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Der Mann im Nebel, Gustav Falke, 16 - 3. Buch, Kapitel 14 - 18

16 - 3. Buch, Kapitel 14 - 18

14.

Randers hatte nach Wenningstedt wollen. Er musste die Sache mit dem Wirt ordnen. So davon zu laufen, ohne zu zahlen. Aber Randers konnte an diesem Nachmittag nicht nach Wenningstedt. Der Nebel wollte es nicht, der leichte, ziehende Nebel, der sich ganz plötzlich erhoben hatte! Der Himmel war noch klar, aber Strand, Watten, See, alles war in diesem weisslichen Nebelmeer ertrunken.

Dumm! sagte Randers laut.

Ob er in den Krug ginge? Dahin fände er auch durch den Nebel.

Am Ende war es ein ganz netter Schreib- und Leseabend. Er könnte auch zu Hause bleiben. Die neuen Maeterlincks lagen noch unaufgeschnitten da und der letzte d'Annunzio, "Triumph des Todes." Er warf einen Blick in den Roman, schlug achtlos eine Seite auf:

"Sein Herz schwoll vor verworrener Sehnsucht nach physischer Kraft, nach siegreicher Gesundheit, nach einem Leben voll fast wilden Genusses, nach einfacher unverbildeter Liebe, nach der grossen, ursprünglichen Freiheit. Er empfand wie ein augenblickliches Bedürfnis, die alte Hülle, die ihn bedrückte, zu zerbrechen und ihr als ein gänzlich neuer Mensch zu entsteigen, frei von allen Nebeln, die ihn betrübt, von allen Gebrechen, die ihn behindert hatten. Er hatte die verführerische Vision eines zukünftigen Daseins, in dem er, erlöst von allen verhängnisvollen Eigenschaften, von aller äusseren Tyrannei, von jedem traurigen Irrtum, die Dinge sah, als ob er sie zum erstenmale sähe und vor sich das ganze weite Weltall hatte, offen wie ein menschliches Angesicht. Konnte denn das Wunder nicht von diesem jungen Weibe kommen, das an dem Steintisch unter der stillen Eiche das neue Brot gebrochen und mit ihm geteilt hatte? konnte es denn nicht an diesem Tage beginnen, das neue Leben?" Das hielt ihn.

Randers steckte die Lampe an. Er wollte lesen.

Das neue Leben von diesem Weibe?

Er wollte gerade die Fensterläden schliessen als es draussen klopfte. Der wackelige Türgriff klirrte, und die Tür knarrte, als würde sie zögernd geöffnet.

Randers trat mit der Lampe in der Hand auf den Flur hinaus und sah erstaunt in das ebenso erstaunte Gesicht Fräulein Lorenzens.

"Verzeihen Sie," sagte sie, "ich sah hier plötzlich ein Licht aufleuchten. Man sieht keine Hand vor Augen draussen. Ich finde mich nicht zurecht." "Sie sind dicht vor Rantum," sagte er, immer noch verwirrt. Sie lachte.

"Höchst erfreulich. Aber ich sehe es nicht." Sie war seiner Einladung ins Zimmer gefolgt. Sie war ganz durchnässt vom Nebel, und er sah an ihrem Kleid Spuren von feuchtem Sand. Sie musste gefallen sein.

"Sie entschuldigen diesen Aufzug," sagte sie, "ich bin wohl sechsmal gestolpert." "Sie haben sich doch nicht verletzt?" Sie besah ihre Hände, die ohne Handschuhe waren.

"Ein paar Schrammen," lachte sie. "Ich hole Ihnen Wasser. Darf ich Ihnen irgend etwas geben? Sie können in dem Nebel nicht weiter." "O danke, bemühen Sie sich nicht. Wenn ich nur bis Rantum komme." "Es klärt sich gewiss noch auf. Aber ich bringe Sie noch hin." "Wenn es sich noch aufklärt, und Sie erlauben, dass ich verweile?" Sie liess sich auf dem angebotenen Sofaplatz nieder.

Er sah, dass sie verwundert war, eine solche Behausung hier zu treffen.

"Mein Blockhaus," sagte er. "Das ist ja märchenhaft. Sie wohnen hier?" "Seit dem Herbst." "Das muss köstlich sein." "Wenn man Einsamkeit liebt." Sie sah ihn forschend an. Er wurde rot unter diesen Blicken. Seine Sünde vom roten Kliff fiel ihm plötzlich ein.

"Ich bin auch hierhergekommen, um die Einsamkeit zu suchen," sagte sie, "ich habe sie ja auch in Wenningstedt, jetzt noch, so lange keine Badegäste kommen." "Ja, die Badegäste!" "Aber dies ist wirklich beneidenswert. Und Sie werden länger hier hausen?" "So lange es mir gefällt." "Und ganz allein?" Er zuckte die Achseln.

"Was soll man machen? Die schönste Einsamkeit ist freilich die zu zweien." "Meinen Sie?" Er lächelte etwas verlegen.

"Einsamkeit will sprechen," sagte er. Sie hatte gedankenlos mit dem Roman gespielt und warf jetzt einen flüchtigen Blick auf den Titel.

"Mögen Sie den?" fragte sie.

"Sie nicht?" "Nein. Er quält mich. Er füttert einem zu Tode. Zu masslos. Man schenkt eine Rose, einen Strauss, aber man schüttet einem nicht einen Waschkorb voll Rosen über den Kopf, wenn man nicht die Absicht hat, einen angenehm zu ersticken." Er lachte.

"Sie haben nicht unrecht." Sie wurde wieder unruhig, sah nach der Uhr und warf einen Blick nach dem Fenster.

"Wie soll ich nach Wenningstedt kommen, wenn der Nebel nicht nachlässt?" "Übernachten Sie in Rantum." "Kann man denn das?" "Gewiss!" Er stiess den Laden auf. Sie sahen beide ins Graue; ein dicker, undurchdringlicher Nebel.

"Er ist stärker geworden," sagte er. Sie schwieg und sah ratlos in die graue Dunstmasse.

"Es ist nicht weit bis Rantum?" "Eine halbe Stunde. Freilich, in diesem Nebel geht's nicht so schnell." "Entsetzlich!" Es kam aus tiefstem Herzen, aber sie lachte doch dabei.

"Wollen Sie durchaus nach Rantum, bringe ich sie hin," sagte er, "aber wenn ich Ihnen dienen darf, ich habe oben ein freies Zimmer, ein Fremdenzimmer, ganz komfortable." Er war ganz rot.

"Aber nein," rief sie ungläubig aus. "Aber doch! Es hat's noch niemand benutzt. Wenn Sie ihm die die Weihe geben wollen. Es ist alles vorhanden, dessen Sie bedürfen könnten, wenigstens für eine Nacht." Sie wurde etwas verlegen. Aber dann sagte sie nach kurzem Besinnen "ja". "Welch ein Abenteuer!" "Eine Nacht in Nebelheim," scherzte er. 15.

(Tagebuchblätter.)

Der Strandvogt, dieser Hüne, scheint mir ein wenig unter dem Pantoffel seiner Frau zu stehen. Wenigstens überlässt er ihr das Regiment. Die schwerfällige Kraft räumt der rührigen, feineren Intelligenz freiwillig das Feld. Aber sie muss ihn zu nehmen wissen und ihn sanft leiten. Bei einem ernsten Zusammenstoss zieht sie trotz allem den kürzeren, denn seinen Kopf hat er auch und nicht nur die Fäuste ihn durchzusetzen. Eigentlich ein sehr glückliches Verhältnis.

* * * * *

War das ein Sturm gestern Abend. Der Schwede mit seiner Schieferladung sitzt da gut. Ordentlich eingerammt in den Sand! Muss doch mal wieder nachsehen, was noch zusammenhält von dem Kasten. Wie die Säcke rutschten die Kerle an dem Rettungstau durch die Brandung. Der eine hatte sich alle Finger bis auf die Knochen durchgeschnitten. Der Schiffsjunge war halb tot. Armer Bengel! Es war seine erste Reise von Muttern weg.

Da muss man den Strandvogt sehen. Ruhig, umsichtig, den stärksten Sturm mit der Gewalt seiner Lungen überbrüllend. Es ist doch etwas herrliches um die physische Manneskraft, wenn sie mit Mut und Unerschrockenheit verbunden ist. Nur kein Athletenkram, keine Krafthuberei. Der stärkste Mann der Welt! Preisochse!

* * * * *

Die See geht noch immer hoch. Aber es ist ein prächtiger, himmelblauer Tag. Die See gleisst. Ganz köstlicher Anblick, diese gleissende See, ein flüssiges Metall. Von Hörnum Odde aus die Brandung gesehen, weit hinten in der See, wie sie über die Sandbank schäumt.

Böcklinsche Meerweiber natürlich darin, weisse Leiber, in der Sonne leuchtend, triefende Arme, Gelächter, wie wenn Wellen über Muscheln spielen. An den feuchten Haaren reissen sie sich einander zurück, balgen sich, toll ausgelassen.

O hinein, hinein unter diese brandenden Leiber, ein tollender Triton, urfrische Sinnesfreude.

* * * * *

Famoses Weib. Muss doch aufspüren, wo sie sich eingenistet hat. Diese Figur, diese imponierende Zurückhaltung. Einfach abgewimmelt. Nach allen Regeln.

* * * * *

Ganzen Tag auf der Suche. Bin ich in Hörnum, sitzt sie natürlich in List. Muss sie direkt in Wenningstedt abwarten.

* * * * *

Fräulein Lorenzen aus Tönning. Sie will bleiben, so lange es ihr gefällt, will Einsamkeit. Fräulein Lorenzen aus Tönning, ich suche Sie, wir gehören zusammen.

* * * * *

Natürlich, so muss es sein. Sie sitzt da unten, und ich bombardiere sie nichtsahnend mit Sand. Und diese alberne Flucht aus dem Hotel, wie ein Dieb übern Zaun.—

Ich schlafe nicht, ich wache nicht, ich träume nur, und nur von ihr. Es ist auch zu einsam hier, man muss etwas haben, was einen beschäftigt, einen ausfüllt. Der Mensch muss immer hinter etwas her sein, soll er das Leben ertragen, hinter einem Weib, einem Ideal, einem Orden, einem Lotteriegewinn.

* * * * *

Wenn man so im Dünensand liegt, der Wind geht über einen weg, und um einen herum rieselt's, rieselt's, rieselt's so ganz sachte, alle die tausend feinen Körnchen in Bewegung. Und man liegt und liegt und denkt nichts, als dass man so liegt und nichts denkt, und dass der Himmel so blau ist, und dass das die Brandung ist, was so monoton ins Ohr schlägt. Und plötzlich fängt der Magen an zu knurren, will nicht länger so liegen, hat Hunger. Aber man hält's eine Weile aus, man liegt gerade so schön, und dann steht man endlich doch auf, weil der Hunger gar zu gross wird—das ist eine sehr gesunde Art, den Tag hinzubringen. * * * * *

Da bauen sie Buhnen ins Meer, das ganze Jahr hindurch flicken sie daran herum. Immer der Reihe nach wieder von vorn an. Der blanke Hans schlägt die Zähne hinein, hat immer Hunger. Da schieben sie ihm so eine Buhne in den Rachen, da, knabbere dran. Inzwischen schwemmt's an, weht's an, der Strandhafer hält's fest, das Land wächst, die Dünen wachsen, und der Hans knurrt dazu. Knurr nur. Hilft dir nichts. Aber dann wird er mal wild, brüllt, springt ans Land, fuchtelt mit den Armen, und sein langer weisser Bart weht über den Dünenkamm.

Trutz blanker Hans!

* * * * *

Also doch! klopft bei mir an, mein Gast. Ich wälze mich schlaflos, steh auf, wandere umher, horche hinauf. Und oben schläft Fräulein Helga Lorenzen aus Tönning. Und draussen kichern die Sterne, ein richtiges Kichern.

Bis neun Uhr hielt der Nebel an, der gesegnete Nebel. Da war's zu spät für Wenningstedt. Gott sei Dank!

Sie machte den Abendtee, kochte den Morgenkaffee, und war so ganz unbefangen. Diese schönen Hände. Helle Holstenaugen, klar und klug. Aber manchmal zittert's so eigen darin, als wollte was aus der Tiefe der Seele aufsteigen. Also nicht Tönning, sondern aus Bremen. Nur Verwandte in Tönning. Reiche Zigarrenfabrikantentochter aus Bremen. Heirat mit einem schneidigen Assessor aus dem Weg gegangen. Gouvernante, Schauspielerin, jetzt berufslos. Sie muss also Geld haben. Gage erspart. Übrigens ist sie mündig und wird über Vermögen zu verfügen haben. Gefällt mir ausnehmend, dieser Bruch mit der Tabaksfamilie. Dem Assessor davongegangen. Auf eigenen Füssen, Ibsenweib.

* * * * *

Fräulein Helga gesehen. Wir sehen uns jetzt täglich. Ist das ein Mädchen! Sie hat Vermögen und will vorläufig "ohne Engagement" leben; Freiheit, die auch ich meine. Reisen, Einsamkeit, Reisen. Nächstes Jahr will sie nach Schottland. Wenn sie will, geh ich mit.

16.

Randers sass auf dem Schwedenwrack, und Helga lag zu seinen Füssen im Sand. Überall lagen die Scherben der gestrandeten Schieferplatten umher.

Helga hatte mit einem Stückchen Muschelkalk Randers Profil auf ein grösseres Schieferstück mehr gekratzt als gezeichnet.

"Getroffen?" Sie hielt's ihm hin, und er beugte sich zu ihr hinab. Er lachte.

"Aber nein!" Sie lachte mit und schleuderte den Schieferscherben mit kräftigem Wurf nach den Wellen. Er kam freilich nur halb hin.

"Warum zeichnen Sie garnicht mehr?" fragte er.

"Sie haben mir Ihr Skizzenbuch noch nicht wieder gezeigt." "Ich bin dieser Dilettanterei satt. Was soll ich hier zeichnen? Das Meer? Man schämt sich hier seiner Unzulänglichkeiten mehr als anderswo." "Es ist so," sagte Randers und dachte an die Verse, die er gestern gemacht hatte und die er gerne vorgelesen hätte. Jetzt verging ihm der Mut dazu.

"Wollen Sie nie wieder zum Theater zurück?" fragte er.

"Nein, es ist nicht mein Beruf." "Sollten Sie sich nicht täuschen? Ihre Hedda Gabler gestern—" "Die habe ich gespielt, mich ganz hineingespielt, und so las ich sie Ihnen gestern überzeugend. Die liegt mir auch, Ibsen überhaupt. Aber sehen Sie, es treibt mich nicht, hält mich nicht. Ich habe mir selbst den Beweis geben wollen, dass ich etwas könne, etwas war es auch Trotz gegen meine Familie. Aber ich habe kein Theaterblut. Und der Kunst muss man ganz gehören, mit allen Fasern, wenn man ihr dienen und sich nicht dabei verlieren will." Er schwieg einen Augenblick.

"Aber Sie sind doch eine Künstlernatur," sagte er dann. "Weil ich eine Seele habe?" "Sie haben doch auch Talent." "Ja, ein paar Talente. Ich singe, schauspielere. Und weil ich eine lebendige Seele habe, kommt auch etwas dabei heraus. Andere würden zufrieden damit sein und sich ein bescheidenes Häuschen mit allerlei Ruhmesflitter daraus aufbauen. Ich aber will kein Häuschen, ich will ein Haus mit einem stolzen Turm darauf. Und dazu reicht's nicht." "Sie sind zu bescheiden." "Ich kenne mich und richte mich ein.—Und dann hab ich's ja nicht nötig," setzte sie leiser hinzu. "Aber Naturen wie Sie müssen doch einen Beruf haben, eine Aufgabe!" "Das sagen Sie?" Es klang wie Spott.

Er errötete.

"Ach ich. Ich bin verfehlt, verpfuscht." "Und wer trägt die Schuld?" "Ich selbst natürlich." Sie sagte nichts und malte mit der Hand Kreise in den Sand.

"Etwas natürlich auch die Verhältnisse," setzte er hinzu. "Die muss man meistern." "Das geht nicht immer." "Man muss wissen, was man will und was man kann. "Und wenn man was will, was man nicht kann?" "Das ist ja ein grosses Unglück." "Man kann nichts dafür." "Na—" Sie brach kurz ab.

"Sie meinen doch?" fragte er.

"Ja, mit der Zeit muss man doch zur Erkenntnis kommen. Einsehen, was man ist, wer man ist. Und dann heisst's, seinen Pflock einschlagen, so, hier wirkst du, hier ist dein Land." "Wenn aber diese Erkenntnis zu spät kommt?" "Was nennen Sie zu spät?" "Nun, so in meinen Jahren." "Freilich, im Greisenalter." Sie lachte spöttisch, und er stimmte herzlich ein.

"Also zur Erkenntnis sind Sie doch schon gekommen?" sagte sie etwas boshaft.

"Dass ich nicht kann, was ich möchte? Ja." "Was möchten Sie denn?" Er besann sich einen Augenblick und sagte dann wie im Scherz:

"Heiraten." Sie lachte laut auf.

"Und warum können Sie es nicht?" "Weil ich keine Frau finde." "Die Ihrer wert ist?" "Die zu mir passt." "Und, wie muss dies begnadete Wesen geschaffen sein?" "Ja wenn ich das nur wüsste." 17.

Randers an Gerdsen.

Lieber Freund, wie steht's mit unserm Roman? Für heute nur diese Anfrage. Ein neues Kapitel fängt an! 18.

Gerd Gerdsen an Randers.

Lassen Sie endlich von sich hören? Ihr Schweigen war mir rätselhaft.

Also wieder im Netz? Ich glaube, Sie leben ein wenig unserm Roman zuliebe und stürzen sich deswegen in Unkosten. Wie soll ich Ärmster das alles bewältigen! Kaum glaube ich, Sie gefasst zu haben, verwandeln Sie sich proteusartig; oder vielmehr lassen sich verwandeln von irgend einer Circe. Oder sind Sie konsequent in der Entwickelung? Ist es die Künstlerin, die Ihnen nach der Aristokratin noch fehlte? Nur dann würde ich mir weitere Materialien erbitten.

Ich hatte mir schon vorgenommen, Sie im November zu besuchen, "studienhalber". Sie sollten mir wenigstens die Stelle zeigen, wo Sie Ihr Blockhaus bauen würden, und ich wollte wenigstens die aufgebrachten Wellen sehen, die zuletzt ihre Leiche dem erschütterten Leser vor die Füsse werfen sollen. Eine Blockhausgefährtin aus Fleisch und Bein zu sehen, darauf hatte ich schon Verzicht geleistet. Und nun ist sie doch Wirklichkeit geworden.

Lassen Sie mich jetzt aber auch mehr hören. Der Roman stockt. Ich brauche Dampf. Lassen Sie mich im Stich, muss ich's auf meine Weise deichseln. Und ob Sie dann zufrieden sein werden?

Kraus genug wird das Ding. Mehr Materialien zu einem Lebensbild als Roman. Aber Warum muss es denn gerade ein Roman sein? Es wird ein buntes Buch, und wir wollen zufrieden sein, wenn der Leser gestehen muss, dass er schon schlechtere Bücher gelesen hat. In Zukunft bin ich übrigens vorsichtiger in der Wahl meiner Modelle. Ihr Fall wäre etwas für das Genie eines Cervantes oder für die Psychologie eines Dostojewsky.

Mit Herz und Hirn Ihr

G. Gerdsen.


16 - 3. Buch, Kapitel 14 - 18 16 - Book 3, Chapters 14 - 18

14.

Randers hatte nach Wenningstedt wollen. Er musste die Sache mit dem Wirt ordnen. So davon zu laufen, ohne zu zahlen. Aber Randers konnte an diesem Nachmittag nicht nach Wenningstedt. Der Nebel wollte es nicht, der leichte, ziehende Nebel, der sich ganz plötzlich erhoben hatte! Der Himmel war noch klar, aber Strand, Watten, See, alles war in diesem weisslichen Nebelmeer ertrunken.

Dumm! sagte Randers laut.

Ob er in den Krug ginge? Dahin fände er auch durch den Nebel.

Am Ende war es ein ganz netter Schreib- und Leseabend. Er könnte auch zu Hause bleiben. Die neuen Maeterlincks lagen noch unaufgeschnitten da und der letzte d'Annunzio, "Triumph des Todes." Er warf einen Blick in den Roman, schlug achtlos eine Seite auf:

"Sein Herz schwoll vor verworrener Sehnsucht nach physischer Kraft, nach siegreicher Gesundheit, nach einem Leben voll fast wilden Genusses, nach einfacher unverbildeter Liebe, nach der grossen, ursprünglichen Freiheit. Er empfand wie ein augenblickliches Bedürfnis, die alte Hülle, die ihn bedrückte, zu zerbrechen und ihr als ein gänzlich neuer Mensch zu entsteigen, frei von allen Nebeln, die ihn betrübt, von allen Gebrechen, die ihn behindert hatten. Er hatte die verführerische Vision eines zukünftigen Daseins, in dem er, erlöst von allen verhängnisvollen Eigenschaften, von aller äusseren Tyrannei, von jedem traurigen Irrtum, die Dinge sah, als ob er sie zum erstenmale sähe und vor sich das ganze weite Weltall hatte, offen wie ein menschliches Angesicht. Konnte denn das Wunder nicht von diesem jungen Weibe kommen, das an dem Steintisch unter der stillen Eiche das neue Brot gebrochen und mit ihm geteilt hatte? konnte es denn nicht an diesem Tage beginnen, das neue Leben?" Das hielt ihn.

Randers steckte die Lampe an. Er wollte lesen.

Das neue Leben von diesem Weibe?

Er wollte gerade die Fensterläden schliessen als es draussen klopfte. Der wackelige Türgriff klirrte, und die Tür knarrte, als würde sie zögernd geöffnet.

Randers trat mit der Lampe in der Hand auf den Flur hinaus und sah erstaunt in das ebenso erstaunte Gesicht Fräulein Lorenzens.

"Verzeihen Sie," sagte sie, "ich sah hier plötzlich ein Licht aufleuchten. Man sieht keine Hand vor Augen draussen. Ich finde mich nicht zurecht." "Sie sind dicht vor Rantum," sagte er, immer noch verwirrt. Sie lachte.

"Höchst erfreulich. Aber ich sehe es nicht." Sie war seiner Einladung ins Zimmer gefolgt. Sie war ganz durchnässt vom Nebel, und er sah an ihrem Kleid Spuren von feuchtem Sand. Sie musste gefallen sein.

"Sie entschuldigen diesen Aufzug," sagte sie, "ich bin wohl sechsmal gestolpert." "Sie haben sich doch nicht verletzt?" Sie besah ihre Hände, die ohne Handschuhe waren.

"Ein paar Schrammen," lachte sie. "Ich hole Ihnen Wasser. Darf ich Ihnen irgend etwas geben? Sie können in dem Nebel nicht weiter." "O danke, bemühen Sie sich nicht. Wenn ich nur bis Rantum komme." "Es klärt sich gewiss noch auf. Aber ich bringe Sie noch hin." "Wenn es sich noch aufklärt, und Sie erlauben, dass ich verweile?" Sie liess sich auf dem angebotenen Sofaplatz nieder.

Er sah, dass sie verwundert war, eine solche Behausung hier zu treffen.

"Mein Blockhaus," sagte er. "Das ist ja märchenhaft. Sie wohnen hier?" "Seit dem Herbst." "Das muss köstlich sein." "Wenn man Einsamkeit liebt." Sie sah ihn forschend an. Er wurde rot unter diesen Blicken. Seine Sünde vom roten Kliff fiel ihm plötzlich ein.

"Ich bin auch hierhergekommen, um die Einsamkeit zu suchen," sagte sie, "ich habe sie ja auch in Wenningstedt, jetzt noch, so lange keine Badegäste kommen." "Ja, die Badegäste!" "Aber dies ist wirklich beneidenswert. Und Sie werden länger hier hausen?" "So lange es mir gefällt." "Und ganz allein?" Er zuckte die Achseln.

"Was soll man machen? Die schönste Einsamkeit ist freilich die zu zweien." "Meinen Sie?" Er lächelte etwas verlegen.

"Einsamkeit will sprechen," sagte er. Sie hatte gedankenlos mit dem Roman gespielt und warf jetzt einen flüchtigen Blick auf den Titel.

"Mögen Sie den?" fragte sie.

"Sie nicht?" "Nein. Er quält mich. Er füttert einem zu Tode. Zu masslos. Man schenkt eine Rose, einen Strauss, aber man schüttet einem nicht einen Waschkorb voll Rosen über den Kopf, wenn man nicht die Absicht hat, einen angenehm zu ersticken." Er lachte.

"Sie haben nicht unrecht." Sie wurde wieder unruhig, sah nach der Uhr und warf einen Blick nach dem Fenster.

"Wie soll ich nach Wenningstedt kommen, wenn der Nebel nicht nachlässt?" "Übernachten Sie in Rantum." "Kann man denn das?" "Gewiss!" Er stiess den Laden auf. Sie sahen beide ins Graue; ein dicker, undurchdringlicher Nebel.

"Er ist stärker geworden," sagte er. Sie schwieg und sah ratlos in die graue Dunstmasse.

"Es ist nicht weit bis Rantum?" "Eine halbe Stunde. Freilich, in diesem Nebel geht's nicht so schnell." "Entsetzlich!" Es kam aus tiefstem Herzen, aber sie lachte doch dabei.

"Wollen Sie durchaus nach Rantum, bringe ich sie hin," sagte er, "aber wenn ich Ihnen dienen darf, ich habe oben ein freies Zimmer, ein Fremdenzimmer, ganz komfortable." Er war ganz rot.

"Aber nein," rief sie ungläubig aus. "Aber doch! Es hat's noch niemand benutzt. Wenn Sie ihm die die Weihe geben wollen. Es ist alles vorhanden, dessen Sie bedürfen könnten, wenigstens für eine Nacht." Sie wurde etwas verlegen. Aber dann sagte sie nach kurzem Besinnen "ja". "Welch ein Abenteuer!" "Eine Nacht in Nebelheim," scherzte er. 15.

(Tagebuchblätter.)

Der Strandvogt, dieser Hüne, scheint mir ein wenig unter dem Pantoffel seiner Frau zu stehen. Wenigstens überlässt er ihr das Regiment. Die schwerfällige Kraft räumt der rührigen, feineren Intelligenz freiwillig das Feld. Aber sie muss ihn zu nehmen wissen und ihn sanft leiten. Bei einem ernsten Zusammenstoss zieht sie trotz allem den kürzeren, denn seinen Kopf hat er auch und nicht nur die Fäuste ihn durchzusetzen. Eigentlich ein sehr glückliches Verhältnis.

* * * * *

War das ein Sturm gestern Abend. Der Schwede mit seiner Schieferladung sitzt da gut. Ordentlich eingerammt in den Sand! Muss doch mal wieder nachsehen, was noch zusammenhält von dem Kasten. Wie die Säcke rutschten die Kerle an dem Rettungstau durch die Brandung. Der eine hatte sich alle Finger bis auf die Knochen durchgeschnitten. Der Schiffsjunge war halb tot. Armer Bengel! Es war seine erste Reise von Muttern weg.

Da muss man den Strandvogt sehen. Ruhig, umsichtig, den stärksten Sturm mit der Gewalt seiner Lungen überbrüllend. Es ist doch etwas herrliches um die physische Manneskraft, wenn sie mit Mut und Unerschrockenheit verbunden ist. Nur kein Athletenkram, keine Krafthuberei. Der stärkste Mann der Welt! Preisochse!

* * * * *

Die See geht noch immer hoch. Aber es ist ein prächtiger, himmelblauer Tag. Die See gleisst. Ganz köstlicher Anblick, diese gleissende See, ein flüssiges Metall. Von Hörnum Odde aus die Brandung gesehen, weit hinten in der See, wie sie über die Sandbank schäumt.

Böcklinsche Meerweiber natürlich darin, weisse Leiber, in der Sonne leuchtend, triefende Arme, Gelächter, wie wenn Wellen über Muscheln spielen. An den feuchten Haaren reissen sie sich einander zurück, balgen sich, toll ausgelassen.

O hinein, hinein unter diese brandenden Leiber, ein tollender Triton, urfrische Sinnesfreude.

* * * * *

Famoses Weib. Muss doch aufspüren, wo sie sich eingenistet hat. Diese Figur, diese imponierende Zurückhaltung. Einfach abgewimmelt. Nach allen Regeln.

* * * * *

Ganzen Tag auf der Suche. Bin ich in Hörnum, sitzt sie natürlich in List. Muss sie direkt in Wenningstedt abwarten.

* * * * *

Fräulein Lorenzen aus Tönning. Sie will bleiben, so lange es ihr gefällt, will Einsamkeit. Fräulein Lorenzen aus Tönning, ich suche Sie, wir gehören zusammen.

* * * * *

Natürlich, so muss es sein. Sie sitzt da unten, und ich bombardiere sie nichtsahnend mit Sand. Und diese alberne Flucht aus dem Hotel, wie ein Dieb übern Zaun.—

Ich schlafe nicht, ich wache nicht, ich träume nur, und nur von ihr. Es ist auch zu einsam hier, man muss etwas haben, was einen beschäftigt, einen ausfüllt. Der Mensch muss immer hinter etwas her sein, soll er das Leben ertragen, hinter einem Weib, einem Ideal, einem Orden, einem Lotteriegewinn.

* * * * *

Wenn man so im Dünensand liegt, der Wind geht über einen weg, und um einen herum rieselt's, rieselt's, rieselt's so ganz sachte, alle die tausend feinen Körnchen in Bewegung. Und man liegt und liegt und denkt nichts, als dass man so liegt und nichts denkt, und dass der Himmel so blau ist, und dass das die Brandung ist, was so monoton ins Ohr schlägt. Und plötzlich fängt der Magen an zu knurren, will nicht länger so liegen, hat Hunger. Aber man hält's eine Weile aus, man liegt gerade so schön, und dann steht man endlich doch auf, weil der Hunger gar zu gross wird—das ist eine sehr gesunde Art, den Tag hinzubringen. * * * * *

Da bauen sie Buhnen ins Meer, das ganze Jahr hindurch flicken sie daran herum. Immer der Reihe nach wieder von vorn an. Der blanke Hans schlägt die Zähne hinein, hat immer Hunger. Da schieben sie ihm so eine Buhne in den Rachen, da, knabbere dran. Inzwischen schwemmt's an, weht's an, der Strandhafer hält's fest, das Land wächst, die Dünen wachsen, und der Hans knurrt dazu. Knurr nur. Hilft dir nichts. Aber dann wird er mal wild, brüllt, springt ans Land, fuchtelt mit den Armen, und sein langer weisser Bart weht über den Dünenkamm.

Trutz blanker Hans!

* * * * *

Also doch! klopft bei mir an, mein Gast. Ich wälze mich schlaflos, steh auf, wandere umher, horche hinauf. Und oben schläft Fräulein Helga Lorenzen aus Tönning. Und draussen kichern die Sterne, ein richtiges Kichern.

Bis neun Uhr hielt der Nebel an, der gesegnete Nebel. Da war's zu spät für Wenningstedt. Gott sei Dank!

Sie machte den Abendtee, kochte den Morgenkaffee, und war so ganz unbefangen. Diese schönen Hände. Helle Holstenaugen, klar und klug. Aber manchmal zittert's so eigen darin, als wollte was aus der Tiefe der Seele aufsteigen. Also nicht Tönning, sondern aus Bremen. Nur Verwandte in Tönning. Reiche Zigarrenfabrikantentochter aus Bremen. Heirat mit einem schneidigen Assessor aus dem Weg gegangen. Gouvernante, Schauspielerin, jetzt berufslos. Sie muss also Geld haben. Gage erspart. Übrigens ist sie mündig und wird über Vermögen zu verfügen haben. Gefällt mir ausnehmend, dieser Bruch mit der Tabaksfamilie. Dem Assessor davongegangen. Auf eigenen Füssen, Ibsenweib.

* * * * *

Fräulein Helga gesehen. Wir sehen uns jetzt täglich. Ist das ein Mädchen! Sie hat Vermögen und will vorläufig "ohne Engagement" leben; Freiheit, die auch ich meine. Reisen, Einsamkeit, Reisen. Nächstes Jahr will sie nach Schottland. Wenn sie will, geh ich mit.

16.

Randers sass auf dem Schwedenwrack, und Helga lag zu seinen Füssen im Sand. Überall lagen die Scherben der gestrandeten Schieferplatten umher.

Helga hatte mit einem Stückchen Muschelkalk Randers Profil auf ein grösseres Schieferstück mehr gekratzt als gezeichnet.

"Getroffen?" Sie hielt's ihm hin, und er beugte sich zu ihr hinab. Er lachte.

"Aber nein!" Sie lachte mit und schleuderte den Schieferscherben mit kräftigem Wurf nach den Wellen. Er kam freilich nur halb hin.

"Warum zeichnen Sie garnicht mehr?" fragte er.

"Sie haben mir Ihr Skizzenbuch noch nicht wieder gezeigt." "Ich bin dieser Dilettanterei satt. Was soll ich hier zeichnen? Das Meer? Man schämt sich hier seiner Unzulänglichkeiten mehr als anderswo." "Es ist so," sagte Randers und dachte an die Verse, die er gestern gemacht hatte und die er gerne vorgelesen hätte. Jetzt verging ihm der Mut dazu.

"Wollen Sie nie wieder zum Theater zurück?" fragte er.

"Nein, es ist nicht mein Beruf." "Sollten Sie sich nicht täuschen? Ihre Hedda Gabler gestern—" "Die habe ich gespielt, mich ganz hineingespielt, und so las ich sie Ihnen gestern überzeugend. Die liegt mir auch, Ibsen überhaupt. Aber sehen Sie, es treibt mich nicht, hält mich nicht. Ich habe mir selbst den Beweis geben wollen, dass ich etwas könne, etwas war es auch Trotz gegen meine Familie. Aber ich habe kein Theaterblut. Und der Kunst muss man ganz gehören, mit allen Fasern, wenn man ihr dienen und sich nicht dabei verlieren will." Er schwieg einen Augenblick.

"Aber Sie sind doch eine Künstlernatur," sagte er dann. "Weil ich eine Seele habe?" "Sie haben doch auch Talent." "Ja, ein paar Talente. Ich singe, schauspielere. Und weil ich eine lebendige Seele habe, kommt auch etwas dabei heraus. Andere würden zufrieden damit sein und sich ein bescheidenes Häuschen mit allerlei Ruhmesflitter daraus aufbauen. Ich aber will kein Häuschen, ich will ein Haus mit einem stolzen Turm darauf. Und dazu reicht's nicht." "Sie sind zu bescheiden." "Ich kenne mich und richte mich ein.—Und dann hab ich's ja nicht nötig," setzte sie leiser hinzu. "Aber Naturen wie Sie müssen doch einen Beruf haben, eine Aufgabe!" "Das sagen Sie?" Es klang wie Spott.

Er errötete.

"Ach ich. Ich bin verfehlt, verpfuscht." "Und wer trägt die Schuld?" "Ich selbst natürlich." Sie sagte nichts und malte mit der Hand Kreise in den Sand.

"Etwas natürlich auch die Verhältnisse," setzte er hinzu. "Die muss man meistern." "Das geht nicht immer." "Man muss wissen, was man will und was man kann. "Und wenn man was will, was man nicht kann?" "Das ist ja ein grosses Unglück." "Man kann nichts dafür." "Na—" Sie brach kurz ab.

"Sie meinen doch?" fragte er.

"Ja, mit der Zeit muss man doch zur Erkenntnis kommen. Einsehen, was man ist, wer man ist. Und dann heisst's, seinen Pflock einschlagen, so, hier wirkst du, hier ist dein Land." "Wenn aber diese Erkenntnis zu spät kommt?" "Was nennen Sie zu spät?" "Nun, so in meinen Jahren." "Freilich, im Greisenalter." Sie lachte spöttisch, und er stimmte herzlich ein.

"Also zur Erkenntnis sind Sie doch schon gekommen?" sagte sie etwas boshaft.

"Dass ich nicht kann, was ich möchte? Ja." "Was möchten Sie denn?" Er besann sich einen Augenblick und sagte dann wie im Scherz:

"Heiraten." Sie lachte laut auf.

"Und warum können Sie es nicht?" "Weil ich keine Frau finde." "Die Ihrer wert ist?" "Die zu mir passt." "Und, wie muss dies begnadete Wesen geschaffen sein?" "Ja wenn ich das nur wüsste." 17.

Randers an Gerdsen.

Lieber Freund, wie steht's mit unserm Roman? Für heute nur diese Anfrage. Ein neues Kapitel fängt an! 18.

Gerd Gerdsen an Randers.

Lassen Sie endlich von sich hören? Ihr Schweigen war mir rätselhaft.

Also wieder im Netz? Ich glaube, Sie leben ein wenig unserm Roman zuliebe und stürzen sich deswegen in Unkosten. Wie soll ich Ärmster das alles bewältigen! Kaum glaube ich, Sie gefasst zu haben, verwandeln Sie sich proteusartig; oder vielmehr lassen sich verwandeln von irgend einer Circe. Oder sind Sie konsequent in der Entwickelung? Ist es die Künstlerin, die Ihnen nach der Aristokratin noch fehlte? Nur dann würde ich mir weitere Materialien erbitten.

Ich hatte mir schon vorgenommen, Sie im November zu besuchen, "studienhalber". Sie sollten mir wenigstens die Stelle zeigen, wo Sie Ihr Blockhaus bauen würden, und ich wollte wenigstens die aufgebrachten Wellen sehen, die zuletzt ihre Leiche dem erschütterten Leser vor die Füsse werfen sollen. Eine Blockhausgefährtin aus Fleisch und Bein zu sehen, darauf hatte ich schon Verzicht geleistet. Und nun ist sie doch Wirklichkeit geworden.

Lassen Sie mich jetzt aber auch mehr hören. Der Roman stockt. Ich brauche Dampf. Lassen Sie mich im Stich, muss ich's auf meine Weise deichseln. Und ob Sie dann zufrieden sein werden?

Kraus genug wird das Ding. Mehr Materialien zu einem Lebensbild als Roman. Aber Warum muss es denn gerade ein Roman sein? Es wird ein buntes Buch, und wir wollen zufrieden sein, wenn der Leser gestehen muss, dass er schon schlechtere Bücher gelesen hat. In Zukunft bin ich übrigens vorsichtiger in der Wahl meiner Modelle. Ihr Fall wäre etwas für das Genie eines Cervantes oder für die Psychologie eines Dostojewsky.

Mit Herz und Hirn Ihr

G. Gerdsen.