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Alice's Abenteur im Wunderland, Drittes Kapitel

Drittes Kapitel

Drittes Kapitel.

Caucus-Rennen und was daraus wird.

Es war in der That eine wunderliche Gesellschaft, die sich am Strande

versammelte -- die Vögel mit triefenden Federn, die übrigen Thiere mit

fest anliegendem Fell, Alle durch und durch naß, verstimmt und

unbehaglich. --

Die erste Frage war, wie sie sich trocknen könnten: es wurde eine

Berathung darüber gehalten, und nach wenigen Minuten kam es Alice

ganz natürlich vor, vertraulich mit ihnen zu schwatzen, als ob sie

sie ihr ganzes Leben gekannt hätte. Sie hatte sogar eine lange

Auseinandersetzung mit dem Papagei, der zuletzt brummig wurde und nur

noch sagte: »ich bin älter als du und muß es besser wissen;« dies wollte

Alice nicht zugeben und fragte nach seinem Alter, und da der Papagei es

durchaus nicht sagen wollte, so blieb die Sache unentschieden.

Endlich rief die Maus, welche eine Person von Gewicht unter ihnen zu

sein schien: »Setzt euch, ihr Alle, und hört mir zu! ich will euch bald

genug trocken machen!« Alle setzten sich sogleich in einen großen Kreis

nieder, die Maus in der Mitte. Alice hatte die Augen erwartungsvoll auf

sie gerichtet, denn sie war überzeugt, sie werde sich entsetzlich

erkälten, wenn sie nicht sehr bald trocken würde.

»Hm!« sagte die Maus mit wichtiger Miene, »seid ihr Alle so weit? Es ist

das Trockenste, worauf ich mich besinnen kann. Alle still, wenn ich

bitten darf! -- Wilhelm der Eroberer, dessen Ansprüche vom Papste

begünstigt wurden, fand bald Anhang unter den Engländern, die einen

Anführer brauchten, und die in jener Zeit sehr an Usurpation und

Eroberungen gewöhnt waren. Edwin und Morcar, Grafen von Mercia und

Northumbria --«

»_Oooh_!« gähnte der Papagei und schüttelte sich.

»Bitte um Verzeihung!« sprach die Maus mit gerunzelter Stirne, aber sehr

höflich; »bemerkten Sie etwas?«

»Ich nicht!« erwiederte schnell der Papagei.

»Es kam mir so vor,« sagte die Maus. -- »Ich fahre fort: Edwin und

Morcar, Grafen von Mercia und Northumbria, erklärten sich für ihn; und

selbst Stigand, der patriotische Erzbischof von Canterbury fand es

rathsam --«

»Fand _was_?« unterbrach die Ente.

»Fand _es_,« antwortete die Maus ziemlich aufgebracht: »du wirst doch wohl

wissen, was _es_ bedeutet.«

»Ich weiß sehr wohl, was _es_ bedeutet, wenn _ich_ etwas finde«, sagte die

Ente: »_es_ ist gewöhnlich ein Frosch oder ein Wurm. Die Frage ist, was

fand der Erzbischof?«

Die Maus beachtete die Frage nicht, sondern fuhr hastig fort: -- »fand

es rathsam, von Edgar Atheling begleitet, Wilhelm entgegen zu gehen und

ihm die Krone anzubieten. Wilhelms Benehmen war zuerst gemäßigt, aber

die Unverschämtheit der Normannen -- wie steht's jetzt, Liebe?« fuhr sie fort, sich an Alice wendend.

»Noch ganz eben so naß,« sagte Alice schwermüthig; »es scheint mich gar

nicht trocken zu machen.«

»In dem Fall,« sagte der Dodo feierlich, indem er sich erhob, »stelle

ich den Antrag, daß die Versammlung sich vertage und zur unmittelbaren

Anwendung von wirksameren Mitteln schreite.«

»Sprich deutlich!« sagte der Adler. »Ich verstehe den Sinn von deinen

langen Wörtern nicht, und ich wette, du auch nicht!« Und der Adler

bückte sich, um ein Lächeln zu verbergen; einige der andern Vögel

kicherten hörbar.

»Was sich sagen wollte,« sprach der Dodo in gereiztem Tone, »war, daß

das beste Mittel uns zu trocknen ein Caucus-Rennen wäre.«

»Was ist ein Caucus-Rennen?« sagte Alice, nicht daß ihr viel daran lag

es zu wissen; aber der Dodo hatte angehalten, als ob er eine Frage

erwarte, und Niemand anders schien aufgelegt zu reden.

»Nun,« meinte der Dodo, »die beste Art, es zu erklären, ist, es zu

spielen.« (Und da ihr vielleicht das Spiel selbst einen

Winter-Nachmittag versuchen möchtet, so will ich erzählen, wie der Dodo

es anfing.)

Erst bezeichnete er die Bahn, eine Art Kreis (»es kommt nicht genau auf

die Form an,« sagte er), und dann wurde die ganze Gesellschaft hier und

da auf der Bahn aufgestellt. Es wurde kein »eins, zwei drei, fort!«

gezählt, sondern sie fingen an zu laufen wenn es ihnen einfiel, hörten

auf wie es ihnen einfiel, so daß es nicht leicht zu entscheiden war,

wann das Rennen zu Ende war. Als sie jedoch ungefähr eine halbe Stunde

gerannt und vollständig getrocknet waren, rief der Dodo plötzlich: »Das

Rennen ist aus!« und sie drängten sich um ihn, außer Athem, mit der

Frage: »Aber wer hat gewonnen?«

Diese Frage konnte der Dodo nicht ohne tiefes Nachdenken beantworten,

und er saß lange mit einem Finger an die Stirn gelegt (die Stellung, in

der ihr meistens Shakespeare in seinen Bildern seht), während die

Uebrigen schweigend auf ihn warteten. Endlich sprach der Dodo: »Jeder

hat gewonnen, und Alle sollen Preise haben.«

»Aber wer soll die Preise geben?« fragte ein ganzer Chor von Stimmen.

»Versteht sich, sie!« sagte der Dodo, mit dem Finger auf Alice zeigend,

und sogleich umgab sie die ganze Gesellschaft, Alle durch einander

rufend: »Preise Preise!«

Alice wußte nicht im Geringsten, was da zu thun sei; in ihrer

Verzweiflung fuhr sie mit der Hand in die Tasche und zog eine Schachtel

Zuckerplätzchen hervor (glücklicherweise war das Salzwasser nicht hinein

gedrungen); die vertheilte sie als Preise. Sie reichten gerade herum,

eins für Jeden.

»Aber sie selbst muß auch einen Preis bekommen, wißt ihr,« sagte die

Maus.

»Versteht sich,« entgegnete der Dodo ernst. »Was hast du noch in der

Tasche?« fuhr er zu Alice gewandt fort.

»Nur einen Fingerhut,« sagte Alice traurig.

»Reiche ihn mir herüber,« versetzte der Dodo. Darauf versammelten sich

wieder Alle um sie, während der Dodo ihr den Fingerhut feierlich

überreichte, mit den Worten: »Wir bitten, Sie wollen uns gütigst mit der

Annahme dieses eleganten Fingerhutes beehren;« und als er diese kurze

Rede beendigt hatte, folgte allgemeines Beifallklatschen.

[Illustration]

Alice fand dies Alles höchst albern; aber die ganze Gesellschaft sah so

ernst aus, daß sie sich nicht zu lachen getraute, und da ihr keine

passende Antwort einfiel, verbeugte sie sich einfach und nahm den

Fingerhut ganz ehrbar in Empfang.

Nun mußten zunächst die Zuckerplätzchen verzehrt werden, was nicht wenig

Lärm und Verwirrung hervorrief; die großen Vögel nämlich beklagten sich,

daß sie nichts schmecken konnten, die kleinen aber verschluckten sich

und mußten auf den Rücken geklopft werden. Endlich war auch dies

vollbracht, und Alle setzten sich im Kreis herum und drangen in das

Mäuslein, noch etwas zu erzählen.

»Du hast mir deine Geschichte versprochen,« sagte Alice -- »und woher es

kommt, daß du K. und H. nicht leiden kannst,« fügte sie leise hinzu, um

nur das niedliche Thierchen nicht wieder böse zu machen.

»Ach,« seufzte das Mäuslein, »ihr macht euch ja aus meinem Erzählen doch

nichts; ich bin euch mit meiner Geschichte zu langschwänzig und zu

tragisch.« Dabei sah sie Alice fragend an.

»Langschwänzig! das muß wahr sein!« rief Alice und sah nun erst mit

rechter Verwunderung auf den geringelten Schwanz der Maus hinab; »aber

wie so tragisch? was trägst du denn?« Während sie noch darüber nachsann,

fing die langschwänzige Erzählung schon an, folgendergestalt:

Filax sprach zu

der Maus, die

er traf

in dem

Haus:

»Geh' mit mir vor

Gericht,

daß ich

dich

verklage.

Komm und

wehr' dich nicht mehr;

ich muß

haben ein

Verhör,

denn ich

habe

nichts

zu thun

schon

zwei

Tage.«

Sprach die

Maus zum

Köter:

»Solch

Verhör,

lieber Herr,

ohne

Richter,

ohne

Zeugen

thut nicht

Noth.«

»Ich bin

Zeuge,

ich bin

Richter,«

sprach

er schlau

und schnitt

Gesichter,

»das Verhör

leite ich

und

verdamme

dich

zum

Tod!«

»Du paßt nicht auf!« sagte die Maus strenge zu Alice. »Woran denkst du?«

»Ich bitte um Verzeihung,« sagte Alice sehr bescheiden: »du warst bis

zur fünften Biegung gekommen, glaube ich?«

»Mit nichten!« sagte die Maus entschieden und sehr ärgerlich.

»Nichten!« rief Alice, die gern neue Bekanntschaften machte, und sah

sich neugierig überall um. »O, wo sind sie, deine Nichten? Laß mich

gehen und sie her holen!«

»Das werde ich schön bleiben lassen,« sagte die Maus, indem sie aufstand

und fortging. »Deinen Unsinn kann ich nicht mehr mit anhören!«

»Ich meinte es nicht böse!« entschuldigte sich die arme Alice. »Aber du

bist so sehr empfindlich, du!«

Das Mäuslein brummte nur als Antwort.

»Bitte, komm wieder, und erzähle deine Geschichte aus!« rief Alice ihr

nach; und die Andern wiederholten im Chor: »ja bitte!« aber das Mäuschen

schüttelte unwillig mit dem Kopfe und ging schnell fort.

»Wie schade, daß es nicht bleiben wollte!« seufzte der Papagei, sobald

es nicht mehr zu sehen war; und eine alte Unke nahm die Gelegenheit

wahr, zu ihrer Tochter zu sagen, »Ja, mein Kind! laß dir dies eine Lehre

sein, niemals _übler_ Laune zu sein!« »Halt den Mund, Mama!« sagte die

junge Unke, etwas naseweis.

»Wahrhaftig, du würdest die Geduld einer Auster erschöpfen!«

»Ich wünschte, ich hätte unsere Dinah hier, das wünschte ich!« sagte

Alice laut, ohne Jemand insbesondere anzureden. »Sie würde sie bald

zurückholen!«

»Und wer ist Dinah, wenn ich fragen darf?« sagte der Papagei.

Alice antwortete eifrig, denn sie sprach gar zu gern von ihrem Liebling:

»Dinah ist unsere Katze, und sie ist euch so geschickt im Mäusefangen,

ihr könnt's euch gar nicht denken! Und ach, hättet ihr sie nur Vögel

jagen sehen. Ich sage euch, sie frißt einen kleinen Vogel, so wie sie

ihn zu Gesicht bekommt.«

Diese Mittheilung verursachte große Aufregung in der Gesellschaft.

Einige der Vögel machten sich augenblicklich davon; eine alte Elster

fing an, sich sorgfältig einzuwickeln, indem sie bemerkte: »Ich muß

wirklich nach Hause gehen; die Nachtluft ist nicht gut für meinen Hals!«

und ein Canarienvogel piepte zitternd zu seinen Kleinen, »Kommt fort,

Kinder! es ist die höchste Zeit für euch, zu Bett zu gehen!« Unter

verschiedenen Entschuldigungen entfernten sie sich Alle, und Alice war

bald ganz allein.

»Hätte ich nur Dinah nicht erwähnt!« sprach sie bei sich mit betrübtem

Tone. »Niemand scheint sie gern zu haben, hier unten, und dabei ist sie

doch die beste Katze von der Welt! Oh, meine liebe Dinah! ob ich dich

wohl je wieder sehen werde!« dabei fing die arme Alice von Neuem zu

weinen an, denn sie fühlte sich gar zu einsam und muthlos. Nach einem

Weilchen jedoch hörte sie wieder ein Trappeln von Schritten in der

Entfernung und blickte aufmerksam hin, halb in der Hoffnung, daß die

Maus sich besonnen habe und zurückkomme, ihre Geschichte auszuerzählen.


Drittes Kapitel Third chapter

Drittes Kapitel.

Caucus-Rennen und was daraus wird. Caucus races and what becomes of them.

Es war in der That eine wunderliche Gesellschaft, die sich am Strande

versammelte -- die Vögel mit triefenden Federn, die übrigen Thiere mit

fest anliegendem Fell, Alle durch und durch naß, verstimmt und

unbehaglich. --

Die erste Frage war, wie sie sich trocknen könnten: es wurde eine

Berathung darüber gehalten, und nach wenigen Minuten kam es Alice

ganz natürlich vor, vertraulich mit ihnen zu schwatzen, als ob sie

sie ihr ganzes Leben gekannt hätte. Sie hatte sogar eine lange

Auseinandersetzung mit dem Papagei, der zuletzt brummig wurde und nur

noch sagte: »ich bin älter als du und muß es besser wissen;« dies wollte

Alice nicht zugeben und fragte nach seinem Alter, und da der Papagei es

durchaus nicht sagen wollte, so blieb die Sache unentschieden.

Endlich rief die Maus, welche eine Person von Gewicht unter ihnen zu

sein schien: »Setzt euch, ihr Alle, und hört mir zu! ich will euch bald

genug trocken machen!« Alle setzten sich sogleich in einen großen Kreis

nieder, die Maus in der Mitte. Alice hatte die Augen erwartungsvoll auf

sie gerichtet, denn sie war überzeugt, sie werde sich entsetzlich

erkälten, wenn sie nicht sehr bald trocken würde.

»Hm!« sagte die Maus mit wichtiger Miene, »seid ihr Alle so weit? Es ist

das Trockenste, worauf ich mich besinnen kann. Alle still, wenn ich

bitten darf! -- Wilhelm der Eroberer, dessen Ansprüche vom Papste

begünstigt wurden, fand bald Anhang unter den Engländern, die einen

Anführer brauchten, und die in jener Zeit sehr an Usurpation und

Eroberungen gewöhnt waren. Edwin und Morcar, Grafen von Mercia und

Northumbria --«

»_Oooh_!« gähnte der Papagei und schüttelte sich.

»Bitte um Verzeihung!« sprach die Maus mit gerunzelter Stirne, aber sehr

höflich; »bemerkten Sie etwas?«

»Ich nicht!« erwiederte schnell der Papagei.

»Es kam mir so vor,« sagte die Maus. -- »Ich fahre fort: Edwin und

Morcar, Grafen von Mercia und Northumbria, erklärten sich für ihn; und

selbst Stigand, der patriotische Erzbischof von Canterbury fand es

rathsam --«

»Fand _was_?« unterbrach die Ente.

»Fand _es_,« antwortete die Maus ziemlich aufgebracht: »du wirst doch wohl

wissen, was _es_ bedeutet.«

»Ich weiß sehr wohl, was _es_ bedeutet, wenn _ich_ etwas finde«, sagte die

Ente: »_es_ ist gewöhnlich ein Frosch oder ein Wurm. Die Frage ist, was

fand der Erzbischof?«

Die Maus beachtete die Frage nicht, sondern fuhr hastig fort: -- »fand

es rathsam, von Edgar Atheling begleitet, Wilhelm entgegen zu gehen und

ihm die Krone anzubieten. Wilhelms Benehmen war zuerst gemäßigt, aber

die Unverschämtheit der Normannen -- wie steht's jetzt, Liebe?« fuhr sie fort, sich an Alice wendend.

»Noch ganz eben so naß,« sagte Alice schwermüthig; »es scheint mich gar

nicht trocken zu machen.«

»In dem Fall,« sagte der Dodo feierlich, indem er sich erhob, »stelle

ich den Antrag, daß die Versammlung sich vertage und zur unmittelbaren

Anwendung von wirksameren Mitteln schreite.«

»Sprich deutlich!« sagte der Adler. »Ich verstehe den Sinn von deinen

langen Wörtern nicht, und ich wette, du auch nicht!« Und der Adler

bückte sich, um ein Lächeln zu verbergen; einige der andern Vögel

kicherten hörbar.

»Was sich sagen wollte,« sprach der Dodo in gereiztem Tone, »war, daß

das beste Mittel uns zu trocknen ein Caucus-Rennen wäre.«

»Was ist ein Caucus-Rennen?« sagte Alice, nicht daß ihr viel daran lag

es zu wissen; aber der Dodo hatte angehalten, als ob er eine Frage

erwarte, und Niemand anders schien aufgelegt zu reden.

»Nun,« meinte der Dodo, »die beste Art, es zu erklären, ist, es zu

spielen.« (Und da ihr vielleicht das Spiel selbst einen

Winter-Nachmittag versuchen möchtet, so will ich erzählen, wie der Dodo

es anfing.)

Erst bezeichnete er die Bahn, eine Art Kreis (»es kommt nicht genau auf

die Form an,« sagte er), und dann wurde die ganze Gesellschaft hier und

da auf der Bahn aufgestellt. Es wurde kein »eins, zwei drei, fort!«

gezählt, sondern sie fingen an zu laufen wenn es ihnen einfiel, hörten

auf wie es ihnen einfiel, so daß es nicht leicht zu entscheiden war,

wann das Rennen zu Ende war. Als sie jedoch ungefähr eine halbe Stunde

gerannt und vollständig getrocknet waren, rief der Dodo plötzlich: »Das

Rennen ist aus!« und sie drängten sich um ihn, außer Athem, mit der

Frage: »Aber wer hat gewonnen?«

Diese Frage konnte der Dodo nicht ohne tiefes Nachdenken beantworten,

und er saß lange mit einem Finger an die Stirn gelegt (die Stellung, in

der ihr meistens Shakespeare in seinen Bildern seht), während die

Uebrigen schweigend auf ihn warteten. Endlich sprach der Dodo: »Jeder

hat gewonnen, und Alle sollen Preise haben.«

»Aber wer soll die Preise geben?« fragte ein ganzer Chor von Stimmen.

»Versteht sich, sie!« sagte der Dodo, mit dem Finger auf Alice zeigend,

und sogleich umgab sie die ganze Gesellschaft, Alle durch einander

rufend: »Preise Preise!«

Alice wußte nicht im Geringsten, was da zu thun sei; in ihrer

Verzweiflung fuhr sie mit der Hand in die Tasche und zog eine Schachtel

Zuckerplätzchen hervor (glücklicherweise war das Salzwasser nicht hinein

gedrungen); die vertheilte sie als Preise. Sie reichten gerade herum,

eins für Jeden.

»Aber sie selbst muß auch einen Preis bekommen, wißt ihr,« sagte die

Maus.

»Versteht sich,« entgegnete der Dodo ernst. »Was hast du noch in der

Tasche?« fuhr er zu Alice gewandt fort.

»Nur einen Fingerhut,« sagte Alice traurig.

»Reiche ihn mir herüber,« versetzte der Dodo. Darauf versammelten sich

wieder Alle um sie, während der Dodo ihr den Fingerhut feierlich

überreichte, mit den Worten: »Wir bitten, Sie wollen uns gütigst mit der

Annahme dieses eleganten Fingerhutes beehren;« und als er diese kurze

Rede beendigt hatte, folgte allgemeines Beifallklatschen.

[Illustration]

Alice fand dies Alles höchst albern; aber die ganze Gesellschaft sah so

ernst aus, daß sie sich nicht zu lachen getraute, und da ihr keine

passende Antwort einfiel, verbeugte sie sich einfach und nahm den

Fingerhut ganz ehrbar in Empfang.

Nun mußten zunächst die Zuckerplätzchen verzehrt werden, was nicht wenig

Lärm und Verwirrung hervorrief; die großen Vögel nämlich beklagten sich,

daß sie nichts schmecken konnten, die kleinen aber verschluckten sich

und mußten auf den Rücken geklopft werden. Endlich war auch dies

vollbracht, und Alle setzten sich im Kreis herum und drangen in das

Mäuslein, noch etwas zu erzählen.

»Du hast mir deine Geschichte versprochen,« sagte Alice -- »und woher es

kommt, daß du K. und H. nicht leiden kannst,« fügte sie leise hinzu, um

nur das niedliche Thierchen nicht wieder böse zu machen.

»Ach,« seufzte das Mäuslein, »ihr macht euch ja aus meinem Erzählen doch

nichts; ich bin euch mit meiner Geschichte zu langschwänzig und zu

tragisch.« Dabei sah sie Alice fragend an.

»Langschwänzig! das muß wahr sein!« rief Alice und sah nun erst mit

rechter Verwunderung auf den geringelten Schwanz der Maus hinab; »aber

wie so tragisch? was trägst du denn?« Während sie noch darüber nachsann,

fing die langschwänzige Erzählung schon an, folgendergestalt:

Filax sprach zu

der Maus, die

er traf

in dem

Haus:

»Geh' mit mir vor

Gericht,

daß ich

dich

verklage.

Komm und

wehr' dich nicht mehr;

ich muß

haben ein

Verhör,

denn ich

habe

nichts

zu thun

schon

zwei

Tage.«

Sprach die

Maus zum

Köter:

»Solch

Verhör,

lieber Herr,

ohne

Richter,

ohne

Zeugen

thut nicht

Noth.«

»Ich bin

Zeuge,

ich bin

Richter,«

sprach

er schlau

und schnitt

Gesichter,

»das Verhör

leite ich

und

verdamme

dich

zum

Tod!«

»Du paßt nicht auf!« sagte die Maus strenge zu Alice. »Woran denkst du?«

»Ich bitte um Verzeihung,« sagte Alice sehr bescheiden: »du warst bis

zur fünften Biegung gekommen, glaube ich?«

»Mit nichten!« sagte die Maus entschieden und sehr ärgerlich.

»Nichten!« rief Alice, die gern neue Bekanntschaften machte, und sah

sich neugierig überall um. »O, wo sind sie, deine Nichten? Laß mich

gehen und sie her holen!«

»Das werde ich schön bleiben lassen,« sagte die Maus, indem sie aufstand

und fortging. »Deinen Unsinn kann ich nicht mehr mit anhören!«

»Ich meinte es nicht böse!« entschuldigte sich die arme Alice. »Aber du

bist so sehr empfindlich, du!«

Das Mäuslein brummte nur als Antwort.

»Bitte, komm wieder, und erzähle deine Geschichte aus!« rief Alice ihr

nach; und die Andern wiederholten im Chor: »ja bitte!« aber das Mäuschen

schüttelte unwillig mit dem Kopfe und ging schnell fort.

»Wie schade, daß es nicht bleiben wollte!« seufzte der Papagei, sobald

es nicht mehr zu sehen war; und eine alte Unke nahm die Gelegenheit

wahr, zu ihrer Tochter zu sagen, »Ja, mein Kind! laß dir dies eine Lehre

sein, niemals _übler_ Laune zu sein!« »Halt den Mund, Mama!« sagte die

junge Unke, etwas naseweis.

»Wahrhaftig, du würdest die Geduld einer Auster erschöpfen!«

»Ich wünschte, ich hätte unsere Dinah hier, das wünschte ich!« sagte

Alice laut, ohne Jemand insbesondere anzureden. »Sie würde sie bald

zurückholen!«

»Und wer ist Dinah, wenn ich fragen darf?« sagte der Papagei.

Alice antwortete eifrig, denn sie sprach gar zu gern von ihrem Liebling:

»Dinah ist unsere Katze, und sie ist euch so geschickt im Mäusefangen,

ihr könnt's euch gar nicht denken! Und ach, hättet ihr sie nur Vögel

jagen sehen. Ich sage euch, sie frißt einen kleinen Vogel, so wie sie

ihn zu Gesicht bekommt.«

Diese Mittheilung verursachte große Aufregung in der Gesellschaft.

Einige der Vögel machten sich augenblicklich davon; eine alte Elster

fing an, sich sorgfältig einzuwickeln, indem sie bemerkte: »Ich muß

wirklich nach Hause gehen; die Nachtluft ist nicht gut für meinen Hals!«

und ein Canarienvogel piepte zitternd zu seinen Kleinen, »Kommt fort,

Kinder! es ist die höchste Zeit für euch, zu Bett zu gehen!« Unter

verschiedenen Entschuldigungen entfernten sie sich Alle, und Alice war

bald ganz allein.

»Hätte ich nur Dinah nicht erwähnt!« sprach sie bei sich mit betrübtem

Tone. »Niemand scheint sie gern zu haben, hier unten, und dabei ist sie

doch die beste Katze von der Welt! Oh, meine liebe Dinah! ob ich dich

wohl je wieder sehen werde!« dabei fing die arme Alice von Neuem zu

weinen an, denn sie fühlte sich gar zu einsam und muthlos. Nach einem

Weilchen jedoch hörte sie wieder ein Trappeln von Schritten in der

Entfernung und blickte aufmerksam hin, halb in der Hoffnung, daß die

Maus sich besonnen habe und zurückkomme, ihre Geschichte auszuerzählen.