree trug, sonst, nach seinem Gesichte zu urtheilen, würde sie

ihn für einen Fisch angesehen haben) -- und mit den Knöcheln laut an die

Thür klopfte. Sie wurde von einem andern Lackeien in Livree geöffnet,

der ein rundes Gesicht und große Augen wie ein Frosch hatte, und beide

Lackeien hatten, wie Alice bemerkte, gepuderte Lockenperücken über den

ganzen Kopf. Sie war sehr neugierig, was nun geschehen würde, und

schlich sich etwas näher, um zuzuhören.

[Illustration]

Der Fisch-Lackei fing damit an, einen ungeheuren Brief, beinah so groß

wie er selbst, unter dem Arme hervorzuziehen; diesen überreichte er dem

anderen, in feierlichem Tone sprechend: »Für die Herzogin. Eine

Einladung von der Königin, Croquet zu spielen.« Der Frosch-Lackei

erwiederte in demselben feierlichen Tone, indem er nur die

Aufeinanderfolge der Wörter etwas veränderte: »Von der Königin. Eine

Einladung für die Herzogin, Croquet zu spielen.«

Dann verbeugten sich Beide tief, und ihre Locken verwickelten sich in

einander.

Darüber lachte Alice so laut, daß sie in das Gebüsch zurücklaufen mußte,

aus Furcht, sie möchten sie hören, und als sie wieder herausguckte, war

der Fisch-Lackei fort, und der andere saß auf dem Boden bei der Thür und

sah dumm in den Himmel hinauf.

Alice ging furchtsam auf die Thür zu und klopfte.

»Es ist durchaus unnütz, zu klopfen,« sagte der Lackei, »und das wegen

zweier Gründe. Erstens weil ich an derselben Seite von der Thür bin wie

du, zweitens, weil sie drinnen einen solchen Lärm machen, daß man dich

unmöglich hören kann.« Und wirklich war ein ganz merkwürdiger Lärm

drinnen, ein fortwährendes Heulen und Niesen, und von Zeit zu Zeit ein

lautes Krachen, als ob eine Schüssel oder ein Kessel zerbrochen wäre.

»Bitte,« sagte Alice, »wie soll ich denn hineinkommen?«

»Es wäre etwas Sinn und Verstand darin, anzuklopfen,« fuhr der Lackei

fort, ohne auf sie zu hören, »wenn wir die Thür zwischen uns hätten. Zum

Beispiel, wenn du drinnen wärest, könntest du klopfen, und ich könnte

dich herauslassen, nicht wahr?« Er sah die ganze Zeit über, während er

sprach, in den Himmel hinauf, was Alice entschieden sehr unhöflich fand.

»Aber vielleicht kann er nicht dafür,« sagte sie bei sich; »seine Augen

sind so hoch oben auf seiner Stirn. Aber jedenfalls könnte er mir

antworten. -- Wie soll ich denn hineinkommen?« wiederholte sie laut.

»Ich werde hier sitzen,« sagte der Lackei, »bis morgen --«

In diesem Augenblicke ging die Thür auf, und ein großer Teller kam

heraus geflogen, gerade auf den Kopf des Lackeien los; er strich aber

über seine Nase hin und brach an einem der dahinterstehenden Bäume in

Stücke.

»-- oder übermorgen, vielleicht,« sprach der Lackei in demselben Tone

fort, als ob nichts vorgefallen wäre.

»Wie soll ich denn hineinkommen?« fragte Alice wieder, lauter als

vorher.

»Sollst du überhaupt hineinkommen?« sagte der Lackei. »Das ist die erste

Frage, nicht wahr?«

Das war es allerdings; nur ließ sich Alice das nicht gern sagen. »Es ist

wirklich schrecklich,« murmelte sie vor sich hin, »wie naseweis alle

diese Geschöpfe sind. Es könnte Einen ganz verdreht machen!«

Der Lackei schien dies für eine gute Gelegenheit anzusehen, seine

Bemerkung zu wiederholen, und zwar mit Variationen. »Ich werde hier

sitzen,« sagte er, »ab und an, Tage und Tage lang.«

»Was soll _ich_ aber thun?« fragte Alice.

»Was dir gefällig ist,« sagte der Lackei, und fing an zu pfeifen.

»Es hilft zu nichts, mit ihm zu reden,« sagte Alice außer sich, »er ist

vollkommen blödsinnig!« Sie klinkte die Thür auf und ging hinein.

Die Thür führte geradewegs in eine große Küche, welche von einem Ende

bis zum andern voller Rauch war; in der Mitte saß auf einem dreibeinigen

Schemel die Herzogin, mit einem Wickelkinde auf dem Schoße; die Köchin

stand über das Feuer gebückt und rührte in einer großen Kasserole, die

voll Suppe zu sein schien.

»In der Suppe ist gewiß zu viel Pfeffer!« sprach Alice für sich, so gut

sie vor Niesen konnte.

Es war wenigstens zu viel in der Luft. Sogar die Herzogin nieste hin und

wieder; was das Wickelkind anbelangt, so nieste und schrie es

abwechselnd ohne die geringste Unterbrechung. Die beiden einzigen Wesen

in der Küche, die nicht niesten, waren die Köchin und eine große Katze,

die vor dem Herde saß und grinste, sodaß die Mundwinkel bis an die Ohren

reichten.

[Illustration]

»Wollen Sie mir gütigst sagen,« fragte Alice etwas furchtsam, denn sie

wußte nicht recht, ob es sich für sie schicke zuerst zu sprechen, »warum

Ihre Katze so grinst?«

»Es ist eine Grinse-Katze,« sagte die Herzogin, »darum! Ferkel!«

Das letzte Wort sagte sie mit solcher Heftigkeit, daß Alice auffuhr;

aber den nächsten Augenblick sah sie, daß es dem Wickelkinde galt, nicht

ihr; sie faßte also Muth und redete weiter: --

»Ich wußte nicht, daß Katzen manchmal grinsen; ja ich wußte nicht, daß

Katzen überhaupt grinsen _können_.«

»Sie können es alle,« sagte die Herzogin, »und die meisten thun es.«

»Ich kenne keine, die es thut,« sagte Alice sehr höflich, da sie ganz

froh war, eine Unterhaltung angeknüpft haben.

»Du kennst noch nicht viel,« sagte die Herzogin, »und das ist die

Wahrheit.«

Alice gefiel diese Bemerkung gar nicht, und sie dachte daran, welchen

andern Gegenstand der Unterhaltung sie einführen könnte. Während sie

sich auf etwas Passendes besann, nahm die Köchin die Kasserole mit Suppe

vom Feuer und fing sogleich an, Alles was sie erreichen konnte nach der

Herzogin und dem Kinde zu werfen -- die Feuerzange kam zuerst, dann

folgte ein Hagel von Pfannen, Tellern und Schüsseln. Die Herzogin

beachtete sie gar nicht, auch wenn sie sie trafen; und das Kind heulte

schon so laut, daß es unmöglich war zu wissen, ob die Stöße ihm weh

thaten oder nicht.

»Oh, bitte, nehmen Sie sich in Acht, was Sie thun!« rief Alice, die in

wahrer Herzensangst hin und her sprang. »Oh, seine liebe kleine Nase!«

als eine besonders große Pfanne dicht daran vorbeifuhr und sie beinah

abstieß.

»Wenn Jeder nur vor seiner Thür fegen wollte,« brummte die Herzogin mit

heiserer Stimme, »würde die Welt sich bedeutend schneller drehen, als

jetzt.«

»Was kein Vortheil wäre,« sprach Alice, die sich über die Gelegenheit

freute, ihre Kenntnisse zu zeigen. »Denken Sie nur, wie es Tag und Nacht

in Unordnung bringen würde! Die Erde braucht doch jetzt vier und zwanzig

Stunden, sich um ihre Achse zu drehen --«

»Was, du redest von Axt?« sagte die Herzogin, »Hau' ihr den Kopf ab!« Alice sah sich sehr erschrocken nach der Köchin um, ob sie den Wink

verstehen würde; aber die Köchin rührte die Suppe unverwandt und schien

nicht zuzuhören, daher fuhr sie fort: »Vier und zwanzig Stunden, glaube

ich; oder sind es zwölf? Ich --«

»Ach, laß mich in Frieden,« sagte die Herzogin, »ich habe Zahlen nie

ausstehen können!« Und damit fing sie an, ihr Kind zu warten und eine

Art Wiegenlied dazu zu singen, wovon jede Reihe mit einem derben Puffe

für das Kind endigte: --

»Schilt deinen kleinen Jungen aus,

Und schlag' ihn, wenn er niest; Er macht es gar so bunt und kraus,

Nur weil es uns verdrießt.«

_Chor_

(in welchen die Köchin und das Wickelkind einfielen).

»Wau! wau! wau!«

Während die Herzogin den zweiten Vers des Liedes sang, schaukelte sie

das Kind so heftig auf und nieder, und das arme kleine Ding schrie so,

daß Alice kaum die Worte verstehen konnte: --

»Ich schelte meinen kleinen Wicht,

Und schlag' ihn, wenn er niest; Ich weiß, wie gern er Pfeffer riecht,

Wenn's ihm gefällig ist.«

_Chor._

»Wau! wau! wau!«

»Hier! du kannst ihn ein Weilchen warten, wenn du willst!« sagte die

Herzogin zu Alice, indem sie ihr das Kind zuwarf. »Ich muß mich zurecht

machen, um mit der Königin Croquet zu spielen,« damit rannte sie aus dem

Zimmer. Die Köchin warf ihr eine Bratpfanne nach; aber sie verfehlte sie

noch eben.

Alice hatte das Kind mit Mühe und Noth aufgefangen, da es ein kleines

unförmliches Wesen war, das seine Arme und Beinchen nach allen Seiten

ausstreckte, »gerade wie ein Seestern,« dachte Alice. Das arme kleine

Ding stöhnte wie eine Locomotive, als sie es fing, und zog sich zusammen

und streckte sich wieder aus, so daß sie es die ersten Paar Minuten nur

eben halten konnte.

Sobald sie aber die rechte Art entdeckt hatte, wie man es tragen mußte

(die darin bestand, es zu einer Art Knoten zu drehen, und es dann fest

beim rechten Ohr und linken Fuß zu fassen, damit es sich nicht wieder

aufwickeln konnte), brachte sie es in's Freie. »Wenn ich dies Kind nicht

mit mir nehme,« dachte Alice, »so werden sie es in wenigen Tagen

umgebracht haben; wäre es nicht Mord, es da zu lassen?« Sie sprach die

letzten Worte laut, und das kleine Geschöpf grunzte zur Antwort (es

hatte mittlerweile aufgehört zu niesen). »Grunze nicht,« sagte Alice;

»es paßt sich gar nicht für dich, dich so auszudrücken.«

Der Junge grunzte wieder, so daß Alice ihm ganz ängstlich in's Gesicht

sah, was ihm eigentlich fehle. Er hatte ohne Zweifel eine _sehr_

hervorstehende Nase, eher eine Schnauze als eine wirkliche Nase; auch

seine Augen wurden entsetzlich klein für einen kleinen Jungen: Alles

zusammen genommen, gefiel Alice das Aussehen des Kindes gar nicht. »Aber

vielleicht hat es nur geweint,« dachte sie und sah ihm wieder in die

Augen, ob Thränen da seien.

Nein, es waren keine Thränen da. »Wenn du ein kleines Ferkel wirst, höre

mal,« sagte Alice sehr ernst, »so will ich nichts mehr mit dir zu

schaffen haben, das merke dir!« Das arme kleine Ding schluchzte (oder

grunzte, es war unmöglich, es zu unterscheiden), und dann gingen sie

eine Weile stillschweigend weiter.

Alice fing eben an, sich zu überlegen: »Nun, was soll ich mit diesem

Geschöpf anfangen, wenn ich es mit nach Hause bringe?« als es wieder

grunzte, so laut, daß Alice erschrocken nach ihm hinsah. Diesmal konnte

sie sich nicht mehr irren: es war nichts mehr oder weniger als ein

Ferkel, und sie sah, daß es höchst lächerlich für sie wäre, es noch

weiter zu tragen.

Sie setzte also das kleine Ding hin und war ganz froh, als sie es ruhig

in den Wald traben sah. »Das wäre in einigen Jahren ein furchtbar

häßliches Kind geworden; aber als Ferkel macht es sich recht nett, finde

ich.« Und so dachte sie alle Kinder durch, die sie kannte, die gute

kleine Ferkel abgeben würden, und sagte gerade für sich: »wenn man nur

die rechten Mittel wüßte, sie zu verwandeln --« als sie einen Schreck

bekam; die Grinse-Katze saß nämlich wenige Fuß von ihr auf einem

Baumzweige.

[Illustration]

Die Katze grinste nur, als sie Alice sah. »Sie sieht gutmüthig aus,«

dachte diese; aber doch hatte sie _sehr_ lange Krallen und eine Menge

Zähne. Alice fühlte wohl, daß sie sie rücksichtsvoll behandeln müsse.

»Grinse-Mies,« fing sie etwas ängstlich an, da sie nicht wußte, ob ihr

der Name gefallen würde: jedoch grinste sie noch etwas breiter. »Schön,

so weit gefällt es ihr,« dachte Alice und sprach weiter: »willst du mir

wohl sagen, wenn ich bitten darf, welchen Weg ich hier nehmen muß?«

»Das hängt zum guten Theil davon ab, wohin du gehen willst,« sagte die

Katze.

»Es kommt mir nicht darauf an, wohin --« sagte Alice.

»Dann kommt es auch nicht darauf an, welchen Weg du nimmst,« sagte die

Katze.

»-- wenn ich nur _irgendwo_ hinkomme,« fügte Alice als Erklärung hinzu.

»O, das wirst du ganz gewiß,« sagte die Katze, »wenn du nur lange genug

gehest.«

Alice sah, daß sie nichts dagegen einwenden konnte; sie versuchte daher

eine andere Frage. »Was für Art Leute wohnen hier in der Nähe?«

»In _der_ Richtung,« sagte die Katze, die rechte Pfote schwenkend, »wohnt

ein Hutmacher, und in jener Richtung,« die andere Pfote schwenkend,

»wohnt ein Faselhase. Besuche welchen du willst: sie sind beide toll.«

»Aber ich mag nicht zu tollen Leuten gehen,« bemerkte Alice.

[Illustration]

»Oh, das kannst du nicht ändern,« sagte die Katze: »wir sind alle toll

hier. Ich bin toll. Du bist toll.«

»Woher weißt du, daß ich toll bin?« fragte Alice.

»Du mußt es sein,« sagte die Katze, »sonst wärest du nicht hergekommen.«

Alice fand durchaus nicht, daß das ein Beweis sei; sie fragte jedoch

weiter: »Und woher weißt du, daß du toll bist?«

»Zu allererst,« sagte die Katze, »ein Hund ist nicht toll. Das giebst du

zu?«

»Zugestanden!« sagte Alice.

»Nun, gut,« fuhr die Katze fort, »nicht wahr ein Hund knurrt, wenn er

böse ist, und wedelt mit dem Schwanze, wenn er sich freut. Ich hingegen

knurre, wenn ich mich freue, und wedle mit dem Schwanze, wenn ich

ärgerlich bin. Daher bin ich toll.«

»Ich nenne es spinnen, nicht knurren,« sagte Alice.

»Nenne es, wie du willst,« sagte die Katze. »Spielst du heut Croquet mit

der Königin?«

»Ich möchte es sehr gern,« sagte Alice, »aber ich bin noch nicht

eingeladen worden.«

»Du wirst mich dort sehen,« sagte die Katze und verschwand.

Alice wunderte sich nicht sehr darüber; sie war so daran gewöhnt, daß

sonderbare Dinge geschahen. Während sie noch nach der Stelle hinsah, wo

die Katze gesessen hatte, erschien sie plötzlich wieder.

»Uebrigens, was ist aus dem Jungen geworden?« sagte die Katze. »Ich

hätte beinah vergessen zu fragen.«

[Illustration]

»Er ist ein Ferkel geworden,« antwortete Alice sehr ruhig, gerade wie

wenn die Katze auf gewöhnliche Weise zurückgekommen wäre.

»Das dachte ich wohl,« sagte die Katze und verschwand wieder.

Alice wartete noch etwas, halb und halb erwartend, sie wieder erscheinen

zu sehen; aber sie kam nicht, und ein Paar Minuten nachher ging sie in

der Richtung fort, wo der Faselhase wohnen sollte. »Hutmacher habe ich

schon gesehen,« sprach sie zu sich, »der Faselhase wird viel

interessanter sein.« Wie sie so sprach, blickte sie auf, und da saß die

Katze wieder auf einem Baumzweige. »Sagtest du Ferkel oder Fächer?«

fragte sie. »Ich sagte Ferkel,« antwortete Alice, »und es wäre mir sehr

lieb, wenn du nicht immer so schnell erscheinen und verschwinden

wolltest: du machst Einen ganz schwindlig.«

»Schon gut,« sagte die Katze, und diesmal verschwand sie ganz langsam,

wobei sie mit der Schwanzspitze anfing und mit dem Grinsen aufhörte, das

noch einige Zeit sichtbar blieb, nachdem das Uebrige verschwunden war.

»Oho, ich habe oft eine Katze ohne Grinsen gesehen,« dachte Alice, »aber

ein Grinsen ohne Katze! so etwas Merkwürdiges habe ich in meinem Leben

noch nicht gesehen!«

Sie brauchte nicht weit zu gehen, so erblickte sie das Haus des

Faselhasen; sie dachte, es müsse das rechte Haus sein, weil die

Schornsteine wie Ohren geformt waren, und das Dach war mit Pelz gedeckt.

Es war ein so großes Haus, daß, ehe sie sich näher heran wagte, sie ein

wenig von dem Stück Pilz in ihrer linken Hand abknabberte, und sich bis

auf zwei Fuß hoch brachte: trotzdem näherte sie sich etwas furchtsam,

für sich sprechend: »Wenn er nur nicht ganz rasend ist! Wäre ich doch

lieber zu dem Hutmacher gegangen!«


Sechstes Kapitel Chapter Six

Sechstes Kapitel.

Ferkel und Pfeffer.

Noch ein bis zwei Augenblicke stand sie und sah das Häuschen an, ohne

recht zu wissen was sie nun thun solle, als plötzlich ein Lackei in

Livree vom Walde her gelaufen kam -- (sie hielt ihn für einen Lackeien,

weil er Livree trug, sonst, nach seinem Gesichte zu urtheilen, würde sie

ihn für einen Fisch angesehen haben) -- und mit den Knöcheln laut an die

Thür klopfte. Sie wurde von einem andern Lackeien in Livree geöffnet,

der ein rundes Gesicht und große Augen wie ein Frosch hatte, und beide

Lackeien hatten, wie Alice bemerkte, gepuderte Lockenperücken über den

ganzen Kopf. Sie war sehr neugierig, was nun geschehen würde, und

schlich sich etwas näher, um zuzuhören.

[Illustration]

Der Fisch-Lackei fing damit an, einen ungeheuren Brief, beinah so groß

wie er selbst, unter dem Arme hervorzuziehen; diesen überreichte er dem

anderen, in feierlichem Tone sprechend: »Für die Herzogin. Eine

Einladung von der Königin, Croquet zu spielen.« Der Frosch-Lackei

erwiederte in demselben feierlichen Tone, indem er nur die

Aufeinanderfolge der Wörter etwas veränderte: »Von der Königin. Eine

Einladung für die Herzogin, Croquet zu spielen.«

Dann verbeugten sich Beide tief, und ihre Locken verwickelten sich in

einander.

Darüber lachte Alice so laut, daß sie in das Gebüsch zurücklaufen mußte,

aus Furcht, sie möchten sie hören, und als sie wieder herausguckte, war

der Fisch-Lackei fort, und der andere saß auf dem Boden bei der Thür und

sah dumm in den Himmel hinauf.

Alice ging furchtsam auf die Thür zu und klopfte.

»Es ist durchaus unnütz, zu klopfen,« sagte der Lackei, »und das wegen

zweier Gründe. Erstens weil ich an derselben Seite von der Thür bin wie

du, zweitens, weil sie drinnen einen solchen Lärm machen, daß man dich

unmöglich hören kann.« Und wirklich war ein ganz merkwürdiger Lärm

drinnen, ein fortwährendes Heulen und Niesen, und von Zeit zu Zeit ein

lautes Krachen, als ob eine Schüssel oder ein Kessel zerbrochen wäre.

»Bitte,« sagte Alice, »wie soll ich denn hineinkommen?«

»Es wäre etwas Sinn und Verstand darin, anzuklopfen,« fuhr der Lackei

fort, ohne auf sie zu hören, »wenn wir die Thür zwischen uns hätten. Zum

Beispiel, wenn du drinnen wärest, könntest du klopfen, und ich könnte

dich herauslassen, nicht wahr?« Er sah die ganze Zeit über, während er

sprach, in den Himmel hinauf, was Alice entschieden sehr unhöflich fand.

»Aber vielleicht kann er nicht dafür,« sagte sie bei sich; »seine Augen

sind so hoch oben auf seiner Stirn. Aber jedenfalls könnte er mir

antworten. -- Wie soll ich denn hineinkommen?« wiederholte sie laut.

»Ich werde hier sitzen,« sagte der Lackei, »bis morgen --«

In diesem Augenblicke ging die Thür auf, und ein großer Teller kam

heraus geflogen, gerade auf den Kopf des Lackeien los; er strich aber

über seine Nase hin und brach an einem der dahinterstehenden Bäume in

Stücke.

»-- oder übermorgen, vielleicht,« sprach der Lackei in demselben Tone

fort, als ob nichts vorgefallen wäre.

»Wie soll ich denn hineinkommen?« fragte Alice wieder, lauter als

vorher.

»Sollst du überhaupt hineinkommen?« sagte der Lackei. »Das ist die erste

Frage, nicht wahr?«

Das war es allerdings; nur ließ sich Alice das nicht gern sagen. »Es ist

wirklich schrecklich,« murmelte sie vor sich hin, »wie naseweis alle

diese Geschöpfe sind. Es könnte Einen ganz verdreht machen!«

Der Lackei schien dies für eine gute Gelegenheit anzusehen, seine

Bemerkung zu wiederholen, und zwar mit Variationen. »Ich werde hier

sitzen,« sagte er, »ab und an, Tage und Tage lang.«

»Was soll _ich_ aber thun?« fragte Alice.

»Was dir gefällig ist,« sagte der Lackei, und fing an zu pfeifen.

»Es hilft zu nichts, mit ihm zu reden,« sagte Alice außer sich, »er ist

vollkommen blödsinnig!« Sie klinkte die Thür auf und ging hinein.

Die Thür führte geradewegs in eine große Küche, welche von einem Ende

bis zum andern voller Rauch war; in der Mitte saß auf einem dreibeinigen

Schemel die Herzogin, mit einem Wickelkinde auf dem Schoße; die Köchin

stand über das Feuer gebückt und rührte in einer großen Kasserole, die

voll Suppe zu sein schien.

»In der Suppe ist gewiß zu viel Pfeffer!« sprach Alice für sich, so gut

sie vor Niesen konnte.

Es war wenigstens zu viel in der Luft. Sogar die Herzogin nieste hin und

wieder; was das Wickelkind anbelangt, so nieste und schrie es

abwechselnd ohne die geringste Unterbrechung. Die beiden einzigen Wesen

in der Küche, die nicht niesten, waren die Köchin und eine große Katze,

die vor dem Herde saß und grinste, sodaß die Mundwinkel bis an die Ohren

reichten.

[Illustration]

»Wollen Sie mir gütigst sagen,« fragte Alice etwas furchtsam, denn sie

wußte nicht recht, ob es sich für sie schicke zuerst zu sprechen, »warum

Ihre Katze so grinst?«

»Es ist eine Grinse-Katze,« sagte die Herzogin, »darum! Ferkel!«

Das letzte Wort sagte sie mit solcher Heftigkeit, daß Alice auffuhr;

aber den nächsten Augenblick sah sie, daß es dem Wickelkinde galt, nicht

ihr; sie faßte also Muth und redete weiter: --

»Ich wußte nicht, daß Katzen manchmal grinsen; ja ich wußte nicht, daß

Katzen überhaupt grinsen _können_.«

»Sie können es alle,« sagte die Herzogin, »und die meisten thun es.«

»Ich kenne keine, die es thut,« sagte Alice sehr höflich, da sie ganz

froh war, eine Unterhaltung angeknüpft haben.

»Du kennst noch nicht viel,« sagte die Herzogin, »und das ist die

Wahrheit.«

Alice gefiel diese Bemerkung gar nicht, und sie dachte daran, welchen

andern Gegenstand der Unterhaltung sie einführen könnte. Während sie

sich auf etwas Passendes besann, nahm die Köchin die Kasserole mit Suppe

vom Feuer und fing sogleich an, Alles was sie erreichen konnte nach der

Herzogin und dem Kinde zu werfen -- die Feuerzange kam zuerst, dann

folgte ein Hagel von Pfannen, Tellern und Schüsseln. Die Herzogin

beachtete sie gar nicht, auch wenn sie sie trafen; und das Kind heulte

schon so laut, daß es unmöglich war zu wissen, ob die Stöße ihm weh

thaten oder nicht.

»Oh, bitte, nehmen Sie sich in Acht, was Sie thun!« rief Alice, die in

wahrer Herzensangst hin und her sprang. »Oh, seine liebe kleine Nase!«

als eine besonders große Pfanne dicht daran vorbeifuhr und sie beinah

abstieß.

»Wenn Jeder nur vor seiner Thür fegen wollte,« brummte die Herzogin mit

heiserer Stimme, »würde die Welt sich bedeutend schneller drehen, als

jetzt.«

»Was kein Vortheil wäre,« sprach Alice, die sich über die Gelegenheit

freute, ihre Kenntnisse zu zeigen. »Denken Sie nur, wie es Tag und Nacht

in Unordnung bringen würde! Die Erde braucht doch jetzt vier und zwanzig

Stunden, sich um ihre Achse zu drehen --«

»Was, du redest von Axt?« sagte die Herzogin, »Hau' ihr den Kopf ab!« Alice sah sich sehr erschrocken nach der Köchin um, ob sie den Wink

verstehen würde; aber die Köchin rührte die Suppe unverwandt und schien

nicht zuzuhören, daher fuhr sie fort: »Vier und zwanzig Stunden, glaube

ich; oder sind es zwölf? Ich --«

»Ach, laß mich in Frieden,« sagte die Herzogin, »ich habe Zahlen nie

ausstehen können!« Und damit fing sie an, ihr Kind zu warten und eine

Art Wiegenlied dazu zu singen, wovon jede Reihe mit einem derben Puffe

für das Kind endigte: --

»Schilt deinen kleinen Jungen aus,

Und schlag' ihn, wenn er niest; Er macht es gar so bunt und kraus,

Nur weil es uns verdrießt.«

_Chor_

(in welchen die Köchin und das Wickelkind einfielen).

»Wau! wau! wau!«

Während die Herzogin den zweiten Vers des Liedes sang, schaukelte sie

das Kind so heftig auf und nieder, und das arme kleine Ding schrie so,

daß Alice kaum die Worte verstehen konnte: --

»Ich schelte meinen kleinen Wicht,

Und schlag' ihn, wenn er niest; Ich weiß, wie gern er Pfeffer riecht,

Wenn’s ihm gefällig ist.«

_Chor._

»Wau! wau! wau!«

»Hier! du kannst ihn ein Weilchen warten, wenn du willst!« sagte die

Herzogin zu Alice, indem sie ihr das Kind zuwarf. »Ich muß mich zurecht

machen, um mit der Königin Croquet zu spielen,« damit rannte sie aus dem

Zimmer. Die Köchin warf ihr eine Bratpfanne nach; aber sie verfehlte sie

noch eben.

Alice hatte das Kind mit Mühe und Noth aufgefangen, da es ein kleines

unförmliches Wesen war, das seine Arme und Beinchen nach allen Seiten

ausstreckte, »gerade wie ein Seestern,« dachte Alice. Das arme kleine

Ding stöhnte wie eine Locomotive, als sie es fing, und zog sich zusammen

und streckte sich wieder aus, so daß sie es die ersten Paar Minuten nur

eben halten konnte.

Sobald sie aber die rechte Art entdeckt hatte, wie man es tragen mußte

(die darin bestand, es zu einer Art Knoten zu drehen, und es dann fest

beim rechten Ohr und linken Fuß zu fassen, damit es sich nicht wieder

aufwickeln konnte), brachte sie es in’s Freie. »Wenn ich dies Kind nicht

mit mir nehme,« dachte Alice, »so werden sie es in wenigen Tagen

umgebracht haben; wäre es nicht Mord, es da zu lassen?« Sie sprach die

letzten Worte laut, und das kleine Geschöpf grunzte zur Antwort (es

hatte mittlerweile aufgehört zu niesen). »Grunze nicht,« sagte Alice;

»es paßt sich gar nicht für dich, dich so auszudrücken.«

Der Junge grunzte wieder, so daß Alice ihm ganz ängstlich in’s Gesicht

sah, was ihm eigentlich fehle. Er hatte ohne Zweifel eine _sehr_

hervorstehende Nase, eher eine Schnauze als eine wirkliche Nase; auch

seine Augen wurden entsetzlich klein für einen kleinen Jungen: Alles

zusammen genommen, gefiel Alice das Aussehen des Kindes gar nicht. »Aber

vielleicht hat es nur geweint,« dachte sie und sah ihm wieder in die

Augen, ob Thränen da seien.

Nein, es waren keine Thränen da. »Wenn du ein kleines Ferkel wirst, höre

mal,« sagte Alice sehr ernst, »so will ich nichts mehr mit dir zu

schaffen haben, das merke dir!« Das arme kleine Ding schluchzte (oder

grunzte, es war unmöglich, es zu unterscheiden), und dann gingen sie

eine Weile stillschweigend weiter.

Alice fing eben an, sich zu überlegen: »Nun, was soll ich mit diesem

Geschöpf anfangen, wenn ich es mit nach Hause bringe?« als es wieder

grunzte, so laut, daß Alice erschrocken nach ihm hinsah. Diesmal konnte

sie sich nicht mehr irren: es war nichts mehr oder weniger als ein

Ferkel, und sie sah, daß es höchst lächerlich für sie wäre, es noch

weiter zu tragen.

Sie setzte also das kleine Ding hin und war ganz froh, als sie es ruhig

in den Wald traben sah. »Das wäre in einigen Jahren ein furchtbar

häßliches Kind geworden; aber als Ferkel macht es sich recht nett, finde

ich.« Und so dachte sie alle Kinder durch, die sie kannte, die gute

kleine Ferkel abgeben würden, und sagte gerade für sich: »wenn man nur

die rechten Mittel wüßte, sie zu verwandeln --« als sie einen Schreck

bekam; die Grinse-Katze saß nämlich wenige Fuß von ihr auf einem

Baumzweige.

[Illustration]

Die Katze grinste nur, als sie Alice sah. »Sie sieht gutmüthig aus,«

dachte diese; aber doch hatte sie _sehr_ lange Krallen und eine Menge

Zähne. Alice fühlte wohl, daß sie sie rücksichtsvoll behandeln müsse.

»Grinse-Mies,« fing sie etwas ängstlich an, da sie nicht wußte, ob ihr

der Name gefallen würde: jedoch grinste sie noch etwas breiter. »Schön,

so weit gefällt es ihr,« dachte Alice und sprach weiter: »willst du mir

wohl sagen, wenn ich bitten darf, welchen Weg ich hier nehmen muß?«

»Das hängt zum guten Theil davon ab, wohin du gehen willst,« sagte die

Katze.

»Es kommt mir nicht darauf an, wohin --« sagte Alice.

»Dann kommt es auch nicht darauf an, welchen Weg du nimmst,« sagte die

Katze.

»-- wenn ich nur _irgendwo_ hinkomme,« fügte Alice als Erklärung hinzu.

»O, das wirst du ganz gewiß,« sagte die Katze, »wenn du nur lange genug

gehest.«

Alice sah, daß sie nichts dagegen einwenden konnte; sie versuchte daher

eine andere Frage. »Was für Art Leute wohnen hier in der Nähe?«

»In _der_ Richtung,« sagte die Katze, die rechte Pfote schwenkend, »wohnt

ein Hutmacher, und in jener Richtung,« die andere Pfote schwenkend,

»wohnt ein Faselhase. Besuche welchen du willst: sie sind beide toll.«

»Aber ich mag nicht zu tollen Leuten gehen,« bemerkte Alice.

[Illustration]

»Oh, das kannst du nicht ändern,« sagte die Katze: »wir sind alle toll

hier. Ich bin toll. Du bist toll.«

»Woher weißt du, daß ich toll bin?« fragte Alice.

»Du mußt es sein,« sagte die Katze, »sonst wärest du nicht hergekommen.«

Alice fand durchaus nicht, daß das ein Beweis sei; sie fragte jedoch

weiter: »Und woher weißt du, daß du toll bist?«

»Zu allererst,« sagte die Katze, »ein Hund ist nicht toll. Das giebst du

zu?«

»Zugestanden!« sagte Alice.

»Nun, gut,« fuhr die Katze fort, »nicht wahr ein Hund knurrt, wenn er

böse ist, und wedelt mit dem Schwanze, wenn er sich freut. Ich hingegen

knurre, wenn ich mich freue, und wedle mit dem Schwanze, wenn ich

ärgerlich bin. Daher bin ich toll.«

»Ich nenne es spinnen, nicht knurren,« sagte Alice.

»Nenne es, wie du willst,« sagte die Katze. »Spielst du heut Croquet mit

der Königin?«

»Ich möchte es sehr gern,« sagte Alice, »aber ich bin noch nicht

eingeladen worden.«

»Du wirst mich dort sehen,« sagte die Katze und verschwand.

Alice wunderte sich nicht sehr darüber; sie war so daran gewöhnt, daß

sonderbare Dinge geschahen. Während sie noch nach der Stelle hinsah, wo

die Katze gesessen hatte, erschien sie plötzlich wieder.

»Uebrigens, was ist aus dem Jungen geworden?« sagte die Katze. »Ich

hätte beinah vergessen zu fragen.«

[Illustration]

»Er ist ein Ferkel geworden,« antwortete Alice sehr ruhig, gerade wie

wenn die Katze auf gewöhnliche Weise zurückgekommen wäre.

»Das dachte ich wohl,« sagte die Katze und verschwand wieder.

Alice wartete noch etwas, halb und halb erwartend, sie wieder erscheinen

zu sehen; aber sie kam nicht, und ein Paar Minuten nachher ging sie in

der Richtung fort, wo der Faselhase wohnen sollte. »Hutmacher habe ich

schon gesehen,« sprach sie zu sich, »der Faselhase wird viel

interessanter sein.« Wie sie so sprach, blickte sie auf, und da saß die

Katze wieder auf einem Baumzweige. »Sagtest du Ferkel oder Fächer?«

fragte sie. »Ich sagte Ferkel,« antwortete Alice, »und es wäre mir sehr

lieb, wenn du nicht immer so schnell erscheinen und verschwinden

wolltest: du machst Einen ganz schwindlig.«

»Schon gut,« sagte die Katze, und diesmal verschwand sie ganz langsam,

wobei sie mit der Schwanzspitze anfing und mit dem Grinsen aufhörte, das

noch einige Zeit sichtbar blieb, nachdem das Uebrige verschwunden war.

»Oho, ich habe oft eine Katze ohne Grinsen gesehen,« dachte Alice, »aber

ein Grinsen ohne Katze! so etwas Merkwürdiges habe ich in meinem Leben

noch nicht gesehen!«

Sie brauchte nicht weit zu gehen, so erblickte sie das Haus des

Faselhasen; sie dachte, es müsse das rechte Haus sein, weil die

Schornsteine wie Ohren geformt waren, und das Dach war mit Pelz gedeckt.

Es war ein so großes Haus, daß, ehe sie sich näher heran wagte, sie ein

wenig von dem Stück Pilz in ihrer linken Hand abknabberte, und sich bis

auf zwei Fuß hoch brachte: trotzdem näherte sie sich etwas furchtsam,

für sich sprechend: »Wenn er nur nicht ganz rasend ist! Wäre ich doch

lieber zu dem Hutmacher gegangen!«