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Nikolai Wassiljewitsch Gogol — Die Nase, Teil 1

Teil 1

[3]Am 25. März ereignete sich in Petersburg eine ganz ungewöhnliche, seltsame Begebenheit. Der auf dem Himmelfahrtsprospekt wohnende Barbier Iwan Jakowlewitsch (der Familienname war ihm verlorengegangen, und sogar auf seinem Schilde, das einen Herrn mit einer eingeseiften Wange darstellte, war weiter nichts zu lesen als die Aufschrift: » ... und wird zur Ader gelassen«) – also, der Barbier Iwan Jakowlewitsch erwachte ziemlich früh und spürte den Duft frischgebackenen Brotes. Er richtete sich in seinem Bett ein wenig auf und sah, daß seine Frau, eine ziemlich ehrenwerte Dame, die sehr gern Kaffee trank, aus dem Ofen soeben ausgebackene Brote zog.

»Heute, Praskowja Ossipowna, will ich keinen Kaffee«, sagte Iwan Jakowlewitsch; »statt dessen möchte ich warmes Brot mit Zwiebeln essen.« (Das heißt, Iwan Jakowlewitsch wollte gern beides, aber er wußte, daß es vollständig unmöglich war, beides zugleich zu erlangen, denn Praskowja Ossipowna mochte derartige Gelüste durchaus nicht leiden.) Mag der Dummkopf meinetwegen nur Brot essen, um so besser für mich, dachte sein Ehegespons; dann bleibt für mich noch eine Portion Kaffee übrig, und warf ein Brot auf den Tisch.

Iwan Jakowlewitsch zog anstandshalber einen Frack über das Hemd, setzte sich an den Tisch, schüttete sich Salz aus, machte sich zwei Zwiebelköpfe zurecht, nahm[4]das Messer zur Hand, zog ein bedeutsames Gesicht und begann das Brot zu schneiden. Nachdem er das Brot in zwei Hälften geschnitten, sah er mitten hinein – und zu seinem großen Erstaunen erblickte er etwas Weißliches. Iwan Jakowlewitsch stocherte vorsichtig mit dem Messer daran herum und befühlte es mit dem Finger. »Ganz fest!« murmelte er in den Bart, »was mag denn das sein?« Er steckte die Finger hinein und zog – eine Nase heraus! ... Da ließ Iwan Jakowlewitsch die Hände sinken, begann sich die Augen zu reiben und zu tasten: Eine Nase, wirklich eine Nase! und noch obendrein schien es die Nase eines Bekannten zu sein. Entsetzen malte sich auf Iwans Gesicht, aber dieses Entsetzen war noch nichts gegen den Abscheu, der sich seiner Gattin bemächtigte.

»Wo hast du denn diese Nase abgeschnitten, du Vieh?« schrie sie zornig. »Du Halunke! du Trunkenbold! ich selbst werde dich der Polizei anzeigen! Ein solcher Spitzbube! Schon von drei Herren habe ich gehört, daß du während des Rasierens so an der Nase zerrst, daß sie kaum sitzen bleibt!« Aber Iwan Jakowlewitsch war mehr tot als lebendig; er erkannte, daß diese Nase keinem andern gehören konnte als dem Kollegien-Assessor Kowalow, den er jeden Mittwoch und Sonntag rasierte. »Wart, Praskowja Ossipowna! ich wickele sie in ein Läppchen und lege sie in die Ecke; da mag sie ein Weilchen liegen bleiben, dann werde ich sie fortschaffen.« »Nichts da! Was, ich sollte hier in meinem Zimmer eine abgeschnittene Nase haben! So'n vertrockneter Zwieback! Versteht weiter nichts, als nur immer mit dem Rasiermesser über den Riemen zu streichen; aber seine Pflicht tun, das wird er bald gar nicht mehr imstande sein, der Herumtreiber, der Taugenichts! Soll[5]ich etwa bei der Polizei für dich alles verantworten? ... Ach du Schmierer, du einfältiger Klotz! Hinaus damit! Hinaus! Bringe sie, wohin du willst! Daß ich sie hier nicht mehr vor Augen habe!« Iwan Jakowlewitsch stand da wie erschlagen. Er dachte nach und dachte nach – und wußte nicht, was er denken sollte. »Der Teufel mag wissen, wie das zugegangen ist«, sagte er endlich, sich hinter den Ohren krauend; »ob ich gestern abend betrunken nach Hause gekommen bin oder nicht, das weiß ich wirklich nicht mehr, aber allem Anschein nach ist dieses eine ganz ungewöhnliche Begebenheit, denn ein Brot ist doch etwas Gebackenes, und eine Nase etwas anderes. Das verstehe ich nicht!« Iwan Jakowlewitsch verstummte. Der Gedanke, die Polizei könnte bei ihm eine Nase finden und ihn verklagen, nahm ihm alle Besinnung. Schon flimmerte ihm ein roter Kragen mit silbernen Tressen vor den Augen, ein Degen – und er bebte am ganzen Leibe. Schließlich nahm er seine Hosen und Schuhe, zog all das Zeug an, und von den nachdrücklichen Ermahnungen Praskowja Ossipownas begleitet, wickelte er die Nase in einen Lappen und ging hinaus auf die Straße.

Er wollte sie irgendwo heimlich unterschieben: entweder unter den Eckstein am Tor oder sie ganz unbemerkt irgendwo verlieren und dann in einer Querstraße verschwinden. Aber zum Unglück begegnete er immer wieder irgendeinem Bekannten, der gleich mit der Frage begann: »Wohin denn, Iwan Jakowlewitsch?« oder »Wen hast du schon in so früher Morgenstunde rasiert?« usw., so daß Iwan Jakowlewitsch nirgends eine passende Gelegenheit finden konnte. Ein andermal hatte er die Nase bereits fallen lassen, aber ein Wachmann zeigte sie ihm schon von ferne mit seiner Hellebarde und sagte: »Heb es auf, da hast du etwas fallen lassen!« und Iwan Jakowlewitsch blieb[6]nichts anderes übrig, als die Nase wieder aufzuheben und sie in seine Tasche zu stecken. Verzweiflung begann sich seiner zu bemächtigen und das um so mehr, als es auf der Straße immer belebter wurde und man die Kaufläden und Magazine zu öffnen begann.

Da beschloß er, nach der Isaaksbrücke zu gehen: vielleicht glückte es ihm, sie dort in die Newa zu werfen ... Aber ich muß mich ein wenig schuldig bekennen, daß ich bis jetzt noch nichts von Iwan Jakowlewitsch, diesem in vielen Beziehungen so ehrenwerten Manne gemeldet habe.

Wie jeder rechtschaffene russische Handwerker war Iwan Jakowlewitsch ein schrecklicher Trunkenbold, und obgleich er täglich fremde Gesichter rasierte, so war doch sein eigenes ewig unrasiert. Sein Frack (einen Rock trug er niemals) war ganz scheckig, das heißt, er war schwarz, aber ganz mit braunen und grauen Flecken besät; der Kragen glänzte, und statt der drei Knöpfe waren nur noch die Fädchen zu sehen. Iwan Jakowlewitsch war ein großer Zyniker, und wenn der Kollegien-Assessor Kowalow, wie das seine Gewohnheit war, beim Rasieren zu ihm sagte: »Deine Hände, Iwan Jakowlewitsch, riechen ja immer!« so antwortete Iwan Jakowlewitsch auf diese Bemerkung: »Wonach sollten sie denn riechen?« – »Das weiß ich nicht, Freundchen, aber sie riechen«, entgegnete der Kollegien-Assessor, und Iwan Jakowlewitsch nahm eine Prise und seifte ihn dafür auf der Wange, der Oberlippe, hinter den Ohren und unter dem Kinn, kurz, überall wo es ihm gefiel, ein.

Dieser ehrenwerte Bürger stand also jetzt auf der Isaaksbrücke. Zunächst schaute er sich um, dann lehnte er sich ans Geländer, als wollte er nur hinuntersehen, um zu sehen, ob viele Fische vorüberschwämmen, und warf ganz heimlich das Läppchen mit der Nase hinab. Es war ihm zumute, als sei ihm mit einemmal[7]eine Zentnerlast vom Herzen genommen, ja Iwan Jakowlewitsch lachte sogar fröhlich auf. Statt nun zu gehen, um Beamtengesichter zu rasieren, wandte er seine Schritte einer Anstalt zu, auf deren Schild »Speisen und Tee« ausgeboten wurden, um ein Glas Punsch zu trinken – als er plötzlich am andern Ende der Brücke einen Polizei-Inspektor von imponierendem Äußern mit großem Backenbart, dreieckigem Hut und Degen an der Seite gewahrte. Er war einer Ohnmacht nahe; der Polizei-Inspektor aber winkte ihm mit der Hand und sprach: »Komm doch mal her, mein Lieber.« Iwan Jakowlewitsch wußte, was sich gehört, nahm schon von weitem seine Mütze ab, ging auf den Polizei-Inspektor zu und sagte: »Ich wünsche Euer Hochwohlgeboren das beste Wohlbefinden.« »Ach was Hochwohlgeboren, sage mir, Freundchen, was hast du da gemacht, als du auf der Brücke standest?« »Bei Gott, gnädiger Herr, ich war auf dem Wege zu meinen Kunden und wollte nur sehen, ob der Fluß schnell fließt.« »Du lügst, du lügst! Damit kannst du dich nicht herausreden. Antworte nur!« »Ich will Euer Gnaden zweimal wöchentlich, ja sogar dreimal ohne alle Widerrede rasieren«, antwortete Iwan Jakowlewitsch. »Nein, Freund, mach keine Geschichten! Mich rasieren schon drei Barbiere, und die rechnen es sich noch zur größten Ehre an. Also heraus damit: Was hast du dort gemacht?« Iwan Jakowlewitsch erbleichte ... Aber hier verschwindet die Begebenheit völlig im Nebel, und was weiter geschah, ist nicht bekannt geworden. [8]Der Kollegien-Assessor Kowalow wachte ziemlich früh auf, machte »brr brr!« – was er übrigens immer tat, sobald er aufwachte, wenn er sich auch die Ursache nicht zu erklären vermochte. Kowalow reckte sich und ließ sich einen kleinen auf dem Tische stehenden Spiegel geben. Er wollte nach dem Hitzbläschen sehen, das ihm gestern abend auf der Nase entstanden war. Aber zu seinem größten Erstaunen bemerkte er, daß er statt der Nase nur eine vollständig glatte Stelle im Gesicht hatte! Im höchsten Grad erschreckt ließ sich Kowalow Wasser reichen und rieb sich mit einem Handtuch die Augen: Wirklich, er hatte keine Nase mehr! Er begann sich mit den Händen zu befühlen, er kniff sich, um sich zu überzeugen, ob er nicht schliefe. Nein, allem Anschein nach schlief er nicht mehr! Da sprang der Kollegien-Assessor Kowalow aus dem Bett und schüttelte sich – Nein, keine Nase mehr! ... Er ließ sich sofort die Kleider geben und eilte dann geradeswegs zu dem Oberpolizeimeister.

Aber zunächst müssen wir unbedingt einiges über Kowalow mitteilen, damit der Leser weiß, was für ein Mann denn dieser Kollegien-Assessor eigentlich ist. Die Kollegien-Assessoren, welche diesen Titel auf Grund von Prüfungszeugnissen erlangen, dürfen durchaus nicht mit jenen Kollegien-Assessoren verglichen werden, die zu ihrem Rang im Kaukasus befördert worden sind. Das sind zwei vollständig verschiedene Arten von Kollegien-Assessoren. Kollegien-Assessoren – aber Rußland ist ein so wunderliches Land, daß, wenn man von einem Kollegien-Assessor spricht, sämtliche andere Kollegien-Assessoren von Riga bis Kamtschatka unfehlbar alles auf ihre eigene Person beziehen; dasselbe gilt übrigens von allen andern Ämtern und Titeln. Kowalow war ein kaukasischer[9]Kollegien-Assessor. Er war erst zwei Jahre in dieser Stellung, und so konnte er sie auch jetzt noch nicht vergessen. Um sich aber mehr Ansehen und Bedeutung zu geben, nannte er sich niemals Kollegien-Assessor, sondern stets Major.

»Höre, meine Liebe«, pflegte er zu sagen, wenn er auf der Straße einer alten Frau begegnete, die Vorhemdchen verkaufte, »gehe mal nach meiner Wohnung, sie befindet sich in der Gartenstraße, frage nur: Wohnt hier der Major Kowalow? Jeder wird dir's zeigen.« Begegnete er aber einem hübschen Mädchen, so gab er ihr außerdem noch einen geheimen Auftrag, indem er hinzufügte: »Frage, mein Herzchen, nach der Wohnung des Majors Kowalow.« Aus diesem Grunde wollen wir von jetzt an den Kollegien-Assessor Major titulieren. Der Major Kowalow hatte die Gewohnheit, täglich auf dem Newski-Prospekt spazierenzugehen. Der Kragen seines Vorhemdchens war immer außerordentlich sauber und steif gestärkt. Sein Backenbart glich in seinem ganzen Zuschnitt demjenigen, wie ihn gegenwärtig noch die Gouvernements- und Kreisgeometer sowie die Architekten und Regimentsärzte, wie auch Leute, die allerlei Ämter bekleiden, und überhaupt alle diejenigen tragen, die volle rote Wangen haben und sehr gut Boston spielen. Diese Backenbärte gehen mitten über die Wange und direkt auf die Nase zu. Major Kowalow trug eine Menge Karneolpetschafte, auf denen teils Wappen, teils die Wörter Mittwoch, Donnerstag, Montag usw. eingegraben waren. Major Kowalow war nach Petersburg gekommen, um sich eine seinem Range entsprechende Stellung zu suchen, wenn es gelänge, eines Vizegouverneurs; im anderen Falle die eines Exekutors bei irgendeiner wichtigen Abteilung. Major Kowalow war auch nicht abgeneigt zu heiraten, aber nur eine solche Dame, die ihm ein[10]Kapital von Zweimalhunderttausend zubringen würde. Somit kann nun der Leser selbst urteilen, in welcher Situation unser Major sich befand, als er bemerkte, daß er da statt einer gar nicht üblen regelmäßigen Nase eine ganz einfältige, gleichmäßige glatte Stelle hatte.

Zum Unglück war auf der Straße nicht ein einziger Kutscher zu sehen, und so mußte er zu Fuß gehen, wobei er sich in seinen Mantel hüllte, und das Taschentuch vor das Gesicht hielt, sich stellend, als blute ihm die Nase. Aber vielleicht ist's mir nur so vorgekommen, dachte er und trat in eine Konditorei, um in einem Spiegel nachzusehen. Glücklicherweise war augenblicklich niemand in der Konditorei; Burschen reinigten das Zimmer und stellten Stühle und Tische zurecht. Einige andere trugen mit verschlafenen Gesichtern auf Tabletten noch warme Kuchen herbei; auf Stühlen und Tischen lagen noch die mit Kaffee begossenen gestrigen Zeitungen. »Nun Gott sei Dank, es ist niemand hier«, sagte er, »da kann ich nachsehen.« Und scheu trat er an einen Spiegel und blickte hinein. »Mag der Teufel wissen, was das für eine scheußliche Sache ist«, rief er und spuckte aus; »wenn da wenigstens statt der Nase sonst etwas da wäre, aber nichts, gar nichts!« Ärgerlich biß er sich in die Lippe, verließ die Konditorei und beschloß, niemanden, ganz wider seine Gewohnheit, auf der Straße anzusehen oder anzulächeln. Da plötzlich stand er wie angewurzelt vor einer Haustür; dort ging etwas ganz Ungewöhnliches vor. An der Einfahrt hielt ein Wagen, der Schlag wurde geöffnet, und heraus trat in gebückter Haltung ein Herr in Uniform und eilte die Treppe hinan. Wie groß war Kowalows Schrecken und Erstaunen, als er bemerkte, daß dieser Herr – seine eigene Nase war. Bei dieser außerordentlichen Erscheinung war es ihm, als ob alles um[11]ihn herum sich drehte; er fühlte, daß er sich kaum auf den Beinen zu halten vermochte; allein er beschloß – am ganzen Leibe bebend, als hätte er das Fieber – unter allen Umständen zu warten, bis die Nase in den Wagen zurückkehren würde. Nach Verlauf von zwei Minuten kam die Nase wirklich wieder heraus. Sie war in goldgestickter Uniform mit großem Stehkragen; sie trug sämischlederne Beinkleider, und an der Seite hing ein Degen. Der mit Federbusch geschmückte Hut ließ vermuten, daß sie den Rang eines Staatsrats bekleide. An allem war zu erkennen, daß sie Besuche machte. Sie sah sich nach beiden Seiten um, rief dem Kutscher zu: »Weiter!« setzte sich in den Wagen und fuhr davon.

Der arme Kowalow hätte beinahe den Verstand verloren. Er wußte nicht, was er von dieser seltsamen Begebenheit denken sollte. Und in der Tat, wie war es möglich, daß die Nase, welche er noch gestern im Gesicht gehabt und die weder gehen noch fahren konnte, in Uniform steckte! Er lief dem Wagen nach, der glücklicherweise in geringer Entfernung vor der Kasankathedrale wieder haltmachte.

Er eilte hinterher, drängte sich durch einen Haufen Bettelweiber mit verbundenen Gesichtern und zwei Öffnungen für die Augen, über die er sich früher so oft lustig gemacht hatte. Es waren nur wenige Men schen zugegen. Kowalow war in so aufgeregtem Zustande, daß er sich zu nichts entschließen konnte, und überall suchten seine Augen nach diesem Herrn. Endlich sah er ihn abseits stehen. Die Nase hatte ihr Gesicht vollständig in ihren großen Stehkragen gesteckt und betete mit größter Andacht.

Wie könnte ich wohl zu ihr gelangen, dachte Kowalow. Alles – die Uniform, der Hut – kurz, alles beweist, daß sie ein Staatsrat ist. Der Teufel mag wissen, wie das zu machen ist.

[12]Er begann um die Nase herumzuhüsteln, aber sie veränderte nicht für eine Minute ihre Stellung.

»Hochgeehrter Herr«, sprach Kowalow, sich Mut machend, »hochgeehrter Herr – –« »Was wünschen Sie?« antwortete die Nase und wandte sich um. »Es kommt mir seltsam vor, sehr geehrter Herr ... mir scheint ... Sie sollten doch ihren Standort kennen ... und da finde ich Sie auf einmal ... und wo? ... urteilen Sie selbst ...« »Verzeihen Sie, ich begreife gar nicht, wovon Sie reden ... Erklären Sie sich deutlicher.« Wie soll ich mich ihr denn noch deutlicher erklären? dachte Kowalow, und neuen Mut fassend, fuhr er fort: »Natürlich ... Übrigens bin ich Major. Ohne Nase herumgehen, das werden Sie zugeben, ist unschicklich. So eine Händlerin, die auf der Himmelfahrtsbrücke Apfelsinen verkauft, kann sich ohne Nase behelfen; aber da ich die Absicht habe, und ... übrigens bin ich in vielen Häusern mit vornehmen Damen sehr genau bekannt – mit Frau Staatsrätin Tschechtarew und vielen anderen ... Sie sehen also selbst ... ich weiß nicht, geehrter Herr, was Sie ... (hier zuckte der Major die Achseln) ... Verzeihen Sie ... verträgt sich das mit den Regeln von Pflicht und Ehre – – Sie werden selbst begreifen – –« »Ich begreife gar nichts«, antwortete die Nase. »Erklären Sie sich deutlicher.« »Hochgeehrter Herr«, sprach Kowalow im Gefühl seiner eigenen Pflicht, »ich weiß nicht, wie ich Ihre Worte verstehen soll ... Mir scheint doch, die ganze Sache ist hier so augenfällig wie möglich ... Oder wollen Sie ... Aber – Sie sind ja doch – meine eigene Nase!« Die Nase sah den Major an und runzelte die Stirn. »Da irren Sie, geehrter Herr; ich bin ich selbst. [13]Und zudem kann es zwischen uns keinerlei enge Beziehungen geben. Nach den Knöpfen ihrer Uniform zu urteilen, müssen Sie bei einem ganz andern Ressort Dienst tun.« Und mit diesen Worten wandte die Nase sich ab.

Kowalow verlor vollständig den Kopf; er wußte nicht, was er tun, und noch weniger, was er denken sollte. In diesem Augenblick hörte er das angenehme Rauschen eines Damenkleides; da kam eine ältliche Dame daher, ganz in Spitzen, und mit ihr eine andere schlanke, angetan mit einem weißen Kleide, das ihre schöngewachsene Gestalt lieblich hervortreten ließ; auf dem Kopf hatte sie einen leichten hellgelben Hut. Hinter den Damen schritt ein langer Heiduck mit langem Backenbart und einem ganzen Dutzend Kragen und öffnete seine Schnupftabaksdose.

Kowalow trat näher, zog den batistnen Kragen seines Vorhemdchens in die Höhe, ordnete seine an der goldenen Uhrkette hängenden Petschafte und wandte, nach allen Seiten hin lächelnd, seine Aufmerksamkeit der zierlichen Dame zu, die sich gleich einer Frühlingsblume leicht verneigte und das weiße Händchen mit den halb durchsichtigen Fingern zur Stirn hob. Das Lächeln auf Kowalows Gesicht verbreitete sich noch, als er unter dem Rande ihres Hutes das runde Kinn und einen Teil der Wange gewahrte, die wie eine Frühlingsrose glühte. Aber plötzlich sprang er zurück, als hätte er sich verbrannt. Er erinnerte sich, daß er ja statt der Nase nur eine glatte Stelle im Gesicht hatte, und die Tränen strömten ihm über die Wangen. Er wandte sich ab, um dem Herrn in der Uniform gerade ins Gesicht zu sagen, daß er nur Staatsrat spiele – daß er ein Schelm und Halunke und weiter nichts sei als seine eigene Nase ... Aber die Nase war nicht mehr da; sie war bereits davongefahren, wahrscheinlich, um wieder irgendwo einen Besuch zu machen.

[14]Das brachte Kowalow zur Verzweiflung. Er ging hinaus, blieb einen Augenblick unter der Kolonnade stehen und blickte sich nach allen Seiten um, ob nicht irgendwo die Nase zu sehen sei. Er erinnerte sich sehr wohl, daß sie auf dem Kopfe einen Hut mit Federbusch und eine goldgestickte Uniform anhatte; aber den Mantel hatte er nicht beachtet, und auch die Farbe des Wagens und der Pferde war ihm nicht mehr im Gedächtnis; ja er wußte nicht einmal mehr, ob hinten auf dem Wagen ein Lakai gestanden und in welcher Livree. Zudem fuhren noch so viele Wagen hin und her und obendrein mit solcher Schnelligkeit, daß es schwer war, sie voneinander zu unterscheiden. Und hätte er auch den rechten unter denselben bemerkt – er hatte ja gar kein Mittel, ihn anzuhalten. Es war ein schöner sonnenheller Tag, und auf dem Newski-Prospekt wimmelte es von Menschen. Ein Blütenstrom von Damen ergoß sich über das ganze Trottoir von der Polizeibrücke bis zur Anitschkinbrücke. Da kommt auch sein guter Bekannter, der Hofrat, auf ihn zu, den er Oberstleutnant zu titulieren pflegte namentlich dann, wenn Fremde zugegen waren. Da ist ferner Jaryschkin, der Vorsteher einer Abteilung des Senats, sein intimer Freund, der des Abends beim Boston stets verliert, wenn er Acht spielt. Und da winkt ihn ein anderer Major, der seinen Assessorenrang im Kaukasus erlangt hat, mit der Hand zu sich ... »Ach, hol's der Teufel!« sagte Kowalow, »heda, Kutscher, fahre mich direkt zum Polizeimeister!« Kowalow setzte sich in eine Droschke und schrie dem Kutscher zu: »Fahr los, wie der Blitz!« »Ist der Polizeimeister zu Hause?« schrie er, in den Hausflur tretend. »Nein, nicht zu Hause«, antwortete der Portier; »soeben ausgegangen.« »Ach, wie dumm!« [15]»Ja«, fuhr der Portier fort, »soeben erst fortgegangen; wären Sie nur eine kleine Minute früher gekommen, so hätten Sie ihn vielleicht noch zu Hause getroffen.« Ohne das Tuch vom Gesicht zu nehmen, setzte sich Kowalow wieder in die Droschke und schrie mit verzweiflungsvoller Stimme: »Fort, weiter!« »Wohin?« fragte der Kutscher. »Gradeaus!« »Wie das – geradeaus? Da kreuzen sich ja zwei Straßen – soll ich rechts oder links fahren?« Diese Frage nötigte Kowalow wieder nachzudenken. In seiner Lage galt es vor allem, sich an die Polizeiverwaltung zu wenden, nicht als ob er zu der Polizei in direkter Beziehung gestanden hätte, sondern weil ihre Anordnungen viel schneller ausgeführt wer den als die der anderen Behörden. Bei den Vorgesetzten desjenigen Ressorts, bei welchem die Nase angestellt war, Genugtuung zu suchen, wäre ein ganz unvernünftiges Bemühen gewesen, da er aus den eigenen Antworten der Nase bereits den Schluß hatte ziehen können, daß diesem Menschen nichts heilig war und daß er in diesem Falle wieder ebenso lügen könnte, wie er bereits früher gelogen hatte, als er behauptete, daß er ihn, Kowalow, nie gesehen habe. Und so wollte Kowalow dem Kutscher schon den Befehl erteilen, sofort nach dem Polizeiamt zu fahren, als ihm wieder der Gedanke kam, dieser Schelm und Halunke, der sich schon bei der ersten Begegnung in so gewissenloser Weise benommen, könnte ein zweites Mal die Gelegenheit wahrnehmen und aus der Stadt entwischen – und dann waren alle Nachforschungen fruchtlos oder konnten sich doch, wovor Gott behüten möge, einen ganzen Monat lang hinziehen. Da endlich schien der Himmel ihn selbst zu erleuchten. Er beschloß, sich sofort zur Zeitungsexpedition zu[16]begeben, um so schnell wie möglich unter ausführlicher Beschreibung all seiner Eigenschaften die Sache bekannt zu machen, damit jeder, dem er begegnete, ihn sofort anhalten und ihm zuführen oder ihm wenigstens seinen Aufenthaltsort angeben könnte. Nachdem er diesen Plan reiflich erwogen, befahl er dem Kutscher nach der Zeitungsexpedition zu fahren, und hörte auf dem ganzen Wege nicht auf, ihn mit der Faust in den Rücken zu stoßen und ihm zuzurufen: »Schneller, du Tagedieb! Schneller, du Hundsfott!« »Ach, gnädiger Herr«, sprach der Kutscher mit dem Kopfe schüttelnd und sein Pferd, dessen Haar so lang war wie bei einem Bologneserhündchen, mit den Zügeln schlagend. Endlich hielt die Droschke an, und nachdem Kowalow ein wenig zu Atem gekommen, eilte er in das kleine Vorzimmer, wo ein grauköpfiger Beamter in einem alten Frack und mit einer Brille auf der Nase an einem Tische saß und mit der Feder zwischen den Zähnen eingenommene Kupfermünzen zählte.

»Wer nimmt hier Bekanntmachungen an?« schrie Kowalow. »Ah! Guten Tag!« »Ihr Diener!« sprach der grauköpfige Beamte aufblickend und dann die Augen sofort wieder auf den Geldhaufen vor sich senkend. »Ich möchte eine Bekanntmachung ...« »Bitte, warten Sie noch ein wenig«, sagte der Beamte, mit der Rechten eine Zahl auf das Papier schreibend und mit der Linken zwei Kugeln auf der Rechenmaschine weiterschiebend. Ein Lakai, dessen Goldborten und sonstiges saubere Äußere bewiesen, daß er in einem aristokratischen Hause diente, stand neben dem Tisch mit einem Zettel in der Hand und hielt es für angemessen zu beweisen, daß er ein geselliger Mensch sei. »Wollen Sie's wohl glauben«, sagte er, »daß das Hündchen keine achtzig Kopeken wert ist[17]– das heißt, ich würde nicht einmal acht dafür geben; aber die Gräfin ist ganz verliebt darein, bei Gott, so verliebt – und da bekommt hundert Rubel, wer es findet. Soll ich Ihnen aufrichtig etwas sagen, nämlich unter uns, die Geschmäcker der Leute sind ganz unvereinbar: wenn man schon Hundeliebhaber ist, so soll man sich einen Hühnerhund halten oder einen Pudel; dann soll's einem auch nicht leid tun, wenn er fünfhundert oder gar tausend Rubel kostet, dafür muß es aber dann schon ein schöner Hund sein.« Der würdige Beamte hörte diese Mitteilungen mit bedeutsamer Miene an und berechnete gleichzeitig, wieviel Buchstaben die Anzeige enthalte. Neben dem Lakai stand noch eine ganze Menge von Frauen, Ladendienern und Dienstpersonal mit Zetteln. Der eine hatte einen Kutscher abzugeben, der sich durch Nüchternheit auszeichnet; der andere wünschte eine wenig gebrauchte Kalesche zu verkaufen, die im Jahre 1814 aus Paris gekommen sei; ein neunzehnjähriges Mädchen wurde angeboten, das sich auf Wäsche und andere Arbeiten verstand; eine feste Droschke ohne Federn, ein junger feuriger Apfelschimmel, siebzehn Jahre alt, frischer, aus London eingetroffener Rüben-und Rettichsamen, ein Landhaus mit allem Zubehör, Pferdeställen und einem freien Raum, der sich zur Anlegung eines Birken- oder Tannenhains eigne; noch ein anderer forderte alle diejenigen, welche alte Schuhsohlen zu kaufen wünschten, auf, sich täglich zwischen acht und drei Uhr morgens da und dort einzufinden, um den Preis zu erfragen. Der Raum, in dem diese ganze Gesellschaft sich aufhielt, war sehr klein und die Luft darin außerordentlich dumpf; aber dem Kollegien-Assessor Kowalow vermochte der Geruch nichts anzuhaben, da er sein Taschentuch vors Gesicht gedrückt hatte und seine Nase sich ja Gott weiß wo befand.

[18]»Mein geehrter Herr, erlauben Sie mir, Sie zu bitten – ich habe große Eile«, sagte er endlich mit einiger Ungeduld.

»Sogleich, sogleich! – Zwei Rubel dreiundvierzig Kopeken. – Einen Augenblick! – Ein Rubel vierundsechzig Kopeken!« sprach der grauköpfige Herr, den Dienern und alten Weibern die Zettel ins Gesicht werfend. »Nun, was wünschen Sie denn?« fragte er endlich, sich an Kowalow wendend.

»Ich möchte – –« begann Kowalow, »es ist mir da eine Nichtswürdigkeit, eine Schurkerei angetan worden – und bis jetzt konnte ich es noch nicht herauskriegen. Da möchte ich Sie bitten, in Ihre Zeitung die Bekanntmachung einzurücken, daß derjenige, der mir diesen Schuft dingfest macht, eine ausreichende Belohnung erhalten würde.« »Darf ich fragen, wie Ihr werter Name ist?« »Wozu den Namen? Den kann ich Ihnen nicht sagen. Ich habe viele Bekannte, die Staatsrätin Tschechtarew, die Frau des Stabsoffiziers, Pelagia Grigorjewna Podtotschin ... die würden es ja sofort erfahren und da sei Gott vor! Sie können ja einfach schreiben: ein Kollegien-Assessor, oder noch besser: ein Herr mit Majorsrang.« »Und war der davongelaufene Bursche ihr Diener?« »Was für ein Diener? Das wäre noch keine Schurkerei! Weggelaufen ist mir – meine Nase –« »Hm! Ein seltsamer Name! Und hat dieser Herr Nasow Ihnen eine große Summe mitgenommen?« »Nase – damit meine ich – es wird Ihnen unglaublich vorkommen! Meine eigene Nase ist mir abhanden gekommen, und ich weiß nicht, wohin; der Teufel hat mir einen argen Streich spielen wollen!« »Ja, auf welche Weise ist sie Ihnen denn abhanden gekommen? Die Sache kommt mir doch ein wenig unbegreiflich vor.« [19]»Das kann ich Ihnen nicht sagen, auf welche Weise; aber die Hauptsache ist, daß sie jetzt in der Stadt herumkutschiert und sich Staatsrat nennt. Und darum möchte ich Sie bitten, bekanntzumachen, daß derjenige, der sie fängt, sie mir so schnell wie möglich zustellen möchte. Sie werden doch wohl begreifen, daß ich einen so hervorragenden Körperteil nicht entbehren kann! Das ist keine kleine Zehe, die sich im Stiefel versteckt – da sieht's kein Mensch, wenn einem die fehlt. Ich besuche des Donnerstags die Soiree der Staatsrätin Tschechtarew, und die Frau des Stabsoffiziers, Pelagia Grigorjewna Podtotschin, die eine sehr hübsche Tochter hat, ebenfalls eine sehr gute Bekannte von mir, und Sie werden begreifen, daß ich mich jetzt – so kann ich mich doch nicht vor ihnen sehen lassen!« Der Beamte dachte tief nach, was die fest zusammengepreßten Lippen bewiesen. »Nein, eine solche Bekanntmachung kann ich in die Zeitung nicht aufnehmen«, sagte er endlich nach langem Schweigen.

»Wie? Warum?« »Ja, dadurch könnte die Zeitung um ihren Ruf kommen. Wenn da jeder hineinsetzen könnte, seine Nase sei ihm fortgelaufen, dann ... Man sagt ohnehin schon, daß allerlei Unsinn und Lügen darin ständen.« »Aber dies hier ist doch kein Unsinn. Mir scheint, daß darin nichts dergleichen ist.« »Ja, Ihnen mag das so scheinen. Da hatten wir in der vorigen Woche einen ähnlichen Fall. Kommt da just wie Sie ein solcher Beamter zu uns mit einem Zettel – das Inserat machte zwei Rubel dreiundsiebzig Kopeken –, und die ganze Bekanntmachung bestand darin, daß ein schwarzer Pudel davongelaufen sei. Scheint es, daß etwas Besonderes dabei wäre? Es hat sich aber gezeigt, daß es ein Pasquill war; mit diesem[20]Pudel war ein gewisser Kassierer gemeint – ich erinnere mich nicht mehr welcher Anstalt.« »Aber ich fahnde hier ja nicht nach einem Pudel, sondern nach meiner eigenen Nase – und das ist doch fast dasselbe wie nach mir selbst.« »Nein, ein solches Inserat kann ich durchaus nicht annehmen.« »Aber wenn ich doch wirklich meine Nase verloren habe?« »Wenn das der Fall ist, so ist es eine Sache, die den Arzt angeht. Es soll ja Ärzte geben, die jede beliebige Nase ansetzen können. Allein ich sehe schon, Sie sind ein lustiger Herr und lieben es, Späße zu machen.« »Ich schwöre Ihnen – so wahr Gott heilig ist! Übrigens, wenn es schon soweit gekommen ist, kann ich Ihnen ja auch zeigen –« »Warum sollen Sie sich bemühen!« fuhr der Beamte fort und nahm eine Prise. »Doch, wenn es Ihnen nicht unangenehm ist«, fügte er neugierig hinzu, »so möchte ich wohl gerne sehen.« Der Kollegien-Assessor nahm das Tuch vom Gesicht. »In der Tat, höchst merkwürdig«, sagte der Beamte, »die Nasenstelle ist vollständig glatt, so glatt wie eine frischgebackene Plinse. Es ist kaum zu glauben.« »Nun, jetzt werden Sie doch wohl nicht mehr streiten wollen? Sie sehen selbst, die Sache muß in die Zeitung. Ich würde Ihnen zu ganz besonderem Dank verpflichtet sein und freue mich, daß dieser Anlaß mir das Vergnügen verschafft hat, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Wie aus diesen Worten zu ersehen, beschloß der Major, es mit der Liebenswürdigkeit zu versuchen.

»Die Veröffentlichung ist schließlich eine Sache ohne Belang«, sagte der Beamte; »nur sehe ich nicht ein, was für einen Nutzen es für Sie haben könnte. Wollen Sie nicht lieber irgend jemandem, der eine[21]gewandte Feder führt, den Vorfall erzählen, damit er ihn als ein seltnes Naturereignis schildert? Er kann dann diesen Aufsatz in der ›Nordischen Biene‹ (hier nahm er sich wieder eine Prise) abdrucken lassen, zur Belehrung der Jugend (hier putzte er sich die Nase) oder auch zur Unterhaltung des Publikums.« Der Kollegien-Assessor ließ alle Hoffnungen fahren. Er warf einen Blick in ein vor ihm liegendes Zeitungsblatt, das die Ankündigungen der Theatervorstellungen enthielt; schon verbreitete sich über sein Gesicht ein Lächeln, da er den Namen einer Schauspielerin, einer hübschen Person, las. Und er faßte schon in die Tasche, um nachzusehen, ob er eine Fünfrubelnote bei sich habe, da nach seiner Meinung die Stabsoffiziere im Parkett sitzen müssen, aber der Gedanke an die Nase verdarb alles wieder.

Selbst der Beamte schien durch die bedrängte Lage Kowalows gerührt. Um ihm seinen Kummer soviel als möglich zu erleichtern, hielt er es für angemessen, ihm seine Teilnahme auszudrücken: »Wirklich, es geht mir sehr nahe, daß Ihnen diese Anekdote passieren mußte. Wollen Sie nicht ein Prischen nehmen? Das vertreibt das Kopfweh und alle schwermütigen Gedanken; selbst gegen Hämorrhoiden ist der Schnupftabak ein gutes Mittel!« Und mit diesen Worten hielt der Beamte Kowalow seine Tabaksdose hin, auf deren Deckel eine Dame mit Hut abgebildet war.

Diese Unbedachtsamkeit brachte Kowalow um seine Geduld.

»Ich begreife nicht, wie Sie sich einen solchen Scherz erlauben können«, sagte er wütend; »sehen Sie denn nicht, daß mir gerade das fehlt, was zum Prisennehmen unerläßlich ist? Hol' der Teufel Ihren Tabak. Ich kann ihn jetzt nicht einmal sehen, nicht nur Ihren schlechten Beresiner, sondern auch wenn man mir sogar Rapé anbieten würde.« Und mit diesen Worten[22]ging er ganz wütend aus der Zeitungsexpedition hinaus und begab sich zu dem Polizei-Inspektor.


Teil 1

[3]Am 25. März ereignete sich in Petersburg eine ganz ungewöhnliche, seltsame Begebenheit. Der auf dem Himmelfahrtsprospekt wohnende Barbier Iwan Jakowlewitsch (der Familienname war ihm verlorengegangen, und sogar auf seinem Schilde, das einen Herrn mit einer eingeseiften Wange darstellte, war weiter nichts zu lesen als die Aufschrift: » ... und wird zur Ader gelassen«) – also, der Barbier Iwan Jakowlewitsch erwachte ziemlich früh und spürte den Duft frischgebackenen Brotes. Er richtete sich in seinem Bett ein wenig auf und sah, daß seine Frau, eine ziemlich ehrenwerte Dame, die sehr gern Kaffee trank, aus dem Ofen soeben ausgebackene Brote zog.

»Heute, Praskowja Ossipowna, will ich keinen Kaffee«, sagte Iwan Jakowlewitsch; »statt dessen möchte ich warmes Brot mit Zwiebeln essen.« (Das heißt, Iwan Jakowlewitsch wollte gern beides, aber er wußte, daß es vollständig unmöglich war, beides zugleich zu erlangen, denn Praskowja Ossipowna mochte derartige Gelüste durchaus nicht leiden.) Mag der Dummkopf meinetwegen nur Brot essen, um so besser für mich, dachte sein Ehegespons; dann bleibt für mich noch eine Portion Kaffee übrig, und warf ein Brot auf den Tisch.

Iwan Jakowlewitsch zog anstandshalber einen Frack über das Hemd, setzte sich an den Tisch, schüttete sich Salz aus, machte sich zwei Zwiebelköpfe zurecht, nahm[4]das Messer zur Hand, zog ein bedeutsames Gesicht und begann das Brot zu schneiden. Nachdem er das Brot in zwei Hälften geschnitten, sah er mitten hinein – und zu seinem großen Erstaunen erblickte er etwas Weißliches. Iwan Jakowlewitsch stocherte vorsichtig mit dem Messer daran herum und befühlte es mit dem Finger. »Ganz fest!« murmelte er in den Bart, »was mag denn das sein?« Er steckte die Finger hinein und zog – eine Nase heraus! ... Da ließ Iwan Jakowlewitsch die Hände sinken, begann sich die Augen zu reiben und zu tasten: Eine Nase, wirklich eine Nase! und noch obendrein schien es die Nase eines Bekannten zu sein. Entsetzen malte sich auf Iwans Gesicht, aber dieses Entsetzen war noch nichts gegen den Abscheu, der sich seiner Gattin bemächtigte.

»Wo hast du denn diese Nase abgeschnitten, du Vieh?« schrie sie zornig. »Du Halunke! du Trunkenbold! ich selbst werde dich der Polizei anzeigen! Ein solcher Spitzbube! Schon von drei Herren habe ich gehört, daß du während des Rasierens so an der Nase zerrst, daß sie kaum sitzen bleibt!« Aber Iwan Jakowlewitsch war mehr tot als lebendig; er erkannte, daß diese Nase keinem andern gehören konnte als dem Kollegien-Assessor Kowalow, den er jeden Mittwoch und Sonntag rasierte. »Wart, Praskowja Ossipowna! ich wickele sie in ein Läppchen und lege sie in die Ecke; da mag sie ein Weilchen liegen bleiben, dann werde ich sie fortschaffen.« »Nichts da! Was, ich sollte hier in meinem Zimmer eine abgeschnittene Nase haben! So'n vertrockneter Zwieback! Versteht weiter nichts, als nur immer mit dem Rasiermesser über den Riemen zu streichen; aber seine Pflicht tun, das wird er bald gar nicht mehr imstande sein, der Herumtreiber, der Taugenichts! Soll[5]ich etwa bei der Polizei für dich alles verantworten? ... Ach du Schmierer, du einfältiger Klotz! Hinaus damit! Hinaus! Bringe sie, wohin du willst! Daß ich sie hier nicht mehr vor Augen habe!« Iwan Jakowlewitsch stand da wie erschlagen. Er dachte nach und dachte nach – und wußte nicht, was er denken sollte. »Der Teufel mag wissen, wie das zugegangen ist«, sagte er endlich, sich hinter den Ohren krauend; »ob ich gestern abend betrunken nach Hause gekommen bin oder nicht, das weiß ich wirklich nicht mehr, aber allem Anschein nach ist dieses eine ganz ungewöhnliche Begebenheit, denn ein Brot ist doch etwas Gebackenes, und eine Nase etwas anderes. Das verstehe ich nicht!« Iwan Jakowlewitsch verstummte. Der Gedanke, die Polizei könnte bei ihm eine Nase finden und ihn verklagen, nahm ihm alle Besinnung. Schon flimmerte ihm ein roter Kragen mit silbernen Tressen vor den Augen, ein Degen – und er bebte am ganzen Leibe. Schließlich nahm er seine Hosen und Schuhe, zog all das Zeug an, und von den nachdrücklichen Ermahnungen Praskowja Ossipownas begleitet, wickelte er die Nase in einen Lappen und ging hinaus auf die Straße.

Er wollte sie irgendwo heimlich unterschieben: entweder unter den Eckstein am Tor oder sie ganz unbemerkt irgendwo verlieren und dann in einer Querstraße verschwinden. Aber zum Unglück begegnete er immer wieder irgendeinem Bekannten, der gleich mit der Frage begann: »Wohin denn, Iwan Jakowlewitsch?« oder »Wen hast du schon in so früher Morgenstunde rasiert?« usw., so daß Iwan Jakowlewitsch nirgends eine passende Gelegenheit finden konnte. Ein andermal hatte er die Nase bereits fallen lassen, aber ein Wachmann zeigte sie ihm schon von ferne mit seiner Hellebarde und sagte: »Heb es auf, da hast du etwas fallen lassen!« und Iwan Jakowlewitsch blieb[6]nichts anderes übrig, als die Nase wieder aufzuheben und sie in seine Tasche zu stecken. Verzweiflung begann sich seiner zu bemächtigen und das um so mehr, als es auf der Straße immer belebter wurde und man die Kaufläden und Magazine zu öffnen begann.

Da beschloß er, nach der Isaaksbrücke zu gehen: vielleicht glückte es ihm, sie dort in die Newa zu werfen ... Aber ich muß mich ein wenig schuldig bekennen, daß ich bis jetzt noch nichts von Iwan Jakowlewitsch, diesem in vielen Beziehungen so ehrenwerten Manne gemeldet habe.

Wie jeder rechtschaffene russische Handwerker war Iwan Jakowlewitsch ein schrecklicher Trunkenbold, und obgleich er täglich fremde Gesichter rasierte, so war doch sein eigenes ewig unrasiert. Sein Frack (einen Rock trug er niemals) war ganz scheckig, das heißt, er war schwarz, aber ganz mit braunen und grauen Flecken besät; der Kragen glänzte, und statt der drei Knöpfe waren nur noch die Fädchen zu sehen. Iwan Jakowlewitsch war ein großer Zyniker, und wenn der Kollegien-Assessor Kowalow, wie das seine Gewohnheit war, beim Rasieren zu ihm sagte: »Deine Hände, Iwan Jakowlewitsch, riechen ja immer!« so antwortete Iwan Jakowlewitsch auf diese Bemerkung: »Wonach sollten sie denn riechen?« – »Das weiß ich nicht, Freundchen, aber sie riechen«, entgegnete der Kollegien-Assessor, und Iwan Jakowlewitsch nahm eine Prise und seifte ihn dafür auf der Wange, der Oberlippe, hinter den Ohren und unter dem Kinn, kurz, überall wo es ihm gefiel, ein.

Dieser ehrenwerte Bürger stand also jetzt auf der Isaaksbrücke. Zunächst schaute er sich um, dann lehnte er sich ans Geländer, als wollte er nur hinuntersehen, um zu sehen, ob viele Fische vorüberschwämmen, und warf ganz heimlich das Läppchen mit der Nase hinab. Es war ihm zumute, als sei ihm mit einemmal[7]eine Zentnerlast vom Herzen genommen, ja Iwan Jakowlewitsch lachte sogar fröhlich auf. Statt nun zu gehen, um Beamtengesichter zu rasieren, wandte er seine Schritte einer Anstalt zu, auf deren Schild »Speisen und Tee« ausgeboten wurden, um ein Glas Punsch zu trinken – als er plötzlich am andern Ende der Brücke einen Polizei-Inspektor von imponierendem Äußern mit großem Backenbart, dreieckigem Hut und Degen an der Seite gewahrte. Er war einer Ohnmacht nahe; der Polizei-Inspektor aber winkte ihm mit der Hand und sprach: »Komm doch mal her, mein Lieber.« Iwan Jakowlewitsch wußte, was sich gehört, nahm schon von weitem seine Mütze ab, ging auf den Polizei-Inspektor zu und sagte: »Ich wünsche Euer Hochwohlgeboren das beste Wohlbefinden.« »Ach was Hochwohlgeboren, sage mir, Freundchen, was hast du da gemacht, als du auf der Brücke standest?« »Bei Gott, gnädiger Herr, ich war auf dem Wege zu meinen Kunden und wollte nur sehen, ob der Fluß schnell fließt.« »Du lügst, du lügst! Damit kannst du dich nicht herausreden. Antworte nur!« »Ich will Euer Gnaden zweimal wöchentlich, ja sogar dreimal ohne alle Widerrede rasieren«, antwortete Iwan Jakowlewitsch. »Nein, Freund, mach keine Geschichten! Mich rasieren schon drei Barbiere, und die rechnen es sich noch zur größten Ehre an. Also heraus damit: Was hast du dort gemacht?« Iwan Jakowlewitsch erbleichte ... Aber hier verschwindet die Begebenheit völlig im Nebel, und was weiter geschah, ist nicht bekannt geworden. [8]Der Kollegien-Assessor Kowalow wachte ziemlich früh auf, machte »brr brr!« – was er übrigens immer tat, sobald er aufwachte, wenn er sich auch die Ursache nicht zu erklären vermochte. Kowalow reckte sich und ließ sich einen kleinen auf dem Tische stehenden Spiegel geben. Er wollte nach dem Hitzbläschen sehen, das ihm gestern abend auf der Nase entstanden war. Aber zu seinem größten Erstaunen bemerkte er, daß er statt der Nase nur eine vollständig glatte Stelle im Gesicht hatte! Im höchsten Grad erschreckt ließ sich Kowalow Wasser reichen und rieb sich mit einem Handtuch die Augen: Wirklich, er hatte keine Nase mehr! Er begann sich mit den Händen zu befühlen, er kniff sich, um sich zu überzeugen, ob er nicht schliefe. Nein, allem Anschein nach schlief er nicht mehr! Da sprang der Kollegien-Assessor Kowalow aus dem Bett und schüttelte sich – Nein, keine Nase mehr! ... Er ließ sich sofort die Kleider geben und eilte dann geradeswegs zu dem Oberpolizeimeister.

Aber zunächst müssen wir unbedingt einiges über Kowalow mitteilen, damit der Leser weiß, was für ein Mann denn dieser Kollegien-Assessor eigentlich ist. Die Kollegien-Assessoren, welche diesen Titel auf Grund von Prüfungszeugnissen erlangen, dürfen durchaus nicht mit jenen Kollegien-Assessoren verglichen werden, die zu ihrem Rang im Kaukasus befördert worden sind. Das sind zwei vollständig verschiedene Arten von Kollegien-Assessoren. Kollegien-Assessoren – aber Rußland ist ein so wunderliches Land, daß, wenn man von einem Kollegien-Assessor spricht, sämtliche andere Kollegien-Assessoren von Riga bis Kamtschatka unfehlbar alles auf ihre eigene Person beziehen; dasselbe gilt übrigens von allen andern Ämtern und Titeln. Kowalow war ein kaukasischer[9]Kollegien-Assessor. Er war erst zwei Jahre in dieser Stellung, und so konnte er sie auch jetzt noch nicht vergessen. Um sich aber mehr Ansehen und Bedeutung zu geben, nannte er sich niemals Kollegien-Assessor, sondern stets Major.

»Höre, meine Liebe«, pflegte er zu sagen, wenn er auf der Straße einer alten Frau begegnete, die Vorhemdchen verkaufte, »gehe mal nach meiner Wohnung, sie befindet sich in der Gartenstraße, frage nur: Wohnt hier der Major Kowalow? Jeder wird dir's zeigen.« Begegnete er aber einem hübschen Mädchen, so gab er ihr außerdem noch einen geheimen Auftrag, indem er hinzufügte: »Frage, mein Herzchen, nach der Wohnung des Majors Kowalow.« Aus diesem Grunde wollen wir von jetzt an den Kollegien-Assessor Major titulieren. Der Major Kowalow hatte die Gewohnheit, täglich auf dem Newski-Prospekt spazierenzugehen. Der Kragen seines Vorhemdchens war immer außerordentlich sauber und steif gestärkt. Sein Backenbart glich in seinem ganzen Zuschnitt demjenigen, wie ihn gegenwärtig noch die Gouvernements- und Kreisgeometer sowie die Architekten und Regimentsärzte, wie auch Leute, die allerlei Ämter bekleiden, und überhaupt alle diejenigen tragen, die volle rote Wangen haben und sehr gut Boston spielen. Diese Backenbärte gehen mitten über die Wange und direkt auf die Nase zu. Major Kowalow trug eine Menge Karneolpetschafte, auf denen teils Wappen, teils die Wörter Mittwoch, Donnerstag, Montag usw. eingegraben waren. Major Kowalow war nach Petersburg gekommen, um sich eine seinem Range entsprechende Stellung zu suchen, wenn es gelänge, eines Vizegouverneurs; im anderen Falle die eines Exekutors bei irgendeiner wichtigen Abteilung. Major Kowalow war auch nicht abgeneigt zu heiraten, aber nur eine solche Dame, die ihm ein[10]Kapital von Zweimalhunderttausend zubringen würde. Somit kann nun der Leser selbst urteilen, in welcher Situation unser Major sich befand, als er bemerkte, daß er da statt einer gar nicht üblen regelmäßigen Nase eine ganz einfältige, gleichmäßige glatte Stelle hatte.

Zum Unglück war auf der Straße nicht ein einziger Kutscher zu sehen, und so mußte er zu Fuß gehen, wobei er sich in seinen Mantel hüllte, und das Taschentuch vor das Gesicht hielt, sich stellend, als blute ihm die Nase. Aber vielleicht ist's mir nur so vorgekommen, dachte er und trat in eine Konditorei, um in einem Spiegel nachzusehen. Glücklicherweise war augenblicklich niemand in der Konditorei; Burschen reinigten das Zimmer und stellten Stühle und Tische zurecht. Einige andere trugen mit verschlafenen Gesichtern auf Tabletten noch warme Kuchen herbei; auf Stühlen und Tischen lagen noch die mit Kaffee begossenen gestrigen Zeitungen. »Nun Gott sei Dank, es ist niemand hier«, sagte er, »da kann ich nachsehen.« Und scheu trat er an einen Spiegel und blickte hinein. »Mag der Teufel wissen, was das für eine scheußliche Sache ist«, rief er und spuckte aus; »wenn da wenigstens statt der Nase sonst etwas da wäre, aber nichts, gar nichts!« Ärgerlich biß er sich in die Lippe, verließ die Konditorei und beschloß, niemanden, ganz wider seine Gewohnheit, auf der Straße anzusehen oder anzulächeln. Da plötzlich stand er wie angewurzelt vor einer Haustür; dort ging etwas ganz Ungewöhnliches vor. An der Einfahrt hielt ein Wagen, der Schlag wurde geöffnet, und heraus trat in gebückter Haltung ein Herr in Uniform und eilte die Treppe hinan. Wie groß war Kowalows Schrecken und Erstaunen, als er bemerkte, daß dieser Herr – seine eigene Nase war. Bei dieser außerordentlichen Erscheinung war es ihm, als ob alles um[11]ihn herum sich drehte; er fühlte, daß er sich kaum auf den Beinen zu halten vermochte; allein er beschloß – am ganzen Leibe bebend, als hätte er das Fieber – unter allen Umständen zu warten, bis die Nase in den Wagen zurückkehren würde. Nach Verlauf von zwei Minuten kam die Nase wirklich wieder heraus. Sie war in goldgestickter Uniform mit großem Stehkragen; sie trug sämischlederne Beinkleider, und an der Seite hing ein Degen. Der mit Federbusch geschmückte Hut ließ vermuten, daß sie den Rang eines Staatsrats bekleide. An allem war zu erkennen, daß sie Besuche machte. Sie sah sich nach beiden Seiten um, rief dem Kutscher zu: »Weiter!« setzte sich in den Wagen und fuhr davon.

Der arme Kowalow hätte beinahe den Verstand verloren. Er wußte nicht, was er von dieser seltsamen Begebenheit denken sollte. Und in der Tat, wie war es möglich, daß die Nase, welche er noch gestern im Gesicht gehabt und die weder gehen noch fahren konnte, in Uniform steckte! Er lief dem Wagen nach, der glücklicherweise in geringer Entfernung vor der Kasankathedrale wieder haltmachte.

Er eilte hinterher, drängte sich durch einen Haufen Bettelweiber mit verbundenen Gesichtern und zwei Öffnungen für die Augen, über die er sich früher so oft lustig gemacht hatte. Es waren nur wenige Men schen zugegen. Kowalow war in so aufgeregtem Zustande, daß er sich zu nichts entschließen konnte, und überall suchten seine Augen nach diesem Herrn. Endlich sah er ihn abseits stehen. Die Nase hatte ihr Gesicht vollständig in ihren großen Stehkragen gesteckt und betete mit größter Andacht.

Wie könnte ich wohl zu ihr gelangen, dachte Kowalow. Alles – die Uniform, der Hut – kurz, alles beweist, daß sie ein Staatsrat ist. Der Teufel mag wissen, wie das zu machen ist.

[12]Er begann um die Nase herumzuhüsteln, aber sie veränderte nicht für eine Minute ihre Stellung.

»Hochgeehrter Herr«, sprach Kowalow, sich Mut machend, »hochgeehrter Herr – –« »Was wünschen Sie?« antwortete die Nase und wandte sich um. »Es kommt mir seltsam vor, sehr geehrter Herr ... mir scheint ... Sie sollten doch ihren Standort kennen ... und da finde ich Sie auf einmal ... und wo? ... urteilen Sie selbst ...« »Verzeihen Sie, ich begreife gar nicht, wovon Sie reden ... Erklären Sie sich deutlicher.« Wie soll ich mich ihr denn noch deutlicher erklären? dachte Kowalow, und neuen Mut fassend, fuhr er fort: »Natürlich ... Übrigens bin ich Major. Ohne Nase herumgehen, das werden Sie zugeben, ist unschicklich. So eine Händlerin, die auf der Himmelfahrtsbrücke Apfelsinen verkauft, kann sich ohne Nase behelfen; aber da ich die Absicht habe, und ... übrigens bin ich in vielen Häusern mit vornehmen Damen sehr genau bekannt – mit Frau Staatsrätin Tschechtarew und vielen anderen ... Sie sehen also selbst ... ich weiß nicht, geehrter Herr, was Sie ... (hier zuckte der Major die Achseln) ... Verzeihen Sie ... verträgt sich das mit den Regeln von Pflicht und Ehre – – Sie werden selbst begreifen – –« »Ich begreife gar nichts«, antwortete die Nase. »Erklären Sie sich deutlicher.« »Hochgeehrter Herr«, sprach Kowalow im Gefühl seiner eigenen Pflicht, »ich weiß nicht, wie ich Ihre Worte verstehen soll ... Mir scheint doch, die ganze Sache ist hier so augenfällig wie möglich ... Oder wollen Sie ... Aber – Sie sind ja doch – meine eigene Nase!« Die Nase sah den Major an und runzelte die Stirn. »Da irren Sie, geehrter Herr; ich bin ich selbst. [13]Und zudem kann es zwischen uns keinerlei enge Beziehungen geben. Nach den Knöpfen ihrer Uniform zu urteilen, müssen Sie bei einem ganz andern Ressort Dienst tun.« Und mit diesen Worten wandte die Nase sich ab.

Kowalow verlor vollständig den Kopf; er wußte nicht, was er tun, und noch weniger, was er denken sollte. In diesem Augenblick hörte er das angenehme Rauschen eines Damenkleides; da kam eine ältliche Dame daher, ganz in Spitzen, und mit ihr eine andere schlanke, angetan mit einem weißen Kleide, das ihre schöngewachsene Gestalt lieblich hervortreten ließ; auf dem Kopf hatte sie einen leichten hellgelben Hut. Hinter den Damen schritt ein langer Heiduck mit langem Backenbart und einem ganzen Dutzend Kragen und öffnete seine Schnupftabaksdose.

Kowalow trat näher, zog den batistnen Kragen seines Vorhemdchens in die Höhe, ordnete seine an der goldenen Uhrkette hängenden Petschafte und wandte, nach allen Seiten hin lächelnd, seine Aufmerksamkeit der zierlichen Dame zu, die sich gleich einer Frühlingsblume leicht verneigte und das weiße Händchen mit den halb durchsichtigen Fingern zur Stirn hob. Das Lächeln auf Kowalows Gesicht verbreitete sich noch, als er unter dem Rande ihres Hutes das runde Kinn und einen Teil der Wange gewahrte, die wie eine Frühlingsrose glühte. Aber plötzlich sprang er zurück, als hätte er sich verbrannt. Er erinnerte sich, daß er ja statt der Nase nur eine glatte Stelle im Gesicht hatte, und die Tränen strömten ihm über die Wangen. Er wandte sich ab, um dem Herrn in der Uniform gerade ins Gesicht zu sagen, daß er nur Staatsrat spiele – daß er ein Schelm und Halunke und weiter nichts sei als seine eigene Nase ... Aber die Nase war nicht mehr da; sie war bereits davongefahren, wahrscheinlich, um wieder irgendwo einen Besuch zu machen.

[14]Das brachte Kowalow zur Verzweiflung. Er ging hinaus, blieb einen Augenblick unter der Kolonnade stehen und blickte sich nach allen Seiten um, ob nicht irgendwo die Nase zu sehen sei. Er erinnerte sich sehr wohl, daß sie auf dem Kopfe einen Hut mit Federbusch und eine goldgestickte Uniform anhatte; aber den Mantel hatte er nicht beachtet, und auch die Farbe des Wagens und der Pferde war ihm nicht mehr im Gedächtnis; ja er wußte nicht einmal mehr, ob hinten auf dem Wagen ein Lakai gestanden und in welcher Livree. Zudem fuhren noch so viele Wagen hin und her und obendrein mit solcher Schnelligkeit, daß es schwer war, sie voneinander zu unterscheiden. Und hätte er auch den rechten unter denselben bemerkt – er hatte ja gar kein Mittel, ihn anzuhalten. Es war ein schöner sonnenheller Tag, und auf dem Newski-Prospekt wimmelte es von Menschen. Ein Blütenstrom von Damen ergoß sich über das ganze Trottoir von der Polizeibrücke bis zur Anitschkinbrücke. Da kommt auch sein guter Bekannter, der Hofrat, auf ihn zu, den er Oberstleutnant zu titulieren pflegte namentlich dann, wenn Fremde zugegen waren. Da ist ferner Jaryschkin, der Vorsteher einer Abteilung des Senats, sein intimer Freund, der des Abends beim Boston stets verliert, wenn er Acht spielt. Und da winkt ihn ein anderer Major, der seinen Assessorenrang im Kaukasus erlangt hat, mit der Hand zu sich ... »Ach, hol's der Teufel!« sagte Kowalow, »heda, Kutscher, fahre mich direkt zum Polizeimeister!« Kowalow setzte sich in eine Droschke und schrie dem Kutscher zu: »Fahr los, wie der Blitz!« »Ist der Polizeimeister zu Hause?« schrie er, in den Hausflur tretend. »Nein, nicht zu Hause«, antwortete der Portier; »soeben ausgegangen.« »Ach, wie dumm!« [15]»Ja«, fuhr der Portier fort, »soeben erst fortgegangen; wären Sie nur eine kleine Minute früher gekommen, so hätten Sie ihn vielleicht noch zu Hause getroffen.« Ohne das Tuch vom Gesicht zu nehmen, setzte sich Kowalow wieder in die Droschke und schrie mit verzweiflungsvoller Stimme: »Fort, weiter!« »Wohin?« fragte der Kutscher. »Gradeaus!« »Wie das – geradeaus? Da kreuzen sich ja zwei Straßen – soll ich rechts oder links fahren?« Diese Frage nötigte Kowalow wieder nachzudenken. In seiner Lage galt es vor allem, sich an die Polizeiverwaltung zu wenden, nicht als ob er zu der Polizei in direkter Beziehung gestanden hätte, sondern weil ihre Anordnungen viel schneller ausgeführt wer den als die der anderen Behörden. Bei den Vorgesetzten desjenigen Ressorts, bei welchem die Nase angestellt war, Genugtuung zu suchen, wäre ein ganz unvernünftiges Bemühen gewesen, da er aus den eigenen Antworten der Nase bereits den Schluß hatte ziehen können, daß diesem Menschen nichts heilig war und daß er in diesem Falle wieder ebenso lügen könnte, wie er bereits früher gelogen hatte, als er behauptete, daß er ihn, Kowalow, nie gesehen habe. Und so wollte Kowalow dem Kutscher schon den Befehl erteilen, sofort nach dem Polizeiamt zu fahren, als ihm wieder der Gedanke kam, dieser Schelm und Halunke, der sich schon bei der ersten Begegnung in so gewissenloser Weise benommen, könnte ein zweites Mal die Gelegenheit wahrnehmen und aus der Stadt entwischen – und dann waren alle Nachforschungen fruchtlos oder konnten sich doch, wovor Gott behüten möge, einen ganzen Monat lang hinziehen. Da endlich schien der Himmel ihn selbst zu erleuchten. Er beschloß, sich sofort zur Zeitungsexpedition zu[16]begeben, um so schnell wie möglich unter ausführlicher Beschreibung all seiner Eigenschaften die Sache bekannt zu machen, damit jeder, dem er begegnete, ihn sofort anhalten und ihm zuführen oder ihm wenigstens seinen Aufenthaltsort angeben könnte. Nachdem er diesen Plan reiflich erwogen, befahl er dem Kutscher nach der Zeitungsexpedition zu fahren, und hörte auf dem ganzen Wege nicht auf, ihn mit der Faust in den Rücken zu stoßen und ihm zuzurufen: »Schneller, du Tagedieb! Schneller, du Hundsfott!« »Ach, gnädiger Herr«, sprach der Kutscher mit dem Kopfe schüttelnd und sein Pferd, dessen Haar so lang war wie bei einem Bologneserhündchen, mit den Zügeln schlagend. Endlich hielt die Droschke an, und nachdem Kowalow ein wenig zu Atem gekommen, eilte er in das kleine Vorzimmer, wo ein grauköpfiger Beamter in einem alten Frack und mit einer Brille auf der Nase an einem Tische saß und mit der Feder zwischen den Zähnen eingenommene Kupfermünzen zählte.

»Wer nimmt hier Bekanntmachungen an?« schrie Kowalow. »Ah! Guten Tag!« »Ihr Diener!« sprach der grauköpfige Beamte aufblickend und dann die Augen sofort wieder auf den Geldhaufen vor sich senkend. »Ich möchte eine Bekanntmachung ...« »Bitte, warten Sie noch ein wenig«, sagte der Beamte, mit der Rechten eine Zahl auf das Papier schreibend und mit der Linken zwei Kugeln auf der Rechenmaschine weiterschiebend. Ein Lakai, dessen Goldborten und sonstiges saubere Äußere bewiesen, daß er in einem aristokratischen Hause diente, stand neben dem Tisch mit einem Zettel in der Hand und hielt es für angemessen zu beweisen, daß er ein geselliger Mensch sei. »Wollen Sie's wohl glauben«, sagte er, »daß das Hündchen keine achtzig Kopeken wert ist[17]– das heißt, ich würde nicht einmal acht dafür geben; aber die Gräfin ist ganz verliebt darein, bei Gott, so verliebt – und da bekommt hundert Rubel, wer es findet. Soll ich Ihnen aufrichtig etwas sagen, nämlich unter uns, die Geschmäcker der Leute sind ganz unvereinbar: wenn man schon Hundeliebhaber ist, so soll man sich einen Hühnerhund halten oder einen Pudel; dann soll's einem auch nicht leid tun, wenn er fünfhundert oder gar tausend Rubel kostet, dafür muß es aber dann schon ein schöner Hund sein.« Der würdige Beamte hörte diese Mitteilungen mit bedeutsamer Miene an und berechnete gleichzeitig, wieviel Buchstaben die Anzeige enthalte. Neben dem Lakai stand noch eine ganze Menge von Frauen, Ladendienern und Dienstpersonal mit Zetteln. Der eine hatte einen Kutscher abzugeben, der sich durch Nüchternheit auszeichnet; der andere wünschte eine wenig gebrauchte Kalesche zu verkaufen, die im Jahre 1814 aus Paris gekommen sei; ein neunzehnjähriges Mädchen wurde angeboten, das sich auf Wäsche und andere Arbeiten verstand; eine feste Droschke ohne Federn, ein junger feuriger Apfelschimmel, siebzehn Jahre alt, frischer, aus London eingetroffener Rüben-und Rettichsamen, ein Landhaus mit allem Zubehör, Pferdeställen und einem freien Raum, der sich zur Anlegung eines Birken- oder Tannenhains eigne; noch ein anderer forderte alle diejenigen, welche alte Schuhsohlen zu kaufen wünschten, auf, sich täglich zwischen acht und drei Uhr morgens da und dort einzufinden, um den Preis zu erfragen. Der Raum, in dem diese ganze Gesellschaft sich aufhielt, war sehr klein und die Luft darin außerordentlich dumpf; aber dem Kollegien-Assessor Kowalow vermochte der Geruch nichts anzuhaben, da er sein Taschentuch vors Gesicht gedrückt hatte und seine Nase sich ja Gott weiß wo befand.

[18]»Mein geehrter Herr, erlauben Sie mir, Sie zu bitten – ich habe große Eile«, sagte er endlich mit einiger Ungeduld.

»Sogleich, sogleich! – Zwei Rubel dreiundvierzig Kopeken. – Einen Augenblick! – Ein Rubel vierundsechzig Kopeken!« sprach der grauköpfige Herr, den Dienern und alten Weibern die Zettel ins Gesicht werfend. »Nun, was wünschen Sie denn?« fragte er endlich, sich an Kowalow wendend.

»Ich möchte – –« begann Kowalow, »es ist mir da eine Nichtswürdigkeit, eine Schurkerei angetan worden – und bis jetzt konnte ich es noch nicht herauskriegen. Da möchte ich Sie bitten, in Ihre Zeitung die Bekanntmachung einzurücken, daß derjenige, der mir diesen Schuft dingfest macht, eine ausreichende Belohnung erhalten würde.« »Darf ich fragen, wie Ihr werter Name ist?« »Wozu den Namen? Den kann ich Ihnen nicht sagen. Ich habe viele Bekannte, die Staatsrätin Tschechtarew, die Frau des Stabsoffiziers, Pelagia Grigorjewna Podtotschin ... die würden es ja sofort erfahren und da sei Gott vor! Sie können ja einfach schreiben: ein Kollegien-Assessor, oder noch besser: ein Herr mit Majorsrang.« »Und war der davongelaufene Bursche ihr Diener?« »Was für ein Diener? Das wäre noch keine Schurkerei! Weggelaufen ist mir – meine Nase –« »Hm! Ein seltsamer Name! Und hat dieser Herr Nasow Ihnen eine große Summe mitgenommen?« »Nase – damit meine ich – es wird Ihnen unglaublich vorkommen! Meine eigene Nase ist mir abhanden gekommen, und ich weiß nicht, wohin; der Teufel hat mir einen argen Streich spielen wollen!« »Ja, auf welche Weise ist sie Ihnen denn abhanden gekommen? Die Sache kommt mir doch ein wenig unbegreiflich vor.« [19]»Das kann ich Ihnen nicht sagen, auf welche Weise; aber die Hauptsache ist, daß sie jetzt in der Stadt herumkutschiert und sich Staatsrat nennt. Und darum möchte ich Sie bitten, bekanntzumachen, daß derjenige, der sie fängt, sie mir so schnell wie möglich zustellen möchte. Sie werden doch wohl begreifen, daß ich einen so hervorragenden Körperteil nicht entbehren kann! Das ist keine kleine Zehe, die sich im Stiefel versteckt – da sieht's kein Mensch, wenn einem die fehlt. Ich besuche des Donnerstags die Soiree der Staatsrätin Tschechtarew, und die Frau des Stabsoffiziers, Pelagia Grigorjewna Podtotschin, die eine sehr hübsche Tochter hat, ebenfalls eine sehr gute Bekannte von mir, und Sie werden begreifen, daß ich mich jetzt – so kann ich mich doch nicht vor ihnen sehen lassen!« Der Beamte dachte tief nach, was die fest zusammengepreßten Lippen bewiesen. »Nein, eine solche Bekanntmachung kann ich in die Zeitung nicht aufnehmen«, sagte er endlich nach langem Schweigen.

»Wie? Warum?« »Ja, dadurch könnte die Zeitung um ihren Ruf kommen. Wenn da jeder hineinsetzen könnte, seine Nase sei ihm fortgelaufen, dann ... Man sagt ohnehin schon, daß allerlei Unsinn und Lügen darin ständen.« »Aber dies hier ist doch kein Unsinn. Mir scheint, daß darin nichts dergleichen ist.« »Ja, Ihnen mag das so scheinen. Da hatten wir in der vorigen Woche einen ähnlichen Fall. Kommt da just wie Sie ein solcher Beamter zu uns mit einem Zettel – das Inserat machte zwei Rubel dreiundsiebzig Kopeken –, und die ganze Bekanntmachung bestand darin, daß ein schwarzer Pudel davongelaufen sei. Scheint es, daß etwas Besonderes dabei wäre? Es hat sich aber gezeigt, daß es ein Pasquill war; mit diesem[20]Pudel war ein gewisser Kassierer gemeint – ich erinnere mich nicht mehr welcher Anstalt.« »Aber ich fahnde hier ja nicht nach einem Pudel, sondern nach meiner eigenen Nase – und das ist doch fast dasselbe wie nach mir selbst.« »Nein, ein solches Inserat kann ich durchaus nicht annehmen.« »Aber wenn ich doch wirklich meine Nase verloren habe?« »Wenn das der Fall ist, so ist es eine Sache, die den Arzt angeht. Es soll ja Ärzte geben, die jede beliebige Nase ansetzen können. Allein ich sehe schon, Sie sind ein lustiger Herr und lieben es, Späße zu machen.« »Ich schwöre Ihnen – so wahr Gott heilig ist! Übrigens, wenn es schon soweit gekommen ist, kann ich Ihnen ja auch zeigen –« »Warum sollen Sie sich bemühen!« fuhr der Beamte fort und nahm eine Prise. »Doch, wenn es Ihnen nicht unangenehm ist«, fügte er neugierig hinzu, »so möchte ich wohl gerne sehen.« Der Kollegien-Assessor nahm das Tuch vom Gesicht. »In der Tat, höchst merkwürdig«, sagte der Beamte, »die Nasenstelle ist vollständig glatt, so glatt wie eine frischgebackene Plinse. Es ist kaum zu glauben.« »Nun, jetzt werden Sie doch wohl nicht mehr streiten wollen? Sie sehen selbst, die Sache muß in die Zeitung. Ich würde Ihnen zu ganz besonderem Dank verpflichtet sein und freue mich, daß dieser Anlaß mir das Vergnügen verschafft hat, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Wie aus diesen Worten zu ersehen, beschloß der Major, es mit der Liebenswürdigkeit zu versuchen.

»Die Veröffentlichung ist schließlich eine Sache ohne Belang«, sagte der Beamte; »nur sehe ich nicht ein, was für einen Nutzen es für Sie haben könnte. Wollen Sie nicht lieber irgend jemandem, der eine[21]gewandte Feder führt, den Vorfall erzählen, damit er ihn als ein seltnes Naturereignis schildert? Er kann dann diesen Aufsatz in der ›Nordischen Biene‹ (hier nahm er sich wieder eine Prise) abdrucken lassen, zur Belehrung der Jugend (hier putzte er sich die Nase) oder auch zur Unterhaltung des Publikums.« Der Kollegien-Assessor ließ alle Hoffnungen fahren. Er warf einen Blick in ein vor ihm liegendes Zeitungsblatt, das die Ankündigungen der Theatervorstellungen enthielt; schon verbreitete sich über sein Gesicht ein Lächeln, da er den Namen einer Schauspielerin, einer hübschen Person, las. Und er faßte schon in die Tasche, um nachzusehen, ob er eine Fünfrubelnote bei sich habe, da nach seiner Meinung die Stabsoffiziere im Parkett sitzen müssen, aber der Gedanke an die Nase verdarb alles wieder.

Selbst der Beamte schien durch die bedrängte Lage Kowalows gerührt. Um ihm seinen Kummer soviel als möglich zu erleichtern, hielt er es für angemessen, ihm seine Teilnahme auszudrücken: »Wirklich, es geht mir sehr nahe, daß Ihnen diese Anekdote passieren mußte. Wollen Sie nicht ein Prischen nehmen? Das vertreibt das Kopfweh und alle schwermütigen Gedanken; selbst gegen Hämorrhoiden ist der Schnupftabak ein gutes Mittel!« Und mit diesen Worten hielt der Beamte Kowalow seine Tabaksdose hin, auf deren Deckel eine Dame mit Hut abgebildet war.

Diese Unbedachtsamkeit brachte Kowalow um seine Geduld.

»Ich begreife nicht, wie Sie sich einen solchen Scherz erlauben können«, sagte er wütend; »sehen Sie denn nicht, daß mir gerade das fehlt, was zum Prisennehmen unerläßlich ist? Hol' der Teufel Ihren Tabak. Ich kann ihn jetzt nicht einmal sehen, nicht nur Ihren schlechten Beresiner, sondern auch wenn man mir sogar Rapé anbieten würde.« Und mit diesen Worten[22]ging er ganz wütend aus der Zeitungsexpedition hinaus und begab sich zu dem Polizei-Inspektor.