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Alice's Abenteur im Wunderland, Fünftes Kapitel

Fünftes Kapitel

Fünftes Kapitel.

Guter Rath von einer Raupe.

Die Raupe und Alice sahen sich eine Zeit lang schweigend an; endlich

nahm die Raupe die Huhka aus dem Munde und redete sie mit schmachtender,

langsamer Stimme an. »Wer bist du?« fragte die Raupe.

Das war kein sehr ermuthigender Anfang einer Unterhaltung. Alice

antwortete, etwas befangen: »Ich -- ich weiß nicht recht, diesen

Augenblick -- vielmehr ich weiß, wer ich heut früh war, als ich

aufstand; aber ich glaube, ich muß seitdem ein paar Mal verwechselt

worden sein.«

»Was meinst du damit?« sagte die Raupe strenge. »Erkläre dich

deutlicher!«

»Ich kann mich nicht deutlicher erklären, fürchte ich, Raupe,« sagte

Alice, »weil ich nicht ich bin, sehen Sie wohl?«

»Ich sehe nicht wohl,« sagte die Raupe.

»Ich kann es wirklich nicht besser ausdrücken,« erwiederte Alice sehr

höflich, »denn ich kann es selbst nicht begreifen; und wenn man an einem

Tage so oft klein und groß wird, wird man ganz verwirrt.«

»Nein, das wird man nicht,« sagte die Raupe.

»Vielleicht haben Sie es noch nicht versucht,« sagte Alice, »aber wenn

Sie sich in eine Puppe verwandeln werden, das müssen Sie über kurz oder

lang wie Sie wissen -- und dann in einen Schmetterling, das wird sich

doch komisch anfühlen, nicht wahr?«

»Durchaus nicht,« sagte die Raupe.

»Sie fühlen wahrscheinlich anders darin,« sagte Alice; »so viel weiß

ich, daß es mir sehr komisch sein würde.«

»Dir!« sagte die Raupe verächtlich. »Wer bist _du_ denn?«

Was sie wieder auf den Anfang der Unterhaltung zurückbrachte. Alice war

etwas ärgerlich, daß die Raupe so sehr kurz angebunden war; sie warf den

Kopf in die Höhe und sprach sehr ernst: »Ich dächte, Sie sollten mir

erst sagen, wer _Sie_ sind?«

»Weshalb?« fragte die Raupe.

Das war wieder eine schwierige Frage; und da sich Alice auf keinen guten

Grund besinnen konnte und die Raupe _sehr_ schlechter Laune zu sein

schien, so ging sie ihrer Wege.

»Komm zurück!« rief ihr die Raupe nach, »ich habe dir etwas Wichtiges zu

sagen!«

Das klang sehr einladend; Alice kehrte wieder um und kam zu ihr zurück.

»Sei nicht empfindlich,« sagte die Raupe.

»Ist das Alles?« fragte Alice, ihren Aerger so gut sie konnte

verbergend.

»Nein,« sagte die Raupe.

Alice dachte, sie wollte doch warten, da sie sonst nichts zu thun habe,

und vielleicht würde sie ihr etwas sagen, das der Mühe werth sei. Einige

Minuten lang rauchte die Raupe fort ohne zu reden; aber zuletzt nahm sie

die Huhka wieder aus dem Munde und sprach: »Du glaubst also, du bist

verwandelt?«

»Ich fürchte es fast, Raupe,« sagte Alice, »ich kann Sachen nicht

behalten wie sonst, und ich werde alle zehn Minuten größer oder

kleiner!«

»Kannst _welche_ Sachen nicht behalten?« fragte die Raupe.

»Ach, ich habe versucht zu sagen: Bei einem Wirthe &c.; aber es kam ganz anders!« antwortete Alice in niedergeschlagenem Tone.

»Sage her: Ihr seid alt, Vater Martin,« sagte die Raupe.

Alice faltete die Hände und fing an: --

[Illustration]

»Ihr seid alt, Vater Martin,« so sprach Junker Tropf,

»Euer Haar ist schon lange ganz weiß;

Doch steht ihr so gerne noch auf dem Kopf.

Macht Euch denn das nicht zu heiß?«

»Als ich jung war,« der Vater zur Antwort gab,

»Da glaubt' ich, für's Hirn sei's nicht gut; Doch seit ich entdeckt, daß ich gar keines hab' So thu' ich's mit fröhlichem Muth.« [Illustration]

»Ihr seid alt,« sprach der Sohn, »wie vorhin schon gesagt,

Und geworden ein gar dicker Mann;

Drum sprecht, wie ihr rücklings den Purzelbaum schlagt.

Potz tausend! wie fangt ihr's nur an?« »Als ich jung war,« der Alte mit Kopfschütteln sagt', »Da rieb ich die Glieder mir ein

Mit der Salbe hier, die sie geschmeidig macht.

Für zwei Groschen Courant ist sie dein.«

[Illustration]

»Ihr seid alt,« sprach der Bub', »und könnt nicht recht kau'n, Und solltet euch nehmen in Acht;

Doch aßt ihr die Ganz mit Schnabel und Klau'n; Wie habt ihr das nur gemacht?«

»Ich war früher Jurist und hab' viel disputirt, Besonders mit meiner Frau;

Das hat so mir die Kinnbacken einexercirt,

Daß ich jetzt noch mit Leichtigkeit kau!«

[Illustration]

»Ihr seid alt,« sagte der Sohn, »und habt nicht viel Witz,

Und doch seid ihr so geschickt;

Balancirt einen Aal auf der Nasenspitz'! Wie ist euch das nur geglückt?«

»Drei Antworten hast du, und damit genug,

Nun laß mich kein Wort mehr hören;

Du Guck in die Welt thust so überklug,

Ich werde dich Mores lehren!«

»Das ist nicht richtig,« sagte die Raupe.

»Nicht ganz richtig, glaube ich,« sagte Alice schüchtern; »manche Wörter

sind anders gekommen.«

»Es ist von Anfang bis zu Ende falsch,« sagte die Raupe mit

Entschiedenheit, worauf eine Pause von einigen Minuten eintrat.

Die Raupe sprach zuerst wieder.

»Wie groß möchtest du gern sein?« fragte sie.

»Oh, es kommt nicht so genau darauf an,« erwiederte Alice schnell; »nur

das viele Wechseln ist nicht angenehm, nicht wahr?«

»Nein, es ist nicht wahr!« sagte die Raupe.

Alice antwortete nichts; es war ihr im Leben nicht so viel widersprochen

worden, und sie fühlte, daß sie wieder anfing, empfindlich zu werden.

»Bist du jetzt zufrieden?« sagte die Raupe.

»Etwas größer, Frau Raupe, wäre ich gern, wenn ich bitten darf,« sagte

Alice; »drei und einen halben Zoll ist gar zu winzig.«

»Es ist eine sehr angenehme Größe, finde ich,« sagte die Raupe zornig

und richtete sich dabei in die Höhe (sie war gerade drei Zoll hoch).

»Aber ich bin nicht daran gewöhnt!« vertheidigte sich die arme Alice in

weinerlichem Tone. Bei sich dachte sie: »Ich wünschte, alle diese

Geschöpfe nähmen nicht Alles gleich übel.«

»Dur wirst es mit der Zeit gewohnt werden,« sagte die Raupe, steckte

ihre Huhka in den Mund und fing wieder an zu rauchen.

Diesmal wartete Alice geduldig, bis es ihr gefällig wäre zu reden. Nach

zwei oder drei Minuten nahm die Raupe die Huhka aus dem Munde, gähnte

ein bis zwei Mal und schüttelte sich. Dann kam sie von dem Pilze

herunter, kroch in's Gras hinein und bemerkte blos bei'm Weggehen: »Die eine Seite macht dich größer, die andere Seite macht dich kleiner.«

»Eine Seite wovon? die andere Seite wovon?« dachte Alice bei sich.

»Von dem Pilz,« sagte die Raupe, gerade als wenn sie laut gefragt hätte;

und den nächsten Augenblick war sie nicht mehr zu sehen.

Alice blieb ein Weilchen gedankenvoll vor dem Pilze stehen, um ausfindig

zu machen, welches seine beiden Seiten seien; und da er vollkommen rund

war, so fand sie die Frage schwierig zu beantworten. Zuletzt aber

reichte sie mit beiden Armen, so weit sie herum konnte, und brach mit

jeder Hand etwas vom Rande ab.

»Nun aber, welches ist das rechte?« sprach sie zu sich, und biß ein

wenig von dem Stück in ihrer rechten Hand ab, um die Wirkung

auszuprobiren; den nächsten Augenblick fühlte sie einen heftigen Schmerz

am Kinn, es hatte an ihren Fuß angestoßen!

Ueber diese plötzliche Verwandlung war sie sehr erschrocken, aber da war

keine Zeit zu verlieren, da sie sehr schnell kleiner wurde; sie machte

sich also gleich daran, etwas von dem andern Stück zu essen. Ihr Kinn

war so dicht an ihren Fuß gedrückt, daß ihr kaum Platz genug blieb, den

Mund aufzumachen; endlich aber gelang es ihr, ein wenig von dem Stück in

ihrer linken Hand herunter zu schlucken.

* * * * *

»Ah! endlich ist mein Kopf frei!« rief Alice mit Entzücken, das sich

jedoch den nächsten Augenblick in Angst verwandelte, da sie merkte, daß

ihre Schultern nirgends zu finden waren: als sie hinunter sah, konnte

sie weiter nichts erblicken, als einen ungeheuer langen Hals, der sich

wie eine Stange aus einem Meer von grünen Blättern erhob, das unter ihr

lag.

»Was mag all das grüne Zeug sein?« sagte Alice. »Und wo sind meine

Schultern nur hingekommen? Und ach, meine armen Hände, wie geht es zu,

daß ich euch nicht sehen kann?« Sie griff bei diesen Worten um sich,

aber es erfolgte weiter nichts, als eine kleine Bewegung in den

entfernten grünen Blättern.

Da es ihr nicht gelang, die Hände zu ihrem Kopfe zu erheben, so

versuchte sie, den Kopf zu ihnen hinunter zu bücken, und fand zu ihrem

Entzücken, daß sie ihren Hals in allen Richtungen biegen und wenden

konnte, wie eine Schlange. Sie hatte ihn gerade in ein malerisches

Zickzack gewunden und wollte eben in das Blättermeer hinunter tauchen,

das, wie sie sah, durch die Gipfel der Bäume gebildet wurde, unter denen

sie noch eben herumgewandert war, als ein lautes Rauschen sie plötzlich

zurückschreckte: eine große Taube kam ihr in's Gesicht geflogen und schlug sie heftig mit den Flügeln.

»Schlange!« kreischte die Taube.

»Ich bin _keine_ Schlange!« sagte Alice mit Entrüstung. »Laß mich in

Ruhe!«

»Schlange sage ich!« wiederholte die Taube, aber mit gedämpfter Stimme,

und fuhr schluchzend fort: »Alles habe ich versucht, und nichts ist

ihnen genehm!«

»Ich weiß gar nicht, wovon du redest,« sagte Alice.

»Baumwurzeln habe ich versucht, Flußufer habe ich versucht, Hecken habe

ich versucht,« sprach die Taube weiter, ohne auf sie zu achten; »aber

diese Schlangen! Nichts ist ihnen recht!«

Alice verstand immer weniger; aber sie dachte, es sei unnütz etwas zu

sagen, bis die Taube fertig wäre.

»Als ob es nicht Mühe genug wäre, die Eier auszubrüten,« sagte die

Taube, »da muß ich noch Tag und Nacht den Schlangen aufpassen! Kein Auge

habe ich die letzten drei Wochen zugethan!«

»Es thut mir sehr leid, daß du so viel Verdruß gehabt hast,« sagte

Alice, die zu verstehen anfing, was sie meinte.

»Und gerade da ich mir den höchsten Baum im Walde ausgesucht habe,« fuhr

die Taube mit erhobener Stimme fort, »und gerade da ich dachte, ich wäre

sie endlich los, müssen sie sich sogar noch vom Himmel herunterwinden!

Pfui! Schlange!«

»Aber ich bin _keine_ Schlange, sage ich dir!« rief Alice, »ich bin ein --

ich bin ein --«

»Nun, was bist du denn?« fragte die Taube. »Ich merke wohl, daß du dir

etwas ausdenken willst!«

»Ich -- ich bin ein kleines Mädchen,« sagte Alice etwas unsicher, da sie

an die vielfachen Verwandlungen dachte, die sie den Tag über schon

durchgemacht hatte.

»Eine schöne Ausrede, wahrhaftig!« sagte die Taube im Tone tiefster

Verachtung. »Ich habe mein Lebtag genug kleine Mädchen gesehen, aber nie

eine mit solch einem Hals! Nein, nein! du bist eine Schlange! das kannst

du nicht abläugnen. Du wirst am Ende noch behaupten, daß du nie ein Ei

gegessen hast.«

»Ich _habe_ Eier gegessen, freilich,« sagte Alice, die ein sehr

wahrheitsliebendes Kind war; »aber kleine Mädchen essen Eier eben so gut

wie Schlangen.«

»Das glaube ich nicht,« sagte die Taube; »wenn sie es aber thun, nun

dann sind sie eine Art Schlangen, so viel weiß ich.«

Das war etwas so Neues für Alice, daß sie ein Paar Minuten ganz still

schwieg; die Taube benutzte die Gelegenheit und fuhr fort: »Du suchst

Eier, das weiß ich nur zu gut, und was kümmert es mich, ob du ein

kleines Mädchen oder eine Schlange bist?«

»Aber _mich_ kümmert es sehr,« sagte Alice schnell; »übrigens suche ich

zufällig nicht Eier, und wenn ich es thäte, so würde ich deine nicht

brauchen können; ich esse sie nicht gern roh.«

»Dann mach', daß du fortkommst!« sagte die Taube verdrießlich, indem sie sich in ihrem Nest wieder zurecht setzte. Alice duckte sich unter die

Bäume so gut sie konnte; denn ihr Hals verwickelte sich fortwährend in

die Zweige, und mehre Male mußte sie anhalten und ihn losmachen. Nach

einer Weile fiel es ihr wieder ein, daß sie noch die Stückchen Pilz in

den Händen hatte, und sie machte sich sorgfältig daran, knabberte bald

an dem einen, bald an dem andern, und wurde abwechselnd größer und

kleiner, bis es ihr zuletzt gelang, ihre gewöhnliche Größe zu bekommen.

Es war so lange her, daß sie auch nur ungefähr ihre richtige Höhe gehabt

hatte, daß es ihr erst ganz komisch vorkam; aber nach einigen Minuten

hatte sie sich daran gewöhnt und sprach mit sich selbst wie gewöhnlich.

»Schön, nun ist mein Plan halb ausgeführt! Wie verwirrt man von dem

vielen Wechseln wird! Ich weiß nie, wie ich den nächsten Augenblick

sein werde! Doch jetzt habe ich meine richtige Größe: nun kommt es

darauf an, in den schönen Garten zu gelangen -- wie _kann_ ich das

anstellen? das möchte ich wissen!« Wie sie dies sagte, kam sie in eine

Lichtung mit einem Häuschen in der Mitte, ungefähr vier Fuß hoch. »Wer

auch darin wohnen mag, es geht nicht an, daß ich so groß wie ich jetzt

bin hineingehe: sie würden vor Angst nicht wissen wohin!« Also knabberte

sie wieder an dem Stückchen in der rechten Hand, und wagte sich nicht an

das Häuschen heran, bis sie sich auf neun Zoll herunter gebracht hatte.


Fünftes Kapitel Fifth chapter

Fünftes Kapitel.

Guter Rath von einer Raupe.

Die Raupe und Alice sahen sich eine Zeit lang schweigend an; endlich

nahm die Raupe die Huhka aus dem Munde und redete sie mit schmachtender,

langsamer Stimme an. »Wer bist du?« fragte die Raupe.

Das war kein sehr ermuthigender Anfang einer Unterhaltung. Alice

antwortete, etwas befangen: »Ich -- ich weiß nicht recht, diesen

Augenblick -- vielmehr ich weiß, wer ich heut früh war, als ich

aufstand; aber ich glaube, ich muß seitdem ein paar Mal verwechselt

worden sein.«

»Was meinst du damit?« sagte die Raupe strenge. »Erkläre dich

deutlicher!«

»Ich kann mich nicht deutlicher erklären, fürchte ich, Raupe,« sagte

Alice, »weil ich nicht ich bin, sehen Sie wohl?«

»Ich sehe nicht wohl,« sagte die Raupe.

»Ich kann es wirklich nicht besser ausdrücken,« erwiederte Alice sehr

höflich, »denn ich kann es selbst nicht begreifen; und wenn man an einem

Tage so oft klein und groß wird, wird man ganz verwirrt.«

»Nein, das wird man nicht,« sagte die Raupe.

»Vielleicht haben Sie es noch nicht versucht,« sagte Alice, »aber wenn

Sie sich in eine Puppe verwandeln werden, das müssen Sie über kurz oder

lang wie Sie wissen -- und dann in einen Schmetterling, das wird sich

doch komisch anfühlen, nicht wahr?«

»Durchaus nicht,« sagte die Raupe.

»Sie fühlen wahrscheinlich anders darin,« sagte Alice; »so viel weiß

ich, daß es mir sehr komisch sein würde.«

»Dir!« sagte die Raupe verächtlich. »Wer bist _du_ denn?«

Was sie wieder auf den Anfang der Unterhaltung zurückbrachte. Alice war

etwas ärgerlich, daß die Raupe so sehr kurz angebunden war; sie warf den

Kopf in die Höhe und sprach sehr ernst: »Ich dächte, Sie sollten mir

erst sagen, wer _Sie_ sind?«

»Weshalb?« fragte die Raupe.

Das war wieder eine schwierige Frage; und da sich Alice auf keinen guten

Grund besinnen konnte und die Raupe _sehr_ schlechter Laune zu sein

schien, so ging sie ihrer Wege.

»Komm zurück!« rief ihr die Raupe nach, »ich habe dir etwas Wichtiges zu

sagen!«

Das klang sehr einladend; Alice kehrte wieder um und kam zu ihr zurück.

»Sei nicht empfindlich,« sagte die Raupe.

»Ist das Alles?« fragte Alice, ihren Aerger so gut sie konnte

verbergend.

»Nein,« sagte die Raupe.

Alice dachte, sie wollte doch warten, da sie sonst nichts zu thun habe,

und vielleicht würde sie ihr etwas sagen, das der Mühe werth sei. Einige

Minuten lang rauchte die Raupe fort ohne zu reden; aber zuletzt nahm sie

die Huhka wieder aus dem Munde und sprach: »Du glaubst also, du bist

verwandelt?«

»Ich fürchte es fast, Raupe,« sagte Alice, »ich kann Sachen nicht

behalten wie sonst, und ich werde alle zehn Minuten größer oder

kleiner!«

»Kannst _welche_ Sachen nicht behalten?« fragte die Raupe.

»Ach, ich habe versucht zu sagen: Bei einem Wirthe &c.; aber es kam ganz anders!« antwortete Alice in niedergeschlagenem Tone.

»Sage her: Ihr seid alt, Vater Martin,« sagte die Raupe.

Alice faltete die Hände und fing an: --

[Illustration]

»Ihr seid alt, Vater Martin,« so sprach Junker Tropf,

»Euer Haar ist schon lange ganz weiß;

Doch steht ihr so gerne noch auf dem Kopf.

Macht Euch denn das nicht zu heiß?«

»Als ich jung war,« der Vater zur Antwort gab,

»Da glaubt' ich, für's Hirn sei's nicht gut; Doch seit ich entdeckt, daß ich gar keines hab' So thu' ich's mit fröhlichem Muth.« [Illustration]

»Ihr seid alt,« sprach der Sohn, »wie vorhin schon gesagt,

Und geworden ein gar dicker Mann;

Drum sprecht, wie ihr rücklings den Purzelbaum schlagt.

Potz tausend! wie fangt ihr's nur an?« »Als ich jung war,« der Alte mit Kopfschütteln sagt', »Da rieb ich die Glieder mir ein

Mit der Salbe hier, die sie geschmeidig macht.

Für zwei Groschen Courant ist sie dein.«

[Illustration]

»Ihr seid alt,« sprach der Bub', »und könnt nicht recht kau'n, Und solltet euch nehmen in Acht;

Doch aßt ihr die Ganz mit Schnabel und Klau'n; Wie habt ihr das nur gemacht?«

»Ich war früher Jurist und hab' viel disputirt, Besonders mit meiner Frau;

Das hat so mir die Kinnbacken einexercirt,

Daß ich jetzt noch mit Leichtigkeit kau!«

[Illustration]

»Ihr seid alt,« sagte der Sohn, »und habt nicht viel Witz,

Und doch seid ihr so geschickt;

Balancirt einen Aal auf der Nasenspitz'! Wie ist euch das nur geglückt?«

»Drei Antworten hast du, und damit genug,

Nun laß mich kein Wort mehr hören;

Du Guck in die Welt thust so überklug,

Ich werde dich Mores lehren!«

»Das ist nicht richtig,« sagte die Raupe.

»Nicht ganz richtig, glaube ich,« sagte Alice schüchtern; »manche Wörter

sind anders gekommen.«

»Es ist von Anfang bis zu Ende falsch,« sagte die Raupe mit

Entschiedenheit, worauf eine Pause von einigen Minuten eintrat.

Die Raupe sprach zuerst wieder.

»Wie groß möchtest du gern sein?« fragte sie.

»Oh, es kommt nicht so genau darauf an,« erwiederte Alice schnell; »nur

das viele Wechseln ist nicht angenehm, nicht wahr?«

»Nein, es ist nicht wahr!« sagte die Raupe.

Alice antwortete nichts; es war ihr im Leben nicht so viel widersprochen

worden, und sie fühlte, daß sie wieder anfing, empfindlich zu werden.

»Bist du jetzt zufrieden?« sagte die Raupe.

»Etwas größer, Frau Raupe, wäre ich gern, wenn ich bitten darf,« sagte

Alice; »drei und einen halben Zoll ist gar zu winzig.«

»Es ist eine sehr angenehme Größe, finde ich,« sagte die Raupe zornig

und richtete sich dabei in die Höhe (sie war gerade drei Zoll hoch).

»Aber ich bin nicht daran gewöhnt!« vertheidigte sich die arme Alice in

weinerlichem Tone. Bei sich dachte sie: »Ich wünschte, alle diese

Geschöpfe nähmen nicht Alles gleich übel.«

»Dur wirst es mit der Zeit gewohnt werden,« sagte die Raupe, steckte

ihre Huhka in den Mund und fing wieder an zu rauchen.

Diesmal wartete Alice geduldig, bis es ihr gefällig wäre zu reden. Nach

zwei oder drei Minuten nahm die Raupe die Huhka aus dem Munde, gähnte

ein bis zwei Mal und schüttelte sich. Dann kam sie von dem Pilze

herunter, kroch in's Gras hinein und bemerkte blos bei'm Weggehen: »Die eine Seite macht dich größer, die andere Seite macht dich kleiner.«

»Eine Seite wovon? die andere Seite wovon?« dachte Alice bei sich.

»Von dem Pilz,« sagte die Raupe, gerade als wenn sie laut gefragt hätte;

und den nächsten Augenblick war sie nicht mehr zu sehen.

Alice blieb ein Weilchen gedankenvoll vor dem Pilze stehen, um ausfindig

zu machen, welches seine beiden Seiten seien; und da er vollkommen rund

war, so fand sie die Frage schwierig zu beantworten. Zuletzt aber

reichte sie mit beiden Armen, so weit sie herum konnte, und brach mit

jeder Hand etwas vom Rande ab.

»Nun aber, welches ist das rechte?« sprach sie zu sich, und biß ein

wenig von dem Stück in ihrer rechten Hand ab, um die Wirkung

auszuprobiren; den nächsten Augenblick fühlte sie einen heftigen Schmerz

am Kinn, es hatte an ihren Fuß angestoßen!

Ueber diese plötzliche Verwandlung war sie sehr erschrocken, aber da war

keine Zeit zu verlieren, da sie sehr schnell kleiner wurde; sie machte

sich also gleich daran, etwas von dem andern Stück zu essen. Ihr Kinn

war so dicht an ihren Fuß gedrückt, daß ihr kaum Platz genug blieb, den

Mund aufzumachen; endlich aber gelang es ihr, ein wenig von dem Stück in

ihrer linken Hand herunter zu schlucken.

*       *       *       *       *

»Ah! endlich ist mein Kopf frei!« rief Alice mit Entzücken, das sich

jedoch den nächsten Augenblick in Angst verwandelte, da sie merkte, daß

ihre Schultern nirgends zu finden waren: als sie hinunter sah, konnte

sie weiter nichts erblicken, als einen ungeheuer langen Hals, der sich

wie eine Stange aus einem Meer von grünen Blättern erhob, das unter ihr

lag.

»Was mag all das grüne Zeug sein?« sagte Alice. »Und wo sind meine

Schultern nur hingekommen? Und ach, meine armen Hände, wie geht es zu,

daß ich euch nicht sehen kann?« Sie griff bei diesen Worten um sich,

aber es erfolgte weiter nichts, als eine kleine Bewegung in den

entfernten grünen Blättern.

Da es ihr nicht gelang, die Hände zu ihrem Kopfe zu erheben, so

versuchte sie, den Kopf zu ihnen hinunter zu bücken, und fand zu ihrem

Entzücken, daß sie ihren Hals in allen Richtungen biegen und wenden

konnte, wie eine Schlange. Sie hatte ihn gerade in ein malerisches

Zickzack gewunden und wollte eben in das Blättermeer hinunter tauchen,

das, wie sie sah, durch die Gipfel der Bäume gebildet wurde, unter denen

sie noch eben herumgewandert war, als ein lautes Rauschen sie plötzlich

zurückschreckte: eine große Taube kam ihr in's Gesicht geflogen und schlug sie heftig mit den Flügeln.

»Schlange!« kreischte die Taube.

»Ich bin _keine_ Schlange!« sagte Alice mit Entrüstung. »Laß mich in

Ruhe!«

»Schlange sage ich!« wiederholte die Taube, aber mit gedämpfter Stimme,

und fuhr schluchzend fort: »Alles habe ich versucht, und nichts ist

ihnen genehm!«

»Ich weiß gar nicht, wovon du redest,« sagte Alice.

»Baumwurzeln habe ich versucht, Flußufer habe ich versucht, Hecken habe

ich versucht,« sprach die Taube weiter, ohne auf sie zu achten; »aber

diese Schlangen! Nichts ist ihnen recht!«

Alice verstand immer weniger; aber sie dachte, es sei unnütz etwas zu

sagen, bis die Taube fertig wäre.

»Als ob es nicht Mühe genug wäre, die Eier auszubrüten,« sagte die

Taube, »da muß ich noch Tag und Nacht den Schlangen aufpassen! Kein Auge

habe ich die letzten drei Wochen zugethan!«

»Es thut mir sehr leid, daß du so viel Verdruß gehabt hast,« sagte

Alice, die zu verstehen anfing, was sie meinte.

»Und gerade da ich mir den höchsten Baum im Walde ausgesucht habe,« fuhr

die Taube mit erhobener Stimme fort, »und gerade da ich dachte, ich wäre

sie endlich los, müssen sie sich sogar noch vom Himmel herunterwinden!

Pfui! Schlange!«

»Aber ich bin _keine_ Schlange, sage ich dir!« rief Alice, »ich bin ein --

ich bin ein --«

»Nun, was bist du denn?« fragte die Taube. »Ich merke wohl, daß du dir

etwas ausdenken willst!«

»Ich -- ich bin ein kleines Mädchen,« sagte Alice etwas unsicher, da sie

an die vielfachen Verwandlungen dachte, die sie den Tag über schon

durchgemacht hatte.

»Eine schöne Ausrede, wahrhaftig!« sagte die Taube im Tone tiefster

Verachtung. »Ich habe mein Lebtag genug kleine Mädchen gesehen, aber nie

eine mit solch einem Hals! Nein, nein! du bist eine Schlange! das kannst

du nicht abläugnen. Du wirst am Ende noch behaupten, daß du nie ein Ei

gegessen hast.«

»Ich _habe_ Eier gegessen, freilich,« sagte Alice, die ein sehr

wahrheitsliebendes Kind war; »aber kleine Mädchen essen Eier eben so gut

wie Schlangen.«

»Das glaube ich nicht,« sagte die Taube; »wenn sie es aber thun, nun

dann sind sie eine Art Schlangen, so viel weiß ich.«

Das war etwas so Neues für Alice, daß sie ein Paar Minuten ganz still

schwieg; die Taube benutzte die Gelegenheit und fuhr fort: »Du suchst

Eier, das weiß ich nur zu gut, und was kümmert es mich, ob du ein

kleines Mädchen oder eine Schlange bist?«

»Aber _mich_ kümmert es sehr,« sagte Alice schnell; »übrigens suche ich

zufällig nicht Eier, und wenn ich es thäte, so würde ich deine nicht

brauchen können; ich esse sie nicht gern roh.«

»Dann mach', daß du fortkommst!« sagte die Taube verdrießlich, indem sie sich in ihrem Nest wieder zurecht setzte. Alice duckte sich unter die

Bäume so gut sie konnte; denn ihr Hals verwickelte sich fortwährend in

die Zweige, und mehre Male mußte sie anhalten und ihn losmachen. Nach

einer Weile fiel es ihr wieder ein, daß sie noch die Stückchen Pilz in

den Händen hatte, und sie machte sich sorgfältig daran, knabberte bald

an dem einen, bald an dem andern, und wurde abwechselnd größer und

kleiner, bis es ihr zuletzt gelang, ihre gewöhnliche Größe zu bekommen.

Es war so lange her, daß sie auch nur ungefähr ihre richtige Höhe gehabt

hatte, daß es ihr erst ganz komisch vorkam; aber nach einigen Minuten

hatte sie sich daran gewöhnt und sprach mit sich selbst wie gewöhnlich.

»Schön, nun ist mein Plan halb ausgeführt! Wie verwirrt man von dem

vielen Wechseln wird! Ich weiß nie, wie ich den nächsten Augenblick

sein werde! Doch jetzt habe ich meine richtige Größe: nun kommt es

darauf an, in den schönen Garten zu gelangen -- wie _kann_ ich das

anstellen? das möchte ich wissen!« Wie sie dies sagte, kam sie in eine

Lichtung mit einem Häuschen in der Mitte, ungefähr vier Fuß hoch. »Wer

auch darin wohnen mag, es geht nicht an, daß ich so groß wie ich jetzt

bin hineingehe: sie würden vor Angst nicht wissen wohin!« Also knabberte

sie wieder an dem Stückchen in der rechten Hand, und wagte sich nicht an

das Häuschen heran, bis sie sich auf neun Zoll herunter gebracht hatte.