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Deutsche Literatur, Die Schreckliche Deutsche Sprache - Mark Twain (Teil 1) (1)

Die Schreckliche Deutsche Sprache - Mark Twain (Teil 1) (1)

Ich ging oft ins Heidelberger Schloss, um mir das Raritätenkabinett anzusehen, und eines Tages 5 überraschte ich den Leiter mit meinem Deutsch, und zwar redete ich ausschließlich in dieser Sprache. Er zeigte großes Interesse; und nachdem ich eine Weile geredet hatte, sagte er, mein Deutsch sei sehr selten, möglicherweise ein „Unikat“; er wolle es in sein Museum aufnehmen. Wenn er gewusst hätte, was es mich gekostet hat, meine Kunst zu erwerben, so hätte er auch gewusst, dass es jeden Sammler ruinieren würde, sie zu kaufen. Harris und ich arbeiteten zu 10 dieser Zeit bereits seit mehreren Wochen hart an unserem Deutsch, und wir hatten zwar gute Fortschritte gemacht, aber doch nur unter großen Schwierigkeiten und allerhand Verdruss, denn drei unserer Lehrer waren in der Zwischenzeit gestorben. Wer nie Deutsch gelernt hat, macht sich keinen Begriff, wie verwirrend diese Sprache ist. Es gibt ganz gewiss keine andere Sprache, die so unordentlich und systemlos daherkommt und 15 dermaßen jedem Zugriff entschlüpft. Aufs Hilfloseste wird man in ihr hin und her geschwemmt, und wenn man glaubt, man habe endlich eine Regel zu fassen bekommen, die im tosenden Aufruhr der zehn Wortarten festen Boden zum Verschnaufen verspricht, blättert man um und liest: „Der Lernende merke sich die folgenden Ausnahmen.“ Man überfliegt die Liste und stellt fest, dass es mehr Ausnahmen als Beispiele für diese Regel gibt. Also springt man abermals 20 über Bord, um nach einem neuen Ararat zu suchen, und was man findet, ist neuer Treibsand. Dies war und ist auch jetzt noch meine Erfahrung Jedes Mal, wenn ich glaube, ich hätte einen dieser vier verwirrenden Fälle endlich da, wo ich ihn beherrsche, schleicht sich, mit furchtbarer und unvermuteter Macht ausgestattet, eine scheinbar unbedeutende Präposition in meinen Satz und zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Zum Beispiel fragt mein Buch nach einem 25 gewissen Vogel (es fragt immerzu nach Dingen, die für niemanden irgendwelche Bedeutung haben): „Wo ist der Vogel?“ Die Antwort auf diese Frage lautet – gemäß dem Buch –, dass der Vogel in der Schmiede wartet, wegen des Regens. Natürlich würde kein Vogel so etwas tun, aber ich muss mich an das Buch halten. Schön und gut, ich mache mich also daran, das Deutsch für diese Antwort zusammenzuklauben. Ich fange am falschen Ende an, das muss so sein, denn 30 das ist die deutsche Idee. Ich sage mir: „‚Regen‘ (rain) ist Maskulinum – oder vielleicht Femininum – oder auch Neutrum – es ist zu mühsam, das jetzt nachzuschlagen. Es heißt also entweder der (the) Regen oder die (the) Regen oder das (the) Regen – je nachdem, welches Geschlecht das Wort hat, wenn ich nachsehe. Im Interesse der Wissenschaft will ich einmal von der Hypothese ausgehen, es sei Maskulinum. Gut – der Regen ist der Regen, wenn er im Ruhezustand, ohne Ergänzung oder weitere Erörterung, lediglich erwähnt wird – Nominativ; aber falls der Regen herumliegt, etwa so ganz allgemein auf dem Boden, dann ist er örtlich fixiert, er tut etwas, nämlich er liegt (was nach den Vorstellungen der deutschen Grammatik eine Tätigkeit ist), und das wirft den Regen in den Dativ und macht aus ihm dem Regen. Dieser 5 Regen jedoch liegt nicht, sondern er tut etwas Aktives – er fällt (wahrscheinlich um den Vogel zu ärgern), und das deutet auf Bewegung hin, die wiederum bewirkt, dass er in den Akkusativ rutscht und sich aus dem Regen in den Regen verwandelt“ Damit ist das grammatikalische Horoskop für diesen Fall abgeschlossen, und ich gebe zuversichtlich Antwort und erkläre auf Deutsch, dass der Vogel sich „wegen den Regen“ in der Schmiede aufhält. Sofort fällt mir der 10 Lehrer sanft in den Rücken mit der Bemerkung, dass das Wort „wegen“, wenn es in einen Satz einbricht, den betroffenen Gegenstand immer und ohne Rücksicht auf die Folgen in den Genitiv befördere – und dass dieser Vogel daher „wegen des Regens“ in der Schmiede gewartet habe. N. B. Von höherer Stelle erfuhr ich später, dass es hier eine „Ausnahme“ gebe, die es einem 15 erlaube, in gewissen eigentümlichen und komplizierten Umständen „wegen den Regen“ zu sagen; aber diese Ausnahme gelte wirklich für nichts anderes als für den Regen. Es gibt zehn Wortarten, und alle zehn machen Ärger. Ein durchschnittlicher Satz in einer deutschen Zeitung ist eine erhabene, eindrucksvolle Kuriosität; er nimmt ein Viertel einer Spalte ein; er enthält sämtliche zehn Wortarten – nicht in ordentlicher Reihenfolge, sondern 20 durcheinander; er besteht hauptsächlich aus zusammengesetzten Wörtern, die der Verfasser an Ort und Stelle gebildet hat, sodass sie in keinem Wörterbuch zu finden sind – sechs oder sieben Wörter zu einem zusammengepackt, und zwar ohne Gelenk und Naht, das heißt: ohne Bindestriche; er behandelt vierzehn oder fünfzehn verschiedene Themen, von denen jedes in seine eigene Parenthese eingeschlossen ist, und jeweils drei oder vier dieser Parenthesen werden 25 hier und dort durch eine zusätzliche Parenthese abermals eingeschlossen, sodass Pferche innerhalb von Pferchen entstehen; schließlich werden alle diese Parenthesen und Überparenthesen in einer Hauptparenthese zusammengefasst, die in der ersten Zeile des majestätischen Satzes anfängt und in der Mitte seiner letzten Zeile aufhört –und danach kommt das Verb, und man erfährt zum ersten Mal, wovon die ganze Zeit die Rede war; und nach dem 30 Verb hängt der Verfasser noch „haben sind gewesen gehabt haben geworden sein“ oder etwas dergleichen an – rein zur Verzierung, soweit ich das ergründen konnte –, und das Monument ist fertig. Ich nehme an, dieses abschließende Hurra ist so etwas wie der Schnörkel an einer Unterschrift – nicht notwendig, aber hübsch. Deutsche Bücher sind recht einfach zu lesen, wenn man sie vor einen Spiegel hält oder sich auf den Kopf stellt, um die Konstruktion 35 herumzudrehen, aber eine deutsche Zeitung zu lesen und zu verstehen wird für den Ausländer wohl immer eine Unmöglichkeit bleiben. Doch selbst deutsche Bücher sind nicht völlig frei von Anfällen der Parenthesekrankheit, wenn sie hier auch gewöhnlich so milde verläuft, dass sie nur ein paar Zeilen in Mitleidenschaft zieht Man kann daher dem Verb, wenn man es endlich erreicht, einige Bedeutung abgewinnen, 5 erinnert man sich doch noch an ein gut Teil des Voraufgehenden. Nun, hier ist ein Satz aus einem beliebten, vortrefflichen deutschen Roman – mit einer kleinen Parenthese darin. Ich werde eine absolut wörtliche Übersetzung anfertigen und zur Leseerleichterung Parentheseklammern und einige Bindestriche einstreuen – im Original gibt es weder Parentheseklammern noch Bindestriche, und es bleibt dem Leser nichts anderes übrig, als sich 10 zum weit entfernten Verb durchzuschlagen, so gut er kann: “But when he, upon the street, the (in-satin-and-silk-covered-now-very-unconstrainedafter-the-newest-fashion- dressed) government counselor's wife met” usw. usw.1 Dieser Satz stammt aus dem „Geheimnis der alten Mamsell“ von Frau Marlitt und ist nach dem anerkanntesten deutschen Modell konstruiert. Man beachte, wie weit das Verb von der 15 Ausgangsbasis des Lesers entfernt liegt; nun, in deutschen Zeitungen bringt man das Verb erst auf der nächsten Seite, und ich habe gehört, dass die Leute manchmal, nachdem sie sich ein, zwei Spalten lang in aufregenden Präliminarien und Parenthesen ergangen haben, in Eile geraten und schließlich drucken müssen, ohne überhaupt bis zum Verb vorgestoßen zu sein, was natürlich dazu führt, dass der Leser in einem Zustand größter Erschöpfung und Unkenntnis 20 zurückgelassen wird. Auch in unserer Literatur gibt es die Parenthesekrankheit, und man kann tagtäglich in unseren Büchern und Zeitungen Fälle davon entdecken, aber bei uns verraten sie einen ungeübten Schreiber oder einen unklaren Geist, während sie bei den Deutschen zweifellos das Zeichen für eine geübte Feder und das Vorhandensein jenes lichten geistigen Nebels sind, der bei diesem 25 Volk als Klarheit gilt. Denn es ist ganz gewiss keine Klarheit – es kann einfach nicht Klarheit sein. Selbst eine Jury von Geschworenen wäre scharfsinnig genug, um das zu erkennen. Die Gedanken eines Autors müssen schon mächtig verwirrt und in Unordnung sein, wenn er sich zu der Feststellung anschickt, dass ein Mann der Frau eines Regierungsrates auf der Straße begegnet, und dann inmitten dieses so schlichten Unterfangens die beiden näher kommenden 30 Leute anhält und stillstehen lässt, bis er ein Verzeichnis von der Kleidung der Frau angefertigt hat Das ist eindeutig absurd. Es erinnert einen an jene Zahnärzte, die sich unser augenblickliches und atemverschlagendes Interesse für einen Zahn sichern, indem sie ihn mit der Zange packen und dann dastehen und lang und breit einen lahmen Witz erzählen, bevor sie zu dem gefürchteten plötzlichen Ruck übergehen. In der Literatur und in der Zahnheilkunde 5 sind Parenthesen schlechter Geschmack. Die Deutschen kennen noch eine weitere Form der Parenthese, die sie herstellen, indem sie ein Verb spalten und die eine Hälfte an den Anfang eines spannenden Kapitels setzen und die andere Hälfte an den Schluss. Kann man sich etwas Verwirrenderes vorstellen? Diese Dinger heißen „trennbare Verben“. Die deutsche Grammatik ist geradezu übersät mit trennbaren 10 Verben, und je weiter die beiden Teile auseinander gerissen werden, desto zufriedener ist der Urheber des Verbrechens mit seiner Leistung. Eines der beliebtesten Exemplare ist reiste ab – was „departed“ bedeutet. Hier ist ein Beispiel, das ich in einem Roman aufgelesen und ins Englische übertragen habe: “The trunks being now ready, he de- after kissing his mother and sisters, and once more 15 pressing to his bosom his adored Gretchen, who, dressed in simple white muslin, with a single tuberose in the ample folds of her rich brown hair, had tottered feebly down the stairs, still pale from the terror and excitement of the past evening, but longing to lay her poor aching head yet once again upon the breast of him whom she loved more dearly than life itself, parted.”2 20 Es ist jedoch nicht ratsam, zu lange bei den trennbaren Verben zu verweilen. Man verliert bald unweigerlich die Beherrschung, und wenn man bei dem Thema bleibt und sich nicht warnen lässt, weicht schließlich das Gehirn davon auf oder versteinert Personalpronomen und Adjektive sind eine ewige Plage in dieser Sprache, und man hätte sie besser weggelassen. Das Wort „sie“ zum Beispiel bedeutet sowohl „you“ als auch „she“ als 25 auch „her“ als auch „it“ als auch „they“ als auch „them“. Man stelle sich die bittere Armut einer Sprache vor, in der ein einziges Wort die Arbeit von sechs tun muss – noch dazu ein so armes, kleines, schwaches Ding von nur drei Buchstaben. Vor allem aber stelle man sich die Verzweiflung vor, nie zu wissen, welche dieser Bedeutungen der Sprecher gerade meint. Das erklärt auch, warum ich im Allgemeinen jeden, der „sie“ zu mir sagt, umzubringen versuche, sofern ich ihn nicht kenne. Nun zum Adjektiv. Hier haben wir einen Fall, in dem Einfachheit ein Vorzug gewesen wäre, und 5 nur aus diesem und aus keinem anderen Grund hat der Erfinder das Adjektiv so kompliziert gestaltet, wie es eben ging. Wenn wir in unserer eigenen aufgeklärten Sprache von unserem „good friend“ oder unseren „good friends“ sprechen wollen, bleiben wir bei der einen Form, und es gibt deswegen keinen Ärger und kein böses Blut. Im Deutschen jedoch ist das anders. Wenn einem Deutschen ein Adjektiv in die Finger fällt, dekliniert und dekliniert und dekliniert 10 er es, bis aller gesunde Menschenverstand herausdekliniert ist Es ist so schlimm wie im Lateinischen. Er sagt zum Beispiel: Singular Nominativ: Mein guter Freund (my good friend) Genitiv: Meines guten Freundes (of my good friend) 15 Dativ: Meinem guten Freunde (to my good friend) Akkusativ: Meinen guten Freund (my good friend) Plural N.: Meine guten Freunde (my good friends) G.: Meiner guten Freunde (of my good friends) 20 D.: Meinen guten Freunden (to my good friends) A.: Meine guten Freunde (my good friends) Nun darf der Kandidat fürs Irrenhaus versuchen, diese Variationen auswendig zu lernen – man wird ihn im Nu wählen. Vielleicht sollte man in Deutschland lieber auf Freunde verzichten, als sich all diese Mühe mit ihnen zu machen. Ich habe gezeigt, wie lästig es ist, einen guten 25 (männlichen) Freund zu deklinieren; das ist aber erst ein Drittel der Arbeit, denn man muss eine Vielzahl neuer Verdrehungen des Adjektivs dazulernen, wenn der Gegenstand der Bemühungen weiblich ist, und noch weitere, wenn er sächlich ist. Nun gibt es aber in dieser Sprache mehr Adjektive als schwarze Katzen in der Schweiz, und sie müssen alle ebenso kunstvoll gebeugt werden wie das oben angeführte Beispiel. Schwierig? Mühsam? Diese Worte können es nicht 30 beschreiben Ich habe einen Studenten aus Kalifornien in Heidelberg in einem seiner ruhigsten Augenblicke sagen hören, lieber beuge er hundertmal beide Knie als auch nur einmal ein einziges Adjektiv, und es handelte sich nicht etwa um einen Turner. Der Erfinder dieser Sprache scheint sich einen Spaß daraus gemacht zu haben, sie auf jede Art, die ihm nur in den Sinn kam, zu komplizieren. Wenn man zum Beispiel ein Haus oder ein Pferd oder einen Hund beiläufig erwähnt, schreibt man diese Wörter wie angegeben; aber wenn man sich auf sie im Dativ bezieht, hängt man ein närrisches und unnötiges e an und schreibt sie „Hause“, „Pferde“, „Hunde“. Da nun ein e oft den Plural bezeichnet (wie bei uns das s), kann es 5 dem Anfänger leicht passieren, dass er zwei Monate lang aus einem Dativhund Zwillinge macht, bevor er seinen Irrtum entdeckt; und auf der anderen Seite hat manch ein Anfänger, der sich solche Einbuße nur schlecht leisten konnte, zwei Hunde erworben und bezahlt und nur einen von ihnen erhalten, da er diesen Hund unwissentlich im Dativ Singular kaufte, während er im Plural zu sprechen glaubte – wobei das Recht gemäß den strengen Gesetzen der Grammatik 10 natürlich auf Seiten des Verkäufers war und das verlorene Geld daher nicht eingeklagt werden konnte.


Die Schreckliche Deutsche Sprache - Mark Twain (Teil 1) (1) The Terrible German Language - Mark Twain (Part 1) (1)

Ich ging oft ins Heidelberger Schloss, um mir das Raritätenkabinett anzusehen, und eines Tages 5 überraschte ich den Leiter mit meinem Deutsch, und zwar redete ich ausschließlich in dieser Sprache. I often went to the Heidelberg Castle to look at the cabinet of curiosities and one day 5 I surprised the director with my German, and I only spoke in that language. Er zeigte großes Interesse; und nachdem ich eine Weile geredet hatte, sagte er, mein Deutsch sei sehr selten, möglicherweise ein „Unikat“; er wolle es in sein Museum aufnehmen. He showed great interest; and after I talked for a while he said my German was very rare, possibly "unique"; he wanted to include it in his museum. Wenn er gewusst hätte, was es mich gekostet hat, meine Kunst zu erwerben, so hätte er auch gewusst, dass es jeden Sammler ruinieren würde, sie zu kaufen. If he had known what it cost me to acquire my art, he would also have known that buying it would ruin any collector. Harris und ich arbeiteten zu 10 dieser Zeit bereits seit mehreren Wochen hart an unserem Deutsch, und wir hatten zwar gute Fortschritte gemacht, aber doch nur unter großen Schwierigkeiten und allerhand Verdruss, denn drei unserer Lehrer waren in der Zwischenzeit gestorben. Harris and I had been working hard on our German for several weeks at that time, and we had made good progress, but only with great difficulty and a lot of frustration, because three of our teachers had died in the meantime. Wer nie Deutsch gelernt hat, macht sich keinen Begriff, wie verwirrend diese Sprache ist. Anyone who has never learned German has no idea how confusing this language is. Es gibt ganz gewiss keine andere Sprache, die so unordentlich und systemlos daherkommt und 15 dermaßen jedem Zugriff entschlüpft. There is certainly no other language that comes across as untidy and systemless and so eludes access. Aufs Hilfloseste wird man in ihr hin und her geschwemmt, und wenn man glaubt, man habe endlich eine Regel zu fassen bekommen, die im tosenden Aufruhr der zehn Wortarten festen Boden zum Verschnaufen verspricht, blättert man um und liest: „Der Lernende merke sich die folgenden Ausnahmen.“ Man überfliegt die Liste und stellt fest, dass es mehr Ausnahmen als Beispiele für diese Regel gibt. Also springt man abermals 20 über Bord, um nach einem neuen Ararat zu suchen, und was man findet, ist neuer Treibsand. Dies war und ist auch jetzt noch meine Erfahrung Jedes Mal, wenn ich glaube, ich hätte einen dieser vier verwirrenden Fälle endlich da, wo ich ihn beherrsche, schleicht sich, mit furchtbarer und unvermuteter Macht ausgestattet, eine scheinbar unbedeutende Präposition in meinen Satz und zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Zum Beispiel fragt mein Buch nach einem 25 gewissen Vogel (es fragt immerzu nach Dingen, die für niemanden irgendwelche Bedeutung haben): „Wo ist der Vogel?“ Die Antwort auf diese Frage lautet – gemäß dem Buch –, dass der Vogel in der Schmiede wartet, wegen des Regens. Natürlich würde kein Vogel so etwas tun, aber ich muss mich an das Buch halten. Schön und gut, ich mache mich also daran, das Deutsch für diese Antwort zusammenzuklauben. Ich fange am falschen Ende an, das muss so sein, denn 30 das ist die deutsche Idee. Ich sage mir: „‚Regen‘ (rain) ist Maskulinum – oder vielleicht Femininum – oder auch Neutrum – es ist zu mühsam, das jetzt nachzuschlagen. Es heißt also entweder der (the) Regen oder die (the) Regen oder das (the) Regen – je nachdem, welches Geschlecht das Wort hat, wenn ich nachsehe. Im Interesse der Wissenschaft will ich einmal von der Hypothese ausgehen, es sei Maskulinum. Gut – der Regen ist der Regen, wenn er im  Ruhezustand, ohne Ergänzung oder weitere Erörterung, lediglich erwähnt wird – Nominativ; aber falls der Regen herumliegt, etwa so ganz allgemein auf dem Boden, dann ist er örtlich fixiert, er tut etwas, nämlich er liegt (was nach den Vorstellungen der deutschen Grammatik eine Tätigkeit ist), und das wirft den Regen in den Dativ und macht aus ihm dem Regen. Dieser 5 Regen jedoch liegt nicht, sondern er tut etwas Aktives – er fällt (wahrscheinlich um den Vogel zu ärgern), und das deutet auf Bewegung hin, die wiederum bewirkt, dass er in den Akkusativ rutscht und sich aus dem Regen in den Regen verwandelt“ Damit ist das grammatikalische Horoskop für diesen Fall abgeschlossen, und ich gebe zuversichtlich Antwort und erkläre auf Deutsch, dass der Vogel sich „wegen den Regen“ in der Schmiede aufhält. Sofort fällt mir der 10 Lehrer sanft in den Rücken mit der Bemerkung, dass das Wort „wegen“, wenn es in einen Satz einbricht, den betroffenen Gegenstand immer und ohne Rücksicht auf die Folgen in den Genitiv befördere – und dass dieser Vogel daher „wegen des Regens“ in der Schmiede gewartet habe. N. B. Von höherer Stelle erfuhr ich später, dass es hier eine „Ausnahme“ gebe, die es einem 15 erlaube, in gewissen eigentümlichen und komplizierten Umständen „wegen den Regen“ zu sagen; aber diese Ausnahme gelte wirklich für nichts anderes als für den Regen. Es gibt zehn Wortarten, und alle zehn machen Ärger. Ein durchschnittlicher Satz in einer deutschen Zeitung ist eine erhabene, eindrucksvolle Kuriosität; er nimmt ein Viertel einer Spalte ein; er enthält sämtliche zehn Wortarten – nicht in ordentlicher Reihenfolge, sondern 20 durcheinander; er besteht hauptsächlich aus zusammengesetzten Wörtern, die der Verfasser an Ort und Stelle gebildet hat, sodass sie in keinem Wörterbuch zu finden sind – sechs oder sieben Wörter zu einem zusammengepackt, und zwar ohne Gelenk und Naht, das heißt: ohne Bindestriche; er behandelt vierzehn oder fünfzehn verschiedene Themen, von denen jedes in seine eigene Parenthese eingeschlossen ist, und jeweils drei oder vier dieser Parenthesen werden 25 hier und dort durch eine zusätzliche Parenthese abermals eingeschlossen, sodass Pferche innerhalb von Pferchen entstehen; schließlich werden alle diese Parenthesen und Überparenthesen in einer Hauptparenthese zusammengefasst, die in der ersten Zeile des majestätischen Satzes anfängt und in der Mitte seiner letzten Zeile aufhört –und danach kommt das Verb, und man erfährt zum ersten Mal, wovon die ganze Zeit die Rede war; und nach dem 30 Verb hängt der Verfasser noch „haben sind gewesen gehabt haben geworden sein“ oder etwas dergleichen an – rein zur Verzierung, soweit ich das ergründen konnte –, und das Monument ist fertig. Ich nehme an, dieses abschließende Hurra ist so etwas wie der Schnörkel an einer Unterschrift – nicht notwendig, aber hübsch. Deutsche Bücher sind recht einfach zu lesen, wenn man sie vor einen Spiegel hält oder sich auf den Kopf stellt, um die Konstruktion 35 herumzudrehen, aber eine deutsche Zeitung zu lesen und zu verstehen wird für den Ausländer wohl immer eine Unmöglichkeit bleiben. Doch selbst deutsche Bücher sind nicht völlig frei von Anfällen der Parenthesekrankheit, wenn sie hier auch gewöhnlich so milde verläuft, dass sie nur ein paar Zeilen in Mitleidenschaft zieht Man kann daher dem Verb, wenn man es endlich erreicht, einige Bedeutung abgewinnen, 5 erinnert man sich doch noch an ein gut Teil des Voraufgehenden. Nun, hier ist ein Satz aus einem beliebten, vortrefflichen deutschen Roman – mit einer kleinen Parenthese darin. Ich werde eine absolut wörtliche Übersetzung anfertigen und zur Leseerleichterung Parentheseklammern und einige Bindestriche einstreuen – im Original gibt es weder Parentheseklammern noch Bindestriche, und es bleibt dem Leser nichts anderes übrig, als sich 10 zum weit entfernten Verb durchzuschlagen, so gut er kann: “But when he, upon the street, the (in-satin-and-silk-covered-now-very-unconstrainedafter-the-newest-fashion- dressed) government counselor’s wife met” usw. usw.1 Dieser Satz stammt aus dem „Geheimnis der alten Mamsell“ von Frau Marlitt und ist nach dem anerkanntesten deutschen Modell konstruiert. Man beachte, wie weit das Verb von der 15 Ausgangsbasis des Lesers entfernt liegt; nun, in deutschen Zeitungen bringt man das Verb erst auf der nächsten Seite, und ich habe gehört, dass die Leute manchmal, nachdem sie sich ein, zwei Spalten lang in aufregenden Präliminarien und Parenthesen ergangen haben, in Eile geraten und schließlich drucken müssen, ohne überhaupt bis zum Verb vorgestoßen zu sein, was natürlich dazu führt, dass der Leser in einem Zustand größter Erschöpfung und Unkenntnis 20 zurückgelassen wird. Auch in unserer Literatur gibt es die Parenthesekrankheit, und man kann tagtäglich in unseren Büchern und Zeitungen Fälle davon entdecken, aber bei uns verraten sie einen ungeübten Schreiber oder einen unklaren Geist, während sie bei den Deutschen zweifellos das Zeichen für eine geübte Feder und das Vorhandensein jenes lichten geistigen Nebels sind, der bei diesem 25 Volk als Klarheit gilt. Denn es ist ganz gewiss keine Klarheit – es kann einfach nicht Klarheit sein. Selbst eine Jury von Geschworenen wäre scharfsinnig genug, um das zu erkennen. Die Gedanken eines Autors müssen schon mächtig verwirrt und in Unordnung sein, wenn er sich zu der Feststellung anschickt, dass ein Mann der Frau eines Regierungsrates auf der Straße begegnet, und dann inmitten dieses so schlichten Unterfangens die beiden näher kommenden 30 Leute anhält und stillstehen lässt, bis er ein Verzeichnis von der Kleidung der Frau angefertigt hat Das ist eindeutig absurd. Es erinnert einen an jene Zahnärzte, die sich unser augenblickliches und atemverschlagendes Interesse für einen Zahn sichern, indem sie ihn mit der Zange packen und dann dastehen und lang und breit einen lahmen Witz erzählen, bevor sie zu dem gefürchteten plötzlichen Ruck übergehen. In der Literatur und in der Zahnheilkunde 5 sind Parenthesen schlechter Geschmack. Die Deutschen kennen noch eine weitere Form der Parenthese, die sie herstellen, indem sie ein Verb spalten und die eine Hälfte an den Anfang eines spannenden Kapitels setzen und die andere Hälfte an den Schluss. Kann man sich etwas Verwirrenderes vorstellen? Diese Dinger heißen „trennbare Verben“. Die deutsche Grammatik ist geradezu übersät mit trennbaren 10 Verben, und je weiter die beiden Teile auseinander gerissen werden, desto zufriedener ist der Urheber des Verbrechens mit seiner Leistung. Eines der beliebtesten Exemplare ist reiste ab – was „departed“ bedeutet. Hier ist ein Beispiel, das ich in einem Roman aufgelesen und ins Englische übertragen habe: “The trunks being now ready, he de- after kissing his mother and sisters, and once more 15 pressing to his bosom his adored Gretchen, who, dressed in simple white muslin, with a single tuberose in the ample folds of her rich brown hair, had tottered feebly down the stairs, still pale from the terror and excitement of the past evening, but longing to lay her poor aching head yet once again upon the breast of him whom she loved more dearly than life itself, parted.”2 20 Es ist jedoch nicht ratsam, zu lange bei den trennbaren Verben zu verweilen. Man verliert bald unweigerlich die Beherrschung, und wenn man bei dem Thema bleibt und sich nicht warnen lässt, weicht schließlich das Gehirn davon auf oder versteinert Personalpronomen und Adjektive sind eine ewige Plage in dieser Sprache, und man hätte sie besser weggelassen. Das Wort „sie“ zum Beispiel bedeutet sowohl „you“ als auch „she“ als 25 auch „her“ als auch „it“ als auch „they“ als auch „them“. Man stelle sich die bittere Armut einer Sprache vor, in der ein einziges Wort die Arbeit von sechs tun muss – noch dazu ein so armes, kleines, schwaches Ding von nur drei Buchstaben. Vor allem aber stelle man sich die Verzweiflung vor, nie zu wissen, welche dieser Bedeutungen der Sprecher gerade meint. Das erklärt auch, warum ich im Allgemeinen jeden, der „sie“ zu mir sagt, umzubringen versuche, sofern ich ihn nicht kenne. Nun zum Adjektiv. Hier haben wir einen Fall, in dem Einfachheit ein Vorzug gewesen wäre, und 5 nur aus diesem und aus keinem anderen Grund hat der Erfinder das Adjektiv so kompliziert gestaltet, wie es eben ging. Wenn wir in unserer eigenen aufgeklärten Sprache von unserem „good friend“ oder unseren „good friends“ sprechen wollen, bleiben wir bei der einen Form, und es gibt deswegen keinen Ärger und kein böses Blut. Im Deutschen jedoch ist das anders. Wenn einem Deutschen ein Adjektiv in die Finger fällt, dekliniert und dekliniert und dekliniert 10 er es, bis aller gesunde Menschenverstand herausdekliniert ist Es ist so schlimm wie im Lateinischen. Er sagt zum Beispiel: Singular Nominativ: Mein guter Freund (my good friend) Genitiv: Meines guten Freundes (of my good friend) 15 Dativ: Meinem guten Freunde (to my good friend) Akkusativ: Meinen guten Freund (my good friend) Plural N.: Meine guten Freunde (my good friends) G.: Meiner guten Freunde (of my good friends) 20 D.: Meinen guten Freunden (to my good friends) A.: Meine guten Freunde (my good friends) Nun darf der Kandidat fürs Irrenhaus versuchen, diese Variationen auswendig zu lernen – man wird ihn im Nu wählen. Vielleicht sollte man in Deutschland lieber auf Freunde verzichten, als sich all diese Mühe mit ihnen zu machen. Ich habe gezeigt, wie lästig es ist, einen guten 25 (männlichen) Freund zu deklinieren; das ist aber erst ein Drittel der Arbeit, denn man muss eine Vielzahl neuer Verdrehungen des Adjektivs dazulernen, wenn der Gegenstand der Bemühungen weiblich ist, und noch weitere, wenn er sächlich ist. Nun gibt es aber in dieser Sprache mehr Adjektive als schwarze Katzen in der Schweiz, und sie müssen alle ebenso kunstvoll gebeugt werden wie das oben angeführte Beispiel. Schwierig? Mühsam? Diese Worte können es nicht 30 beschreiben Ich habe einen Studenten aus Kalifornien in Heidelberg in einem seiner ruhigsten Augenblicke sagen hören, lieber beuge er hundertmal beide Knie als auch nur einmal ein einziges Adjektiv, und es handelte sich nicht etwa um einen Turner. Der Erfinder dieser Sprache scheint sich einen Spaß daraus gemacht zu haben, sie auf jede Art, die ihm nur in den Sinn kam, zu komplizieren. Wenn man zum Beispiel ein Haus oder ein Pferd oder einen Hund beiläufig erwähnt, schreibt man diese Wörter wie angegeben; aber wenn man sich auf sie im Dativ bezieht, hängt man ein närrisches und unnötiges e an und schreibt sie „Hause“, „Pferde“, „Hunde“. Da nun ein e oft den Plural bezeichnet (wie bei uns das s), kann es 5 dem Anfänger leicht passieren, dass er zwei Monate lang aus einem Dativhund Zwillinge macht, bevor er seinen Irrtum entdeckt; und auf der anderen Seite hat manch ein Anfänger, der sich solche Einbuße nur schlecht leisten konnte, zwei Hunde erworben und bezahlt und nur einen von ihnen erhalten, da er diesen Hund unwissentlich im Dativ Singular kaufte, während er im Plural zu sprechen glaubte – wobei das Recht gemäß den strengen Gesetzen der Grammatik 10 natürlich auf Seiten des Verkäufers war und das verlorene Geld daher nicht eingeklagt werden konnte.