Ärzte überm Limit: Wenn im Krankenhaus nur noch der Gewinn (1)
Ärzte überm Limit: Wenn im Krankenhaus nur noch der Gewinn zählt | Team UPWARD
Unser Arzt, der hat auch nur geschrieben am Computer oder so.
Der war mehr am Computer gewesen bei der Visite, als dass er mit uns gesprochen hat.
Alle wissen um das Problem eigentlich.
Dieser Assistenzarzt will auf ein fettes Problem aufmerksam machen:
Im Krankenhaus geht es oft nicht um die Patienten, sondern um Geld.
Schuld daran ist auch er: Karl Lauterbach.
Viele Ärztinnen und Ärzte sind schon nach ein paar Jahren ausgebrannt und wollen den Job hinschmeißen.
Aber der müde Arzt, da muss man doch ehrlich sein, das ist doch die Ausnahme in der deutschen Klink. Das dürfte er heute anders sehen. Macht das Gesundheitssystem Ärztinnen und Ärzte kaputt? Um das herauszufinden treffe ich Johannes Knierer.
Er ist Kinderarzt in der Notaufnahme und hat heute Nachtschicht, wie die ganze Woche.
Wann ist dein Dienstbeginn?
Unter der Woche jetzt 23.30 Uhr.
Ah ja ok, bist du ja noch pünktlich.
Es ist kurz vor Mitternacht.
In zehn Minuten geht's los.
Er weiß noch nicht, was ihn erwartet.
Was ist so der Worst Case, sag ich mal, was passieren könnte?
Der Worst Case: Wir sind natürlich in reduzierter Besetzung nachts.
Also pediatrisch ein Nachtdienst, chirurgisch ein Nachtdienst und auf der Intensiv ein Nachtdienst.
Und wenn jetzt irgendwie zwei Krampfanfälle auf einmal kommen oder auf Station einem Kind schlecht ist und unten in der Notaufnahme ein Kind akut Hilfe bedarf, dann wird's manchmal natürlich knapp.
Mehr als 30 Krankenhäuser wollten nicht, dass wir ihre Ärztinnen und Ärzte begleiten.
Nirgends wollte man, dass wir zeigen, was wir hier gleich vielleicht erleben könnten.
Seit Jahren schlagen Ärzte und Ärztinnen in Deutschland Alarm.
Ich mache jeden Tag Überstunden.
Ganz klar.
Ich habe mehrere Überstunden gemacht inzwischen.
Es ist wahnsinnig stressig.
Das geht halt nicht.
Irgendwann stößt man da auch an seine Grenzen.
Und wenn Sie ärztliche Kollegen nach einem 24-Stunden-Dienst schon mal erlebt haben, dann sind Sie sicherlich froh, wenn Sie von den in dem Moment nicht behandelt werden müssen.
Wenn alle Zimmer besetzt sind, können sie hier keine Kinder mehr aufnehmen.
Für Johannes heißt das: Er kann vielleicht nicht mehr allen Kindern helfen, die heute
Nacht ins Krankenhaus kommen.
Das weißt du, haben wir noch Platz?
Auf der fünf haben wir keinen Platz, da habe ich nämlich gerade ein Kind noch aufgenommen und dann ist die voll.
Auf der 6 und der 7 müsste noch Platz sein.
Das ist doch auch mal schön zur Abwechslung, oder?
Ja, sehr schön.
15 Minuten nach Dienstbeginn der erste Fall.
In der eins ist ein Säugling, sieben Wochen alt, Covid-positiv.
Das weiß die Mama aber noch nicht, ich hab hier einfach schon einen (Test) gemacht, weil er fieberte wohl und er ist total marmoriert gewesen.
Das heißt: Dann wir uns ein bisschen vor, weil wir uns jetzt gleich verkleiden müssen.
Das Umziehen dauert.
Zeit, die Johannes später für die kleine Julia im Nebenzimmer nicht hat.
Ich bin Herr Knierer von den Kinderärzten.
Ich bin jetzt etwas mehr verkleidet als Sie das erwartet hätten, weil der Covid-Schnelltest, den die Schwester schon gemacht hatte, positiv ist.
Noch ist nicht klar, ob Baby Malea einen Platz auf der Station braucht.
Kurz nach Mitternacht: Johannes muss sich konzentrieren, damit er nichts übersieht.
Malea hat Fieber.
Die Entscheidung, ob sie im Krankenhaus bleibt, will Johannes nicht alleine treffen.
Wie ist Ihr Gefühl?
Ich bin kein Krankenhaus-Fan, aber wer ist das schon?
Also, ich würde schon gerne nach Hause, aber ich weiß noch nicht, wie es weitergeht.
Ja ok, dann bleibe ich lieber hier.
Kein Problem.
Müssen wir mal gucken, ob wir noch ein freies Plätzchen haben.
Ach gar nichts mehr zu machen?
Alles klar.
Dann muss ich mal auf der sechs nachfragen.
Nach ein paar Anrufen findet er endlich einen Platz für Mutter und Kind.
Kommt es öfter vor, dass auch mal Kinder nicht aufgenommen werden können?
Dass Kinder nicht aufgenommen werden?
Ja, tatsächlich ist das leider manchmal so.
Dass wir die Kinder dann in andere Kliniken verlegen müssen.
Oder auch über die Ländergrenzen hinaus, in andere Bundesländer verlegt haben.
Das ist auch Teil seiner Arbeit, weil überall Personal fehlt.
Hast du Zeit Malea anzulegen?
Keine Zeit für Pause.
Damit ist er nicht alleine: 57 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Kliniken arbeiten mindestens 49 Stunden pro Woche.
26 Prozent bekommen die Überstunden nicht ausgeglichen.
66 Prozent beurteilen die personelle Besetzung im ärztlichen Dienst ihrer Einrichtung als eher schlecht oder schlecht.
Johannes muss wieder an den Rechner: Jede Behandlung muss er genauestens erfassen.
Auch hier darf er keine Fehler machen.
Das ist jetzt die Bürokratie, die wir noch zu erledigen haben.
Johannes' Dienst dauert achteinhalb Stunden, gut die Hälfte verbringt er mit Dokumentation.
So geht es auch anderen Ärzten im Krankenhaus.
57 Prozent geben an, dass sie mehr als drei Stunden täglich für reine Verwaltungstätigkeiten, also Datenerfassung und Dokumentation, einrechnen müssen.
Denn die ist wichtig für die Abrechnung.
Kliniken müssen Geld verdienen.
Und das bekommen sie nicht dafür, dass sie Menschen so lange pflegen, bis sie wieder gesund sind.
Sondern für Behandlungen, die abgerechnet werden können.
Pro abgerechneter Leistung gibt es eine sogenannte Fallpauschale.
Je mehr Behandlungen, desto mehr Geld bekommt das Krankenhaus von den Krankenkassen.
Viele Patienten in kurzer Zeit: So geht die Rechnung auf, damit ein Krankenhaus rentabel ist.
Das ist schon so, dass wir halt die Patienten auch nicht zu lange stationär behalten dürfen.
Und wir dann natürlich auch so ein bisschen gezwungen sind, Patienten vorzeitig zu entlassen.
Das System wurde schrittweise eingeführt.
Verpflichtend für alle Krankenhäuser wurde diese Profitorientierung 2004 – unter einer sozialdemokratischen Gesundheitsministerin: Ulla Schmidt.
Ihr engster Berater damals: Karl Lauterbach, der jetzt Gesundheitsminister ist.
Den ökonomischen Druck spüren viele Ärztinnen und Ärzte.
Kaum jemand wollte offen mit mir darüber sprechen.
Aber zwei erzählen mir von extremen Erlebnissen, die sie an ihre Grenzen gebracht haben.
Hier hat mir eine junge Ärztin geschrieben, die gerade erst auf einer Intensivstation angefangen hatte.
Sprachnachricht: Und während wir im Kreißsaal uns um diesen sterbenden kleinen Jungen gekümmert haben, hat eines der beatmeten Kinder auf der Intensivstation eine Komplikation gehabt.
Sprachnachricht: ...ist es eigentlich pures Glück, dass dieses Kind nicht auch noch gestorben ist in dieser Nacht.
Total heftig.
Und ich habe noch eine Sprachnachricht bekommen von einem Assistenzarzt, und der hat nach dem Erlebnis, dass er hier beschreibt die Klink gewechselt.
Was für krasse Erfahrungen habt ihr in Krankenhäusern gemacht?
Schreibt's uns in die Kommentare!
In Berlin treffe ich einen Assistenzarzt, der zusammen mit anderen Ärztinnen und Pflegern etwas an diesen Zuständen ändern will.
Dafür will er mit Leuten ins Gespräch kommen – und hofft, dass sie ihm zuhören.
Wir sind eine Initiative aus dem Gesundheitssystem und versuchen uns für ein menschlicheres Gesundheitssystem einzusetzen.
Würden Sie gern mehr mit den Ärzten und Ärztinnen sprechen können?
Unser Arzt hat auch nur geschrieben am Computer.
Der war mehr am Computer gewesen bei der Visite als dass er mit uns gesprochen hat.
Ich glaube, die haben teilweise keine Zeit dafür.
Das ist genau ein Problem, das wir versuchen anzuprangern, dass wir einen extrem hohen Dokumentationsaufwand haben.
Ihr wichtigstes Ziel: ein neues Finanzierungsmodell für Kliniken, bei denen Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt stehen.
Die Fallpauschalen sind falsch, sagt ihr?
Unserer Meinung sind Fallpauschalen auch nicht reformierbar.
Sie wurden 2003 eingeführt, seitdem wird ständig reformiert und verändert und darüber gesprochen, was besser wird.
Aber dabei wird alles schlechter.
Wenn du Herrn Lauterbach treffen würdest, was würdest du ihn gerne fragen?
Ich würde ihn gerne fragen, ob er in so einem System noch gerne arbeiten würde, ob er als Patient im Krankenhaus behandelt werden wollen würde.
Weil ich nicht glaube, dass er es möchte.
Ich weiß nicht, ob er sich bewusst ist, wie die Situation in den Krankenhäusern ist.
Aber ich glaube nicht, dass wenn er da tatsächlich reinkäme, dass er es immer noch so gut findet.
Wir haben mehrfach versucht, einen Termin mit Herrn Lauterbach zu bekommen.
Aber statt Interview haben wir nur eine Antwort vom Ministerium bekommen, die total kompliziert war, in der es im Kern darum ging, dass sie die Fallpauschalen nicht komplett abschaffen wollen.
Aber meine Kollegin Nadia hat ein Gespräch mit einer anderen SPD-Gesundheitspolitikerin geführt.
Wer sich diesem Thema heute aber stellen möchte, ist Tina Rudolph.
Sie gehört dem Gesundheitsausschuss des Bundestags an und ist Mitglied der SPD, also jener Partei, die vor Jahren die Fallpauschalen eingeführt hat.
Guten Tag, Frau Rudolph.
Guten Tag, Frau Kailouli, ich grüße Sie.
Immer wieder gibt es ja Appelle von Ärztinnen und Ärzten, die Fallpauschalen abzuschaffen.
Und auch Wissenschaftler empfehlen das.
Warum werden diese nicht gehört?
Also wir sind ja bereits dabei.
Der Gesundheitsminister hat eine Kommission Krankenhaus, also eine Regierungskommission, eingesetzt, die sich gerade sowohl mit den Strukturfragen im Krankenhauswesen, aber eben natürlich auch mit den Finanzierungsfragen beschäftigt.
Genauso wie es erklärtes Ziel in dieser Legislatur ist, schonmal die Fallpauschalen im Bereich der Geburtshilfe und im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin zu reformieren.
Also wir sind an dem Thema durchaus dran.
Und die Kritik, die es da in den letzten Jahren berechtigterweise gab, die wurde auch gehört.
Okay, jetzt gucken wir mal auf die aktuelle Umfrage des Marburger Bundes, die vor wenigen
Stunden veröffentlicht wurde.
Sie zeigt ja die Unzufriedenheit vieler Mediziner in den Krankenhäusern.
Vor allem sind viele unzufrieden, weil sie immer mehr dokumentieren müssen.
Und das frisst ja vor allem Zeit, die dann bei den Patienten fehlt.
Jetzt, wo die SPD den Kanzler und den Gesundheitsminister stellt, welche Pläne haben Sie denn, damit das endlich besser wird?
Also es ist natürlich was, wo man keine singuläre Lösung anbieten kann.
Aber ein paar Ansätze gibt es natürlich.
Also, dass man Arbeitszeitverdichtungen und vor allem Verwaltungstätigkeiten zurückschrauben möchte.
Das ist, glaube ich, schon seit langem ein sehr berechtigtes Anliegen.
Und die Instrumente, die uns dafür zur Verfügung stehen, sind ja unter anderem die Digitalisierung, die sehr gut laufen müsste und die besser funktionieren muss.
Ich weiß, dass es da noch einige Hürden gibt, dass die elektronische Patientenakte immer noch nicht so flächendeckend eingeführt ist, wie sie das momentan sein sollte.
Dass wir momentan über das elektronische Rezept über die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reden.
Aber wenn diese Sachen funktionieren, dann werden die eine enorme Arbeitszeiterleichterung bieten.
Jeder vierte Arzt im Krankenhaus überlegt, den Beruf aufzugeben.
Schon junge Ärzte sind komplett erschöpft.
Und da ist natürlich die Frage.
Sie sehen Handlungsbedarf, aber wann soll das konkret passieren?
Und reicht das, was Sie gerade vorgeschlagen haben, überhaupt aus?
Also es sind total beunruhigende Zahlen.
Ich glaube, beim letzten Mal, 2019, waren es noch 21 Prozent, also auch leicht gestiegen.
Die Zahl der Leute, die nachher tatsächlich den Beruf verlassen, ich glaube, die changiert schon seit Jahren so bei ungefähr zehn Prozent im Laufe des ärztlichen Berufslebens.
Und das ist natürlich schade, diese Menschen zu verlieren.
Und wir müssen es für diejenigen, die dann vor allem im Beruf bleiben und noch mehr Arbeitszeitverdichtung auf sich zukommen sehen, für diejenigen müssen wir das einfach leichter machen.
Und ich habe ja schon viele Dinge skizziert, die auch tatsächlich jetzt laufen.
Also Digitalisierung läuft, auch Projekte, wie zum Beispiel über Delegationsfähigkeit
zu reden, also andere Gesundheitsberufe zu stärken und damit Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten wegzunehmen sowie andere Länder das schon sehr, sehr gut skizzieren.
57 Prozent der 600 größten Kliniken in Deutschland planen, bei Personalkosten sogar weiter einzusparen.
Konkret könnte das Stellenabbau bedeuten.
Steuern wir also auf eine weitere Verschlechterung der Personalsituation zu?
Also Stellenabbau im ärztlichen Bereich kann ich mir ehrlich gesagt da nicht so richtig vorstellen.
Auch in der Pflege wäre das ein sehr schlechtes Signal.
Und wir haben ja in den letzten Jahren gesehen, dass gerade Einsparungen im Personalbereich eben nicht das erreichten, wofür die mal gedacht waren.
Also wenn das überhaupt je eine gute Idee war.
Und zwar sehen wir, dass das eben genau dazu führt, dass wir uns einer Arbeitszeitverdichtung gegenübersehen und dass uns jetzt einfach auch die Leute fehlen, weil die Bedingungen so unattraktiv geworden sind, und weil man sich natürlich auch noch fehlenden Wertschätzung gegenübersieht.
Und das müssen wir auf jeden Fall ändern.
Und da kann es eben nicht sein, dass weiter Stellen abgebaut werden, sondern wir müssen eher dafür sorgen, dass wir diejenigen, die gerade in den Gesundheitsberufen arbeiten, wirklich entlasten.