Wie viel "Religion" verträgt eine Gesellschaft?

Ich habe gerade eine Diskussion im englischen Forum mitverfolgt, bei der es im Allgemeinen um Religion und im späteren Verlauf im Speziellen um Homosexualität ging. Einer der Diskussionsteilnehmer, Colin, machte den Vorschlag, über dieses Thema auch auf Deutsch zu diskutieren.

Ich habe als Einstieg einen bewusst provokant klingenden Titel gewählt. Vorausschicken möchte ich, dass es mir nicht darum geht, religiöse Menschen zu verunglimpfen oder mich über sie lächerlich zu machen. Obgleich ich selbst seit vielen Jahren nicht mehr gläubig bin, habe ich unter meinen Freunden und Bekannten eine Reihe von Menschen, die gläubig sind. Sie gehören unterschiedlichen Glaubensrichtungen bzw. Konfessionen an.

Was sie jedoch alle gemeinsam haben, ist ein Grundrespekt, der mir zum Beispiel in der oben genannten Diskussion insbesondere bei einem Gesprächsteilnehmer gefehlt hat, der mit den skurrilsten Vergleichen versucht hat, Homosexualität als etwas Abartiges und letztendlich Verwerfliches, ja für eine Gesellschaft sogar Schädliches darzustellen.

Er bezog sich dabei immer wieder auf den Koran, baute seine Argumentation somit auf seinem Glauben auf.

Mir ist bewusst, dass es auch nicht gläubige Menschen gibt, die ähnliche Thesen vertreten und ihre Argumente auf andere Wertvorstellungen stützen.

Angesichts der Tatsache, dass wir weltweit ein Aufflackern von religiösen Konflikten erleben und sich meiner Meinung nach auch in westlichen Gesellschaften der laizistische Anteil der Bevölkerung verstärkt Angriffen religiöser Fanatiker ausgesetzt sieht, frage ich mich, wieviel Religion eine freie Gesellschaft verträgt.

Wie gesagt, meine Frage ist bewusst provokant formuliert. Ich bin froh, dass ich in einem Land lebe, in dem Religionsfreiheit herrscht. Nicht jeder, der gläubig ist, ist zudem gleich ein “Fanatiker”, wobei man wahrscheinlich auch schon über die Bedeutung dieses Begriffes lange diskutieren könnte.

Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass Religionsfreiheit nicht so weit gehen darf, dass man Proponenten der einzelnen Glaubensrichtungen gestattet, in grundlegende Freiheiten anderer Menschen einzugreifen, ihnen also vorzuschreiben, wie sie sich zu kleiden haben, mit wem sie zusammenleben, was sie essen dürfen und was nicht etc.

Als besonders besorgniserregend empfinde ich die Tatsache, dass religiöse Splittergruppen (in Österreich sind zurzeit sehr viele salafistische Prediger unterwegs) unter dem Schutz der Meinungs- und Religionsfreiheit genau jene gesellschaftlichen Strukturen vernichten wollen, die ihnen erst die Möglichkeit geben, frei und unbehelligt ihren Glauben zu leben.

Mich würde interessieren, wie andere Forumsteilnehmer die Rolle von Religionen in einer modernen Gesellschaft sehen. Ob sie Religion als etwas Unabdingbares, etwas Wertvolles oder als eine Bedrohung für gesellschaftliche Freiheiten sehen.

Religiös ist nicht gleich religiös, letztlich kommt es immer darauf an, wie man seine Überzeugungen lebt. Ich persönlich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Religion in erster Linie Privatsache ist und der Staat immer dann maßregelnd eingreift, wenn Sicherheit und Unversehrtheit seiner Bürger in Gefahr sind.

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ad Robert: “…Ich persönlich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Religion in erster Linie Privatsache ist und der Staat immer dann maßregelnd eingreift, wenn Sicherheit und Unversehrtheit seiner Bürger in Gefahr sind…”

Komischerweise sagte Jesus etwas nicht ganz Unähnliches. Wie heißt es nun auf Deutsch? ‘Mein Reich ist nicht von dieser Welt’…? Und ‘Render unto Caesar the things which are Caesars, render unto God the things which are Gods’ (Ich werde nicht versuchen, den zweiten Satz ins Deutsche zu übersetzen!)

Jesus will, dass wir alle Menschen lieben, dass wir jedem Menschen helfen, der in Not ist, and dass wir auf Erde ein ruhiges und friedliches Leben haben. Doch was er vor allen Dingen will, ist, dass wir nicht leztendlich in die Hölle kommen. So die Bibel.

(…) „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (…)

Das stammt, wenn ich mich nicht irre, aus dem Markus-Evangelium.

Auch wenn ich nicht mehr gläubig bin, so beschäftige ich mich trotzdem intensiv mit verschiedenen Glaubensrichtungen und bis zum heutigen Tage ist die (historische) Figur Jesu eine der faszinierendsten Figuren für mich.

Selbst in der Zeit, in der ich noch zu Bibelstunden ging und ob so mancher Formulierung im AT und NT oft nur kopfschüttelnd da saß, war diese friedliche und versöhnliche Grundstimmung, die für mich immer von der Gestalt Jesu ausging, ein wichtiger Anker meines Glaubens.

Heute sehe ich viele Dinge - nicht zuletzt auf Grund persönlicher Erfahrungen - anders. Meinen Verstand und die Fähigkeit, Dinge zu hinterfragen, habe ich aber auch in meiner religiösen Phase nie außer Acht gelassen.

Ich finde es wichtig, dass man Dinge hinterfragt, sie auf ihre Stichhaltigkeit überprüft und andere Denk- und Sichtweisen zulässt, ohne sie sofort zu verdammen. Eine Grenze ist bei mir lediglich dann erreicht, wenn mit diesen Denk- und Sichtweisen bewusst versucht wird, anderen Menschen zu schaden. Dort hört für mich Freiheit auf.

Vor einigen Tagen gab es im ORF in der Sendereihe “kreuz und quer” einen äußerst spannenden Beitrag zum Thema “Hölle”. Dieser Begriff war den Urchristen offenbar noch kaum bekannt. Er kam erst auf, als sich das Christentum verbreitet hatte und man nach Mitteln suchte, die “Schäfchen” bei Stange zu halten.

In vielerlei Hinsicht war und ist das Konzept der Hölle ein Instrument, um Menschen Angst einzuflößen und sie dadurch gefügig zu machen.

Es gibt aber wohl unterschiedliche Denkansätze dazu. So wird heute von manchen Gruppierungen die “Hölle” als das “ewige Fernsein” von Gott definiert. Zwar wird auch hier ein wenig mit der Angst der Leute gespielt, aber zumindest räumt man ein, dass dies ein “selbst gewähltes” Fernsein ist und nichts, wozu man von anderen verdammt wird.

(…) So die Bibel (…).

Ich tu mir bei solchen Formulierungen ehrlich gesagt schwer. Ich habe selbst drei Versionen der Heiligen Schrift zu Hause (die aus dem katholischen Schulunterricht, eine Luther-Bibel und eine Version der Zeugen Jehovas) und alle drei unterscheiden sich in manchen Details doch recht deutlich.

Zudem ist die Auslegung der Bibel eine ebenso komplexe wie undurchsichtige Angelegenheit. Es gibt noch immer Strömungen innerhalb der christlichen Gemeinden, die auf einer wörtlichen Auslegung beharren, während andere auf eine Exegese der Heiligen Schrift pochen, welche die besonderen äußeren Umstände, die zum jeweiligen Zeitpunkt der Abfassung der einzelnen Bibelabschnitte herrschten, nicht unberücksichtigt lässt.

Eine allgemeingültige Auslegung habe ich noch nie gehört. Selbst der Papst und seine Kardinäle sind sich wohl nicht in allem immer einig.

Schade ist, dass im Namen von Religionen so viele Verbrechen begangen wurden und noch begangen werden. Freilich stellt sich hier die Frage, inwieweit man die Religion dafür verantwortlich machen kann und darf, was jene, die vorgeben, in ihrem Namen zu handeln, tun.

Gerade deshalb fürchte ich mich grundsätzlich auch nicht vor religiösen Menschen und selbst als nicht gläubiger Mensch trete ich entschieden für Religionsfreiheit ein.

Am liebsten sind mir Menschen, die mir durch die Art, wie sie ihr Leben führen, wie sie andere Menschen behandeln, zeigen, was ihrer Meinung nach ihre Religion uns Menschen sagen will.

Jene, die auf Biegen und Brechen versuchen, mich von ihrem Glauben zu überzeugen, haben bei mir keine Chance. Wenn ihr Glaube so wunderbar und gut ist, wie sie sagen, sollen sie ihn leben und ich mache mir dann selbst ein Bild davon.

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@Robert - “Habe ich unter meinen Freunden und Bekannten eine Reihe von Menschen, die gläubig sind…Was sie jedoch alle gemeinsam haben, ist ein Grundrespekt, der mir zum Beispiel in der oben genannten Diskussion insbesondere bei einem Gesprächsteilnehmer gefehlt hat, der mit den skurrilsten Vergleichen versucht hat…”

“Am liebsten sind mir Menschen, die mir durch die Art, wie sie ihr Leben führen, wie sie andere Menschen behandeln, zeigen, was ihrer Meinung nach ihre Religion uns Menschen sagen will.”

@Jay - " ‘Mein Reich ist nicht von dieser Welt’…Jesus will, dass wir alle Menschen lieben, dass wir jedem Menschen helfen, der in Not ist, and dass wir auf Erde ein ruhiges und friedliches Leben haben."

Beide von Ihnen: Gut gesagt!

Gute Nacht!

ad Robert:

“…zum Thema “Hölle”. Dieser Begriff war den Urchristen offenbar noch kaum bekannt. Er kam erst auf, als sich das Christentum verbreitet hatte und man nach Mitteln suchte, die “Schäfchen” bei Stange zu halten…”

Also, wenn ich mich nicht irre, hat Jesus die Hölle öfter erwähnt in der Bibel als den Himmel! Allerdings hieß es normalerweise “lake of fire” (etwa) und nicht unbedingt “Hölle” (Ich werde wiederum nicht versuchen, diese Begriffe ins Deutsche zu übersetzen!)


“…Ich habe selbst drei Versionen der Heiligen Schrift zu Hause (die aus dem katholischen Schulunterricht, eine Luther-Bibel und eine Version der Zeugen Jehovas) und alle drei unterscheiden sich in manchen Details doch recht deutlich…”

Die Version der Zeugen Jehovahs ist (und dies weiß ich ganz genau!) gar nicht zuverlässig, sondern sie spiegelt die Ideen der Watchtower Bible and Tract Society wieder.

Besonders bei den moderneren Übersetzungen sollte man immer aufpassen - man sollte sie immer mit dem griechischen bzw. hebräischen Originaltext vergleichen, meiner Meinung nach.


“…Jene, die auf Biegen und Brechen versuchen, mich von ihrem Glauben zu überzeugen, haben bei mir keine Chance. Wenn ihr Glaube so wunderbar und gut ist, wie sie sagen, sollen sie ihn leben und ich mache mir dann selbst ein Bild davon…”

Sehe ich doch genauso. :wink:

Übrigens, es fällt mir noch ein Jesus-Zitat ein: “by their fruits shall ye know them!” :stuck_out_tongue:

(…) “by their fruits ye shall know them!” (…)

Ich glaube im Deutschen heißt das “An ihren Taten sollt ihr sie erkennen”. Ich bin mir aber nicht ganz sicher. So bibelfest bin ich auch nicht mehr :wink:

(…) Sehe ich doch genauso. :wink: (…)

Nur, um dir ein Beispiel zu geben. Meine Mutter ist leider schwer krank und ihr Glaube an Gott (obwohl sie aus der Kirche ausgetreten ist) ist für sie sehr wichtig. Er gibt ihr Halt und ist ihr eine große Stütze. Ich würde niemals versuchen, ihr ihren Glauben zu nehmen (was mir ohnehin nicht gelingen würde).

Wenn wir über den Tod, ein vermeintliches Leben nach dem Tod und Gott sprechen, so verberge ich vor ihr nicht meine Sichtweise bzw. Zweifel, aber ich mache auch klar, dass ich mir dessen bewusst bin, dass ich mich genauso irren könnte wie sie. Niemand weiß, wer von uns beiden recht hat. Aber ich unterhalte mich gerne mit meiner Mutter darüber, wie sie Gott und sein (vermeintliches) Wirken auf dieser Erde sieht.

Sie findet in ihrem Glauben Trost, aber sie tut das, ohne andere Menschen zu beleidigen, zu verdammen oder gar zu bedrohen. Das ist die Art von gelebtem Glauben, dem ich Respekt gegenüber bringe, auch wenn ich ihn nicht teile.

ad Julz611 (…) Beide von Ihnen: Gut gesagt!

Gute Nacht! (…)

Danke für die netten Worte und ebenfalls gute Nacht (obwohl es bei mir noch ein paar Stunden dauern wird, bevor ich ins Bett gehe).

Gern geschehen! ^^

Robert, es tut mir wirklich sehr Leid, dass deine Mutter schwer krank ist. Ich hoffe nur, dass es ihr jetzt den Umständen entsprechend so gut wie möglich geht.

Oh man, diese Diskussion ist schwieriger geworden! Ich höffe, dass die deutschsprachige Mitglieder tielnehmen werden. Ich will wissen, was Vera und Jolanda denken.

Um ehrlich zu sein, muss ich sagen, dass ich keinen Respekt für Religion habe. Ich denke, dass die Glaubensinhalte normaleweise absurd sind, und es würde mich freuen, wenn wir sie nie mehr glauben würden. Ich finde fast jede Kindergeschichte, die ich gehört habe, leichter zu glauben als die Geschichte in der Bibel.

Aber ich verliere keinen Respekt für die Leute, die religiös sind. Ich denke nicht, dass sie dumm oder verrückt sind, und es scheint mir, dass sie normalerweise religiös sind, aus dem selben Grund, dass ich Atheist bin. Ich würde lieber denken, dass ich Atheist bin, weil ich so unglaublig logisch und klardenkend bin (und ich habe bemerkt, dass zu viele von diesen sogennanten ‘New Atheists’ genau das denken), aber ich finde es unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist es, dass ich Atheist bin, weil ich immer Atheist gewesen bin, und weil meine Familie sehr atheistisch ist.

“Schade ist, dass im Namen von Religionen so viele Verbrechen begangen wurden und noch begangen werden. Freilich stellt sich hier die Frage, inwieweit man die Religion dafür verantwortlich machen kann und darf, was jene, die vorgeben, in ihrem Namen zu handeln, tun.”

Ich weiß nicht, wie wir eine Religon verantworlich für die Verbrechen der Mitglieder machen können, aber ich denke, dass es sehr wichtig ist, dass wir verstehen, warum die Mitglieder ihre Verbrechen machen. Um das zu verstehen, müssen wir wissen, was sie wirklich glauben. Ich finde es schwierig, weil zu viele Leute in Europe und Nordamerika denken, dass sie nicht die Recht haben söllen, unerwünschte Meinungen auszudrücken.

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@Colin: “Ich will wissen, was Vera und Jolanda denken.”

Ich stimme im Großen und Ganzen Robert zu. Ich bin bereit, jedem seinen Glauben und seine Religion zuzugestehen. Ein Problem entsteht für mich dann, wenn im Gegenzug kein Respekt für Andersgläubige da ist.

Mir wurde zum Glück nie mit der Hölle gedroht. Ich bin lutherisch-evangelisch wie mein Vater; meine Mutter ist katholisch, aber wir sind nicht sehr gläubig. Damit meine ich, dass ich nicht oft in die Kirche gehe, aber ich glaube trotzdem an Gott und Jesus Christus, aber ich glaube an den friedvollen und gütigen Gott und ich kann und will nicht glauben, dass er rachsüchtig und nachtragend ist.

“Jesus will, dass wir alle Menschen lieben, dass wir jedem Menschen helfen, der in Not ist, and dass wir auf Erde ein ruhiges und friedliches Leben haben.” Genau damit kann ich mich anfreunden. Probleme habe ich, wenn es sehr dogmatisch wird. Leider kann ich die Bibel nicht im Original lesen und bin auf Übersetzungen angewiesen. Ich denke, man sollte auch nie den Kontext aus dem die Bibel entstanden ist, vergessen. Es waren andere Zeiten und ich denke, man hat sich damals auch anders ausgedrückt, als wir es heute tun und das allein kann schon zu Fehlinterpretationen und -auslegungen führen. Noch dazu ist vieles mündliche Überlieferung mit allen Fehlern, die dabei entstehen können.

Leider habe ich nicht so viel Zeit, hier ausführlicher in die Diskussion einzusteigen, weil ich jetzt kochen muss und heute abend meine geliebte Donnerstag-Abend-Skype-Runde habe.

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@ Robert

“eine Version der Zeugen Jehovas”

Ich bin vor 5 Monaten in Wien umgezogen, und im Dezember habe ich solche Buch von meinem Nachbar bekommen. Er hat im Buch ‘Willkommen in Österreich’ geschrieben. Dann habe ich ihn diesen Monat getroffen, aber leider konnte er nur Wienerisch sprechen, und ich konnte wirklich kein Wort verstehen.

(Er hat auch ‘ein Baby ist uns gekommen’ geschrieben. Zuerst habe ich gedacht, dass er ein neues Kind bekommen hat, und ich wollte zu ihn gehen und gratulieren. Leider hat er Jesus gemeint.)

ad Colin: Zunächst einmal möchte ich dir zu deinem Deutsch gratulieren. Ich habe, auch in meiner Abwesenheit von lingq, immer wieder deine Einträge gelesen, und ich bin wirklich erstaunt darüber, wie jemand, der erst seit so kurzer Zeit Deutsch lernt, sich zu derart komplexen Themen so klar und deutlich schriftlich äußern kann. Hut ab!

Nun aber zum eigentlichen Thema.

Ich finde es interessant, dass du meinst, du kannst den Religionen an sich nichts abgewinnen, dass dies aber nicht bedeutet, dass du keinen Respekt vor religiösen Menschen hast. Ich kann dir hier nur beipflichten. Ich bin nach dem katholischen Ritus getauft, bin in einer katholischen, aber nicht sehr religiösen Familie, aufgewachsen und bin Anfang 20 zu einer evangelikalen Freikirche aus Amerika gestoßen, der ich einige Jahre angehörte und die ausgesprochen charismatisch ausgerichtet war.

Im Gegensatz zu dir bin ich also nicht der, der ich heute bin, weil ich in einem solchen Umfeld aufgewachsen bin. Ich würde mich im Übrigen auch nicht als Atheisten, sondern eher als Agnostiker bezeichnen. Ich weiß um die Unzulänglichkeit des menschlichen Wesens, einschließlich seines Geistes, und schon alleine deswegen traue ich mir keine abschließende Beantwortung der Frage nach der Existenz Gottes zu.

Felsenfest überzeugt bin ich jedoch hingegen davon, dass vieles, was im Namen von Religionen geschieht, rundweg falsch ist. Manchmal wünschte ich mir, ich hätte noch diese Zuversicht, die ich hatte, als ich an Gott glaubte. Dieses Gefühl war zugegebenermaßen sehr tröstlich.

Der Preis dieser Zuversicht und dieses Trostes war jedoch, zumindest in meinem Fall, ein (teilweises) Ausblenden der Realität. Man schafft sich eine Parallelwelt, in der andere Regeln gelten, als die, die unser Leben hier auf Erden bestimmen. Das ist zumindest meine Sicht der Dinge.

(…) Um das zu verstehen, müssen wir wissen, was sie wirklich glauben. Ich finde es schwierig, weil zu viele Leute in Europe und Nordamerika denken, dass sie nicht die Recht haben söllen, unerwünschte Meinungen auszudrücken. (…)

Das läuft wieder auf das für mich heikle Thema der Meinungsfreiheit hinaus. Wir haben schon mehrmals darüber diskutiert, aber bisher - so glaube ich zumindest - noch nicht auf Deutsch.

Meinungsfreiheit ist zweifelsohne ein wichtiges und grundlegendes Gut in einer freien Gesellschaft. Aber auch für sie müssen Grenzen gelten. Ich bin nicht frei in all meinen Handlungen und das ist auch gut so. Es gehört für mich nicht zum Recht auf freie Meinungsäußerung, wenn ich zum Beispiel einer bestimmten Gruppe von Menschen ihr Existenzrecht abspreche oder - im Extremfall - dazu auffordere, sie zu töten.

Wenn jemand beispielsweise auf Grund seiner religiösen Überzeugung meint (und diese Leute gibt es, wie du sicher weißt), dass Andersgläubige mit dem Tod zu bestrafen sind, und er diese Auffassung propagieren möchte, dann muss ein Rechtsstaat ihm Einhalt gebieten und ihn daran hindern. Hier darf meiner Meinung nach das Recht auf Meinungsfreiheit nicht wie ein goldenes Kalb behandelt werden und Vorrang vor dem Grundrecht auf Unversehrtheit der menschlichen Würde haben.

Ich bin mir dessen bewusst, dass es hier oft um Gratwanderungen geht. Wann ist die menschliche Würde verletzt? Ab wann kann man von einer gefährlichen Drohung sprechen?

In vielen Fällen ist die Entscheidung jedoch klar. Wenn ich auf einer Nazi-Site lese (wie vor wenigen Monaten in Österreich geschehen und später vor Gericht verhandelt), dass Schwule vergast gehören und wenn es dann eine Liste von vermeintlichen Schwulen einer Gemeinde gibt, die den Anhängern dieser Nazis dazu dienen soll, genau das zu machen, was auf dieser Seite propagiert wurde, dann ist das keine bloße Meinungsäußerung mehr.

Wenn jemand sagt, er hasst Schwule, dann ist das seine Sache. Wenn jemand meint, dass Schwule ekelig sind und sie die Gesellschaft zerstören, finde ich diese Haltung zwar dumm, aber auf einen gewissen Grad an Dummheit hat wohl jeder Anspruch.

Wer jedoch einen Schritt weiter geht und auf Grund seiner verdrehten Auffassungen dazu auffordert, Schwulen (oder anderen Minderheiten) Bürgerrechte abzusprechen (z. B. das Ergreifen bestimmter Berufe; unsere nationalistische Partei hat einmal gefordert, dass Schwule keine Lehrer werden sollten, weil sie - wie so viele - Homosexualität mit Kindesmissbrauch in Verbindung bringen), der hat meiner Meinung nach kein Recht mehr auf diese “Meinungsäußerung”.

ad Veral:
(…) ich glaube trotzdem an Gott und Jesus Christus, aber ich glaube an den friedvollen und gütigen Gott und ich kann und will nicht glauben, dass er rachsüchtig und nachtragend ist. (…)

Zum Glück gibt es viele religiöse Menschen, die so denken wie du. Und sollte ich tatsächlich “eine arme, verirrte Seele” sein, dann wird er mir hoffentlich im Angesicht meines Todes auch noch eine Chance geben. Von den Verdammungstheorien halte ich jedenfalls überhaupt nichts. Ich kann mir zumindest zugute halten, dass ich mich mit wachem Verstand und aufrichtig mit der Frage nach der Existenz Gottes auseinandersetze.

ad Colin: (…) aber leider konnte er nur Wienerisch sprechen, und ich konnte wirklich kein Wort verstehen. (…)

Das wundert mich. Gerade Leute, die in der Stadt leben, sollten zumindest ein wenig Hochdeutsch sprechen können.

@Robert, Auch ich bin traurig dass deine Mutter schwer krank ist. Ich glaube, sie ist eine kluge Frau.

Gut gesagt!: “Sie findet in ihrem Glauben Trost, aber sie tut das, ohne andere Menschen zu beleidigen, zu verdammen oder gar zu bedrohen. Das ist die Art von gelebtem Glauben, dem ich Respekt gegenüber bringe, auch wenn ich ihn nicht teile.”

@ Vera: Auch ich wollte wissen, was Sie denken.
Sehr interessant! : "Ich nicht oft in die Kirche gehe, aber ich glaube trotzdem an Gott und Jesus Christus, aber ich glaube an den friedvollen und gütigen Gott und ich kann und will nicht glauben, dass er rachsüchtig und nachtragend ist.

Danke für deine Gedanken.
Ich entschuldige mich für mein schlechtes Deutsch.

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@Robert: Also ICH bin mir sicher, dass Gott nicht darauf schaut, was man mit den Lippen bekennt, sondern uns an unseren Taten messen wird, also wie wir uns verhalten und wie wir uns anderen gegenüber verhalten. Das wird für mich durch diesen Satz im Vaterunser am besten ausgedrückt: “Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.” Das mit Deiner Mutter tut mir übrigens ebenfalls sehr leid und ich wünsche Euch alles Gute. Ich weiß, wie belastend das ist, denn mein Vater ist auch sehr krank. Vor 15 Monaten dachten wir, dass wir ihn verlieren werden. Wie durch ein Wunder hat er es geschafft, ist aber nun leider pflegebedürftig. Dabei ist er zum Glück klar im Kopf und die vom Arzt prognostizierte Demenz ist nicht eingetreten. Da möchte ich auch gerne glauben, dass unsere Gebete geholfen haben. Wissen tue ich es natürlich nicht.

@Julz: Du solltest Dich nicht für Dein schlechtes Deutsch entschuldigen. Wenn Du dieser Diskussion folgen kannst, ist Dein Deutsch auf keinen Fall schlecht!

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Sie sind so freundlich. Ich habe noch nie eine deutsche Lektion studiert!
Mein Gehirn denkt Russisch und Deutsch sind Codes.

ad Jay, Veral, Julz: Vielen Dank für die netten Wünsche bezüglich des Gesundheitszustandes meiner Mutter. Bei meiner Mama ist es ähnlich wie bei deinem Vater, Vera. Vor einem Jahr meinten die Ärzte, sie hätte nicht mehr lange zu leben. Sie leidet unter einer sehr seltenen und aggressiven Krebsart.

Für uns war die Diagnose ein großer Schock.

Wir mussten sie auch mühsam davon überzeugen, dass sie uns in ihrer Krankheit keine Last ist, ganz im Gegenteil. Die Nähe, die sie uns erlaubt, ist ein großes Geschenk für uns, auch wenn es oft bitter ist, sie so leiden zu sehen.

Das Spannende ist, dass ihre behandelnde Ärztin, die ein wunderbarer Mensch ist, auch sehr gläubig ist. Wir hatten, als es einmal ganz schlecht stand, auch über Sterbebegleitung und das Leben danach gesprochen. Das war eine extrem schwierige Situation für mich als Sohn, aber ich fühlte auch, wie viel Wärme und Hoffnung die Worte der Ärztin meiner Mutter gaben - trotz der Angst, die meine Mutter vor dem Sterben hat.

Dass meine Mutter überhaupt noch lebt, gilt ohnehin schon als kleines Wunder. Vor wenigen Monaten ist der Krebs wieder verstärkt zurückgekehrt und zurzeit durchläuft sie wieder eine sehr anstrengende Behandlung. Aber sie ist noch unter uns und wir verbringen viele schöne Momente miteinander.

Ich weiß nicht, ob eure Gebete eurem Vater geholfen haben, aber ich muss zugeben, dass ich auch gläubige Freunde ersucht habe, für meine Mutter zu beten. Das mag für manche inkonsequent oder gar heuchlerisch klingen, aber ich habe immer gesagt, dass ich zwar selbst nicht mehr an Gott glaube, letztendlich mir aber nicht zutraue, eine abschließende Antwort auf die Frage zu geben, ob Gott nun wirklich existiert oder nicht.

Und manchmal kommt auch in mir die Sehnsucht hoch, mich an eine imaginäre Schulter zu lehnen und darauf zu warten, dass jemand sagt, alles wird gut. In vielen Fällen gab es aber stattdessen ein böses Erwachen.

Außerdem ist meine Mutter gläubig und da kann sie die Unterstützung anderer gläubiger Menschen gut brauchen. Von mir wird sie so viel Liebe und Zuneigung bekommen, wie ich ihr nur irgendwie geben kann.

ad Julz: Dein Deutsch klingt alles andere als schlecht. Wenn du zudem noch nie eine Lektion gelernt hast und trotzdem dieser Diskussion folgen kannst und dich außerdem auch noch an ihr beteiligst, dann solltest du vielmehr stolz auf das bereits Erreichte sein.

Im Übrigen macht es mir großen Spaß, mit Leuten, die Deutsch lernen, in meiner Muttersprache zu kommunizieren :slight_smile:

P.S. Ich hoffe, meine Kommentare klingen hier nicht zu negativ. Ich bin ein sehr lebensfroher Mensch und äußerst dankbar dafür, dass ich in einer wunderbaren Familie aufgewachsen bin, mit Eltern, zu denen ich aufblicke (auch wenn wir bei weitem nicht immer einer Meinung sind) und Geschwistern, die mir oft die besten Freunde sind.

Vielleicht studiere ich die falschen Sprachen:)

Ich werde aufrichtig beten für deine Mutter.

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(…) Vielleicht studiere ich die falschen Sprachen:) (…)

Also, wenn du schon Deutsch lernst, dann lernst du zumindest eine “richtige” Sprache ;-). Scherz beiseite, du lernst, glaube ich, auch Russisch. Das ist doch eine wunderbare Sprache.

Es freut mich aber, dass dir Deutsch offenbar gut gefällt.

@ Robert

Was du über deiner Mutter geschrieben hast ist traurig und es tut mir sehr leid. Du hast sehr viel hier und in der anderen Diskussion (wie sagt man ‘thread’ auf Deutsch?) geschrieben, und ich konnte nicht wirklich mithalten. Ich werde nicht über alles schreiben, was du geschrieben hast, weil ich ein Buch nicht schreiben will.

“Ich weiß um die Unzulänglichkeit des menschlichen Wesens, einschließlich seines Geistes, und schon alleine deswegen traue ich mir keine abschließende Beantwortung der Frage nach der Existenz Gottes zu.”

Ja, ok. Natürlich können wir diese Frage nicht wirklich beantworten, wenn wir eine Antwort wollen, die 100% genau und sicher ist. Aber wir können das für jede Frage sagen, und es heißt nicht, dass wir keine Ahnung haben können. Es gibt keinen Beweis für die Existenz Gottes, und es gibt kein Phänomen in dem Universum, soweit wir wissen, das zeigt, dass ein Wesen wie Gott existieren können. Deswegen ist die Frage nach der Existenz Gottes für mich keine wichtige Frage.

Ich habe geschrieben

“zu viele Leute in Europe und Nordamerika denken, dass sie nicht die Recht haben söllen, unerwünschte Meinungen auszudrücken”

Vielleicht war das nicht wirklich was ich gemeint habe. In der anderen Diskussion geht es nicht um Meinungsfreiheit. Niemand hat MADARA bedroht, und ich bin fast sicher, dass er konnte seine Meinung schrieben, ohne Steves Einmischung. Aber ich habe gedacht, dass es schade ist, dass fast jeder wollten MADARAs Meinung nicht wirklich lesen. Was für einen Diskussion haben wir, wenn jemand seine Meinung ehrlich ausdrückt, und wir antworten mit ‘hält die Klappe, deine Meinung ist zu schrecklich, ich will sie nicht lesen’?

Wenn was er geschrieben hat so dumm und unlogisch wäre, dann sollte es kein Problem sein zu zeigen, warum es so dumm und unlogisch ist. Wer hat wirklich versucht sein Argument zu widerlegen?

“Why would you make a difference here? Let’s say you are married to a black woman and MADARA had said all black women are sluts and abnormal, they are like animals etc. Would you honestly not be hurt in the least?”

Nein. Ich wäre nicht verletzt, aber du hast recht. Es ist nicht nötig meine Frau zu nennen. Aber, als ich schon geschrieben habe, was für einen Diskussion haben wir, wenn ich sage ‘aber das bedeutet, dass meine Frau eins ‘Slut’ ist’? Was für ein Argument ist das? Vielleicht ist meine Frau eine Slut. Wenn ich solche Argument benutzen will, muss ich auch zeigen, dass meine Frau keine Slut ist. Wenn MADARA sagt, Homosexualität unnatürlich ist, habe ich kein Argument, wenn ich nur sage, dass mein Sohn schwul ist und deswegen bin ich verletzt, wenn er solche Dinge schreibt. Wenn ich einen echten Diskussion durchführen will, muss ich meine Verletzung verbergen.

(p.s. ich habe keinen Sohn.)

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